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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 964

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 383/14, Beschluss v. 22.04.2015, HRRS 2015 Nr. 964


BGH 2 StR 383/14 - Beschluss vom 22. April 2015 (LG Kassel)

Rücktritt vom Versuch (Freiwilligkeit).

§ 22 StGB; § 23 Abs. 1 StGB; § 24 Abs. 1 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Freiwilligkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, wenn der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist und die Ausführung seines Verbrechensplans noch für möglich gehalten hat, er also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert noch durch seelischen Druck unfähig geworden ist, die Tat zu vollbringen. Maßgebliche Beurteilungsgrundlage ist insoweit nicht die objektive Sachlage, sondern die Vorstellung des Täters hiervon (vgl. nur BGH NStZ-RR 2014, 9). Der Annahme von Freiwilligkeit steht es dabei nicht von vornherein entgegen, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt (BGH NStZ-RR 2010, 366 f.) oder die Abstandnahme von der Tat erst nach dem Einwirken eines Dritten erfolgt (s. BGH NStZ 1988, 69 f.). Entscheidend für die Annahme von Freiwilligkeit ist, dass der Täter die Tatvollendung aus selbstgesetzten Motiven nicht mehr erreichen will (BGH NStZ-RR 2014, 241).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 25. März 2014 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist, sowie im Ausspruch über die Einheitsjugendstrafe.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie Beleidigung in zwei Fällen unter Einbeziehung einer weiteren Verurteilung zu einer Einheitsjugendstrafe von fünf Jahren verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die gegen dieses Urteil gerichtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerichtete Revision des Angeklagten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Der Schuldspruch wegen Beleidigung in zwei Fällen hält rechtlicher Nachprüfung stand. Hingegen begegnet die Verurteilung wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob der Angeklagte zusammen mit seinem Mittäter strafbefreiend vom Versuch des versuchten Totschlags zurückgetreten sind.

a) Gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 StGB werden bei Tatbeteiligung mehrerer diejenigen Beteiligten nicht wegen Versuchs bestraft, die freiwillig die Tatvollendung verhindern. Hierfür kann es genügen, wenn Mittäter im Falle eines unbeendeten Versuchs einvernehmlich nicht mehr weiterhandeln, obwohl sie dies tun könnten (vgl. BGH StV 2014, 286, 287; NStZ-RR 2012, 167, 168; NStZ 2007, 91, 92; BGHSt 44, 158, 162). Im Falle eines versuchten Totschlags ist es insoweit ausreichend, wenn die Täter freiwillig davon absehen, die Tötung des Opfers mit den verfügbaren Tatmitteln weiter zu verfolgen.

b) Das Urteil verhält sich hierzu nicht, obwohl nach den getroffenen Feststellungen ein strafbefreiender Rücktritt des Angeklagten vom Versuch des Totschlags nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint.

aa) Der Angeklagte und sein unbekannt gebliebener Mittäter, die beide ein Messer mit sich führten, überfielen am Abend des 24. Juni 2013 gegen 22.40 Uhr das Tatopfer in der Absicht, es zu töten. Sie erwarteten es vor dem Eingangsbereich des Hauses, in dem es wohnte, und versetzten ihm unvermittelt einen Stich in den oberen Nackenbereich und sodann ins Bein, so dass es zu Boden fiel. Es folgten Schläge, Tritte und weitere Messerstiche und -schnitte von beiden Angreifern. Dem Überfallenen gelang es nicht, wieder auf die Beine zu kommen oder sich der Angreifer zu entledigen. Er verlagerte das Geschehen aber so in den Hofbereich vor dem Haus, dass Nachbarn auf seine Schreie nach Hilfe und nach der Polizei aufmerksam wurden. Ein Nachbar rief am Fenster stehend: „Verpisst Euch, sonst rufe ich die Polizei“, eine andere Nachbarin forderte die Täter auf aufzuhören. Dem Angeklagten und seinem Mittäter wurde hierdurch klar, dass sie bei weiterer Fortsetzung ihres Angriffs Gefahr laufen würden, von der Polizei angetroffen und festgenommen zu werden. Sie versetzten dem Opfer einen letzten Stich in den Nackenbereich, ließen dann von ihm ab und rannten eilig davon. Mehrere Nachbarn begaben sich nun in den Hof und fanden den Angegriffenen kaum noch ansprechbar und stark blutend vor. Der Notruf bei der Polizei ging um 22.43 Uhr ein. Das Tatopfer wurde in die Klinik verbracht und dort notfallmäßig versorgt. Dabei wurden insgesamt fünf Stichverletzungen festgestellt, darunter eine im Rippenbereich mit einem Stichkanal von 8 cm Tiefe.

Der Angeklagte und sein Mittäter ließen - nachdem sie im Anschluss an die Rufe der Nachbarn einen letzten Stich in den Nackenbereich gesetzt hatten, über dessen Länge und Tiefe die Urteilsgründe keine Angaben enthalten - von dem Opfer ab und rannten davon.

bb) Dies könnte für einen strafbefreienden Rücktritt genügen, falls es sich aus Sicht des Angeklagten um einen unbeendeten Versuch handeln würde und der Verzicht auf ein Weiterhandeln freiwillig erfolgt wäre.

Den Urteilsausführungen ist nicht zu entnehmen, ob der Angeklagte davon ausging, bereits die beigefügten Verletzungen seien dazu geeignet gewesen, den Tod des Opfers herbeizuführen, oder ob er der Ansicht war, dazu wären weitere Stiche mit dem Messer erforderlich gewesen. Angaben dazu waren auch nicht deshalb entbehrlich, weil die Annahme eines beendeten Versuchs auf der Hand gelegen hätte. Zwar hatte das Opfer „in seiner Gesamtheit“ lebensgefährliche Verletzungen erlitten; ob das der Angeklagte aber erkannt hatte, könnte immerhin fraglich sein, nachdem das Opfer das Geschehen in den Hofbereich verlagerte und um Hilfe rief.

Der Rücktritt wäre auch nicht von vornherein ausgeschlossen, weil der Angeklagte nicht freiwillig von seinem Tun abgelassen hätte. Die Strafkammer ist zwar davon ausgegangen, dass den Angreifern durch die Rufe der Nachbarn bewusst geworden sei, dass sie bei weiterer Fortsetzung ihres Angriffs Gefahr laufen würden, von der Polizei angetroffen zu werden. Es ist aber schon unklar, worauf das Landgericht diese Annahme im Einzelnen gestützt hat. Vor allem aber könnten allein der Umstand der Entdeckung und die sich anschließende Flucht die Annahme unfreiwilliger Tataufgabe nicht tragen. Freiwilligkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, wenn der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist und die Ausführung seines Verbrechensplans noch für möglich gehalten hat, er also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert noch durch seelischen Druck unfähig geworden ist, die Tat zu vollbringen. Maßgebliche Beurteilungsgrundlage ist insoweit nicht die objektive Sachlage, sondern die Vorstellung des Täters hiervon (vgl. nur BGH NStZ-RR 2014, 9). Der Annahme von Freiwilligkeit steht es dabei nicht von vornherein entgegen, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt (BGH NStZ-RR 2010, 366 f.) oder die Abstandnahme von der Tat erst nach dem Einwirken eines Dritten erfolgt (s. BGH NStZ 1988, 69 f.). Entscheidend für die Annahme von Freiwilligkeit ist, dass der Täter die Tatvollendung aus selbstgesetzten Motiven nicht mehr erreichen will (BGH NStZ-RR 2014, 241).

Ob der Angeklagte die Ausführung seines Plans, die Tötung des Opfers, noch für möglich gehalten oder ob er sich nach den Rufen der Nachbarn außerstande gesehen hat, sein Ziel noch zu erreichen, hätte das Landgericht erörtern müssen. Denn es lag - angesichts des Umstands, dass lediglich ein Nachbar für den Fall, dass die Täter sich nicht „verpissen“ würden, die Anrufung der Polizei angedroht hatte, und mit Blick darauf, dass der Angeklagte vor Verlassen des Tatorts noch einen weiteren Stich setzte - auch nicht auf der Hand, dass sich der Angeklagte in dieser Situation ohne Weiteres gehindert sah, den Tod des Opfers noch herbeizuführen.

2. Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchten Totschlags; erfasst wird auch die an sich rechtsfehlerfreie tateinheitliche Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung. Dies entzieht ohne Weiteres dem Strafausspruch die Grundlage.

3. Die (teilweise) Aufhebung des Urteils erfasst nicht den Adhäsionsausspruch; eine Aufhebung der Adhäsionsentscheidung ist dem Tatrichter vorbehalten (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Februar 2015 - 2 StR 388/14). Auf den Anfragebeschluss des Senats vom 8. Oktober 2014 - 2 StR 137/14 u.a. wird hingewiesen.

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 964

Externe Fundstellen: StV 2015, 687

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel