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HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 1042

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 2 ARs 284/13, Beschluss v. 10.10.2013, HRRS 2013 Nr. 1042


BGH 2 ARs 284/13 (2 AR 194/13) - Beschluss vom 10. Oktober 2013 (AG Tiergarten; AG Bayreuth)

Nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe (zuständiges Gericht; Aufhebung einer vorherigen Anordnung einer Gesamtstrafe).

§ 55 StGB; § 460 StPO; § 462a Abs. 3 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Die Rechtskraft eines nachträglichen Gesamtstrafenbeschlusses darf durchbrochen werden, wenn wegen anderer Verurteilungen eine weitere nachträgliche Gesamtstrafenbildung erforderlich wird.

Entscheidungstenor

Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten ist gemäß § 462a Abs. 3 StPO zuständig für die nachträgliche Gesamtstrafenbildung aus - den Einzelstrafen der Taten zu Ziffer II 1. bis 3. seines Urteils vom 6. November 2009 (Az.: 249 Ds 3014 PLs 14602/08 (29/09)) und den Strafen aus den Strafbefehlen - des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom 18. Dezember 2008 (Az.: 249 Cs 3014 PLs 12742/08 (399/08)), - des Amtsgerichts Königswusterhausen vom 5. Februar 2009 (Az.: 4125 Js 997/09 2.2 Cs 21/09) sowie - des Amtsgerichts Bernau vom 23. April 2009 (Az.: 208 Js 272/09 2b Cs 401/09).

Gründe

Der Generalbundesanwalt hat in seinem Antrag vom 16. Juli 2013 ausgeführt:

"Der Bundesgerichtshof ist als gemeinschaftliches oberes Gericht gemäß § 19 StPO zur Entscheidung berufen. Die Amtsgerichte Berlin-Tiergarten und Bayreuth haben über die Zuständigkeit für die nachträgliche Gesamtstrafenbildung gestritten und jeweils durch unanfechtbare Beschlüsse eine Zuständigkeit verneint. Gegenstand des Zuständigkeitsstreits war die Auslegung des § 462a Abs. 3 StPO. Die Vorschrift des § 19 StPO ist im Strafvollstreckungsverfahren anwendbar und gilt entsprechend auch für den negativen sachlichen Kompetenzstreit, wenn - wie hier - keine andere Abhilfe gegen einen Stillstand des Verfahrens möglich ist (BGHSt 18, 381; Meyer-Goßner StPO 56. Aufl. § 19 Rn. 2).

Zuständig ist gemäß § 462a Abs. 3 StPO das Amtsgericht Berlin-Tiergarten als das Gericht des ersten Rechtszuges, welches die höchste noch gesamtstrafenfähige Einzelstrafe erlassen hat (jeweils 30 Tagessätze für die Taten zu Ziffer II 1. und 2. des Urteils des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom 6. November 2009). Eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Bayreuth ist nicht gegeben.

Gesamtstrafenfähig sind nur noch die im Tenor genannten Strafen. Grund hierfür ist, dass die Gesamtstrafenentscheidungen des Amtsgerichts Bayreuth im Urteil vom 10. März 2010 und im Gesamtstrafenbeschluss vom 5. November 2011 keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen.

Zunächst zum Urteil vom 10. März 2010: Das Amtsgericht hat rechtsmangelfrei eine Gesamtstrafe mit der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 12. August 2009 (Az.: 4103 Js 5265/09 25 Cs 490/09) gebildet. Zum Urteilszeitpunkt lagen insoweit die Voraussetzungen für eine Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 Abs. 1 StGB vor. Die vom Amtsgericht Bayreuth abgeurteilten Taten (Tatzeiten: 10. Juli, 18. Juli, 25. Juli, 29. Juli und 18. Juli 2009) hat der Angeklagte vor Erlass des Strafbefehls begangen.

Nun zum Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Bayreuth vom 5. Januar 2011: Hinsichtlich der im Antragstenor genannten Strafbefehle hat das Amtsgericht Bayreuth zu Recht von einer Einbeziehung der Strafen abgesehen. Die Voraussetzungen des § 460 StPO i.V.m. § 55 StGB waren nicht gegeben. Denn die vom Amtsgericht Bayreuth abgeurteilten Taten hat der Angeklagte nicht vor Erlass der Strafbefehle am 18. Dezember 2008, 5. Februar 2009 und 23. April 2009, sondern erst danach begangen.

Bezogen auf das Urteil des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom 6. November 2009 gilt Folgendes: Das Amtsgericht Bayreuth hat ohne Rechtsverstoß keine Gesamtstrafe gebildet aus den drei Einzelstrafen der Taten zu Ziff. II 1.-3. (Tatzeiten: 3., 4. und 11. November 2008) und den Strafen aus den im Antragstenor genannten Strafbefehlen. Allerdings ist entgegen der Auffassung des Amtsgerichts der maßgebliche Grund hierfür nicht eine Zäsurwirkung des ersten Strafbefehls. Entscheidend ist vielmehr, dass für das Amtsgericht Bayreuth im Zeitpunkt seines Urteils am 10. März 2010 die Voraussetzungen des § 460 StPO i.V.m. § 55 StGB nicht vorlagen.

Rechtlich zutreffend hat das Amtsgericht allerdings die Gesamtstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom 6. November 2009 aufgelöst und die Einzelstrafen zu Ziffer II 4. bis 6. in seine neu gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten einbezogen. Es begegnet zwar rechtlichen Bedenken, dass das Amtsgericht Bayreuth die nach der Auflösung der ursprünglichen Gesamtstrafe verbliebenen Einzelstrafen zu Ziffer II 1. bis 3. nicht ihrerseits auf eine zweite Gesamtstrafe zurückgeführt hat (vgl. KG Berlin NStZ-RR 2010, 253; KK-Appl StPO 6. Aufl. § 462a Rn. 32 unter Berufung auf BayOblGSt 1955, 152). Dies nachzuholen, kommt vorliegend jedoch nicht in Betracht. Ein entsprechender Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Bayreuth müsste anschließend vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten umgehend wieder aufgehoben werden. Denn ausschließlich das Amtsgericht Berlin-Tiergarten kann vorliegend gemäß § 462a Abs. 3 StPO eine Gesamtstrafe aus den Strafen der im Tenor genannten Strafbefehle und den Taten zu Ziffer II 1. bis 3. seines Urteils bilden. Denn zum Zeitpunkt seines Urteils am 6. November 2009 lagen die Voraussetzungen des § 55 StGB insoweit vor: Die Taten zu Ziffer II 1. bis 3. (Tatzeiten: 3., 4. und 11. November 2008) hat der Angeklagte vor Erlass der genannten Strafbefehle (18. Dezember 2008, 5. Februar 2009 und 23. April 2009) begangen und auch die Tatzeiten der Strafbefehle vom 5. Februar 2009 und 23. April 2009 (13. Oktober 2008 und 31. Juli 2008) lagen vor dem 18. Dezember 2008.

Vor diesem Hintergrund ist zuständiges Gericht das Amtsgericht Berlin-Tiergarten. Nur dieses kann gemäß § 460 StPO die gebotene Gesamtstrafenbildung aus den im Antragstenor genannten Entscheidungen vornehmen."

Dem schließt sich der Senat an und bemerkt ergänzend:

Der Umstand, dass das Amtsgericht Bernau mit Beschluss vom 22. April 2010, rechtskräftig seit dem 27. Mai 2010, eine nachträgliche Gesamtstrafe aus der in seinem Strafbefehl vom 23. April 2009 verhängten Strafe und den Strafen aus den Strafbefehlen des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom 18. Dezember 2008 und des Amtsgerichts Königswusterhausen vom 5. Februar 2009 gebildet hat, lässt die Zuständigkeit des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten nicht entfallen. Denn die Rechtskraft eines nachträglichen Gesamtstrafenbeschlusses darf durchbrochen werden, wenn wegen anderer Verurteilungen eine weitere nachträgliche Gesamtstrafenbildung erforderlich wird (vgl. KK-Appl, StPO, 6. Aufl., § 460 Rn. 33).

HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 1042

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel