HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 1016
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 128/14, Beschluss v. 13.08.2014, HRRS 2014 Nr. 1016
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bonn vom 3. Dezember 2013 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in 20 Fällen unter Auflösung einer Gesamtfreiheitsstrafe und Einbeziehung mehrerer Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
1. Nach der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift vom 13. Mai 2013 wurde dem Angeklagten u.a. zur Last gelegt, im Zeitraum vom 29. Juni 2011 bis zum 11. September 2011 täglich - in 75 Fällen - mit der minderjährigen Geschädigten gegen deren Willen den vaginalen Geschlechtsverkehr durchgeführt zu haben.
Das Landgericht hat festgestellt, dass es "in mindestens 20 Fällen" zum vaginalen Geschlechtsverkehr gegen den Willen der Geschädigten kam. Dabei ist es davon ausgegangen, dass es innerhalb des angeklagten Tatzeitraums dreimal wöchentlich, jedenfalls aber in mindestens 20 Fällen zu den abgeurteilten Straftaten kam.
Hinsichtlich der weiteren angeklagten 55 Fälle hat die Strafkammer das Verfahren mit in der Hauptverhandlung verkündetem Beschluss gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, "um auch jedem Restzweifel im Hinblick auf die Anzahl der Übergriffe Rechnung zu tragen".
2. Diese Verfahrensweise ist rechtlich nicht zu beanstanden; Entscheidungen des 4. Strafsenats stehen - anders als der Generalbundesanwalt meint - nicht entgegen.
Ausweislich des Beschlusses des 4. Strafsenats vom 29. Juli 2008 (4 StR 210/08) hatte das landgerichtliche Urteil keinen Bestand, weil sich die ursprünglich angeklagten sechs Betäubungsmitteltaten bereits hinsichtlich der Art und Menge der unerlaubt eingeführten Betäubungsmittel unterschieden und der landgerichtliche Beschluss gemäß § 154 Abs. 2 StPO - nicht näher konkretisierte - vier Taten umfasste. Danach war schon zweifelhaft, welche der angeklagten (unterschiedlichen) Taten eingestellt und welche abgeurteilt waren.
Im Beschluss des 4. Strafsenats vom 13. April 2011 (4 StR 7/11) ist entscheidend gewesen, dass das Landgericht der Verurteilung einen Tatzeitraum zu Grunde gelegt hat, dem es schon an einem hinreichend bestimmten Endzeitpunkt - und für einen Teil der abgeurteilten Straftaten zudem an einem Anfangszeitpunkt - fehlte, und der zudem gegenüber dem der Anklage zu Grunde liegenden Tatzeitraum verkürzt war, ohne dass die Gründe für die Verkürzung des Tatzeitraums dem Urteil zu entnehmen waren.
Entsprechendes gilt für den Beschluss des 4. Strafsenats vom 3. Dezember 2013 (4 StR 461/13); nach Teileinstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO bezog sich auch dort die Verurteilung hinsichtlich der übrigen Fälle auf einen gegenüber der Anklage nicht nachvollziehbar verkürzten Tatzeitraum.
Anders liegt der Fall hier: Das Landgericht hat hinsichtlich sämtlicher - gleichförmiger - nicht weiter konkretisierbarer Taten den gesamten angeklagten Tatzeitraum zu Grunde gelegt und diesen mit Verurteilung und Beschluss gemäß § 154 Abs. 2 StPO vollständig ausgeschöpft. Somit bleiben keinerlei Zweifel über den Umfang sowohl der abgeurteilten als auch der eingestellten Taten.
Wie auch der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, ist es nicht nachvollziehbar, an die Unterscheidbarkeit von gleichförmigen Serientaten bei Einstellungsentscheidungen gemäß § 154 Abs. 2 StPO höhere Anforderungen zu stellen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2011 - 1 StR 321/11, NStZ-RR 2012, 50, 51; Urteil vom 26. Oktober 2006 - 5 StR 290/06, BGHR StPO § 154 Abs. 5 Wiederaufnahme 3) als bei Tatkonkretisierungen in Anklageschriften (vgl. dazu BGH, Urteil vom 11. Januar 1994 - 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 46; Schneider in KK-StPO, 7. Aufl., § 200 Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 200 Rn. 9, jeweils mwN), im Verurteilungsfall in den Urteilsgründen (vgl. Kuckein in KK-StPO, aaO, § 267 Rn. 9a; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 267 Rn. 6a, jeweils mwN) oder bei Verurteilungen nebst Teilfreisprüchen, falls die Anzahl der festgestellten Taten die Anzahl der angeklagten Taten unterschreitet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Mai 1994 - 5 StR 239/94, BGHR StPO § 260 Abs. 1 Teilfreispruch 10 und vom 13. Dezember 2000 - 5 StR 540/00, BGHR StPO § 260 Abs. 1 Teilfreispruch 13).
Eine bei gleichförmigen Serientaten vorzunehmende genaue zeitliche Eingrenzung aller Einzelfälle und deren Individualisierung und Differenzierung ist schon regelmäßig weder in der Anklage noch in den Urteilsfeststellungen möglich (vgl. Schneider, aaO mwN). Die Anzahl der - gegebenenfalls nach tatrichterlicher Schätzung - festgestellten Taten kann demnach nur der Gesamtzahl der angeklagten Taten gegenüber gestellt und eine Differenz - wie hier - ermittelt werden, die dann in der Einstellungsentscheidung gemäß § 154 Abs. 2 StPO zum Ausdruck kommt. Eine solche Verfahrensweise lässt auch keinen Zweifel darüber, in welchem Umfang Gesetzesverletzungen nicht weiterverfolgt werden sollen (vgl. Beulke in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl. § 154a Rn. 8).
HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 1016
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2014, 378
Bearbeiter: Karsten Gaede