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HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 477

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 505/13, Beschluss v. 26.03.2014, HRRS 2014 Nr. 477


BGH 2 StR 505/13 - Beschluss vom 26. März 2014 (LG Darmstadt)

Mord (niedrige Beweggründe: Gesamtwürdigung der Tatumstände; gesonderte Prüfung bei Mittäterschaft).

§ 211 StGB; § 25 Abs. 2 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Auf das äußere „Tatbild“ einer brutalen Tötung allein kommt es für das Vorliegen niederer Beweggründe nicht an, sondern auf eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des jeweiligen Täters maßgeblichen Faktoren (vgl. BGHSt 47, 128, 131).

2. Mittäter einer vorsätzlichen Tötung können wegen Totschlags oder Mordes unterschiedlich beurteilt werden (vgl. BGHSt 36, 231, 233). Ein Handeln aus niedrigen Beweggründen ist für jeden Mittäter der vorsätzlichen Tötung gesondert zu prüfen.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten F. wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 16. Mai 2013, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch aufgehoben.

Auf die Revision der Angeklagten B. wird das vorgenannte Urteil, soweit es diese Angeklagte betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten F. wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Dagegen richten sich ihre Revisionen mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel der Angeklagten B. führt zur Urteilsaufhebung im Ganzen, soweit es sie betrifft. Das Rechtsmittel des Angeklagten F. hat nur hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts waren die Angeklagten Lebensgefährten, sie lebten unter Obdachlosen und waren alkoholabhängig. Am 30. April 2012 wurde ihnen in ihrer vorübergehenden Unterkunft ein Hausverbot erteilt. Sie luden ihre Habe in einen Einkaufswagen und verließen die Unterkunft, um zunächst gemeinsam mit anderen Obdachlosen die Zeit im Freien zu verbringen und dann in einer Unterführung zu übernachten. Der Angeklagte F. hatte den Verdacht, dass der zum Kreis der Obdachlosen gehörende S. an einem sexuellen Kontakt mit der Angeklagten B. interessiert sei. Deshalb war er eifersüchtig und aggressiv. Er drohte damit, den gehbehinderten S. umzubringen. Ein anderer Obdachloser konnte zunächst eine Eskalation verhindern. Nachdem sich die Angeklagten in eine nahe gelegene Unterführung zurückgezogen hatten, ging der stark alkoholisierte S. auf seinem Weg zu einem „Übernachtungscontainer“ auf die Unterführung zu, weil er dort Stimmen hörte. Der Angeklagte F. erkannte eine Gelegenheit, S. „mit dem Tode zu bestrafen“, nahm ihn in den „Schwitzkasten“ und versuchte, ihn durch Genickbruch zu töten. Dabei brach er ihm die Kehlkopfhörner sowie das Zungenbein und ließ das Opfer zu Boden fallen. Dann trat der Angeklagte F. den Bewusstlosen ins Gesicht, zog ihn gemeinsam mit der Angeklagten B. einige Meter von der Unterführung weg auf den gepflasterten Weg, wo er weiter auf Kopf und Oberkörper des Opfers eintrat. Durch die Tritte erlitt das Opfer umfangreiche Zertrümmerungen der Gesichtsknochen sowie Rippenbrüche, „wollte“ aber aus der Sicht des Täters „einfach nicht verrecken“. Die Angeklagte B. erkannte die mit Tötungsvorsatz ausgeführten Handlungen und befürchtete, dass sie erhebliche strafrechtliche Folgen für ihren Lebensgefährten haben könnten. Sie zerschlug eine kleine Flasche, nahm ein Bruchstück des Glases, trat an das Opfer heran und schnitt ihm mehrfach in 2 den Hals. Danach fühlte sie ihm den Puls, bis dieser nicht mehr spürbar war. Der Angeklagte F. trat auch danach noch auf das Opfer ein, holte einen Hammer und schlug dem bereits Verstorbenen damit mehrfach auf den Kopf.

2. Das Landgericht hat darin einen Mord durch den Angeklagten F. aus niedrigen Beweggründen gesehen. Die Angeklagte B. habe diesem „als Zeichen ihrer Solidarität bei der begonnenen Tötung des S. helfen“ wollen. Obwohl sie zu dem Opfer ein freundschaftliches Verhältnis unterhalten hatte, habe sie sich in der Tatsituation dazu berufen gefühlt, das Opfer zusammen mit ihrem Lebensgefährten zu Tode zu bringen. Das gesamte Tatbild, einschließlich der Tatvorgeschichte, der Persönlichkeit der Mitangeklagten, ihrer Beziehung zum Opfer und des Nachtatverhaltens, stehe nach allgemein sittlicher Wertung auf tiefster Stufe und sei deshalb verachtenswert. Daher sei auch ihre Tat als Mord aus niedrigen Beweggründen zu bewerten.

II.

1. Die Revision des Angeklagten F. gegen dieses Urteil ist unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet. Die Beweiswürdigung des Landgerichts zu seiner Tat ist rechtsfehlerfrei. Auch die Bewertung der Tat als Mord aus niedrigen Bewegründen ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Jedoch unterliegt der Strafausspruch gegen den Angeklagten F. der Aufhebung, weil das Landgericht versäumt hat, eine Strafmilderung nach § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB zu erörtern. Nach den Urteilsgründen hatte der Angeklagte F. mit seinen Angaben im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung wesentlich dazu beigetragen, dass die Tat der Angeklagten B., wie sie vom Landgericht festgestellt wurde, aufgedeckt werden konnte. Das hätte Anlass zur Prüfung der Strafmilderungsnorm gegeben, wie es der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 4. Oktober 2013 erläutert hat.

Die Feststellungen zum Strafausspruch gegenüber dem Angeklagten F. sind rechtsfehlerfrei getroffen worden und können aufrecht erhalten bleiben.

2. Die Revision der Angeklagten B. hat mit der Sachrüge Erfolg, weil die Urteilsgründe den gegen sie gerichteten Schuldspruch wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen nicht tragen. Sie lassen vielmehr besorgen, dass das Landgericht von einem falschen Maßstab ausgegangen ist.

Auf das äußere „Tatbild“ einer brutalen Tötung kommt es dafür nicht an, sondern auf eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des jeweiligen Täters maßgeblichen Faktoren (vgl. Senat, Urteil vom 19. Oktober 2001 - 2 StR 259/01, BGHSt 47, 128, 131). Auch ist die vom Landgericht hervorgehobene „Solidarität“ der Angeklagten B. mit dem Angeklagten F. nicht von Belang, weil eine Zurechnung des von dem Mittäter verwirklichten Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe nach § 25 Abs. 2 StGB nicht möglich ist. Mittäter einer vorsätzlichen Tötung können wegen Totschlags oder Mordes unterschiedlich beurteilt werden (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 1989 - 1 StR 479/88, BGHSt 36, 231, 233). Ein Handeln aus niedrigen Beweggründen ist für jeden Mittäter der vorsätzlichen Tötung gesondert zu prüfen. Daran sind die Überlegungen der Schwurgerichtskammer durch die Hervorhebung einer „Solidarität“ der Angeklagten B. mit ihrem Lebensgefährten zum Teil vorbeigegangen.

Im Übrigen hat das Landgericht Gesichtspunkte hervorgehoben, die eine Bewertung des Motivs als besonders verachtenswert nicht rechtfertigen. Aus der „Beziehung zum Opfer“ lässt sich für die Angeklagte B., die „ein freundschaftliches Verhältnis“ zu dem Getöteten gehabt hatte, kein niedriger Beweggrund ableiten. Insoweit ist auch die „Vorgeschichte der Tat“ ohne Aussagekraft.

Die Absicht der Angeklagten B., eine andere Tat, nämlich diejenige des Mittäters (vgl. Senat, Urteil vom 27. Januar 1956 - 2 StR 432/55, BGHSt 9, 180, 182), zu verdecken, hat das Landgericht unbeschadet seiner - auch nicht näher erläuterten - Feststellung, sie habe auch „zum Schutz ihres Lebensgefährten vor Strafverfolgung“ gehandelt, bei der rechtlichen Würdigung nicht zu Grunde gelegt.

HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 477

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2014, 203 ; StV 2015, 287

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel