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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 70

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 485/14, Urteil v. 23.09.2015, HRRS 2016 Nr. 70


BGH 2 StR 485/14 - Urteil vom 23. September 2015 (LG Limburg)

Tatrichterliche Beweiswürdigung (revisionsrechtliche Überprüfbarkeit)

§ 261 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Limburg vom 21. März 2014 im Fall II.6. der Urteilsgründe und im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil wird verworfen.

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Körperverletzung in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen dieses Urteil richten sich die Revision des Angeklagten, die zu seinen Ungunsten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft und die Revision der Nebenklägerin. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin führen jeweils mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils im Fall II.6. seiner Gründe und im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe. Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte seit dem 14. Januar 2012 eine feste Beziehung mit der damals 17-jährigen Nebenklägerin. Nachdem diese Beziehung anfangs harmonisch verlaufen war, kam es zunehmend zu Streitigkeiten.

Ein Streit entstand deshalb, weil der Angeklagte die Nebenklägerin darüber belog, dass er zu einer bestimmten Zeit habe arbeiten müssen. Der Angeklagte versetzte der Nebenklägerin dabei eine Ohrfeige. Er entschuldigte sich sofort und fotografierte die Wange der Nebenklägerin mit der Bemerkung, dass eine solche Verletzung nicht mehr vorkommen werde (Fall II.1. der Urteilsgründe).

In der Folgezeit ging der Angeklagte dazu über, die Nebenklägerin in seiner Wohnung einzuschließen. Zudem kontrollierte er sie unter anderem dadurch, dass er ihre Gespräche über das Mobiltelefon mithörte. In einer Vielzahl von Fällen wurde der Angeklagte gewalttätig und schlug die Nebenklägerin. Gleichwohl setzte diese die Beziehung fort und hatte mit dem Angeklagten auch einvernehmlich Geschlechtsverkehr.

Am 4. August 2012 kam es erneut zum Streit. Der Angeklagte packte die Nebenklägerin dabei am Hals, drückte sie gegen die Wand und schlug ihr mehrfach ins Gesicht (Fall II.2. der Urteilsgründe).

Im Verlauf eines anderen Streits am 9. August 2012 schlug der Angeklagte der Nebenklägerin mit der Hand auf den rechten Oberarm, der daraufhin mehrere Tage lang geschwollen war (Fall II.3. der Urteilsgründe).

Am 29. August 2012 packte der Angeklagte die Nebenklägerin am Oberarm und schleuderte sie herum. Sie fiel dadurch zu Boden und schlug mit dem Kopf gegen die Bettkante (Fall II.4. der Urteilsgründe).

Bei einem weiteren Streit am 19. September 2012 schlug der Angeklagte die Nebenklägerin mit der flachen Hand auf die linke Wange, was sie als schmerzhaft empfand (Fall II.5. der Urteilsgründe).

Von Freitag, dem 21. September 2012, bis Sonntag, dem 23. September 2012, hielt sich der Angeklagte in K. auf. Beim Verlassen der Wohnung schloss er die Nebenklägerin ein. Sie wagte es nicht, die Wohnung durch ein Fenster zu verlassen. Über das Mobiltelefon konnte sie ein Gespräch zwischen dem Angeklagten und einer weiteren Person mithören. Sie vermutete, dass er dabei über die Preise für einen Bordellbesuch verhandelte. Nach seiner Rückkehr konfrontierte sie ihn mit diesem Verdacht. Der Angeklagte schlug die Nebenklägerin deshalb zu Boden. Danach übte er den Analverkehr mit ihr aus. Dabei kniete die Nebenklägerin auf dem Bett und wurde vom Angeklagten entkleidet. Er führte den Analverkehr in einer Weise durch, die der Nebenklägerin Schmerzen bereitete und zu einer Blutung führte (Fall II.6. der Urteilsgründe). Anschließend erklärte die Nebenklägerin dem Angeklagten, dass sie nach Hause wolle. Er ließ sie in sein Auto einsteigen und fuhr los, hielt aber nach wenigen Metern sein Fahrzeug mit laufendem Motor an und erklärte, dass er sie nicht zu ihrem Elternhaus fahren werde. Die Nebenklägerin wollte das Fahrzeug verlassen und öffnete den Schultergurt und die Autotür. Daraufhin fuhr der Angeklagte plötzlich los, um sogleich wieder stark abzubremsen. Die Nebenklägerin schlug deshalb auf das Armaturenbrett und fiel anschließend aus der noch offen stehenden Autotür. Sie erlitt schmerzhafte Prellungen. Der Angeklagte und die Nebenklägerin gingen zurück zur Wohnung des Angeklagten, wo sich die Nebenklägerin ins Bett legte. Obwohl sie über heftige Schmerzen klagte, rief der Angeklagte keinen Arzt.

2. Der Angeklagte hat die Tatvorwürfe bestritten. Das Landgericht ist im Umfang der Verurteilung der Aussage der Nebenklägerin gefolgt. Hintergründe zu der Beziehung wurden durch Zeugen erläutert und Hämatome bei der Nebenklägerin durch Lichtbilder bewiesen.

3. Im Fall II.6. der Urteilsgründe, den das Landgericht ausschließlich als Körperverletzung bewertet hat, ist dem Angeklagten mit der vom Landgericht zugelassenen Anklageschrift der Staatsanwaltschaft auch zur Last gelegt worden, er habe die Nebenklägerin vergewaltigt. Sie sei, nachdem er sie zu Boden geschlagen hatte, von ihm an den Oberarmen hochgezogen und aufs Bett geworfen worden. Dort habe sie versucht wegzukriechen. Der Angeklagte habe sie wiederholt zu sich herangezogen und dann gegen ihren Willen den Analverkehr mit ihr ausgeübt.

Insoweit hat das Landgericht indes nicht feststellen können, ob die Nebenklägerin einen dem Analverkehr entgegenstehenden Willen gebildet und der Angeklagte diesen erkannt hatte.

II.

Das Rechtsmittel des Angeklagten gegen seine Verurteilung wegen Körperverletzung in sechs Fällen ist unbegründet.

1. Die Verfahrensrügen des Angeklagten sind unzulässig. Sie genügen nicht den Anforderungen gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

a) Der Beschwerdeführer rügt, das Landgericht habe einen Beweisantrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens zu Unrecht abgelehnt. Er hat aber weder den Beweisantrag noch den ablehnenden Beschluss des Landgerichts mitgeteilt.

b) Soweit der Beschwerdeführer beanstandet, das Landgericht habe nicht hinreichend aufgeklärt, „ob und inwieweit nun noch eine Persönlichkeitsstörung bei der Nebenklägerin vorhanden ist,“ hat er keine bestimmte Behauptung darüber aufgestellt, welche Tatsache das Landgericht hätte aufklären können und warum es sich dazu habe gedrängt sehen müssen.

2. Die Sachrüge des Beschwerdeführers ist unbegründet.

Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist rechtlich nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat sich auf die Angaben der Nebenklägerin gestützt, die durch Lichtbilder ihrer Verletzungen und Zeugenaussagen zu den Hintergründen des Tatgeschehens abgerundet und ergänzt werden. Insoweit liegt entgegen der Ansicht der Revision keine Beweisführung in einer Konstellation vor, in der ausschließlich „Aussage gegen Aussage“ steht.

Die genaue Ursache der körperlichen Zusammenbrüche der Nebenklägerin und der diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung hat das Landgericht nicht feststellen können. Es hat sich aber - sachverständig beraten - von der Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin überzeugt. Auch insoweit ist gegen seine Beweisführung mithilfe der als glaubhaft eingeschätzten Angaben der Nebenklägerin rechtlich nichts zu erinnern.

Ein Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten folgt auch nicht daraus, dass das Landgericht im Fall II.6. der Urteilsgründe einerseits eine Körperverletzung angenommen, andererseits eine Vergewaltigung nicht festgestellt hat. Letzteres beruht nicht darauf, dass es Zweifel an der Richtigkeit der Aussage der Nebenklägerin zu dem Verletzungsgeschehen hatte. Vielmehr hat es nur subjektive Elemente bei Täter und Opfer hinsichtlich eines erzwungenen Analverkehrs als nicht ausreichend feststellbar angesehen.

III.

1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin sind - unbeschadet des jeweils umfassenden Aufhebungsantrags - ausweislich der mitgeteilten Rechtsmittelbegründungen auf Fall II.6. der Urteilsgründe und den Gesamtstrafenausspruch beschränkt. Diese Beschränkung ist wirksam.

2. Die Beweiswürdigung des Landgerichts, die dazu geführt hat, dass der Angeklagte nicht - tateinheitlich mit der abgeurteilten Körperverletzung - auch wegen Vergewaltigung verurteilt wurde, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Das Revisionsgericht muss es zwar grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten im Hinblick auf einen Anklagevorwurf nicht verurteilt, weil es Zweifel an der Tatbegehung nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob ihm Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen die Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 3. Juni 2015 - 5 StR 55/15, NStZ-RR 2015, 255). So liegt es aber hier.

Zu dem Geschehen im Fall II.6. der Urteilsgründe hat die Nebenklägerin ausgesagt, der Angeklagte habe sie so geschlagen, dass sie zu Boden gegangen sei. Dann habe er sie hochgezogen und auf das Bett geworfen. Sie habe auf dem Bett gekniet und versucht, auf allen Vieren von ihm wegzukriechen; er habe sie aber an der Hüfte festgehalten, damit sie nicht weg konnte. Der Angeklagte habe sie immer wieder nach hinten gezogen. Sie sei dann wie gelähmt gewesen und habe es über sich ergehen lassen, dass er ihr die Hose heruntergezogen und den Analverkehr durchgeführt habe.

Das Landgericht hat die Angaben der Nebenklägerin im Allgemeinen als glaubhaft angesehen. Es hat aber ausgeführt, die Möglichkeit einer Verfälschung der Erinnerung oder einer Uminterpretation eines Geschehens in anderem Zusammenhang sei hier nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen. Es sei zu besorgen, dass die Nebenklägerin einen einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit einer Vergewaltigung im Zusammenhang mit dem Körperverletzungsgeschehen verwechselt habe. Ein dem Geschlechtsverkehr möglicherweise entgegenstehender innerer Wille sei jedenfalls nicht für den Angeklagten erkennbar geworden. Die Beschreibung der Tat durch die Nebenklägerin sei auf wenige Details beschränkt. Wie sie in die von ihr beschriebene Position auf dem Bett gekommen sei, sei von ihr nicht erklärt worden. Ein Wegkriechen und Festhalten sei als gleichsam isolierte Erinnerung nicht zuverlässig mitgeteilt worden. Gleiches gelte für die von der Nebenklägerin behauptete Äußerung des Angeklagten, sie solle sich nicht so anstellen und still sein. Entsprechende Äußerungen habe der Angeklagte nach der Zeugenaussage der Nebenklägerin auch in anderem Zusammenhang gemacht. Es sei deshalb nicht sicher, dass diese Äußerung auch bei der konkreten Tat gemacht worden sei. Schließlich könne diese Tat nicht isoliert betrachtet werden. Die Nebenklägerin habe geschildert, dass sie in einer Reihe von Fällen nach vorangegangenem Streit mit dem Angeklagten gleichwohl einvernehmlich den Geschlechtsverkehr mit ihm ausgeübt habe.

Diese Beweiswürdigung ist nicht frei von Rechtsfehlern.

Die Annahme des Landgerichts, die Darstellung der Erzwingung eines Analverkehrs gegen den Willen der Nebenklägerin sei von dieser nicht ausreichend detailliert beschrieben worden, ist nicht nachzuvollziehen. Es bleibt bereits offen, ob sie danach befragt wurde. Allein aus der Tatsache, dass der Bewegungsablauf, der dazu geführt hat, dass die Nebenklägerin sich in einer Position auf dem Bett befand, in der sie „auf allen Vieren“ wegzukriechen versuchte, nicht näher erläutert wurde, belegt noch keine Erinnerungslücke. Dabei handelt es sich um ein marginales Detail. Im Kontext mit dem vorangegangenen Verletzungsgeschehen liegt auch nicht lediglich „eine isolierte Erinnerung“ vor, sondern die Darstellung eines mehraktigen Geschehensablaufs. Wenn das Landgericht das übrige Geschehen am gleichen Ort zur selben Zeit als ausreichend detailliert und zuverlässig beschrieben erachtet, um eine konkrete Körperverletzung aburteilen zu können, so ist nicht verständlich, warum es die Schilderung zum Kerngeschehen einer Vergewaltigung im gleichen Kontext als zweifelhaft bezeichnet.

Schon aus dem äußeren Ablauf ergibt sich, dass die Nebenklägerin den Analverkehr nicht wünschte. Die Tatsache, dass die Nebenklägerin in anderen Situationen vor und nach dem Geschehen zu Fall II.6. der Urteilsgründe mit dem Angeklagten auch einvernehmlich verkehrt hat, ist ohne Aussagekraft für den in der konkreten Tatsituation gebildeten Willen der Nebenklägerin.

Das Landgericht hat sich bei der hilfsweise in den Raum gestellten Annahme, es sei nicht sicher, dass der Angeklagte den entgegenstehenden Willen der Nebenklägerin erkannt habe, nicht auf eine Gesamtschau aller Umstände gestützt. Hatte der Angeklagte unmittelbar zuvor die Nebenklägerin zu Boden geschlagen, sie dann hochgezogen und auf das Bett geworfen, ferner ihren Versuch wegzukriechen wiederholt durch Zurückziehen unterbunden, was im Einklang mit dem Anklagevorwurf auch als Anwendung von Gewalt im Sinne von § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB gewertet werden könnte, so bestand auch für den Angeklagten kein Anlass zu glauben, die Nebenklägerin sei nunmehr alsbald mit der Durchführung eines Analverkehrs einverstanden.

Das anschließende Geschehen im Auto, das im Anklagesatz nicht gesondert erwähnt wurde, ist vom Landgericht weder gesondert als weitere Straftat innerhalb derselben Tat im prozessualen Sinn noch als Indiz für die Willensrichtung von Täter und Opfer bei dem vorherigen Geschehen in der Wohnung gewürdigt worden. Auch dies ist jedenfalls eine Lücke in der Beweiswürdigung.

3. In der Anklageschrift ist dem Angeklagten ferner vorgeworfen worden, dass er vor der Körperverletzung im Rahmen des Streits die Wohnung abgeschlossen und den Schlüssel eingesteckt habe, um eine Flucht der Nebenklägerin zu verhindern. Dies ist in der vom Landgericht zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift als tateinheitlich begangene Freiheitsberaubung gewertet worden, aber auch als Teil des Vorliegens einer schutzlosen Lage der Nebenklägerin im Sinne von § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB. Das Landgericht hat den Aspekt des Einsperrens in den Urteilsgründen insgesamt nicht als weitere Straftat und als Indiz für die innere Tatseite bei der angeklagten Vergewaltigung angesprochen. Auch insoweit wird der neue Tatrichter eine erschöpfende Würdigung vorzunehmen haben.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 70

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede