HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 60
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 236/15, Urteil v. 14.10.2015, HRRS 2016 Nr. 60
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 19. Januar 2015 in vollem Umfang und auf die Revision des Nebenklägers, soweit es die Angeklagten A. und N. betrifft, jeweils mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten sowie die Angeklagten N. und A. jeweils wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung und Nötigung zu Freiheitsstrafen von drei Jahren und sechs Monaten bzw. vier Jahren verurteilt. Die Revisionen der Angeklagten haben mit der Sachrüge ebenso Erfolg wie das Rechtsmittel des Nebenklägers, das auf die Anfechtung des Urteils hinsichtlich der Angeklagten N. und A. beschränkt ist.
1. In der Nacht vom 23./24. Juni 2014 tranken die Angeklagten in der Wohnung des Angeklagten A., in der auch die Zeugin Be. zugegen war, bis in den Morgen Alkohol in nicht mehr feststellbarer Menge, zudem konsumierten alle Beteiligten Kokain. Als die Alkoholvorräte verbraucht waren, gelang es dem Angeklagten B., den Zeugen W. zu veranlassen, in seinem Auto mit dem Nebenkläger zu ihnen zu kommen. Nach ihrer Ankunft fuhren alle Beteiligten zu einer Tankstelle, um dort Alkohol zu kaufen. Einer der Angeklagten erwarb Bier, Schnaps und Zigaretten am Nachtschalter, anschließend fuhr der nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis befindliche Nebenkläger die Angeklagten und die Zeugin Be. wieder in die Wohnung des Angeklagten A. zurück. Das Angebot, mit ihnen in die Wohnung zu kommen, lehnte der Nebenkläger ab und fuhr mit dem Zeugen W. weg.
Im Verlauf der Nacht fuhren der Nebenkläger und der Zeuge W. zu einem abgelegenen Grundstück der Familie des Nebenklägers, auf dem sich ein Wohnwagen befindet, in dem der Nebenkläger regelmäßig übernachtete. Der Zeuge W. begab sich später nach Hause, ließ aber sein Kraftfahrzeug zurück, allerdings nicht den Fahrzeugschlüssel. Der Nebenkläger legte sich gegen 4.30 Uhr schlafen.
Die Angeklagten tranken weiter Alkohol und nahmen auch weiter Kokain zu sich. Schließlich kam der Angeklagte N. auf die Idee, mit dem Nebenkläger „noch etwas zu klären“ und ihn zur Rede zu stellen. Hintergrund soll nach den Angaben des Angeklagten N. ein Konflikt zwischen seinem Vater und dem Nebenkläger gewesen sein, konkrete Feststellungen dazu hat das Landgericht nicht treffen können. So brachen die Angeklagten in den frühen Morgenstunden in Begleitung der Zeugin Be. zum Wohnwagen des Nebenklägers auf.
Der Nebenkläger schlief schon, wurde erst durch das Klopfen an der Tür geweckt, reagierte aber zunächst nicht. Erst als der mit einem Beil bewaffnete Angeklagte A. drohte, die Tür aufzubrechen oder ein Fenster einzuschlagen, öffnete der Nebenkläger. Die drei Angeklagten und die Zeugin Be. betraten den Wohnwagen. Der Angeklagte N., der eine Sturmhaube übergezogen hatte, begann sofort zu randalieren und Gläser sowie Flaschen vom Tisch zu werfen. Er schlug dem Nebenkläger einige Male ins Gesicht, nachdem dieser ihn aufgefordert hatte, damit aufzuhören. Als der Angeklagte B. danach am Tisch Platz genommen hatte, setzte sich der Nebenkläger auf eine Couch. Der Angeklagte A. ergriff ein Luftgewehr, das an der Wand stand, und forderte von dem Nebenkläger die Herausgabe der Munition, was dieser ablehnte. Daraufhin nahm der Angeklagte A. ein auf dem Küchentisch liegendes Cuttermesser und drohte an, dem Nebenkläger einen Finger abzuschneiden, wenn er die Munition nicht herausgebe. Dabei hielt er die Hand des Nebenklägers fest und setzte mit dem Messer an. Dieser konnte jedoch seine Hand wegreißen und dem Angeklagten A. das Messer aus der Hand schlagen. In dieser Situation schlug der Angeklagte N. erneut mit der Faust in das Gesicht des Nebenklägers und trat ihn - er war dazu auf die Couch gesprungen - mit seinem beschuhten Fuß einmal in Richtung des Gesichts und in den Bauch sowie gegen die Schulter. Auch der Angeklagte A. schlug mindestens fünf bis sechs Mal mit der Faust auf den Nebenkläger ein, der seinen Arm vors Gesicht hielt und so Faustschläge und Tritte ins Gesicht abwehren konnte.
Der Angeklagte B., der seinen Kopf auf den Tisch gelegt hatte, aber auch immer wieder hochschaute, reichte dem Angeklagten A. nunmehr ein auf dem Tisch liegendes spitzes Küchenmesser mit mindestens 20 cm Klingenlänge, das dieser dem Nebenkläger mit den Worten „Dann machen wir das eben anders“ an den Hals setzte. Er zog das Messer so am Hals entlang, dass der Nebenkläger zwei oder drei oberflächliche Schnittverletzungen erlitt, die leicht bluteten und nicht unerhebliche Schmerzen bereiteten. Aus Angst vor weiteren Gewalthandlungen der Angeklagten übergab der Nebenkläger nunmehr die Dose mit der Munition. Der mit Waffen vertraute Angeklagte A. lud damit das Gewehr und schoss auf verschiedene Ziele innerhalb des Wohnwagens. Insgesamt gab er zehn bis zwanzig Schüsse ab.
Die Zeugin Be. verließ währenddessen immer wieder den Wohnwagen, so als ob sie aufpassen würde, dass sich keine Person dem Tatort nähere. Der Angeklagte N. lief immer wieder unruhig hin und her und ging auch ein paar Mal nach draußen. Dabei entdeckte er das vor dem Wohnwagen stehende Kraftfahrzeug des Zeugen W., das einen Zeitwert von mindestens 150 Euro hatte und das er in seinen Besitz bringen wollte, um es eine Zeit lang zu benutzen und den Tatort damit zu verlassen. Er forderte deshalb den Nebenkläger auf, die Fahrzeugschlüssel herauszugeben und das Fahrzeug am übernächsten Tag als gestohlen zu melden. Der Nebenkläger teilte mit, dass der Zeuge W. den Schlüssel mitgenommen habe, was die Angeklagten N. und A. ihm aber nicht glaubten. Der Angeklagte A. schoss mit dem Luftgewehr in Richtung des Nebenklägers, der jedoch schnell zu seinem Schutz eine Decke hochreißen konnte. Währenddessen schlug und trat der Angeklagte N. den Nebenkläger erneut. Beide wiederholten ihre Forderung nach Übergabe des Fahrzeugschlüssels. Der Angeklagte A. schoss mehrfach aus geringer Entfernung auf den Kopf des Nebenklägers, einen Schuss davon konnte er abwehren, indem er das auf ihn gerichtete Gewehr mit einer Hand wegdrückte. Der Schuss streifte den Zeigefinger seiner rechten Hand, die dadurch verletzt wurde. Die Angeklagten A. und N. nahmen zumindest billigend in Kauf, dass der Nebenkläger durch einen Schuss im Gesicht getroffen und schwer verletzt werden könnte.
Als der Nebenkläger mehrfach wiederholte, der Fahrzeugschlüssel sei bei dem Zeugen W., forderte der Angeklagte A. ihn auf, diesen anzurufen, damit dieser ihn vorbei bringe. Der Nebenkläger tat wie ihm geheißen, aber es kam kein Gespräch zustande. Der Zeuge W. rief zurück, woraufhin der Nebenkläger ihn bat, alsbald die Autoschlüssel vorbei zu bringen. W. lehnte ab, weil er nicht wusste, wie er so schnell ohne sein Auto dorthin kommen könne. Als der Nebenkläger daraufhin den Zeugen aufforderte, sich doch von seiner Mutter fahren zu lassen, unterbrach der Angeklagte A. die Verbindung und steckte sich das Mobiltelefon in die Tasche.
Kurz darauf schoss der Angeklagte A. dem Nebenkläger, der sich wieder hingesetzt hatte, aus 20 cm Entfernung direkt in das Gesicht, so dass das Projektil in das Auge des Nebenklägers traf. Er schrie vor Schmerzen und rief „Du hast mein Auge getroffen“. Die Angeklagten A. und N. nahmen das nicht ernst, der Angeklagte B. hatte ebenso wie die Zeugin Be., die den Wohnwagen eine Weile verlassen hatte, von den letzten, auf die Herausgabe der Autoschlüssel gerichteten Handlungen nichts mitbekommen, weil er eingeschlafen war. Er erwachte erst, als er den Nebenkläger vor Schmerzen schreien hörte. Die Angeklagten verließen daraufhin den Wohnwagen. Die Angeklagten A. und N., die dabei dem Nebenkläger gegen die Beine traten, drohten, ihn umzubringen, wenn er einen Arzt oder die „Bullen“ rufen würde. Der Angeklagte A. nahm das Telefon, das Luftgewehr und die Munition mit; in der Hauptverhandlung behauptete er, die Sachen später weggeworfen zu haben. Der Zeuge W. rief noch einmal - wahrscheinlich nachdem die Angeklagten den Nebenkläger bereits verlassen hatten - auf dem Handy des Nebenklägers an. Den Anruf nahm eine andere, dem W. nicht bekannte Person entgegen, die dem Zeugen erklärte, dass die Sache sich erledigt habe und er nicht kommen müsse. Die Angeklagten A. und N. handelten nicht ausschließbar im Zustand erheblich eingeschränkter Schuldfähigkeit.
Der Nebenkläger lief sodann über die Felder zu einem Nachbarhaus, wo er Hilfe bekam. Er wurde in die L. Uniklinik gebracht, wo er später operiert und etwa eine Woche stationär behandelt werden musste. Der Nebenkläger verlor durch den Schuss ins Auge sein Augenlicht, wobei die Verletzung nicht konkret lebensgefährlich war. Er erlitt zudem schürfartige Oberhautdefekte und Hämatome an den Schultern sowie oberhalb der linken Achselfalte. Am rechten Zeigefinger entstanden einrissartige Veränderungen. Der Nebenkläger musste aufgrund der Verletzung am Auge seine Ausbildung zum Metallfachwerker abbrechen und muss sich beruflich völlig neu orientieren.
2. Das Landgericht hat in den von dem Angeklagten A. mit dem Cuttermesser zugefügten Schnittverletzungen im Kehlkopfbereich des Halses für alle Angeklagten eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 StGB gesehen. Das Herausgabeverlangen der Munition stellt nach Ansicht der Strafkammer eine tateinheitlich im Rahmen einer natürlichen Handlungseinheit verwirklichte Nötigung (§ 240 StGB) dar, zu der - allerdings nicht für den Angeklagten B., der die sich anschließenden Vorgänge um den PKW des Zeugen W. nicht mehr mitbekam, weil er eingeschlafen war - noch eine versuchte besonders schwere räuberische Erpressung und eine schwere Körperverletzung hinzukommt. Einen Rücktritt nach § 24 StGB hat das Landgericht abgelehnt. Die Umstände hätten für die Angeklagten eine Tatbeendigung unmöglich gemacht, ein freiwilliger Rücktritt läge nicht vor, weil die Angeklagten das Tatrisiko aufgrund neuer Tatumstände für nicht mehr vertretbar gehalten hätten. Von einer Verurteilung wegen versuchten Totschlags hat die Strafkammer abgesehen, weil die Angeklagten den Tod des Nebenklägers weder angestrebt noch billigend in Kauf genommen haben, sie hätten ihn nicht einmal in Erwägung gezogen.
Die Revisionen der Angeklagten haben Erfolg. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Die revisionsrechtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Erwägungen in sich widersprüchlich, unklar oder lückenhaft sind oder wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstoßen (st. Rspr.; vgl. die Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, 58. Aufl., § 261 Rn. 38). Solche Rechtsfehler liegen hier vor.
2. a) Ein Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten liegt zwar nicht schon darin, dass das Landgericht vom Vorliegen einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation ausgegangen ist, die - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat - nicht gegeben ist. Denn die sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in diesem Fall ergebenden Darstellungs- und Begründungsanforderungen gehen über eine gewöhnlich anzustellende Beweiswürdigung hinaus; dass der Tatrichter diesen strengeren Maßstab seiner Überzeugungsbildung zugrunde gelegt hat, kann einen Angeklagten regelmäßig nicht belasten.
b) Ein den Angeklagten belastender Mangel ist aber darin zu sehen, dass das Landgericht sich der aufdrängenden näheren Erläuterung der Angaben des Nebenklägers verschlossen hat und die angefochtene Entscheidung deshalb lückenhaft ist (vgl. Ott, KK, StPO, 7. Aufl., § 261 Rn. 50). Bestreiten - wie hier - die Angeklagten in wesentlichen Tatteilen den gegen sie erhobenen Vorwurf, genügt es nicht, im Rahmen der Beweiswürdigung allgemein darauf hinzuweisen, dass der einzige Tatzeuge in seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung die in der polizeilichen Aussagesituation gemachten Angaben im Kern widerspruchsfrei wiederholt habe, zumal er die genaue Abfolge der Geschehnisse in der Hauptverhandlung nicht im Einzelnen erinnern konnte. Dies gilt umso mehr, als der Nebenkläger seinen Angaben vor der Kammer wesentliche Details angefügt hat, die in den polizeilichen Angaben nicht enthalten waren und die das Landgericht offensichtlich seiner Überzeugungsbildung zugrunde gelegt hat. Zur Überprüfung der vom Tatgericht für glaubhaft angesehenen Aussage durch das Revisionsgericht ist es in einem solchen Fall erforderlich, den Inhalt der den Angeklagten belastenden Aussagen vor der Polizei und in der Hauptverhandlung im Einzelnen darzustellen (vgl. BGH StV 2011, 7). Nur so lässt sich auch nachvollziehen, aufgrund welcher Angaben die Strafkammer zu den getroffenen Feststellungen gelangt ist und ob dies ohne Rechtsfehler geschehen ist.
Ebenso wenig ist es ausreichend festzustellen, die in der Hauptverhandlung abgegebenen Erklärungen der Angeklagten seien nicht geeignet, die Angaben des Nebenklägers mit Erfolg in Zweifel zu ziehen, und sich anschließend lediglich beispielhaft mit der einen oder anderen Erwägung in den Urteilsgründen auseinander zu setzen. Hier ist eine ins Einzelne gehende Darlegung vonnöten, warum die jeweiligen konkreten Einlassungen der Angeklagten die Angaben des Nebenklägers nicht in Frage stellen können. Dies gilt umso mehr, als die im Urteil im Wortlaut wiedergegebenen Erklärungen der Angeklagten die Angaben des Nebenklägers gerade nicht - wie aber das Landgericht meint - grundsätzlich bestätigt haben, sondern wesentliche Abweichungen vom festgestellten Sachverhalt enthalten.
c) Die Beweiswürdigung weist eine weitere Lücke auf. Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, dass die Zeugin Be. Angaben gemacht hat, bei denen sich der Kammer der Eindruck aufgedrängt habe, sie sei bemüht gewesen, die Angeklagten oder einzelne von ihnen, soweit es ihr möglich schien, zu entlasten. Aus diesem Grund habe sie deren Angaben nicht zugrunde gelegt, wenn sie nicht durch andere Beweismittel oder Indizien bestätigt worden seien. Welche Angaben das sind, wird nicht mitgeteilt; beispielhaft wird etwa angeführt, dass die Kammer der Zeugin nicht gefolgt sei, soweit diese angegeben habe, der Angeklagte N. habe nach dem Verlassen des Wohnwagens das in einem Pullover getragene Luftgewehr getragen. Eine solche, lediglich exemplarische Erläuterung von Beweisumständen genügt nicht, sie kann - insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass es sich zudem um einen die Angeklagten belastenden Umstand handelt - die gebotene Darlegung und Auseinandersetzung mit den die Angeklagten entlastenden Umständen nicht ersetzen. Dies gilt umso mehr, als ein von der Strafkammer für mögliche Entlastungstendenzen angeführter Umstand, durch unrichtige Angaben zugunsten der Angeklagten habe sie auch einen möglichen eigenen Tatbeitrag milder erscheinen lassen können, spekulativ ist; auch unter Berücksichtigung der Angaben des Nebenklägers haben sich Tatbeiträge der Zeugin offensichtlich nicht feststellen lassen.
d) Auf diesem Mangel beruht die Beweiswürdigung. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Würdigung zu einem für die Angeklagten günstigeren Ergebnis gelangt wäre.
Auch die Revision des Nebenklägers hat Erfolg.
1. Die Revision ist - wie sich aus dem Revisionsantrag und seiner Begründung ergibt - wirksam auf die Angeklagten N. und A. beschränkt.
2. In diesem Umfang ist die Revision auch begründet. Das Rechtsmittel führt zur Urteilsaufhebung, weil das Landgericht seiner Kognitionspflicht nicht in dem gebotenen Umfang nachgekommen ist. Es hat die Tat nicht auch unter dem Gesichtspunkt des erpresserischen Menschenraubs, eines nebenklagefähigen Delikts, geprüft, obwohl die Feststellungen dazu drängten.
Nach den Ausführungen der Strafkammer drangen die Angeklagten A., B. und N. in den Wohnwagen des Nebenklägers ein, hielten ihn dort über einen längeren Zeitraum fest und misshandelten ihn. Unter Verwendung eines Küchenmessers zwangen sie ihn zunächst zur Herausgabe einer Dose mit Munition; mit auf ihn gerichteten Schüssen versuchten sie sodann, von ihm den Schlüssel für ein vor dem Wohnwagen abgestelltes Kraftfahrzeug zu erlangen, um dieses für sich zu behalten. Angesichts dieser Feststellungen hätte das Landgericht erörtern müssen, ob die Angeklagten mit ihrem Eindringen in den Wohnwagen und den gewaltsamen Übergriffen die physische Herrschaft über ihr Opfer erlangt hatten und eine so von ihnen geschaffene stabile Bemächtigungslage (vgl. BGH, Beschluss vom 22. November 1994 - GSSt 1/94, BGHSt 40, 350; Beschluss vom 3. August 1995 - 4 StR 435/95, BGHR StGB § 239a Abs. 1 Sichbemächtigen 4; Urteil vom 8. März 2006 - 5 StR 473/05, NStZ 2006, 448; Urteil vom 31. August 2006 - 3 StR 246/06, BGHR StGB § 239a Abs. 1 Sichbemächtigen 9) zu einer besonders schweren räuberischen Erpressung ausnutzten, indem sie den Nebenkläger zwangen, ihnen die Dose mit der Munition zu übergeben. Der Annahme einer Strafbarkeit nach § 239a Abs. 1 2. Halbs. StGB stünde insoweit - wie das Landgericht im Zusammenhang mit einer nicht angenommenen Strafbarkeit wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung ausgeführt hat - weder der geringe Wert der Munition, der für die Tatbestandsmäßigkeit ohne Bedeutung ist, noch eine fehlende Zueignungs- oder Bereicherungsabsicht, die auch in einem Verbrauch der Munition (durch Verschießen) Ausdruck finden kann (vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl., § 242 Rn. 37), entgegen. Ergänzend hätte die Strafkammer Veranlassung gehabt, eine Strafbarkeit nach § 239a StGB auch mit Blick auf die spätere versuchte Erlangung des Kraftfahrzeugs zu erörtern, die sie selbst als versuchte besonders schwere räuberische Erpressung verurteilt hat.
3. Auch die Ablehnung des bedingten Tötungsvorsatzes hinsichtlich der Angeklagten N. und A. hält - worauf schon der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend hingewiesen hat - rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Allerdings liegt es nahe, dass die Angeklagten, die den vor Schmerzen schreienden und auf seine Augenverletzung hinweisenden Nebenkläger nicht ernst nahmen und ihn beim Weggehen noch bedrohten, ihn umzubringen, wenn er Hilfe herbeirufen würde, freiwillig von einem möglichen Tötungsversuch Abstand genommen haben und strafbefreiend zurückgetreten sind (vgl. Fischer, aaO, § 24 Rn. 40a).
HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 60
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2016, 148
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede