HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 816
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, AK 13/14, Beschluss v. 02.07.2014, HRRS 2014 Nr. 816
Die Untersuchungshaft hat bei beiden Angeschuldigten zunächst fortzudauern; jedoch werden die Haftbefehle des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 3. April 2014 (Angeschuldigter I. : 2 BGs 129/14; Angeschuldigter A. : 2 BGs 131/14) insoweit abgeändert, als
- der Angeschuldigte I. der mitgliedschaftlichen Beteiligung an der ausländischen terroristischen Vereinigung "Jaish al Muhajirin wal Ansar",
- der Angeschuldigte A. der Unterstützung der genannten Vereinigung dringend verdächtig sind.
Eine etwa weiter erforderliche Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Stuttgart übertragen.
Die gegen die Angeschuldigten bestehenden Haftbefehle werden aufgehoben werden, wenn das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz nicht binnen einer Woche nach Zugang dieses Beschlusses gegenüber dem Bundesgerichtshof - 3. Strafsenat - die Ermächtigung zur Verfolgung von Straftaten, begangen durch Mitglieder bzw. Unterstützer der ausländischen terroristischen Vereinigung "Jaish al Muhajirin wal Ansar", erteilt (§ 130 StPO, § 129b Abs. 1 Satz 3, § 77e StGB).
Die Angeschuldigten wurden am 13. November 2013 vorläufig festgenommen. Seit dem 14. November 2013 befinden sie sich aufgrund der Haftbefehle des Amtsgerichts Stuttgart vom selben Tag (27 Gs 11121 und 11131/13), ersetzt durch die Haftbefehle des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 3. April 2014 (Angeschuldigter I. : 2 BGs 129/14; Angeschuldigter A. : 2 BGs 131/14), ununterbrochen in Untersuchungshaft. Die Haftbefehle in der Fassung des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs haben folgende Tatvorwürfe zum Gegenstand:
Der Angeschuldigte I., ein libanesischer Staatsangehöriger, habe sich in Syrien, in Stuttgart und an anderen Orten in der Bundesrepublik Deutschland von Ende August 2013 bis zu seiner Festnahme als Mitglied an einer im Ausland bestehenden Vereinigung - "Islamischer Staat Irak und Großsyrien (ISIG)" - beteiligt, deren Zwecke und Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord, Totschlag, erpresserischen Menschenraub oder Geiselnahme zu begehen. Nach seiner Ausreise aus Deutschland am 22. August 2013 habe er sich in Syrien dieser Vereinigung angeschlossen, dort eine militärische Ausbildung absolviert und auch an einem Kampfeinsatz teilgenommen. Am 21. Oktober 2013 sei er vorübergehend nach Deutschland zurückgekehrt, um im Auftrag seines "Emirs" Geld und Ausrüstungsgegenstände für den "ISIG" zu beschaffen. In Ausführung dieses Auftrags habe er unter anderem zwei Nachtsichtgeräte und Tarnkleidung erworben sowie eine Überweisung von 600 USD für Zwecke der Vereinigung veranlasst. Dem Angeschuldigten I. sei deshalb vorzuwerfen, er habe sich als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt (Verbrechen, strafbar nach § 129a Abs. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB).
Der Angeschuldigte A., ein deutscher Staatsangehöriger, habe in Mönchengladbach und in Stuttgart von Anfang Oktober 2013 bis zu seiner Festnahme diese Vereinigung dadurch unterstützt, dass er dem Angeschuldigten I. in Kenntnis der beschriebenen Umstände bei der Erledigung des ihm erteilten Auftrags geholfen habe. Er habe bei der Beschaffung von Tarnkleidung mitgewirkt, das für den Transport der Ausrüstungsgegenstände bestimmte Kraftfahrzeug auf sich zugelassen, einen entsprechenden Versicherungsvertrag abgeschlossen und sich bereiterklärt, den vorgesehenen Transport auf dem Landwege nach Syrien gemeinsam mit dem Angeschuldigten I. durchzuführen. Er habe damit eine terroristische Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union unterstützt (Vergehen nach § 129a Abs. 5 Satz 1, Abs. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB).
Unter anderem wegen dieser Tatvorwürfe hat der Generalbundesanwalt am 23. Mai 2014 gegen die Angeschuldigten Anklage zum Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart erhoben.
Eine Ermächtigung zur Verfolgung von Straftaten u.a. durch Mitglieder oder Unterstützer des "ISIG", die deutsche Staatsangehörige sind, sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten oder hier tätig werden, hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz am 6. Januar 2014 erteilt (§ 129b Abs. 1 Satz 3 StGB).
Die dem Senat gemäß §§ 121, 122 StPO obliegende Prüfung, ob die gegen die Beschuldigten vollzogene Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus fortdauern darf, führt dazu, dass die Angeschuldigten nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen - insoweit abweichend von den Annahmen im Haftbefehl - dringend verdächtig sind, sich durch die ihnen vorgeworfenen Tathandlungen als Mitglied an der ausländischen terroristischen Vereinigung "Jaish al Muhajirin wal Ansar" beteiligt bzw. diese Vereinigung unterstützt zu haben.
1. Der Senat geht vorläufig von folgendem Sachverhalt aus:
a) "Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien/ad Dawla al Islamiya fil Iraq wash Sham (ISIG/DAAISH)"
Beim "Islamischen Staat im Irak und in Großsyrien" handelt es sich um eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region "ash Sham" - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden "Gottesstaat" zu errichten. Wer sich den Ansprüchen dieser Vereinigung entgegensetzt, wird begriffen als "Feind des Islam"; die Tötung solcher "Feinde" oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte hält sie für ein legitimes Mittel des Kampfes.
Die Organisation geht zurück auf die von Abu Musab az Zarqawi Anfang 2004 als Widerstandsgruppe gegen die US-Präsenz im Irak gegründete "Jama'at at Tauhid wal Dschihad" ("Gemeinschaft der göttlichen Einheit und des Kampfes"). Im Oktober 2004 leistete az Zarqawi die bai'at (den Treueeid) auf Osama bin Laden und dessen "al Qa'ida", worauf sich die Gruppierung umbenannte in "Tanzim Qa'idat al Jihad fi Bilad ar Rafidain" ("Organisation der Basis des Jihad im Zweistromland") und bekannt wurde als "al Qaida im Irak (AQI)". Im Dezember 2005 ernannte bin Laden az Zarqawi zu seinem Stellvertreter im Irak. Die "AQI" trat zunächst hervor mit Angriffen auf zivile Angehörige westlicher Staaten im Irak, die Opfer von Anschlägen, Entführungen und - auf sodann verbreiteten Videofilmen festgehaltenen - Hinrichtungen wurden. Ab Herbst 2005 verlegte sie sich auf medienwirksame Sprengstoffanschläge, vornehmlich in Bagdad und im Nordwestirak, aber am 9. November 2005 auch auf mehrere Hotels in Amman/Jordanien.
Anfang 2006 schloss sich die "AQI" zunächst unter der Dachorganisation "Schura Rat der Mudschaheddin im Irak" mit weiteren Gruppierungen zusammen. Nach Zarqawis Tod im Juni 2006 rief dessen Nachfolger Abu Ayyub al Masri im Oktober 2006 einen das Gebiet von Bagdad und mehrere Nordwestprovinzen umfassenden islamischen Staat aus und benannte den Zusammenschluss um in "ad Dawlat al Islamiya fil Iraq" ("Islamischer Staat im Irak", "ISI"). Die von den USA gegen den "ISI" ins Leben gerufene und mit Waffen ausgerüstete, zeitweise bis zu 100.000 Stammesangehörige umfassende "Erweckungsbewegung" führte zu keiner entscheidenden Schwächung. So fielen den Autobomben- und Selbstmordanschlägen des "ISI" im Irak allein 2007 etwa 1.900 Menschen zum Opfer; 2008 bis 2012 kam es bei Anschlägen vor allem auf schiitische Moscheen und Pilger sowie auf frequentierte Märkte zu insgesamt etwa 3.000 Toten.
Im Frühjahr 2010 wurde al Masri bei einer Operation der US-Armee und der irakischen Regierungstruppen getötet. Sein Nachfolger wurde Abu Bakr al Baghdadi. Unter dessen Führung beteiligte sich der "ISI" nach dem am 11. Februar 2012 veröffentlichten Aufruf des zwischenzeitlichen al Qaida-Anführers Aiman az Zawahiri an die Muslime des Nahen Ostens, den Kampf gegen das Assad-Regime aufzunehmen, auch am syrischen Bürgerkrieg. Dabei kooperierte er unter anderem mit der 2011 gegründeten, vom Syrer Muhammad al Jawlani angeführten Kämpfergruppe "Jabhat an Nusra li Ahl ash Sham" ("Hilfsfront für das syrische Volk"; "an Nusra-Front"), deren Aktionen sich vornehmlich gegen Einrichtungen und Angehörige der Assad-Armee richteten. Im April 2013 verkündete al Baghdadi die Vereinigung von "ISI" und "an Nusra" zum "Islamischen Staat im Irak und in Großsyrien/ad Dawlat al Islamiya fil Iraq wash Sham (ISIG/DAAISH)". Dem widersprach al Jawlani und leistete seinerseits die bai'at auf az Zawahiri, worauf dieser den Zusammenschluss annullierte und beide Parteien zur Beilegung ihrer Streitigkeiten auf der Grundlage einer Gebietsabgrenzung - "ISIG" im Irak, "an Nusra" in Syrien - aufrief. Dies führte zum Bruch al Baghdadis sowohl mit "al Qa'ida" als auch mit "an Nusra". In Veröffentlichungen vom 15. und 28. Juni 2013 warf er az Zawahiri die "Heiligsprechung" des Sykes Picot-Abkommens vor und erklärte "an Nusra" zum Teil des "ISIG" sowie al Jawlani zum "Abtrünnigen".
Dem "ISIG" gelang es, sich in einigen Regionen Nordsyriens als Ordnungsmacht festzusetzen. Aus dem Kampf gegen das Assad-Regime zog sich die Organisation in der Folge weitgehend zurück und konzentrierte sich auf die Machterhaltung in den von ihr beherrschten Gebieten. Angehörige anderer Oppositionsgruppen sowie die Teile der Zivilbevölkerung, die den Herrschaftsanspruch des "ISIG" in Frage stellten, sahen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Im August 2013 kam es bei Operationen mehrerer Gruppen in der Provinz Latakia unter der Führung des "ISIG" zu Massakern unter der regierungstreuen alawitischen Zivilbevölkerung, denen 190 Menschen zum Opfer fielen; weitere ca. 200 wurden entführt. Unter den syrischen Oppositionsgruppen ist die Organisation wegen des von ihr eingeschlagenen Weges zwischenzeitlich isoliert; teils im offenen Kampf gegen den "ISIG" haben andere Gruppierungen in einigen Regionen wieder die Oberhand gewonnen. Auch "al Qa'ida" distanzierte sich Mitte Mai 2014 ausdrücklich vom Vorgehen des "ISIG".
Wegen der Parteinahme der libanesischen "Hizbollah" für das Assad-Regime verübte der "ISIG" ferner am 2. Januar 2014 einen Bombenanschlag in einem schiitischen Wohngebiet in Beirut, der vier Menschen tötete und 77 verletzte. Daneben kam es zu weiteren Aktionen im Irak, so zu dem Überfall auf die Gefängnisse in Abu Ghuraib und Tadshi am 22. Juli 2013 sowie einen Selbstmordanschlag in Arbil am 29. September 2013 mit jeweils mehreren Todesopfern. Anfang Juni 2014 gelang es ihm, die Stadt Mosul unter seine Gewalt zu bringen.
Die Führung des "ISIG" besteht aus dem "Emir", derzeit Abu Bakr al Baghdadi, dem "Minister" als Verantwortliche für einzelne Bereiche unterstellt sind, so ein "Kriegsminister" und ein "Propagandaminister". Zugeordnet sind der Führungsebene beratende "Shura-Räte" sowie "Gerichte", die über die Einhaltung der Regeln der Sharia wachen. Veröffentlichungen werden in der Medienabteilung "Al Furqan" produziert und über die Medienstelle "alI'tisam" verbreitet. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem "Prophetensiegel", einem weißen Oval mit der Inschrift: "Allah - Rasul - Muhammad", auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis.
Die etwa 10.000 Kämpfer - im Kern bestehend aus sunnitischen Teilen der ehemaligen Streitkräfte des Regimes von Saddam Hussein - sind dem "Kriegsminister" unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.
b) "Armee der Emigranten und der Unterstützer/Jaish al Muhajirin wal Ansar (JAMWA)"
Der aus Georgien stammende ethnische Tschetschene Tarkhan Batirashvili, Kampfname Abu Omar ash Shishani, der bereits in Tschetschenien und in Georgien an kriegerischen Auseinandersetzungen mit der russischen Armee teilgenommen hatte, gründete im Sommer 2012 die militant-fundamentalistische Gruppierung "Katibat al Muhajirin" ("Brigade der Emigranten") mit dem Ziel, in den syrischen Bürgerkrieg einzugreifen, dort gegen die Assad-Armee zu kämpfen und so die Errichtung eines islamischen Staates voranzutreiben. Die Gruppierung war personell verflochten mit der vom tschetschenischen Separatisten Dokku Umarov angeführten, im Nordkaukasus operierenden militanten Organisation "Kaukasisches Emirat", die für sich auch die Führungsrolle gegenüber der mehrheitlich aus Tschetschenen, aber auch anderen nichtsyrischen Kämpfern bestehenden "Brigade der Emigranten" in Anspruch nahm. Im März 2013 vereinigte sich die "Katibat al Muhajirin" mit den militanten syrischen Gruppen "Jaish Mohammad" und "Kata'ib Khattab" zur "Jaish al Muhajirin wal Ansar". Kommandeur blieb Abu Omar ash Shishani. Ab August 2013 verfocht er die Verschmelzung der "Jaish al Muhajirin wal Ansar" mit dem "ISIG", deren Führer ihn in der Folge zum "Kommandierenden der nördlichen Region" ausriefen. Innerhalb der Gruppierung führte dies zu Richtungskämpfen und Auseinandersetzungen zwischen ash Shishani und seinem Stellvertreter Saifullah, der für die weitere Selbständigkeit der Gruppierung eintrat. In einer am 21. November 2013 verbreiteten Videobotschaft leistete Abu Omar ash Shishani schließlich die bai'at auf den "Emir" des "ISIG", Abu Bakr al Baghdadi. Die Angehörigen der "Jaish al Muhajirin wal Ansar", die sich zu einem großen Teil durch eine bai'at auf Dokku Umarov gebunden sahen, folgten ihm indes nur in geringer Zahl. Etwa 200 der bis zu 1.000 Kämpfer führten die bisherige Organisation fort und ernannten im Dezember 2013 den von Dokku Umarov bereits zuvor zum Repräsentanten des "Kaukasischen Emirats" in Syrien bestimmten Tschetschenen Salahuddin ash Shishani zum neuen Kommandeur. Abu Omar ash Shishani selbst erklärte demgegenüber in seiner Eigenschaft als "ehemaliger Emir der Jaish al Muhajirin wal Ansar" in einer am 11. Dezember 2013 verbreiteten weiteren Videobotschaft, mit der bai'at von etwa 200 (anderen) Kämpfern auf Abu Bakr al Baghdadi sei die Organisation aufgelöst.
Die "Jaish al Muhajirin wal Ansar" war militärisch-hierarchisch organisiert. Der Führung waren ein Shura-Rat sowie ein Komitee für Fragen der Sharia beigeordnet. Die Öffentlichkeitsarbeit oblag einer eigenen Medienstelle. Als Kennzeichen verwendete die Gruppierung die Abbildung eines aufgeschlagenen Korans, unter dem sich ein Schwert und über dem sich ein erhobener Zeigefinger befindet. Überschrieben ist diese Darstellung in arabischer Sprache mit dem Namen der Organisation sowie den Worten "Ein Buch, das die Richtung weist - ein Schwert, das siegt".
Ihr Kampfgebiet sah die Gruppierung im Wesentlichen im Großraum Aleppo. Im Zusammenwirken mit anderen Organisationen, deren Kommando sie sich zeitweise unterstellte, war sie mehrfach an Angriffen auf militärische Einrichtungen der Assad-Armee im Umkreis von Aleppo beteiligt, so an der Einnahme einer Scud-Raketenbasis im Oktober 2012 und zweier Stützpunkte des Heeres im Dezember 2012 und im Februar 2013. Im August 2013 spielte sie eine Schlüsselrolle bei der Einnahme einer Luftwaffenbasis. Berichte, wonach sich die "Jaish al-Muhajirin wal-Ansar" im selben Monat unter dem Kommando des "ISIG" an den oben geschilderten Massakern und Entführungen im Raum Latakia beteiligt haben soll, lassen sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit bestätigen. Eine Verwechslung mit einer in der Provinz Latakia operierenden, von einem libyschen Staatsangehörigen geführten Oppositionsgruppe namens "Kata'ib al-Muhajirin" ist nicht auszuschließen.
c) Die Tathandlungen der Angeschuldigten
aa) Aufgrund seines fundamentalistischen Verständnisses des Islam sah sich der Angeschuldigte I. verpflichtet, am Bürgerkrieg in Syrien teilzunehmen und gegen die Truppen des Assad-Regimes zu kämpfen. Am 22. August 2013 reiste er von Deutschland aus in die Türkei und begab sich über die Grenze nach Nordsyrien, wo ihn mehrere unbekannte Personen - nach seinen Angaben Angehörige der "Freien Syrischen Armee" - in Empfang nahmen und ihn an eine schließlich zu seiner Aufnahme bereiten Gruppierung - die "Jaish al Muhajirin wal Ansar" - weitervermittelten. In einem Ausbildungslager, das offensichtlich von mehreren im syrischen Bürgerkrieg kämpfenden Gruppen gemeinsam genutzt wird, erhielt er eine etwa einmonatige militärische Ausbildung, während der er auch an einem nicht näher ermittelbaren Kampfeinsatz in einem Vorort von Aleppo teilnahm.
bb) Von seinem ihm unmittelbar vorgesetzten "Emir", dem als Sharia-Beauftragter der "Jaish al Muhajirin wal Ansar" fungierenden Abu Abdullah ash Shishani, erhielt der Angeschuldigte sodann den Auftrag, für die Gruppierung in Deutschland militärische Ausrüstung - Nachtsichtgeräte und Bekleidung - sowie medizinisches Gerät und Medikamente zu beschaffen. Hierzu reiste der Angeschuldigte am 21. Oktober 2013 nach Stuttgart. Von dort aus veranlasste er zunächst am 23. Oktober 2013 auftragsgemäß eine Überweisung von 600 USD an einen Kontaktmann in Istanbul, die an Abu Abdullah ash Shishani weitergeleitet werden und der Finanzierung der Organisation dienen sollten. Ab dem 24. Oktober 2013 tätigte er nach und nach die ihm aufgetragenen Einkäufe - die medizinischen Artikel über das Internet, die militärische Ausrüstung in Stuttgart in einem "US-Shop" sowie bei einem Jagdausstatter - und lagerte die erworbenen Gegenstände, die er per Pkw nach Syrien verbringen wollte, zunächst in der Wohnung eines Bekannten ein. Die Abfahrt hatte er für den 13. November 2013 vorgesehen. Über Mittelsmänner erwarb er hierzu Anfang November für 850 € ein später abzuholendes gebrauchtes Fahrzeug.
cc) Der in Mönchengladbach wohnende, mit dem Angeschuldigten I. seit einer gemeinsamen Pilgerfahrt nach Mekka bekannte Angeschuldigte A., der seinerseits vorhatte, nach Syrien zu reisen, um gegen die Truppen des Assad-Regimes zu kämpfen, erklärte sich bereit, den Angeschuldigten zu begleiten und ihn in Kenntnis des Verwendungszwecks der Gegenstände bei dem Transport zu unterstützen. Auf die Bitte des Angeschuldigten I. versicherte der Angeschuldigte A. am 12. November 2013 den erworbenen Pkw und veranlasste bei der zuständigen Behörde in Mönchengladbach dessen Zulassung. Mit den ausgegebenen Kennzeichen fuhr er am Folgetag nach Stuttgart. Beide Angeschuldigte kauften zunächst noch weitere militärische Bekleidung, holten dann den Pkw ab und beluden ihn.
Am Abend brachen sie in Richtung Syrien auf. Dabei führten der Angeschuldigte I. 1.087 € und der Angeschuldigte A. 5.145 € mit sich, die jeweils für die Vereinigung bestimmt waren. An einer Autobahnraststätte zwischen Stuttgart und Ulm wurden sie um 22.43 Uhr festgenommen.
2. Danach ergibt sich:
a) Der Angeschuldigte I. hat sich nach derzeitigem Kenntnistand nicht mit der für die Annahme eines dringenden Tatverdachts erforderlichen Wahrscheinlichkeit als Mitglied am "ISIG" beteiligt.
aa) Als Mitglied an einer (kriminellen oder terroristischen) Vereinigung beteiligt sich, wer auf Dauer oder zumindest für längere Zeit an deren Verbandsleben teilnimmt und unter Eingliederung in die Organisation und Unterordnung unter den Organisationswillen von innen her eine Tätigkeit zur Förderung der Ziele der Organisation entfaltet (BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 111). Eine Beteiligung muss danach gerichtet sein auf die aktive Teilnahme am Verbandsleben und sich ausdrücken in aktiven Handlungen zur Förderung von Aufbau, Fortbestand oder Tätigkeit der Organisation; eine nur passive, für das Wirken der Vereinigung bedeutungslose Mitgliedschaft genügt nicht (BGH, Beschluss vom 30. März 2001 - StB 4/01, StB 5/01, BGHSt 46, 349, 356 f.; Beschluss vom 22. Oktober 1979 - StB 52/79, BGHSt 29, 114, 120 f.).
bb) Die bisherigen Ermittlungen haben keine für die Annahme dringenden Tatverdachts ausreichenden Hinweise auf Handlungen des Angeschuldigten erbracht, die nach diesen Maßstäben auf eine Förderung der Ziele des "ISIG" von innen her gerichtet waren.
(1) Nach der oben - auf der Grundlage des Ermittlungsberichts des Bundeskriminalamts vom 6. März 2014 (Ordner "Strukturerkenntnisse ISIG", Bl. 4 ff.) und einer ergänzenden Auswertung allgemein zugänglicher Veröffentlichungen - beschriebenen historischen Entwicklung der "Jaish al Muhajirin wal Ansar" hat der Senat durchgreifende Zweifel an der Annahme des Ermittlungsrichters, bei dieser Gruppierung habe es sich im Tatzeitraum lediglich um eine der kämpfenden Einheiten innerhalb des Verbandes des "ISIG" gehandelt. Vielmehr sprechen die bisherigen Ermittlungsergebnisse für eine selbstständige Vereinigung, die zwar mit dem "ISIG" sympathisierte, teilweise mit ihm zusammenarbeitete und sich an einzelnen seiner Operationen beteiligte, im Übrigen aber über eigene Organisationsstrukturen verfügte und einen vom "ISIG" unabhängigen Verbandswillen entwickelte. So führte gerade die von Abu Omar ash Shishani betriebene Verschmelzung der "Jaish al Muhajirin wal Ansar" mit dem "ISIG" zu internen Auseinandersetzungen und schließlich zur Spaltung. Dass sich die "Jaish al Muhajirin wal Ansar" nicht als bloße in den "ISIG" integrierte kämpfende Abteilung begriffen hat, wird auch daran deutlich, dass Abu Omar ash Shishani und weitere Kämpfer schließlich erst Ende November 2013 die Bai'at auf Abu Bakr al Baghdadi leisteten und Abu Omar ash Shishani die Gruppierung in der Folge dieser bai'at durch eine eigene Erklärung auflöste.
Hätte es sich bei der "Jaish al Muhajirin wal Ansar" um eine bereits in die Hierarchie des "ISIG" eingegliederte kämpfende Einheit gehandelt, so wäre ein solches Vorgehen kaum plausibel.
(2) Soweit der Angeschuldigte I. ausgesagt hat, in Syrien von Vertretern der "Freien Syrischen Armee" an die "Muhajirun Halab" ("Aleppiner Emigranten") vermittelt worden und für diese tätig geworden zu sein (Ordner "Verfahrensakte 1", Bl. 42 ff., 127 ff., 133), rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Der Senat konnte aus allgemein zugänglichen Quellen keine Anhaltspunkte für die Beteiligung einer Gruppierung solchen Namens an Kampfhandlungen im syrischen Bürgerkrieg gewinnen. Insbesondere aus der geschilderten personellen Zusammensetzung ziehen sowohl das Bundeskriminalamt im Bericht vom 3. Dezember 2013 (Ordner "Verfahrensakte 2", Bl. 110 ff.) als auch der Ermittlungsrichter den Schluss, dass der Angeschuldigte damit höchstwahrscheinlich die "Jaish al Muhajirin wal Ansar" bezeichnet hat. Abweichend hiervon hält zwar die Anklageschrift des Generalbundesanwalts vom 23. Mai 2014 (S. 11, 38), gestützt auf die Aussage des Zeugen F. (Ordner "Vernehmungen", Bl. 421 ff.), die "Muhajirun Halab" nunmehr für eine weitere - von der "Jaish al Muhajirin wal Ansar" zu unterscheidende - kämpfende Einheit innerhalb des Verbands des "ISIG". Dies trägt indes zu keiner weiteren Erhellung bei, denn der Zeuge hat den "Emir" des Angeschuldigten I., Abu Abdullah ash Shishani, anhand eines Lichtbilds als den "Religions-Kommandeur" bzw. "Sharia-Wächter" der "Jaish al Muhajirin wal Ansar" identifiziert (Bl. 444). Einen Bezug dieser Person zu der von ihm beschriebenen weiteren Gruppe "Muhajirun Halab" konnte er nicht herstellen.
Dass es sich bei Abu Abdullah ash Shishani um den "Emir" des Angeschuldigten I. handelte, wird andererseits belegt durch mehrere Whats-App-Chats, die zwischen 21. Oktober und 13. November 2013 vom Mobiltelefon des Angeschuldigten aus zum einen mit einer dort unter "Abdullah Schischani" abgespeicherten türkischen Mobilfunk-Nummer, zum anderen mit einem Kontaktmann namens" U." geführt wurden. "Abdullah" bestätigt dem Angeschuldigten (Chatname "Osman") unter anderem den Empfang von 600 USD und bittet den Angeschuldigten um die Beschaffung einer weiteren Uniform (Vermerk des Polizeipräsidiums Stuttgart vom 12. Februar 2014; Ordner "Verfahrensakte 2", Bl. 241 ff.)." U." bespricht mit "Osman" mehrfach Einzelheiten des Auftrags. Am 9. November 2013 unterhalten sich beide über "Abdullah", den sie als "unseren Emir" und als "großen Bruder" bezeichnen;" U." sendet in diesem Zusammenhang ein - das später dem Zeugen F. vorgelegte - Foto des Genannten (Vermerk des Polizeipräsidiums Stuttgart vom 24. Februar 2014; Ordner "Verfahrensakte 2", Bl. 249 ff., 274 f.).
(3) Danach ändert es auch nichts, dass der Angeschuldigte I. in WhatsApp-Chats mit seinem Bekannten S. am 10. Oktober und am 1. November 2013 jeweils auf Nachfrage bestätigte, er sei weiterhin in der "Dawlat" bzw. der "DAAISH" (Vermerk des Polizeipräsidiums Stuttgart vom 23. Januar 2014; Ordner "Verfahrensakte 1", Bl. 435 ff.). Denn nach dem derzeitigem Beweisergebnis ist, wie dargelegt, mit Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Tathandlungen auf den Weisungen eines Repräsentanten der vom "ISIG" abzugrenzenden "Jaish al Muhajirin wal Ansar" beruhten und deren eigenen Zwecken dienten. Auch wenn der Senat nicht verkennt, dass die Fluktuation von Kämpfern aus unterschiedlichsten Gruppierungen hin zum "ISIG" schon wegen der dort herrschenden Bedingungen außerordentlich hoch ist, bestehen keine konkreten Hinweise darauf, dass Abu Abdullah ash Shishani - schon vor Ende November 2013 - zum "ISIG" oder einer seiner Unterorganisationen übergelaufen und für diesen tätig geworden sein könnte.
Selbst wenn der Angeschuldigte I. davon ausging, sein Handeln liege auch im Interesse des "ISIG", so hat er damit weder die Ziele des "ISIG" von innen her gefördert noch sie von außen her unterstützt.
Im Übrigen stößt die Richtigkeit der Behauptung des Angeschuldigten I. gegenüber S. bereits objektiv auf Zweifel. So hat er bei dem Kontakt am 1. November 2013 auch behauptet, er halte sich in Aleppo auf, obwohl er sich seit 22. Oktober 2013 wieder in Deutschland befand. Weiter wies er seinen Kontaktmann" U." bei einem Chat am 6. November 2013 auf einen in das russischsprachige Internetportal "FiSyria.com" eingestellten Videobericht über Kampfhandlungen in Syrien hin. Dieses Portal wird betrieben vom "Kaukasischen Emirat" und wurde auch benutzt für Verlautbarungen der "Jaish al Muhajirin wal Ansar" (Vermerk des Polizeipräsidiums Stuttgart vom 24. Februar 2014; Ordner "Verfahrensakte 2", Bl. 249 ff., 253; Ermittlungsbericht des Bundeskriminalamts vom 6. März 2014; Ordner "Strukturerkenntnisse ISIG", Bl. 4, 24 f.). Auch dies deutet auf eine engere Beziehung des Angeschuldigten I. zu dieser Gruppierung hin.
b) Ebenso wenig hat demzufolge der Angeschuldigte A. den "ISIG" dadurch unterstützt, dass er dem Beschuldigten I. bei der Ausführung des von Abu Abdullah ash Shishani erteilten Auftrags Hilfe leistete.
3. Bei der "Jaish al Muhajirin wal Ansar" handelt es sich um eine Vereinigung, deren Ziele jedenfalls auf die Begehung von Totschlag gerichtet sind (§ 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB). Zwar beschränkt sie sich, soweit ersichtlich, auf Kampfhandlungen gegen die syrische Armee. Der Senat sieht jedoch auch nach den Erklärungen des "Vierten Ministertreffens der Gruppe der Freunde des syrischen Volkes" am 12. Dezember 2012 in Marrakesch keinen aus dem Völkerrecht abzuleitenden Rechtfertigungsgrund für Gewalthandlungen gegen die Streitkräfte oder andere Einrichtungen der in der Syrischen Arabischen Republik de jure bestehenden Regierung.
1. Es besteht bei beiden Angeschuldigten der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Auf die zutreffenden Gründe der Haftbefehle des Ermittlungsrichters, an deren Geltung sich zwischenzeitlich nichts geändert hat, nimmt der Senat Bezug.
Vor dem Hintergrund, dass die Angeschuldigten nunmehr mit hoher Wahrscheinlichkeit auf ein Netzwerk Gleichgesinnter zurückgreifen können, das sie im Falle des Untertauchens unterstützt, kann der Zweck der Untersuchungshaft auch nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug erreicht werden (§ 116 Abs. 1 StPO).
2. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang des Verfahrens haben ein Urteil bislang noch nicht zugelassen.
Nach der Festnahme der Angeschuldigten am 11. November 2013 waren Durchsuchungen mehrerer Objekte in Stuttgart und Mönchengladbach erforderlich. Die Auswertung der dabei gewonnenen umfangreichen Erkenntnisse sowie des Chatverkehrs der Angeschuldigten veranlasste weitere Zeugenvernehmungen, die Ende März 2014 abgeschlossen werden konnten. Am 29. April 2014 legte das Polizeipräsidium Stuttgart den 80-seitigen Schlussbericht vor. Unter dem 23. Mai 2014 hat der Generalbundesanwalt Anklage zum Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart erhoben.
Das Verfahren ist danach mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.
3. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht auch noch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe.
Der Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft steht nicht entgegen, dass das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz - soweit für den Senat ersichtlich - die nach § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur Verfolgung von Straftaten, begangen durch Mitglieder bzw. Unterstützer der ausländischen terroristischen Vereinigung "Jaish al Muhajirin wal Ansar", bislang nicht erteilt hat. Ein endgültiges Verfahrenshindernis ist dadurch nicht eingetreten. Indes ist dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz nunmehr entsprechend § 130 StPO eine Erklärungsfrist zu setzen, denn die Haftbefehle lassen sich nach den bisherigen Ermittlungen ausschließlich auf Straftaten im Zusammenhang mit der Tätigkeit der "Jaish al Muhajirin wal Ansar" stützen.
HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 816
Bearbeiter: Christian Becker