hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 476

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 458/13, Urteil v. 19.03.2014, HRRS 2014 Nr. 476


BGH 2 StR 458/13 - Urteil vom 19. März 2014 (LG Limburg)

Alkoholbedingt verminderte Schuldfähigkeit.

§ 21 StGB

Entscheidungstenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Limburg (Lahn) vom 12. Juni 2013 wird als unbegründet verworfen.

2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

1. Die Verfahrensrüge, gegen deren Zulässigkeit bereits Bedenken bestehen, weil weder die als nicht ordnungsgemäß gerügte - protokollierte - ermittlungsrichterliche Belehrung noch das in Bezug genommene Schreiben des Verteidigers vom 27. Mai 2013 im Wortlaut mitgeteilt werden, bleibt jedenfalls aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 10. September 2013 ohne Erfolg.

2. Die Sachrüge hat ebenfalls keinen Erfolg; das Urteil des Landgerichts hält der materiellrechtlichen Prüfung stand.

a) Das Schwurgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

aa) Zwischen dem alkoholisierten Angeklagten und seiner ebenfalls alkoholisierten Ehefrau kam es am 2. Dezember 2012 gegen 02.00 Uhr zunächst zu einem "verbalen" Streit, in dessen Verlauf die Nebenklägerin den Angeklagten "beschimpfte und beleidigte ..., was diesen wiederum in Rage brachte" (UA S. 6). Nachdem beide "ins Straucheln" geraten und die Kellertreppe hinuntergefallen waren, ergriff der Angeklagte - "immer noch wütend über die Beleidigungen" - einen Spaten und schlug damit u.a. auf den Hinterkopf seiner Ehefrau ein; "hierbei schrie er in russischer Sprache ‚Ich bring Dich um'" (UA S. 6). Der Angeklagte wusste, dass die Nebenklägerin an einer Blutgerinnungsstörung leidet und damit ein erhöhtes Risiko eines Verblutens bestand. Er versetzte ihr zudem mehrere Faustschläge ins Gesicht.

Die zwischenzeitlich hinzugekommene 12jährige Tochter der Eheleute hielt den Angeklagten fest, um ihn "zu beruhigen"; der Angeklagte schubste sie weg und schlug weiter auf die Nebenklägerin ein. Als die Tochter die Treppe ins Erdgeschoss hinauflief, um die Polizei zu rufen, lief ihr der Angeklagte hinterher, nahm das Mobilteil des Telefons an sich und riss das Telefonkabel aus der Wand.

Die Nebenklägerin hatte sich inzwischen in einen Kellerraum eingeschlossen und war von dort in den Garten geflüchtet. Der Angeklagte, der wieder in den Keller gelaufen war, folgte der Nebenklägerin in den Garten, nachdem er die Tür zum Kellerraum eingetreten hatte. Er holte sie im Garten ein, packte sie von hinten und zerrte und schleifte sie durch den verschneiten Garten bis zur Kellertreppe. "Er setzte sich mit der stark blutenden Nebenklägerin auf die Kellertreppe" und "erkannte, dass er die Tat nicht werde verbergen können" (UA S. 7). Er gab der Nebenklägerin das Mobilteil des Telefons, begab sich zurück in das Reihenhaus, entledigte sich seiner blutigen Kleidung, duschte und verließ schließlich barfuß und mit nackten Oberkörper das Haus; zwischenzeitlich erschienene Polizeibeamte nahmen den Angeklagten sodann fest.

bb) Das Landgericht hat die Tat als gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB) gewertet; vom versuchten Totschlag sei der Angeklagte strafbefreiend zurückgetreten.

Die sachverständig beratene Schwurgerichtskammer ist von "voller Schuldfähigkeit" (UA S. 24) des Angeklagten ausgegangen. Seine Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von maximal 2,07‰ habe nicht zu einer alkoholbedingten Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit geführt. Denn der - nur gelegentlich Alkohol konsumierende - Angeklagte habe situationsadäquat und zielgerichtet gehandelt. Eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung "in Form eines hochgradigen" Affekts (UA S. 25) habe nicht bestanden. Gegen eine solche tiefgreifende Bewusstseinsstörung spreche der "erhalten gebliebene Überblick" (UA S. 25) des Angeklagten, der seine aggressiven Tathandlungen gegenüber der Nebenklägerin unterbrochen habe, um seine Tochter davon abzuhalten, die Polizei telefonisch zu verständigen. "Bei dem Angeklagten finde sich auch keine schwere Erschütterung im Nachtatverhalten" (UA S. 25); zudem sei sein "Erinnerungsvermögen an den Tatablauf" vorhanden (UA S. 25 f.).

b) Der Schuldspruch weist keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.

c) Der Strafausspruch ist von Rechts wegen ebenfalls nicht zu beanstanden.

Insbesondere die Annahme voller Schuldfähigkeit begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Strafkammer hat eine allein alkoholbedingt verminderte Steuerungsfähigkeit nachvollziehbar abgelehnt. Die knappen, aber noch ausreichenden Urteilsausführungen lassen auch im Übrigen nicht besorgen, dass das Landgericht einzelne für bzw. gegen die Annahme eines schuldrelevanten Affekts sprechende Indizien übersehen oder falsch gewichtet hat. Der Senat kann auch ausschließen, dass die Strafkammer eine affektbegünstigende Auswirkung der Alkoholisierung des Angeklagten übersehen haben könnte.

HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 476

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel