HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 228
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 172/15, Urteil v. 05.08.2015, HRRS 2016 Nr. 228
1. Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Fulda vom 27. November 2014 werden als unbegründet verworfen.
2. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt in neun Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen zu jeweils 8 Euro verurteilt. Gegen dieses Urteil haben die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte Revision eingelegt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft wendet sich gegen den Strafausspruch und beanstandet die Berechnung der Höhe der vorenthaltenen Beiträge zur Sozialversicherung als rechtsfehlerhaft. Die Revision des Angeklagten rügt - unausgeführt - die Verletzung materiellen Rechts. Beide Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
a) Der nicht vorbestrafte Angeklagte betrieb auf der Grundlage mehrerer mit der Firma I. GmbH (I. GmbH) abgeschlossener Partnerverträge fünf Autowaschstraßen in verschiedenen Städten. Eine von ihnen betrieb der Angeklagte selbst, für den Betrieb der anderen Waschstraßen hatte er insgesamt sechs Personen angeworben, die er auf Provisionsbasis bezahlte.
b) Das Landgericht hat angenommen, dass es sich bei den von dem Angeklagten beschäftigten Personen um so genannte „Scheinselbständige“ handele und der Angeklagte als ihr Arbeitgeber in den Monaten Juni 2009 bis Februar 2010 pflichtwidrig die geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt habe; er habe dabei aufgrund der Kenntnis aller objektiven Umstände spätestens nach seiner am 22. Juni 2009 erfolgten Beschuldigtenvernehmung bedingt vorsätzlich gehandelt.
c) Seiner Schadensberechnung hat das Landgericht die vom Angeklagten an die Zeugen ausgekehrten Provisionen als Nettolohn zugrunde gelegt. Ausgehend von diesem Nettolohn hat es ein Bruttogehalt errechnet, von dem es die für die jeweiligen Beitragsmonate geschuldeten Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile berechnet hat. Von den so errechneten Beitragsanteilen hat das Landgericht einen Sicherheitsabschlag in Höhe von 40 Prozent vorgenommen, weil der Berechnung des Bruttogehalts die Lohnsteuerklasse VI zugrunde zu legen sei und die vom Angeklagten beschäftigten Personen jeweils aufgrund der von ihnen erzielten geringen monatlichen Einkünfte tatsächlich gar nicht oder jedenfalls nur geringfügig steuerpflichtig gewesen seien. Einen Abschlag in Höhe von weiteren 10 Prozent hat die Strafkammer vorgenommen, weil der Angeklagte bei Verhinderung der von ihm beschäftigten Personen gelegentlich selbst an den Waschstraßen ausgeholfen und die Provisionen in diesen Fällen selbst in voller Höhe vereinnahmt habe.
Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Arbeitgebereigenschaft des Angeklagten begründet hat, sind von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Auch die subjektive Tatseite ist tragfähig begründet.
1. a) Im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass Arbeitgeber im Sinne des § 266a StGB derjenige ist, dem gegenüber der Arbeitnehmer zur Erbringung von Arbeitsleistungen verpflichtet ist und zu dem er in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis steht (BGH, Urteil vom 16. April 2014 - 1 StR 638/13, NStZ-RR 2014, 246, 247). Das Bestehen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ist nach den tatsächlichen Gegebenheiten zu bestimmen, die einer wertenden Gesamtbetrachtung zu unterziehen sind. In diese Gesamtbetrachtung sind insbesondere die Frage des Bestehens eines umfassenden Weisungsrechts, das Inhalt, Zeit, Ort und Dauer der Tätigkeit umfasst, die Gestaltung des Entgelts und seine Berechnung, Art und Ausmaß der Einbindung in den Betriebsablauf des Arbeitgeberbetriebes sowie die Festlegung des täglichen Beginns und des Endes der konkreten Tätigkeit einzustellen (BGH, a.a.O., S. 248). Für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses in dem genannten Sinne kann insbesondere das Vorliegen eines umfassenden Weisungsrechts, die Bestimmung der Arbeitszeiten und die Bezahlung nach festen Entgeltsätzen sowie der Umstand sprechen, dass der Arbeitnehmer kein unternehmerisches Risiko trägt (Fischer StGB, 63. Aufl., § 266a Rn. 4a mwN).
b) Unter Zugrundelegung dieses zutreffenden rechtlichen Prüfungsmaßstabes hat das Landgericht die Arbeitgebereigenschaft des Angeklagten tragfähig begründet. Das Landgericht hat eine umfassende Gesamtwürdigung aller für und gegen eine Arbeitgebereigenschaft des Angeklagten sprechenden Umstände vorgenommen und dabei insbesondere berücksichtigt, dass die vom Angeklagten beschäftigten Personen nicht zu höchstpersönlicher Arbeitsleistung verpflichtet, sondern befugt waren, selbst weitere Personen zu beschäftigen; in seine Erwägungen eingestellt hat das Landgericht außerdem die Befugnis der Beschäftigten, auf dem Gelände der Waschstraße so genannte „Eigengeschäfte“ wie Felgenspezialreinigungen und Ähnliches anzubieten und selbstständig abzurechnen. Dass es vor dem Hintergrund der für ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis sprechenden Umstände, insbesondere des Umstands, dass der Angeklagte die Arbeitskleidung stellte und die auf Provisionsbasis erfolgende Vergütung ebenso wie die Öffnungszeiten der Waschstraßen - im Einvernehmen mit der I. GmbH - einseitig festlegte, gleichwohl zur Annahme eines Arbeitsverhältnisses gelangt ist, ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.
2. Auch die Beweiswürdigung zum - bedingten - Vorsatz ist aus revisionsrechtlicher Sicht rechtsfehlerfrei.
3. Der Rechtsfolgenausspruch ist frei von Rechtsfehlern, die sich zuungunsten des Angeklagten ausgewirkt haben könnten.
Die ausdrücklich auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg. Zwar begegnet die Berechnung der Höhe des jeweiligen Beitragsschadens aus den von der Staatsanwaltschaft in ihrer Revisionsbegründungsschrift genannten Gründen Bedenken; es ist jedoch auszuschließen, dass der Strafausspruch auf einem möglichen Rechtsfehler beruht.
1. Der Schuldumfang bei Straftaten der Beitragsvorenthaltung gemäß § 266a Abs. 1 und 2 StGB im Rahmen von illegalen, aber versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen bestimmt sich nach dem nach sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben zu ermittelnden Bruttoentgelt und der hieran anknüpfenden Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge (BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71, 75). Vorenthalten im Sinne des § 266a StGB sind die nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften tatsächlich geschuldeten Beiträge (BGH, a.a.O., S. 76). Nach der in § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV enthaltenen Fiktion gilt in Fällen, in denen im Rahmen eines illegalen Beschäftigungsverhältnisses, also einem Beschäftigungsverhältnis, in dem zentrale arbeitgeberbezogene Pflichten des Sozialversicherungsrechts bedingt vorsätzlich verletzt (BSG, Urteil vom 9. November 2011 - B 12 R 18/09 R, BSGE 109, 254) und Steuern sowie Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung nicht gezahlt werden, ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart. Die Lohnzahlung aufgrund einer „Schwarzlohnabrede“ entspricht mithin bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise dem Nettoarbeitsentgelt eines legalen Beschäftigungsverhältnisses (vgl. BGH, a.a.O., S. 77). Die Fiktion einer Nettolohnvereinbarung kann dabei zu einem - fiktiven - Bruttoarbeitsentgelt führen, das den Wert der Arbeitsleistung übersteigt (BSG, Urteil vom 22. September 1988 - 12 RK 36/86, BSGE 64, 110, 117).
2. Die Berechnung des Bruttoarbeitsentgelts ist unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 39c EStG auf der Grundlage der Lohnsteuerklasse VI vorzunehmen; diese ist zugrunde zu legen, wenn dem Arbeitgeber die Lohnsteuerkarte nicht vorgelegt wird. Dies ist bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen in aller Regel der Fall, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für eine andere Handhabung bestehen (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71, 79).
3. Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabs sind die Feststellungen des Landgerichts zur Höhe der nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge lückenhaft, weil weder die vom Landgericht vorgenommene Berechnung des Nettolohns noch die Berechtigung der vorgenommenen Abschläge in vollem Umfange nachvollziehbar sind.
a) Das Landgericht hat den Berechnungsmodus lediglich „beispielhaft“ (UA S. 12) für die Waschstraße Am R. in F. mitgeteilt, wonach auf der Grundlage der Angaben des dort eingesetzten Zeugen S. zur Höhe der mit dem Angeklagten vereinbarten Provision pro Autowäsche (0,36 Euro) und der von der I. GmbH mitgeteilten Jahresprovision (20.123 Wäschen für das Jahr 2009; Provisionszahlung an den Angeklagten in Höhe von 17.519,00 Euro) eine Jahresprovision in Höhe von 7.244,28 Euro berechnet und diese Jahresprovision auf die einzelnen Monate des Jahres 2009 verteilt worden ist. Der so errechnete „Barlohn“ in Höhe von 603,69 Euro wurde sodann zu einem fiktiven Bruttomonatslohn hochgerechnet, ohne dass insoweit erkennbar bedacht wurde, dass der Zeuge S. die Waschstraße Am R. in F. ausweislich der Feststellungen nicht allein, sondern gemeinsam mit dem Zeugen Z. betrieben hat (UA S. 5). Vor diesem Hintergrund kann schon nicht nachvollzogen werden, ob die Berechnung des Nettoarbeitsentgelts in sämtlichen Fällen rechtsfehlerfrei erfolgt ist. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann auch nicht entnommen werden, dass genauere Feststellungen zu den tatsächlich vereinnahmten Provisionen unmöglich sind, so dass eine Schätzung der Nettolöhne zulässig wäre.
b) Auch die Frage, ob - wie das Landgericht angenommen hat - vorliegend Anlass bestand, der Berechnung des fiktiven Bruttoarbeitsentgelts abweichend von § 39c EStG eine andere als die Steuerklasse VI zugrunde zu legen, kann in Ansehung der lückenhaften Feststellungen nicht beantwortet werden. Zwar bezogen zwei der vom Angeklagten beschäftigten Arbeitnehmer ergänzende Sozialleistungen und waren nicht steuerpflichtig. Ob dies auch für die anderen Arbeitnehmer galt, lässt sich den Feststellungen aber nicht zweifelsfrei entnehmen. Vor diesem Hintergrund kann - ungeachtet der von der Staatsanwaltschaft zu Recht erhobenen Einwendungen gegen die Berechnungsweise des Tatrichters - nicht geprüft und entschieden werden, ob der vom Landgericht vorgenommene Sicherheitsabschlag rechtsfehlerhaft erfolgte oder nicht.
c) Der Senat schließt jedoch aus, dass das Urteil auf einem möglichen Rechtsfehler beruht und der Tatrichter, der in den Urteilsgründen ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass die Höhe der Beitragsschäden in Ansehung der Besonderheiten des Einzelfalls von untergeordneter Bedeutung gewesen ist, bei zutreffender Berechnung der Beitragsschäden höhere Einzelstrafen und eine höhere Gesamtstrafe verhängt hätte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 und Abs. 2 StPO.
HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 228
Externe Fundstellen: NStZ 2016, 348 ; StV 2017, 105
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede