HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 956
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 139/15, Urteil v. 08.07.2015, HRRS 2015 Nr. 956
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 31. Oktober 2014 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist, sowie in den Einzelstrafaussprüchen und Gesamtstrafenausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 52 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten, der die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vom Rechtsmittelangriff ausgenommen hat. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
Nach den Feststellungen des Landgerichts verkaufte der Angeklagte als „Läufer“ einer Gruppierung um den Mitangeklagten C. und den früheren Mitangeklagten R., denen er sich in Kenntnis der Struktur angeschlossen hatte, in 52 Fällen jeweils 10 Kleinmengen Heroin von je 0,1 g an Drogenkonsumenten. Dafür erhielt er als Entgelt Heroin oder Kokain für seinen Eigenkonsum, bisweilen auch Telefonkarten, Tabak oder Zigaretten und gelegentlich kleinere Bargeldbeträge.
Das Landgericht hat den Angeklagten als Mittäter des Handeltreibens und als Mitglied der Bande angesehen und deshalb gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 BtMG verurteilt.
Die Revision des Angeklagten gegen den Schuldspruch ist unbegründet.
Es ist rechtlich nicht bedenklich, dass die Strafkammer den Angeklagten als Täter des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln angesehen hat. Er hat durch Drogenverkauf an Konsumenten eigenhändig gehandelt. Weil er aus diesen Verkäufen selbst Betäubungsmittel, gelegentlich aber auch Telefonkarten, Tabak und Zigaretten oder kleinere Geldbeträge erlangt hat, hat er mit Gewinnstreben gehandelt. Dies genügt zur Zurechnung der Tatbegehung als Mittäter des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 25 Abs. 2 StGB.
Die Feststellungen tragen auch die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte Mitglied einer Bande war. Nach den Feststellungen war er mit zwei weiteren Beteiligten übereingekommen, dass er als „Läufer“ Heroinportionen an Konsumenten verkaufen sollte. Er kannte die Strukturen des örtlichen Drogenhandels und wollte aus seiner Mitwirkung beim laufenden Drogenverkauf an Konsumenten einen eigenen Vorteil erlangen. Das genügt für die Annahme der Bandenmäßigkeit der Tatbegehung, auch wenn der Angeklagte innerhalb der Gruppierung eine untergeordnete Rolle spielte.
Die Revision führt aber zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs mitsamt der Entscheidung über die Nichtanordnung einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt.
1. Die Nichtanordnung einer Maßregel gemäß § 64 StGB ist nicht wirksam vom Rechtsmittelangriff ausgenommen worden. Eine solche Beschränkung ist zwar grundsätzlich rechtlich möglich (vgl. Senat, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362, 363 ff.). Sie ist hier aber nicht wirksam, weil die Entscheidung über die Maßregelfrage nicht von der Entscheidung über den Strafausspruch getrennt werden kann. Dies gilt jedenfalls, soweit sich die Revision auch gegen die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung wendet. Eine selbstständige Beurteilung des angefochtenen Urteils zu dieser Frage kann nicht losgelöst von der Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt getroffen werden (vgl. Senat, Beschluss vom 27. April 1994 - 2 StR 89/94, NStZ 1994, 449; Beschluss vom 16. Februar 2012 - 2 StR 29/12, NStZ-RR 2012, 202, 203).
2. Die Entscheidung des Landgerichts über die Nichtanordnung einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt ist rechtsfehlerhaft.
Das Landgericht hat die Voraussetzungen für eine solche Maßregelanordnung bejaht, aber angenommen, angesichts der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren sei die zusätzliche Anordnung der Maßregel unverhältnismäßig. Dies ist schon deshalb nicht nachvollziehbar, weil das Landgericht die voraussichtliche Dauer der Maßregelvollstreckung nicht bestimmt hat. Deren gesetzliche Höchstdauer gemäß § 67 d Abs. 1 Satz 1 StGB entspricht der Dauer der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe. Bei dieser Sachlage ist die Annahme einer Unverhältnismäßigkeit der Maßregelanordnung jedenfalls mit der pauschal mitgeteilten Urteilsbegründung nicht zutreffend. Die Unverhältnismäßigkeit ergibt sich auch nicht ohne Weiteres aus der gemäß § 67 Abs. 4 StGB begrenzten Anrechnung der Maßregelvollziehung auf die Strafe. Der Senat hebt deshalb die Entscheidung über die Nichtanordnung der Maßregel auf.
3. Zugleich kann der Strafausspruch keinen Bestand haben, denn der Senat kann nicht ausschließen, dass die Einzelstrafen wie auch die Gesamtstrafe niedriger ausgefallen wären, wenn die Strafkammer die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet hätte. Denn die Unterbringung kann sich im Einzelfall wie ein zusätzliches Strafübel auswirken und deshalb Rückwirkungen auf die Bemessung der Höhe der Strafe haben, namentlich, wenn sie die Dauer der Strafe erreicht oder gar übersteigen kann (vgl. Beschluss vom 16. Februar 2012 - 2 StR 29/12, NStZ-RR 2012, 202, 203). Der neue Tatrichter wird eine insgesamt stimmige Rechtsfolgenentscheidung zu treffen haben.
HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 956
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel