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HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 712

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 91/13, Beschluss v. 02.07.2013, HRRS 2013 Nr. 712


BGH 2 StR 91/13 - Beschluss vom 2. Juli 2013 (LG Aachen)

Rücktritt vom Versuch der Vergewaltigung (Reichweite des fehlgeschlagenen Versuchs und Freiwilligkeit).

§ 177 Abs. 1, Abs. 2 StGB; § 24 StGB; § 22 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Ein fehlgeschlagener Versuch liegt zwar vor, wenn der Täter nach anfänglichem Misslingen des vorgestellten Tatablaufs nicht mehr glaubt, mit den bereits eingesetzten oder anderen bereitstehenden Mitteln die Tat noch vollenden zu können (BGHSt GSSt 39, 221, 228). Zur Beurteilung eines möglichen Fehlschlags des Versuchs kommt es auf den Moment an, in dem dem Täter noch alle Handlungsoptionen, nämlich die weitere Durchführung der Tat oder ihr Aufgeben, zur Verfügung standen. Es kommt nicht auf den Zeitpunkt an, in der der Täter diese selbst bereits aufgegeben hatte.

2. Lässt sich der Täter von der möglichen Geschädigten ein zuvor zur Bedrohung eingesetztes Messer aufgrund des Verhaltens und der Äußerungen der Geschädigten aus der Hand nehmen ließ, begründet dies für sich allein kein Misslingen seines Tatplanes im Sinne eines fehlgeschlagenen Versuchs, sondern ist allenfalls unter dem Gesichtspunkt der Freiwilligkeit des Rücktritts zu prüfen. Entscheidend ist insoweit, ob der Täter die Wegnahme des Nötigungsmittels aus autonomen Motiven duldet.

3. Voraussetzung für ein freiwilliges Handeln ist nach ständiger Rechtsprechung, dass der Täter die Ausführung seines Tatplans noch für möglich hält und nicht durch eine äußere Zwangslage an der Tatvollendung gehindert ist, die Tatvollendung aber gleichwohl aus selbstgesetzten Motiven nicht mehr erreichen will.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 29. Oktober 2012 mit den Feststellungen aufgehoben

a) im Fall II.2. der Urteilsgründe

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Vergewaltigung im besonders schweren Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen versuchter Nötigung und wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils im Fall II.2. der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch; im Übrigen ist es aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Nach den Feststellungen leidet der Angeklagte an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit dissozialen und narzisstischen Anteilen. In der Nacht auf den 25. November 2011 trafen sich der Angeklagte und die Geschädigte, die er am Tag zuvor kennengelernt hatte, an einer Bushaltestelle in A. Er ging dann mit ihr in deren Wohnung. Im Gespräch wirkte der Angeklagte schüchtern, zurückhaltend und hilflos. Er erzählte der Geschädigten, früher einmal von einer Frau vergewaltigt worden zu sein. Außerdem gab er mindestens zwei Mal vor, in Ohnmacht zu fallen, wobei die Zeugin nicht sicher war, ob er ihr dies lediglich vorspielte. Als er der Zeugin seine Liebe gestand, erwiderte diese, dass sie lediglich Freundschaft und nicht mehr von ihm wolle und deutete nach ca. einer halben Stunde an, dass er gehen solle. Der Angeklagte drohte daraufhin der Zeugin, er werde sich von einer Brücke werfen, wenn sie ihn hinauswerfe. Während der Unterhaltung beugte er sich mehrfach zur Zeugin, um sich ihr körperlich zu nähern, woraufhin diese jedoch jeweils zurückwich. Da ihr die Situation sehr unangenehm war, forderte sie ihn auf, die Wohnung zu verlassen. Der Angeklagte bat sie noch um eine letzte Umarmung. Die Zeugin ließ sich hierauf in der Hoffnung ein, dass der Angeklagte daraufhin sofort gehen würde. Diese Situation nutzte der Angeklagte, um der Zeugin ein Brotmesser an den Hals zu halten, das er während eines Gangs der Geschädigten zur Toilette unbemerkt an sich genommen hatte. Er drückte die Zeugin mit der Umarmung auf deren Bettsofa, um den Beischlaf mit ihr zu erzwingen. Dabei sagte er in aggressivem Ton sinngemäß, er habe jetzt die Kontrolle und die Zeugin solle ruhig sein. Der Angeklagte wirkte nun auf die Zeugin nicht mehr hilflos und selbstmitleidig, sondern aggressiv und "wahnsinnig". Sie machte ihn darauf aufmerksam, dass sein Verhalten sehr unklug sei, da in dem von ihr bewohnten Wohnheim viele Nachbarn seien und fragte ihn: "Ernsthaft, du willst mich jetzt mit dem Messer bedrohen?" Das überraschte den Angeklagten so, dass die Zeugin ihm das Messer langsam aus der Hand nehmen konnte, "wobei der Angeklagte dagegen hielt". Der Zeugin gelang es dennoch, ihm das Messer wegzunehmen und es gegen ihn zu richten. Sie öffnete ihre Wohnungstür, warf den Schlüssel des Angeklagten vor die Tür und forderte ihn auf, sofort zu gehen. Der Angeklagte erkannte, dass er die Tat nicht mehr weiter ausführen konnte und wirkte sofort wieder schüchtern und selbstmitleidig. Er entschuldigte sich bei der Zeugin, nahm sodann seine Schuhe und rannte aus der Wohnung. Die Geschädigte erlitt leichte Schnittverletzungen am Hals.

2. Die Strafkammer hat aufgrund dieser Feststellungen einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch der Vergewaltigung verneint. Im Rahmen der rechtlichen Würdigung hat sie ausgeführt, die weitere Tatausführung sei daran gescheitert, dass die Geschädigte dem Angeklagten das Messer weggenommen, es gegen ihn gerichtet und ihn aufgefordert habe zu gehen. Dadurch sei sowohl objektiv als auch aus Sicht des Angeklagten eine Erreichung des Taterfolges mit den bereits eingesetzten oder den zur Hand liegenden Mitteln nicht mehr möglich gewesen.

3. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar liegt ein fehlgeschlagener Versuch, von dem die Kammer bei ihrer rechtlichen Würdigung offenbar ausgeht, vor, wenn der Täter nach anfänglichem Misslingen des vorgestellten Tatablaufs nicht mehr glaubt, mit den bereits eingesetzten oder anderen bereitstehenden Mitteln die Tat noch vollenden zu können (BGHSt GSSt 39, 221, 228; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 24 Rn. 7 mwN). Entgegen der Auffassung der Strafkammer kam es hier jedoch nicht auf den Zeitpunkt an, in dem die Geschädigte dem Angeklagten das Messer bereits abgenommen und ihn zum Gehen aufgefordert hatte. Vielmehr ist zur Beurteilung eines möglichen Fehlschlags des Versuchs der Moment ausschlaggebend, indem der Angeklagte das Messer noch in der Hand hatte und es auf die Geschädigte richtete. In dieser Situation standen ihm noch alle Handlungsoptionen, nämlich die weitere Durchführung der Tat oder ihr Aufgeben, zur Verfügung. Dass er sich aufgrund des Verhaltens und der Äußerungen der Geschädigten das Messer aus der Hand nehmen ließ, begründet für sich allein kein Misslingen seines Tatplanes im Sinne eines fehlgeschlagenen Versuchs, sondern ist allenfalls unter dem Gesichtspunkt der Freiwilligkeit des Rücktritts zu prüfen. Denn der Grund, die Wegnahme des Nötigungsmittels zu dulden, kann sowohl ein Motiv autonomer wie nicht autonomer Natur gewesen sein. Die Urteilsgründe verhalten sich hierzu nicht.

Bezogen auf den für die rechtliche Bewertung eines Rücktritts vom Versuch maßgeblichen Zeitpunkt fehlt es in den Urteilsgründen allerdings an einer Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Angeklagte die weitere Ausführung der Tat freiwillig aufgegeben hat. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts kann der Senat den Feststellungen auch nicht ohne weiteres entnehmen, dass die Freiwilligkeit zu verneinen ist. Voraussetzung ist nach ständiger Rechtsprechung, dass der Täter die Ausführung seines Tatplans noch für möglich hält und nicht durch eine äußere Zwangslage an der Tatvollendung gehindert ist, die Tatvollendung aber gleichwohl aus selbstgesetzten Motiven nicht mehr erreichen will (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 24 Rn. 19 mN z. Rspr.).

Mit Rücksicht darauf, dass sich das Geschehen in der Wohnung der Geschädigten abspielte, liegt es nicht nahe, dass der mit einem Messer bewaffnete Angeklagte sich durch den Hinweis der Geschädigten auf die "vielen Nachbarn" an der Tatvollendung gehindert gesehen haben könnte. Dass der Angeklagte sich durch die Äußerung: "Ernsthaft, du willst mich jetzt mit dem Messer bedrohen", so "überraschen" ließ, dass die Geschädigte ihm langsam das Messer aus der Hand nehmen konnte, spricht ebenfalls nicht dafür, dass er keine andere Möglichkeit mehr sah, als von der Tat Abstand zu nehmen. Insoweit ist nicht ersichtlich, warum der Angeklagte nicht in der Lage gewesen sein sollte, das Messer in der Hand zu behalten und die Geschädigte weiter zu bedrohen, wenn er die Tat noch hätte vollenden wollen. Dass er sich das Messer - wenn er auch "dagegen hielt" - langsam und ohne einen Kampf oder ein Gerangel abnehmen ließ, lässt vielmehr die Möglichkeit offen, dass die Äußerungen der Geschädigten ihm Anlass zum Umdenken gegeben hatten. Dies würde für die Freiwilligkeit des Rücktritts sprechen (vgl. BGHSt 7, 299; NStZ-RR 2010, 366 f.). Dass der Angeklagte durch die Reaktion der Geschädigten "zur Besinnung" gekommen sein könnte, ist auch vor dem Hintergrund seiner schon zuvor gezeigten schwankenden Gemütsverfassung sowie der anschließenden Entschuldigung bei der Zeugin zumindest denkbar.

Der Senat kann auf der Grundlage der landgerichtlichen Feststellungen insgesamt nicht ausschließen, dass der Angeklagte aus autonomen Motiven und damit freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgegeben hat.

4. Die Sache bedarf daher zu Fall 2. der neuen Verhandlung und Entscheidung. Die Aufhebung des Schuldspruchs in diesem Fall führt zur Aufhebung des Ausspruches über die Gesamtstrafe.

HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 712

Externe Fundstellen: NStZ 2013, 639

Bearbeiter: Karsten Gaede