HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 514
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, StB 24/14, Beschluss v. 04.02.2016, HRRS 2016 Nr. 514
Die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 18. Februar 2014 wird verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs ordnete in dem gegen den Beschuldigten gerichteten Ermittlungsverfahren, das u.a. wegen des Verdachts des Völkermordes geführt wurde, mit Beschlüssen vom 7. April 2008 (Az.: 4 BGs 1/2008), 3. November 2008 (Az.: 4 BGs 3/2008) und 3. Dezember 2008 (Az.: 4 BGs 4/2008) die Überwachung der Telekommunikation u.a. an dem Anschluss in der Zeit vom 8. April 2008 bis zum 7. Juni 2008 sowie vom 3. November 2008 bis zum 3. Februar 2009 an. Auf dieser Grundlage wurden zwischen dem überwachten Anschluss und dem Anschluss der Beschwerdeführerin insgesamt 14 Telekommunikationsereignisse aufgezeichnet. Hiervon benachrichtigte der Generalbundesanwalt die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 17. Dezember 2010.
Auf den Antrag der Beschwerdeführerin nach § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main in seinem Urteil vom 18. Februar 2014 festgestellt, dass die angefochtenen Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen rechtmäßig angeordnet und in rechtmäßiger Art und Weise vollzogen worden seien. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin form- und fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt, soweit die Art und Weise des Vollzugs der Überwachungsmaßnahmen für rechtmäßig erklärt worden sind. Zur Begründung hat sie ausgeführt, sie habe die Gespräche in ihrer beruflichen Eigenschaft als Psychologische Psychotherapeutin geführt. Ohne insoweit Einzelheiten darzulegen, hat sie weiter vorgetragen, in sämtlichen Gesprächen sei der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung der Gesprächspartnerinnen betroffen gewesen, so dass die Aufzeichnungen sofort hätten gelöscht werden müssen.
Die gemäß § 101 Abs. 7 Satz 3, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde ist nicht begründet. Die Art und Weise des Vollzugs der verfahrensgegenständlichen Überwachungsmaßnahmen ist nicht zu beanstanden; insbesondere mussten die diesbezüglichen Aufzeichnungen nicht unverzüglich gelöscht werden.
1. Eine solche Pflicht zur Löschung ergab sich zunächst nicht aus § 100a Abs. 4 Satz 3 StPO; denn durch die verfahrensgegenständlichen Überwachungsmaßnahmen wurden entgegen dem pauschalen Beschwerdevorbringen keine Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt.
Ob eine Information diesem Kernbereich zuzuordnen ist, hängt davon ab, in welcher Art und Intensität sie aus sich heraus die Sphäre Einzelner oder Belange der Gemeinschaft berührt. Maßgebend sind die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles. Zum Kernbereich gehören dabei etwa Äußerungen innerster Gefühle oder Ausdrucksformen der Sexualität (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2011 - 2 BvR 2500/09 u.a., NJW 2012, 907, 908 mwN).
Das Oberlandesgericht hat den Inhalt der überwachten Telefonate in der angefochtenen Entscheidung wie folgt zutreffend zusammengefasst (UA S. 290 f.):
„Zwischen dem Anschluss der Antragstellerin Dr. S. und dem überwachten Anschluss des Angeklagten sind insgesamt 14 Telekommunikationsereignisse aufgezeichnet worden (SASO IV, lfd. Nrn. 278, 286, 287, 289, 644, 646, 810, 898, 984, 986 und 1126, SASO V, lfd. Nrn. 260, 306 und 307), wobei Gesprächsteilnehmerinnen die Antragstellerin Dr. S. einerseits und die Ehefrau des Angeklagten und zwei seiner Töchter andererseits waren. In sechs Fällen (SASO IV, lfd. Nrn. 278, 286, 644, 984, SASO V, lfd. Nrn. 260 und 306) sind keine Gespräche zustande gekommen. Soweit in fünf dieser Fälle Nachrichten auf dem Anrufbeantworter hinterlassen wurden, enthalten diese keine zum Kernbereich privater Lebensgestaltung zählenden Informationen. In diesen Gesprächen ging es um die Festnahme des Angeklagten, die bei diesem durchgeführte Durchsuchung und die Suche nach einer Rechtsanwältin / einem Rechtsanwalt (SASO IV lfd. Nrn. 287, 289), um organisatorische Fragen, die Besuche beim Angeklagten in der Haft betrafen und um die Suche nach Entlastungszeugen (SASO IV, lfd. Nr. 646, 810, 986), seine Entlassung aus der Auslieferungshaft (SASO V, lfd. Nr. 307) und die Befürchtung, dass der Anschluss des Angeklagten abgehört werde (SASO IV, lfd. Nrn. 986, 1126). In einem Fall wurde ein Termin vereinbart (SASO V, lfd. Nr. 1126). In drei Gesprächen wird auch über das Befinden der Töchter gesprochen (lfd. Nr. SASO IV 898, 986, SASO V 1126). Dabei handelt es sich aber lediglich um allgemeine Erkundigungen nach dem Wohlbefinden und nicht um psychotherapeutische Gespräche.“
Danach sind die oben dargelegten hohen Anforderungen ersichtlich nicht erfüllt.
2. Ein Löschungsgebot folgt auch nicht aus § 160a StPO.
Die Antragstellerin gehört als Psychologische Psychotherapeutin nicht zum Kreis der Berufsgruppen, die von dem ein absolutes Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot anordnenden § 160a Abs. 1 StPO umfasst werden. Da sie nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt war, ist vielmehr § 160a Abs. 2 StPO anwendbar. Dieses enthält ein von einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall abhängiges und damit relatives Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot (BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 2011 - 2 BvR 236/08 u.a., NJW 2012, 833, 841). Abzuwägen ist dabei das Interesse der Allgemeinheit, gegebenenfalls auch des Opfers, an einer wirksamen Strafrechtspflege gegen das öffentliche Interesse an den von dem Berufsgeheimnisträger wahrgenommenen Aufgaben und das individuelle Interesse an der Geheimhaltung der ihm anvertrauten oder bekannt gewordenen Tatsachen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 160a Rn. 9a mwN). Eine § 160a Abs. 1 Satz 3 StPO entsprechende Regelung über ein Löschungsgebot ist in dem Regelungsgefüge des § 160a Abs. 2 StPO nicht vorgesehen.
Es kann dahinstehen, ob eine solche Löschungsverpflichtung über den Wortlaut der Norm hinaus anzunehmen ist, wenn die bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmende Abwägung zu dem Ergebnis führt, dass erhobene Beweise im weiteren Verfahren nicht verwertet werden dürfen. Denn ein Beweisverwertungsverbot bestand im vorliegenden Fall nicht. Der Beschuldigte war der Begehung eines Völkermordes und damit einer der schwersten Straftaten, die die nationale und internationale Rechtsordnung kennen, verdächtig. An der Aufklärung eines derart schwerwiegenden Delikts bestand ein überragend hohes Interesse sowohl der Allgemeinheit als auch der zahlreichen unmittelbaren Opfer bzw. der diesen nahestehenden und damit mittelbar betroffenen Personen. Dies gilt auch, wenn man bedenkt, dass das dem Beschuldigten zur Last gelegte Geschehen schon einige Zeit zurück lag und sich nicht in Deutschland sondern in Ruanda ereignete. Demgegenüber ist mit Blick auf die ganz überwiegend belanglosen Inhalte der Telefonate und die sonstigen Umstände, unter denen diese stattfanden, das berechtigte Interesse der Beschwerdeführerin und ihrer Gesprächspartnerinnen an der Geheimhaltung der Kommunikation als eher gering einzuschätzen.
HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 514
Externe Fundstellen: NStZ 2016, 741 ; StV 2017, 1
Bearbeiter: Christian Becker