HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 819
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, StB 8/14, Beschluss v. 02.07.2014, HRRS 2014 Nr. 819
Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 28. März 2014 - 2 BGs 103/14 - neu gefasst:
Der Beschuldigte ist in Untersuchungshaft zu nehmen.
Er ist dringend verdächtig, sich von Juli bis September 2013 in Syrien als Mitglied an der dort bestehenden Vereinigung "Junud ash Sham" beteiligt zu haben, deren Zwecke und Tätigkeiten darauf gerichtet sind, Tötungsdelikte zu begehen, und sich um den 5. August 2013 aus Anlass von deren Kampfhandlungen gegen die syrische Armee in der Region Durin mit Videoaufnahmen zum Zwecke der Verwendung in einem Propagandafilm der Organisation befasst zu haben (mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, strafbar nach § 129a Abs. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB).
Die weitergehende Beschwerde wird verworfen.
Der Beschuldigte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Der Beschuldigte wurde am 26. September 2013 in einem anderweitig gegen ihn geführten Verfahren wegen eines Verstoßes gegen das Passgesetz vorläufig festgenommen und am 27. September 2013 in Untersuchungshaft genommen. Seitdem befindet er sich in jenem Verfahren ununterbrochen in Haft; derzeit verbüßt er die dort rechtskräftig verhängte Freiheitsstrafe von sechs Monaten.
Gegenstand des angefochtenen Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 28. März 2014 - 2 BGs 103/14 - ist der Vorwurf, der Beschuldigte, ein deutscher Staatsangehöriger, habe sich von Juli bis September 2013 in Syrien als Mitglied an zwei im Ausland bestehenden Vereinigungen - "Junud ash Sham" sowie "Islamischer Staat Irak und Großsyrien (ISIG)" - beteiligt, deren Zwecke und Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord, Totschlag, erpresserischen Menschenraub oder Geiselnahme zu begehen. Nach seiner Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland über die Türkei nach Syrien Mitte Juli 2013 habe er sich dort zunächst der Vereinigung "Junud ash Sham" angeschlossen, an der Herstellung von Propagandamaterial für diese Organisation mitgewirkt und um den 5. August 2013 zusammen mit deren Kämpfern an Kampfhandlungen in der Region Durin teilgenommen. Im weiteren Verlauf seines Aufenthalts in Syrien habe er sich dann der Vereinigung "Islamischer Staat Irak und Großsyrien (ISIG)" angeschlossen. Dem Beschuldigten sei deshalb vorzuwerfen, er habe sich tatmehrheitlich in zwei Fällen als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt (Verbrechen, strafbar nach § 129a Abs. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 53 StGB).
2 Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs hat teilweise Erfolg.
Der Beschuldigte ist nach gegenwärtigem Stand der Ermittlungen lediglich dringend verdächtig, sich als Mitglied an der ausländischen terroristischen Vereinigung "Junud ash Sham" beteiligt zu haben.
1. Der Senat geht nach derzeitigem Ermittlungsstand von folgendem Sachverhalt aus:
a) "Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien/ad Dawla al Islamia fil Iraq wash Sham (ISIG/DAAISH)"
Beim "Islamischen Staat im Irak und in Großsyrien" handelt es sich um eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region "ash Sham" - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden "Gottesstaat" zu errichten. Wer sich den Ansprüchen dieser Vereinigung entgegensetzt, wird begriffen als "Feind des Islam"; die Tötung solcher "Feinde" oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte hält sie für ein legitimes Mittel des Kampfes.
Die Organisation geht zurück auf die von Abu Musab az Zarqawi Anfang 2004 als Widerstandsgruppe gegen die US-Präsenz im Irak gegründete "Jama'at at Tauhid wal Dschihad" ("Gemeinschaft des einen Gottes und des Kampfes"). Im Oktober 2004 leistete az Zarqawi die bai'at (den Treueeid) auf Osama bin Laden und dessen "al Qa'ida", worauf sich die Gruppierung umbenannte in "Tanzim Qa'idat al Jihad fi Bilad ar Rafidain" ("Organisation der Basis des Jihad im Zweistromland") und bekannt wurde als "al Qaida im Irak (AQI)". Im Dezember 2005 ernannte bin Laden az Zarqawi zu seinem Stellvertreter im Irak. Die "AQI" trat zunächst hervor mit Angriffen auf zivile Angehörige westlicher Staaten im Irak, die Opfer von Anschlägen, Entführungen und - auf sodann verbreiteten Videofilmen festgehaltenen - Hinrichtungen wurden. Ab Herbst 2005 verlegte sie sich auf medienwirksame Sprengstoffanschläge, vornehmlich in Bagdad und im Nordwestirak, aber am 9. November 2005 auch auf mehrere Hotels in Amman/Jordanien.
Anfang 2006 schloss sich die "AQI" zunächst unter der Dachorganisation "Schura-Rat der Mudschaheddin im Irak" mit weiteren Gruppierungen zusammen. Nach Zarqawis Tod im Juni 2006 rief dessen Nachfolger Abu Ayyub al Masri im Oktober 2006 einen das Gebiet von Bagdad und mehrere Nordwestprovinzen umfassenden islamischen Staat aus und benannte den Zusammenschluss um in "ad Dawlat al Islamiya fil Iraq" ("Islamischer Staat im Irak", "ISI"). Die von den USA gegen den "ISI" ins Leben gerufene und mit Waffen ausgerüstete, zeitweise bis zu 100.000 Stammesangehörige umfassende "Erweckungsbewegung" führte zu keiner entscheidenden Schwächung. So fielen den Autobomben- und Selbstmordanschlägen des "ISI" im Irak allein 2007 etwa 1.900 Menschen zum Opfer; 2008 bis 2012 kam es bei Anschlägen vor allem auf schiitische Moscheen und Pilger sowie auf frequentierte Märkte zu insgesamt etwa 3.000 Toten.
Im Frühjahr 2010 wurde al Masri bei einer Operation der US-Armee und der irakischen Regierungstruppen getötet. Sein Nachfolger wurde Abu Bakr al Baghdadi. Unter dessen Führung beteiligte sich der "ISI" nach dem am 11. Februar 2012 veröffentlichten Aufruf des zwischenzeitlichen al Qaida-Anführers Aiman az Zawahiri an die Muslime des Nahen Ostens, den Kampf gegen das Assad-Regime aufzunehmen, auch am syrischen Bürgerkrieg. Dabei kooperierte er unter anderem mit der 2011 gegründeten, vom Syrer Muhammad al Jawlani angeführten Kämpfergruppe "Jabhat an Nusra li Ahl ash Sham" ("Hilfsfront für das syrische Volk"; "an Nusra-Front"), deren Aktionen sich vornehmlich gegen Einrichtungen und Angehörige der Assad-Armee richteten. Im April 2013 verkündete al Baghdadi die Vereinigung von "ISI" und "an Nusra" zum "Islamischen Staat im Irak und in Großsyrien/ad Dawlat al Islamiya fil Iraq wash Sham (ISIG/DAAISH)". Dem widersprach al Jawlani und leistete seinerseits die bai'at auf az Zawahiri, worauf dieser den Zusammenschluss annullierte und beide Parteien zur Beilegung ihrer Streitigkeiten auf der Grundlage einer Gebietsabgrenzung - "ISIG" im Irak, "an Nusra" in Syrien - aufrief. Dies führte zum Bruch al Baghdadis sowohl mit "al Qa'ida" als auch mit "an Nusra". In Veröffentlichungen vom 15. und 28. Juni 2013 warf er az Zawahiri die "Heiligsprechung" des Sykes-Picot-Abkommens vor und erklärte "an Nusra" zum Teil des "ISIG" sowie al Jawlani zum "Abtrünnigen".
Dem "ISIG" gelang es, sich in einigen Regionen Nordsyriens als Ordnungsmacht festzusetzen. Aus dem Kampf gegen das Assad-Regime zog sich die Organisation in der Folge weitgehend zurück und konzentrierte sich auf die Machterhaltung in den von ihr beherrschten Gebieten. Angehörige anderer Oppositionsgruppen sowie die Teile der Zivilbevölkerung, die den Herrschaftsanspruch des "ISIG" in Frage stellten, sahen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Im August 2013 kam es bei Operationen mehrerer Gruppen in 10 11 der Provinz Latakia unter der Führung des "ISIG" zu Massakern unter der regierungstreuen alawitischen Zivilbevölkerung, denen 190 Menschen zum Opfer fielen; weitere ca. 200 wurden entführt. Unter den syrischen Oppositionsgruppen ist die Organisation wegen des von ihr eingeschlagenen Weges zwischenzeitlich isoliert; teils im offenen Kampf gegen den "ISIG" haben andere Gruppierungen in einigen Regionen wieder die Oberhand gewonnen. Auch "al Qa'ida" distanzierte sich Mitte Mai 2014 ausdrücklich vom Vorgehen des "ISIG".
Wegen der Parteinahme der libanesischen "Hizbollah" für das Assad-Regime verübte der "ISIG" ferner am 2. Januar 2014 einen Bombenanschlag in einem schiitischen Wohngebiet in Beirut, der vier Menschen tötete und 77 verletzte. Daneben kam es zu weiteren Aktionen im Irak, so zu dem Überfall auf die Gefängnisse in Abu Ghuraib und Tadshi am 22. Juli 2013 sowie einen Selbstmordanschlag in Arbil am 29. September 2013 mit jeweils mehreren Todesopfern. Anfang Juni 2014 gelang es ihm, die Stadt Mosul unter seine Gewalt zu bringen.
Die Führung des "ISIG" besteht aus dem "Emir", derzeit Abu Bakr al Baghdadi, dem "Minister" als Verantwortliche für einzelne Bereiche unterstellt sind, so ein "Kriegsminister" und ein "Propagandaminister". Zugeordnet sind der Führungsebene beratende "Shura-Räte" sowie "Gerichte", die über die Einhaltung der Regeln der Sharia wachen. Veröffentlichungen werden in der Medienabteilung "Al Furqan" produziert und über die Medienstelle "alI'tisam" verbreitet. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem "Prophetensiegel", einem weißen Oval mit der Inschrift: "Allah - Rasul - Muhammad", auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis.
13 Die etwa 10.000 Kämpfer - im Kern bestehend aus sunnitischen Teilen der ehemaligen Streitkräfte des Regimes von Saddam Hussein - sind dem "Kriegsminister" unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.
b) "Armee der Emigranten und der Unterstützer/Jaish al Muhajirin wal Ansar (JAMWA)" Der aus Georgien stammende ethnische Tschetschene Tarkhan Batirashvili, Kampfname Abu Omar ash Shishani, der bereits in Tschetschenien und in Georgien an kriegerischen Auseinandersetzungen mit der russischen Armee teilgenommen hatte, gründete im Sommer 2012 die militant-fundamentalistische Gruppierung "Katibat al Muhajirin" ("Brigade der Emigranten") mit dem Ziel, in den syrischen Bürgerkrieg einzugreifen, dort gegen die Assad-Armee zu kämpfen und so die Errichtung eines islamischen Staates voranzutreiben. Die Gruppierung war personell verflochten mit der vom tschetschenischen Separatisten Dokku Umarov angeführten, im Nordkaukasus operierenden militanten Organisation "Kaukasisches Emirat", die für sich auch die Führungsrolle gegenüber der mehrheitlich aus Tschetschenen, aber auch anderen nichtsyrischen Kämpfern bestehenden "Brigade der Emigranten" in Anspruch nahm. Im März 2013 vereinigte sich die "Katibat al Muhajirin" mit den militanten syrischen Gruppen "Jaish Mohammad" und "Kata'ib Khattab" zur "Jaish al Muhajirin wal Ansar". Kommandeur blieb Abu Omar ash Shishani. Ab August 2013 verfocht er die Verschmelzung der "Jaish al Muhajirin wal Ansar" mit dem "ISIG", deren Führer ihn in der Folge zum "Kommandierenden der nördlichen Region" ausriefen. Innerhalb der Gruppierung führte dies zu Richtungskämpfen und Auseinandersetzungen zwischen ash Shishani und seinem Stellvertreter Saifullah, der für die weitere Selbständigkeit der Gruppierung eintrat. In einer am 21. November 2013 verbreiteten Videobotschaft leistete Abu Omar ash Shishani schließlich die bai'at auf den "Emir" des "ISIG", Abu Bakr al Baghdadi. Die Angehörigen der "Jaish al Muhajirin wal Ansar", die sich zu einem großen Teil durch eine bai'at auf Dokku Umarov gebunden sahen, folgten ihm indes nur in geringer Zahl. Etwa 200 der bis zu 1.000 Kämpfer führten die bisherige Organisation fort und ernannten im Dezember 2013 den von Dokku Umarov bereits zuvor zum Repräsentanten des "Kaukasischen Emirats" in Syrien bestimmten Tschetschenen Salahuddin ash Shishani zum neuen Kommandeur. Abu Omar ash Shishani selbst erklärte demgegenüber in seiner Eigenschaft als "ehemaliger Emir der Jaish al Muhajirin wal Ansar" in einer am 11. Dezember 2013 verbreiteten weiteren Videobotschaft, mit der bai'at von etwa 200 (anderen) Kämpfern auf Abu Bakr al Baghdadi sei die Organisation aufgelöst.
Die "Jaish al Muhajirin wal Ansar" war militärisch-hierarchisch organisiert. Der Führung waren ein Shura-Rat sowie ein Komitee für Fragen der Sharia beigeordnet. Die Öffentlichkeitsarbeit oblag einer eigenen Medienstelle. Als Kennzeichen verwendete die Gruppierung die Abbildung eines aufgeschlagenen Korans, unter dem sich ein Schwert und über dem sich ein erhobener Zeigefinger befindet. Überschrieben ist diese Darstellung in arabischer Sprache mit dem Namen der Organisation sowie den Worten "Ein Buch, das die Richtung weist - ein Schwert, das siegt".
Ihr Kampfgebiet sah die Gruppierung im Wesentlichen im Großraum Aleppo. Im Zusammenwirken mit anderen Organisationen, deren Kommando sie sich zeitweise unterstellte, war sie mehrfach an Angriffen auf militärische Einrichtungen der Assad-Armee im Umkreis von Aleppo beteiligt, so an der Einnahme einer Scud-Raketenbasis im Oktober 2012 und zweier Stützpunkte des Heeres im Dezember 2012 und im Februar 2013. Im August 2013 spielte sie eine Schlüsselrolle bei der Einnahme einer Luftwaffenbasis. Berichte, wonach sich die "Jaish al Muhajirin wal Ansar" im selben Monat unter dem Kommando des "ISIG" an den oben geschilderten Massakern und Entführungen im Raum Latakia beteiligt haben soll, lassen sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit bestätigen. Eine Verwechslung mit einer in der Provinz Latakia operierenden, von einem libyschen Staatsangehörigen geführten Oppositionsgruppe namens "Kata'ib al Muhajirin" ist nicht auszuschließen.
c) "Junud ash Sham/Soldaten Syriens"
Ebenfalls dem personellen Umfeld des "Kaukasischen Emirats" zuzurechnen ist eine Gruppierung, die unter dem Namen "Junud ash Sham/Soldaten Syriens" in den syrischen Bürgerkrieg eingriff. Als deren Anführer trat der Tschetschene Muslim Margoshvili alias Muslim Abu Walid ash Shishani auf, der über Kampferfahrung aus den russischen Tschetschenienkriegen verfügte, zuletzt eine in Dagestan operierende militant-fundamentalistische Gruppe befehligte und durch die bai'at an Dokku Umarov gebunden war. Da ihm die Rückkehr nach Tschetschenien nicht gelang, entschloss er sich 2012 zusammen mit einem Teil seiner Kämpfer, überwiegend Tschetschenen, aber auch Angehörige westlicher Staaten, zur "hijrat" (Auswanderung) nach Syrien, um dort am Kampf gegen das Assad-Regime teilzunehmen. Verbündete sah Muslim Abu Walid vor allem in den dort operierenden Gruppen entsprechender Herkunft, so im "Jaish al Muhajirin wal Ansar" bzw. der Vorgängerorganisation "Katibat al Muhajirin". Insbesondere unterhielt er enge Beziehungen zu Saifullah ash Shishani, dem Stellvertreter Abu Omar ash Shishanis. Nach der auch von Muslim Abu Walid kritisierten Hinwendung Abu Omar ash Shishanis zum "ISIG" vereinigten sich im Oktober 2013 die "Junud ash Sham" mit Saifullah ash Shishani und seinen Anhängern sowie mit den von Abu Musa ash Shishani geführten "Ansar ash Sham" zu einer einheitlichen Gruppe unter einer Dreierspitze (bereits im Dezember 2013 leistete Saifullah ash Shishani indes die bai'at auf Muhammad al Jawlani). Sie sieht ihr Ziel vornehmlich in der Bündelung aller militärischen Kräfte gegen die Assad-Armee und wirft insbesondere dem "ISIG" vor, das syrische Volk durch unakzeptables Vorgehen dem gemeinsamen Ziel entfremdet zu haben. Die Stärke der Gruppierung wird derzeit auf einige hundert Kämpfer geschätzt.
Im August 2013 beteiligte sich die Gruppierung maßgeblich an den Kämpfen gegen die Regierungstruppen um die Hügelkette von Durin nahe Latakia. Ebenso nahm sie im Februar 2014 gemeinsam mit "an Nusra" am Angriff auf das Zentralgefängnis in Aleppo teil; bei dieser Aktion kam Saifullah ash Shishani ums Leben.
d) Zu den Tathandlungen des Beschuldigten im Einzelnen geht der Senat nach Überprüfung des Beschwerdevorbringens von folgendem Sachverhalt aus:
Spätestens am 10. Juli 2013 reiste der Beschuldigte von Deutschland aus nach Syrien und schloss sich dort - wie sein Vertrauter, der anderweitig verfolgte C. ("Abu T. ") - den "Junud ash Sham" an. Zusammen mit C. hielt er sich im August 2013 während der oben erwähnte Kämpfe gegen die Regierungstruppen um die Hügelkette von Durin bei den Kämpfern der "Junud ash Sham" auf. Um Material für einen von den "Junud ash Sham" hierüber geplanten Propagandafilm bereitzustellen, fertigte er am 5. August 2013 Videoaufnahmen von dem die Kampfhandlungen erläuternden C., vom Gelände sowie von zwei getöteten Regierungssoldaten, die er vernehmlich unter anderem als "Hundekinder" des "Hundes Bashar" bezeichnete. Tatsächlich wurde am 6. August 2013 im Internet unter dem Titel "Syrien Latakia Sopka Durin" eine russischsprachige Videobotschaft von Muslim Abu Walid ash Shishani veröffentlicht, die über das Geschehen berichtete. Am 24. September 2013 kehrte der Beschuldigte über Istanbul nach Deutschland zurück.
2. Danach ergibt sich:
a) Der Beschuldigte hat sich nach derzeitigem Kenntnistand nicht mit der für die Annahme eines dringenden Tatverdachts erforderlichen Wahrscheinlichkeit als Mitglied (auch) am "ISIG" beteiligt.
aa) Als Mitglied an einer (kriminellen oder terroristischen) Vereinigung beteiligt sich, wer auf Dauer oder zumindest für längere Zeit an deren Verbandsleben teilnimmt und unter Eingliederung in die Organisation und Unterordnung unter den Organisationswillen von innen her eine Tätigkeit zur Förderung der Ziele der Organisation entfaltet (BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 111). Eine Beteiligung muss danach gerichtet sein auf die aktive Teilnahme am Verbandsleben und sich ausdrücken in aktiven Handlungen zur Förderung von Aufbau, Fortbestand oder Tätigkeit der Organisation; eine nur passive, für das Wirken der Vereinigung bedeutungslose Mitgliedschaft genügt nicht (BGH, Beschluss vom 30. März 2001 - StB 4/01, StB 5/01, BGHSt 46, 349, 356 f.; Beschluss vom 22. Oktober 1979 - StB 52/79, BGHSt 29, 114, 120 f.).
bb) Die bisherigen Ermittlungen haben keine für die Annahme dringenden Tatverdachts ausreichenden Hinweise auf Handlungen des Angeklagten erbracht, die nach diesen Maßstäben auf eine Förderung der Ziele des "ISIG" von innen her gerichtet waren.
(1) Bereits die Annahme einer (bloßen) Zugehörigkeit des Beschuldigten zum "ISIG" findet derzeit im Ermittlungsergebnis keine hinreichende Stütze.
(a) Zwar waren auf einem in der Wohnung des Beschuldigten sichergestellten USB-Stick Lichtbilder abgespeichert, die am 21. September 2013 im syrisch-türkischen Grenzgebiet gefertigt wurden und die den Beschuldigten unter äußeren Umständen zeigen, welche eine persönliche Identifikation mit den Zielen des "ISIG" nahe legen (Vermerk des Bundeskriminalamts vom 14. Januar 2014, Teilauswertung Asservat 3.4.8, Sachakte 7 Band I Bl. 248; Lichtbildvergleich des Bundeskriminalamts vom 19. Dezember 2013, Sachakte 10 Band I Bl. 51; islamwissenschaftliche Bewertung des Landeskriminalamts Berlin vom 16. Oktober 2013, Sachakte 10 Band 1 Bl. 111). Der Beschuldigte ließ sich zusammen mit weiteren Personen mehrfach vor einer Flagge mit dem Symbol dieser Organisation ablichten. Dabei führte er ein Sturmgewehr "Kalaschnikow" und trug ein schwarzes Stirnband mit dem islamischen Glaubensbekenntnis und dem "Prophetensiegel". Die näheren Umstände, unter denen es zur Fertigung dieser Lichtbilder kam, bleiben indes offen. Hinweise auf ein konkretes Geschehen, das sich als Akt einer einvernehmlichen Aufnahme des Beschuldigten in die Organisation bewerten ließe, ergeben sich nicht.
(b) Hinzu kommt, dass der Beschuldigte nur wenige Tage nach diesen Aufnahmen nach Deutschland zurückkehrte. Die Gründe hierfür sind ebenso offen (Vermerk des Bundeskriminalamts vom 29. November 2013, Sachakte 3.1 Bl. 58 ff., 62); C. spricht gegenüber seiner Ehefrau Ö. davon, der Beschuldigte sei so lange aus Deutschland weg gewesen, er habe etwas erledigen müssen (Telefongespräch am 19. Oktober 2013, Sachakte 4.1 Band VII, Bl. 112, 113). Vor diesem Hintergrund bieten die Äußerungen C. s gegenüber Ö., er, C., bekomme das für seine gesundheitliche Rehabilitation benötigte Geld "von islamischem Stadt" und "mache seinen Jihad weiter, und zwar im Irak", er steige jetzt "noch eine Etage weiter" (Vermerk des Bundeskriminalamts vom 4. Juni 2014 zur Kommunikation zwischen C. und Ö. ; Gesprächsprotokolle vom 9. Oktober 2013, S. 3 f., und vom 21. Oktober 2013, S. 3) keine hinreichende Grundlage für den Schluss, der Beschuldigte müsse (auch hier) in Einklang mit ihm gehandelt haben.
(c) Die (mutmaßliche) Identität der bei der abgelichteten Zusammenkunft am 21. September 2013 offensichtlich die Hauptrolle spielenden Person, deren Rufnummer auch mehrfach im Mobiltelefon des Beschuldigten abgespeichert war (vgl. Vermerk des Bundeskriminalamts vom 15. Januar 2014, Auswertung Asservat 4.2.1., Sachakte 7 Band II Bl. 112, S. 25), ändert an dieser Einschätzung nichts. Nach den Ermittlungen des Bundeskriminalamts (Vermerk vom 14. Januar 2014, Teilauswertung Asservat 3.4.8, Sachakte 7 Band I Bl. 248, S. 9 f.) und nach Erkenntnissen des Bundesnachrichtendienstes (vgl. hierzu Vermerke des Bundeskriminalamts vom 19. März 2014, Sachakte 5 Bl. 24 ff.) handelt es sich dabei wahrscheinlich um G. alias O., einen ehemaligen Anführer der "Harakat Ahrar ash Sham al Islamiya/Islamische Bewegung der Freien Syriens", der die Bai'at auf Abu Bakr al Baghdadi geleistet haben und für den C. als Gebetsrufer tätig geworden sein soll. Auch das Bundeskriminalamt hält indes die Anbindung des G. an eine bestimmte Organisation letztlich nicht für belegbar. Jedenfalls ist der Genannte aber weder ein hervorgehobener Repräsentant noch ein Angehöriger der engeren Führungsebene des "ISIG", der ohne Weiteres neue Mitglieder aufnehmen könnte oder zu dem nur enge Vertraute Zugang hätten.
(2) Unabhängig davon mangelt es auch an Anhaltspunkten dafür, dass der Beschuldigte eine irgendwie geartete Tätigkeit zur Förderung der Ziele des "ISIG" entfaltet hat. Die beim Beschuldigten sichergestellte Sammlung von Propagandamaterial militant-fundamentalistischen Inhalts rechtfertigt keine andere Bewertung, denn sie umfasste neben Veröffentlichungen, die der "al Qai'da" zuzurechnen sind, offensichtlich wahllos auch solche der "Islamischen Bewegung Usbekistans (IBU)" und der "Jabhat an Nusra".
b) Dagegen ist der Beschuldigte dringend verdächtig, sich an den von Muslim Abu Walid ash Shishani geführten "Junud ash Sham" als Mitglied beteiligt zu haben. Nach Sichtung des beim Beschuldigten sichergestellten Videomaterials geht zwar auch der Senat davon aus, dass dessen Aufnahmen in dem schließlich am 6. August 2013 im Internet unter dem Titel "Syrien Latakia Sopka Durin" veröffentlichten Propagandafilm dieser Vereinigung keine Verwendung fanden. Jedoch belegen diese Aufnahmen nicht nur die Einbindung des Beschuldigten in die genannte Vereinigung, sondern auch den ihnen vom Beschuldigten zugedachten Verwendungszweck. So ist das Aufnahmegerät während der Dauer der Ausführungen C. s zu den Kampfhandlungen der "Junud ash Sham" gezielt auf diesen gerichtet. Die Folgeszenen sind mit gesprochenen Kommentaren unterlegt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Aufnehmenden selbst herrühren und nach ihrem Inhalt nicht zufällig erscheinen, sondern sich offensichtlich an künftige Betrachter richten. Die Urheberschaft des Beschuldigten an dem Material wird durch das Stimmvergleichsgutachten des Bundeskriminalamts vom 17. Februar 2014 in einer für die Annahme dringenden Tatverdachts ausreichenden Weise belegt.
3. Bei den "Junud ash Sham" handelt es sich um eine Vereinigung, deren Ziele jedenfalls auf die Begehung von Totschlag gerichtet sind (§ 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB). Zwar beschränkt sie sich, soweit bisher ersichtlich, auf Kampfhandlungen gegen die syrische Armee; Angriffe auf zivile Ziele lehnt sie nach eigener Erklärung ihres Anführers ab. Der Senat sieht jedoch auch nach den Erklärungen des "Vierten Ministertreffens der Gruppe der Freunde des syrischen Volkes" am 12. Dezember 2012 in Marrakesch keinen aus dem Völkerrecht abzuleitenden Rechtfertigungsgrund für Gewalthandlungen gegen die Streitkräfte oder andere Einrichtungen der in der Syrischen Arabischen Republik de jure bestehenden Regierung.
Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von Straftaten im Zusammenhang mit der ausländischen terroristischen Vereinigung "Junud ash Sham" hat das Bundesministerium der Justiz am 28. März 2014 allgemein erteilt.
Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Der Senat verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung, die weder durch das Beschwerdevorbringen noch durch die aus der Beschlussformel ersichtliche Beschränkung der den Haftbefehl stützenden Tatvorwürfe entkräftet werden.
HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 819
Bearbeiter: Christian Becker