HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 953
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 75/14, Beschluss v. 21.07.2015, HRRS 2015 Nr. 953
Auf die Revision des Angeklagten S. wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 23. Juli 2013, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in siebzehn Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus zwei Strafbefehlen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren sowie zu einer Gesamtgeldstrafe von fünfzig Tagessätzen zu je zwanzig Euro verurteilt. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts schlossen sich die Angeklagten Il., E., S., O. und C. sowie die gesondert Verfolgten S. Il., M., In. und B. M`H. im Lauf des Jahres 2011 zusammen, um in A. gemeinsam Betäubungsmittel zu verkaufen. An der Spitze der Gruppe standen der gesondert Verfolgte S. Il. sowie die Angeklagten Il. und In. Eine Ebene darunter rangierten die Angeklagten O. und S., eine weitere Ebene darunter die Angeklagten E., C. sowie die gesondert Verfolgten M. und B. M`H. Für den Verkauf der Drogen in kleinen Mengen an Endverbraucher setzte die Gruppe sogenannte Läufer ein. Das von der Gruppe verkaufte Marihuana wurde zunächst in den Niederlanden beschafft und war von guter bis sehr guter Qualität. Es wurde von dem Angeklagten O. in Mengen bis zu zwei Kilogramm zu Fuß über die deutschniederländische Grenze transportiert und in eine Bunkerwohnung gebracht. Dort wurde es in kleine Mengen für den Straßenverkauf portioniert und neu verpackt. Der Angeklagte S. war innerhalb der Gruppe für den Einkauf größerer Mengen Marihuana zuständig. Außerdem war er Depothalter in Bunkerwohnungen, wo er auch selbst Drogen neu verpackte. Gewinne aus dem Drogenverkauf wurden unter den Mitgliedern der Gruppe verteilt, wobei die Aufteilung unter den verschiedenen Hierarchieebenen unterschiedlich ausfiel. Zahlreiche Taten wurden von Bandenmitgliedern in unterschiedlicher Beteiligung begangen. Ab dem 19. Dezember 2011 kam es zu siebzehn im Urteil näher dargestellten Betäubungsmitteltaten, an denen der Angeklagte S. beteiligt war.
2. Das Landgericht hat die Handlungen des Angeklagten S. jeweils als bandenmäßiges Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 30a Abs. 1 BtMG bewertet.
Die Revision des Angeklagten S. gegen dieses Urteil ist mit der Sachrüge begründet. Das Urteil leidet an einem Darstellungsmangel.
1. In den Feststellungen ist „Grundsätzliches zur Bandenstruktur“ vorab im Einzelnen erläutert worden. Es fehlt danach jedoch an einer nachvollziehbaren Darstellung der Beweisgrundlagen für diese Feststellungen.
Das Landgericht hat zu jedem der festgestellten Einzelfälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge die diesbezüglichen Beweisgrundlagen erläutert. Daraus ergeben sich zum Teil auch Hinweise auf die Rollenverteilung unter den Beteiligten. Jedoch ist nicht nachzuvollziehen, auf welchem Weg das Landgericht bei seiner Beweiswürdigung zu den grundsätzlichen Feststellungen über die Bandenstruktur der Gruppe und die auch vom Angeklagten S. dazu getroffene Bandenabrede gelangt ist. Den Urteilsgründen kann auch nicht entnommen werden, dass einer der Mitangeklagten oder der gesondert Verfolgten bei seiner Aussage zur Sache die Bandenstruktur insgesamt so dargestellt hat, wie es vom Landgericht festgestellt wurde.
Danach leidet das Urteil zum Nachteil des Angeklagten S. an einem Darstellungsmangel, auf dem es beruhen kann, soweit es um den Qualifikationstatbestand der bandenmäßigen Begehung geht. Das zwingt zur Urteilsaufhebung im Ganzen.
2. An der Annahme eines Darstellungsmangels ändert es nichts, dass dem Urteil, soweit es den Angeklagten S. betrifft, eine Verständigung im Sinne von § 257c StPO zugrunde liegt. Die Verständigung darf den Schuldspruch nicht zum Gegenstand haben (§ 257c Abs. 2 Satz 3 StPO). Auch die Pflicht des Tatgerichts zur vollständigen Aufklärung des Sachverhalts bleibt von der Verständigung unberührt (§ 257c Abs. 1 Satz 2 StPO), ebenso die Pflicht zur Wahrung der Mindestanforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung (vgl. Senat, Beschluss vom 22. September 2011 - 2 StR 383/11, StV 2012, 133). Zugleich wird die tatrichterliche Aufgabe der Darstellung des festgestellten Sachverhalts (§ 267 Abs. 1 Satz 1 StPO) und der diesen Feststellungen zu Grunde liegenden Beweiswürdigung (§ 267 Abs. 1 Satz 2 StPO) nicht eingeschränkt, weil eine Verständigung stattgefunden hat. Vielmehr unterliegt das Urteil auch dann, wie es dem Regelungsgedanken der §§ 35a Satz 3, 302 Abs. 1 Satz 2 StPO zu entnehmen ist, der uneingeschränkten Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Dies macht bei der Urteilsabsetzung eine genaue Mitteilung der zur jeweiligen Tat getroffenen Feststellungen sowie der dafür maßgeblichen Beweisgrundlagen erforderlich. Allein die Bereitschaft eines Angeklagten, wegen eines bestimmten Sachverhalts eine Strafe hinzunehmen, die das gerichtlich zugesagte Höchstmaß nicht überschreitet, entbindet das Gericht nicht von diesen Pflichten (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Juni 2010 - 2 StR 222/10).
Der Senat hat geprüft, ob die mit der Sachrüge erfolgreiche Revision des Angeklagten S. auf andere Angeklagte, die keine Revision eingelegt oder ihr Rechtsmittel zurückgenommen haben, zu erstrecken ist (§ 357 StPO). Das ist prinzipiell auch bei einem Fehler der Beweiswürdigung möglich (vgl. Senat, Beschluss vom 22. September 2011 - 2 StR 383/11, StV 2012, 133; LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 357 Rn. 14). Hier liegt jedoch bei den Nichtrevidenten kein gleichartiger Rechtsfehler vor, der zur Revisionserstreckung zwingen würde.
1. Hinsichtlich der Angeklagten O. und C., die keine Revision eingelegt haben, ist das Urteil vom Landgericht gemäß § 267 Abs. 4 StPO abgekürzt worden. Insoweit gestattet das Gesetz gerade eine Reduzierung der Sachdarstellung in den schriftlichen Urteilsgründen. Deshalb kann ein Darstellungsmangel des Urteils, welcher die Voraussetzungen der Revisionserstreckung erfüllen könnte, nicht festgestellt werden (vgl. Hamm in: Festschrift für Rissing-van Saan, 2011, S. 195, 200; Meyer-Goßner in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 357 Rn. 14; BeckOK/Wiedner, StPO, Ed. 21, § 357 Rn. 3a).
2. Hinsichtlich des früheren Angeklagten E., der sein Rechtsmittel zurückgenommen hat, ist eine Abkürzung der Urteilsgründe nicht erfolgt. Gleichwohl liegen die Voraussetzungen für eine Revisionserstreckung nicht vor. Der Angeklagte E. handelte nach den Urteilsfeststellungen auf einer niedrigeren Hierarchieebene als der Angeklagte S. Er wirkte an Bandentaten in unterschiedlicher Beteiligung weiterer Personen mit. Die Beweisgründe für die Feststellung seiner jeweiligen Tatbegehung haben vor diesem Hintergrund eine andere Bedeutung als diejenigen, die den Angeklagten S. betreffen.
HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 953
Externe Fundstellen: NStZ 2016, 228 ; StV 2016, 94
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel