HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 739
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 556/13, Urteil v. 14.05.2014, HRRS 2014 Nr. 739
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 12. Juni 2013 im Fall II. 2 der Urteilsgründe sowie in den Maßregel- und Gesamtstrafenaussprüchen mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die Revision des Angeklagten B. wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat die Angeklagten B. und D. wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit Diebstahl in sieben rechtlich selbständigen Fällen jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt; außerdem hat es hinsichtlich beider Angeklagter die Unterbringung in der Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug von Freiheitsstrafe angeordnet. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die sich gegen die Verneinung von Mordmerkmalen im Fall II. 2 der Urteilsgründe richtet, hat Erfolg; das Rechtsmittel des Angeklagten B. bleibt dagegen erfolglos.
I. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts entschlossen sich die Angeklagten Ende November 2012, Kraftfahrzeuge aufzubrechen und daraus Radios oder andere Wertsachen zu entwenden, um diese später weiter zu verkaufen. Diesem Plan entsprechend hebelten sie in sieben Fällen in der Zeit vom 26. November 2012 bis 30. November 2012 in R. und anderen Orten Fahrzeugtüren auf, beschädigten dadurch die Kraftfahrzeuge und entwendeten daraus werthaltige Gegenstände (Autoradios, Handtasche mit EC-Karte).
2. Am 2. Dezember 2012 morgens um 4.15 Uhr verließen die Angeklagten, die beide im Laufe des vorangegangenen Abends Amphetamin und Alkohol zu sich genommen hatten, eine Diskothek in W. und fuhren mit dem Kraftfahrzeug des Angeklagten B. zur Wohnung der Ex-Freundin des Angeklagten D., G. Der Versuch des Angeklagten D., zur Zeugin G. in die Wohnung zu gelangen, scheiterte. Daraufhin rüttelte er an den Türgriffen in der Nähe abgestellter Fahrzeuge, um daraus eventuell Gegenstände zu entwenden. In diesem Augenblick näherte sich der Nebenkläger Z., der dies bemerkte und mit den Worten "Ihr seid ja Helden" kommentierte. Es kam zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen D. und dem Nebenkläger, die endete, als D. ihn aufforderte, "sich zu verpissen". Der Nebenkläger ging weiter; der Angeklagte B. war erstaunt, dass der Disput gewaltlos beendet worden war, und stichelte D. mit den Worten an "Willst Du Dir das gefallen lassen?". Der Angeklagte D. ging darauf hin an den Kofferraum des PKW und entnahm ihm einen Baseballschläger, den der Angeklagte B. am Vorabend dorthin gelegt hatte. Um den Nebenkläger, der sich zwischenzeitlich weiter entfernt hatte, aufmerksam zu machen, schlug der Angeklagte D. den Schläger mit Wucht auf den Boden, so dass er zerbrach. Das in der Hand verbliebene Griffstück warf er in ein Gebüsch, das keulenartige Schlagstück hob er auf, rannte dem Nebenkläger hinterher und trat ihm aus vollem Lauf mit einer "Grätsche" die Beine weg. Der von diesem Angriff überraschte Nebenkläger ging zu Boden und kam teilweise (UA 13) auf dem Angeklagten D. zu liegen. Zwischenzeitlich hatte auch der Angeklagte B. den Tatort erreicht. Er schlug zur Unterstützung seines Freundes D. dem Nebenkläger mit geballter Faust auf das linke Auge, wodurch er u.a. einen Orbitabruch erlitt. Der Angeklagte D. konnte sich nun aufrichten und schlug mit dem Rest des Baseballschlägers zweimal wuchtig auf den ungeschützten Hinterkopf des Nebenklägers ein, wodurch er ihm zwei klaffende Riss-Quetschwunden in der Kopfschwarte zufügte. Mit einem weiteren Schlag zerfetzte er ihm das linke Ohr. Dass diese Schläge auf den Kopf zum Tod des Nebenklägers hätten führen können, erkannte der Angeklagte D. und nahm es billigend in Kauf. Der Angeklagte B. ging bei seinem Faustschlag davon aus, dass D. auf den Kopf des Nebenklägers einschlagen würde, und billigte dies. Der Nebenkläger verlor das Bewusstsein und blieb regungslos liegen. Die beiden Angeklagten erkannten, dass dieser nicht in der Lage sein würde, sich selbst zu helfen. Sie ließen ihn dennoch am Tatort zurück, dies in dem Bewusstsein, dass er aufgrund der winterlichen Witterung binnen einer Stunde in die Gefahr eines Todes durch Unterkühlung geraten konnte. Auch dies nahmen sie billigend in Kauf. Der Nebenkläger wurde gegen 4.45 Uhr aufgefunden und ins Krankenhaus verbracht, wo er zwei Wochen stationär verblieb.
Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass bei beiden Angeklagten zur Tatzeit im Fall II. 2 der Urteilsgründe aufgrund einer ausgeprägten Mischintoxikation mittels Alkohol und Psychostimulantien nicht ausschließbar eine vorübergehende krankhafte seelische Störung vorgelegen habe und dadurch deren Steuerungsfähigkeit nicht ausschließbar erheblich vermindert gewesen sei.
Die Schwurgerichtskammer hat die Angeklagten im Fall II. 2 der Urteilsgründe wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, im Übrigen wegen Diebstahls in sieben Fällen verurteilt. Dabei ist sie davon ausgegangen, dass die Angeklagten sich auch wegen eines Totschlags durch Unterlassen strafbar gemacht haben, als sie den bewusstlosen Angeklagten am Tatort zurückgelassen haben. Mordmerkmale hat das Landgericht nicht feststellen können. Soweit niedrige Beweggründe in Betracht kämen, sei angesichts der erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit nicht festzustellen gewesen, dass sie erkannt hätten, dass ihre Beweggründe nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stünden und deshalb besonders verachtenswert seien. Im Hinblick auf das Merkmal der Heimtücke hat die Kammer ein bewusstes Ausnutzen einer Arglosigkeit und der gerade infolge der Arglosigkeit vorhandenen Wehrlosigkeit nicht feststellen können. Der Nebenkläger sei bereits durch die vorangegangene verbale Auseinandersetzung gewarnt gewesen und hätte es erst recht durch das Zerschlagen des Baseballschlägers sein können.
II. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat in vollem Umfang Erfolg.
1. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend in seiner Antragsschrift ausgeführt hat, ist die an sich unbeschränkt eingelegte Revision nach dem maßgeblichen Sinn der Revisionsbegründung, die die Verneinung von Mordmerkmalen durch das Landgericht beanstandet, wirksam auf den Schuld- und Strafausspruch im Fall II. 2 der Urteilsgründe, den Gesamtstrafenausspruch und die Maßregelanordnung beschränkt.
2. Die Ablehnung niedriger Beweggründe durch das Landgericht hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Die Strafkammer beschränkt sich bei ihrer rechtlichen Würdigung darauf, die subjektiven Voraussetzungen einer Tötung aus niedrigen Beweggründen zu verneinen, weil die Angeklagten in der konkreten Tatsituation, die durch eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit geprägt gewesen sei, nicht erkannt hätten, dass ihre Beweggründe nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stünden und deshalb besonders verachtenswert seien. Diese knappen Erwägungen knüpfen zwar der Sache nach an die nach der Rechtsprechung maßgeblichen Anforderungen an die subjektive Tatseite beim Merkmal der niedrigen Beweggründe an, wonach der Täter die tatsächlichen Umstände, welche die Niedrigkeit der Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung in sein Bewusstsein aufgenommen und erkannt haben sowie - auch bei affektiver Erregung und gefühlsmäßigen oder triebhaften Regungen wie Wut und Eifersucht - in der Lage gewesen sein muss, sie gedanklich zu beherrschen und zu steuern (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ 2013, 524). Sie machen freilich nicht hinreichend deutlich, in welcher Weise die nicht ausschließbare erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit sich auf die Fähigkeit ausgewirkt haben soll, die Umstände, die die Niedrigkeit der Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung zu erkennen. Erläuternde Ausführungen, die es nachvollziehbar erscheinen lassen, dass die beschriebene geistig-seelische Verfassung, die in erster Linie Einfluss auf das Steuerungsvermögen der Angeklagten hat, schon die Einsicht in die Niedrigkeit von Beweggründen versperrt haben könnte (vgl. etwa BGH NStZ 2004, 620, 621), lassen sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Sie geben vielmehr sogar Hinweise, dass dies gerade nicht der Fall war, wenn die Strafkammer ausführt, die Mischintoxikation habe die Fähigkeit der Angeklagten nicht erheblich beeinträchtigt, sich der Gefährlichkeit der Handlungen und ihrer Folgen bewusst zu werden (UA S. 34, 36).
Diese mangelhafte Ablehnung der subjektiven Tatseite führt zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II. 2 der Urteilsgründe. Der Senat kann nach den bisherigen Feststellungen nicht ausschließen, dass bei möglicher Annahme der objektiven Voraussetzungen dieses Mordmerkmals auch die subjektiven festgestellt werden können.
3. Auch die Verneinung des Mordmerkmals der Heimtücke begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Soweit die Strafkammer ausführt, der Nebenkläger sei durch die vorangegangene verbale Auseinandersetzung gewarnt gewesen und hätte es erst recht durch das Zerschlagen des Baseballschlägers sein können (UA S. 4), steht dies nicht in Einklang mit der an anderer Stelle getroffenen Feststellung, der Nebenkläger sei von dem Angriff "völlig überrascht" gewesen. Schon dieser Widerspruch bedingt die Fehlerhaftigkeit der landgerichtlichen Prüfung, die im Übrigen hinsichtlich der Ablehnung der subjektiven Komponente des bewussten Auswirkens der Arg- und Wehrlosigkeit an den gleichen Mängeln leidet wie bei den niedrigen Beweggründen. Es ist nicht dargetan, dass die Angeklagten infolge ihres Zustandes daran gehindert waren zu erkennen, mit ihrem Angriff einen durch seine Ahnungslosigkeit schutzlosen Menschen zu überraschen.
4. Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II.2 der Urteilsgründe entzieht ohne Weiteres den Gesamtstrafenaussprüchen die Grundlage und führt auch - da die Voraussetzungen des § 64 StGB lediglich hinsichtlich dieser Tat festgestellt worden sind - zum Wegfall des jeweiligen Maßregelausspruchs.
III. Die Revision des Angeklagten B. bleibt ohne Erfolg.
Schuld- und Rechtsfolgenausspruch halten entsprechend den Ausführungen des Generalbundesanwalts rechtlicher Nachprüfung stand. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf das Vorbringen der Revision, es fehle an ausreichenden Feststellungen zur mittäterschaftlichen Begehung der Tat durch den Angeklagten B. Ohne Rechtsfehler nimmt das Landgericht an, dass der Angeklagte B. dem Nebenkläger mit der Faust ins Gesicht geschlagen habe, und stützt darauf nachvollziehbar die Annahme von Mittäterschaft (UA S. 42).
HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 739
Externe Fundstellen: NStZ 2015, 391
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel