HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 985
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 190/13, Urteil v. 25.09.2013, HRRS 2013 Nr. 985
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 17. Oktober 2012 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung (Fall B.I.2. der Urteilsgründe) und wegen Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung (Fall B.I.1. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die gegen den Teilfreispruch gerichtete und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird, ist unbegründet.
1. Der Verurteilung des Angeklagten liegen folgende Feststellungen des Landgerichts zugrunde:
Am Nachmittag des 27. März 2012 legte der Angeklagte in einem Einkaufsmarkt zur Bezahlung mehrerer Packungen Zigaretten nacheinander zwei Bankkarten vor, die in der Nacht zuvor dem Geschädigten R. bei einem Überfall abhandengekommen waren. Bei Vorlage der ersten Karte forderte das Zahlungssystem die PIN an. Da der Angeklagte diese nicht kannte, legte er die zweite Karte vor. Das Zahlungssystem verlangte nun die Unterschrift des Karteninhabers, weshalb der Angeklagte auf der Rückseite des Kassenbons mit dem Namen "R." unterschrieb. Nachdem ein Mitarbeiter nunmehr den Personalausweis des Angeklagten sehen wollte, ergriff dieser mit dem ihm im Vertrauen auf eine Bezahlung bereits ausgehändigten Zigaretten die Flucht (Fall B.I.1. der Urteilsgründe).
Am Abend desselben Tags gegen 23.28 Uhr überfiel der 1,90 m große, kräftig gebaute und mit fränkischem Akzent sprechende Angeklagte zusammen mit einem deutlich kleineren und schmächtigeren, bislang unbekannten Mittäter eine Spielhalle. Der Angeklagte erzwang unter Vorhalt einer Machete die Herausgabe von rund 800 Euro, während sein Mittäter mit zwei mitgeführten Handfeuerwaffen die Gäste bedrohte. Der Angeklagte trug einen roten, vor das Gesicht gezogenen Schal, eine schwarze Baseballkappe mit rotem Schirm, eine auffällige rotschwarze Jacke, eine schwarze Jogginghose und rote Schuhe (Fall B.I.2. der Urteilsgründe).
2. Die Anklage hat dem Angeklagten darüber hinaus zur Last gelegt, in der Nacht zuvor, am 26. März 2012, zusammen mit einem unbekannten Mittäter die Zeugen R. und C. unter Vorhalt zweier Schusswaffen zur Herausgabe mehrerer Bankkarten, eines Mobiltelefons sowie Bargelds gezwungen zu haben.
a) Nach den insoweit getroffenen Feststellungen des Landgerichts traten am 26. März 2012 nach 23.30 Uhr zwei Personen mit jeweils einer Handfeuerwaffe bewaffnet an das Fahrzeug der Zeugen R. und C. heran und erzwangen unter anderem die Herausgabe zweier Bankkarten des Zeugen R. und des Mobiltelefons des Zeugen C. Der erste Täter trug einen dunklen Pullover mit einer über den Kopf gezogenen Kapuze und ein Tuch vor dem Mund. Der Zeuge R. beschrieb ihn als 1,80 m groß oder größer und gab an, der Täter habe mit russischem Akzent gesprochen. Der zweite Täter trug eine schwarze weite Jogginghose, dunkle Kleidung und einen Pullover, dessen Kapuze über eine Baseballkappe gezogen war. Er war kleiner als 1,90 m und breit gebaut.
Das bei dieser Tat dem Zeugen C. abhandengekommene Mobiltelefon loggte sich noch in der gleichen Nacht um 0.51 Uhr in eine Funkzelle ein, die den Bereich um die Wohnung des Angeklagten abdeckt. Am nächsten Tag versuchte der Angeklagte, wie oben bereits dargestellt, mit zwei der dem Zeugen R. bei dem Überfall abhandengekommenen Bankkarten in einem Einkaufsmarkt zu zahlen (Fall B.I.1. der Urteilsgründe). Am 31. März 2012 verkaufte der Angeklagte das Mobiltelefon an einen Dritten.
b) Das Landgericht hat sich nach einer Gesamtbetrachtung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Indizien im Hinblick auf verbleibende Zweifel nicht die Gewissheit von der Täterschaft des Angeklagten verschaffen können und ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
Die Einlassung des Angeklagten, er habe in der Tatnacht das Mobiltelefon wie auch die Bankkarten in der A. Innenstadt von einem ihm flüchtig bekannten Drogenabhängigen als Gegenleistung für vier Bubbels Heroin entgegen genommen, hat das Landgericht als nicht völlig lebensfremd und unter Berücksichtigung des dafür zur Verfügung stehenden Zeitfensters und der Entfernungen zwischen Tatort, Innenstadt und Wohnung des Angeklagten als möglich gewertet. Zwar spreche eine Vielzahl von Indizien gegen den Angeklagten. Diese seien jedoch entweder wenig aussagekräftig oder ebenso gut mit der Einlassung des Angeklagten in Einklang zu bringen.
Die gegen den Teilfreispruch gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet.
1. Die Verfahrensrüge, das Landgericht habe entgegen § 261 StPO einen in die Hauptverhandlung nicht eingeführten Busfahrplan verwertet, ist jedenfalls unbegründet. Das Landgericht hat aus dem Umstand, dass die Täter auch die Herausgabe der Autoschlüssel des Zeugen R. gefordert hatten, nicht schließen können, dass die Täter über keine eigene Fahrgelegenheit in die A. Innenstadt verfügten. Genauso gut sei denkbar, dass die Täter die Autoschlüssel nur wegwerfen wollten, um eine Verfolgung durch die Zeugen zu verhindern. Lediglich ergänzend hat das Landgericht insoweit auf den "aktuellen" - mithin den zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung gültigen - Busfahrplan Bezug genommen, nach dem es "sogar" einen vom Tatort erreichbaren Bus um 23.43 Uhr in die A. Innenstadt gibt. Der Senat kann daher ausschließen, dass das Urteil auf dieser Erwägung beruht.
2. Der Teilfreispruch hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand. Die ihm zugrundeliegende Beweiswürdigung lässt - entgegen dem Revisionsvorbringen - keine durchgreifenden Rechtsfehler erkennen. Das Landgericht hat alle nahe liegenden wesentlichen Beweistatsachen gesehen und rechtfehlerfrei in eine Gesamtwürdigung eingestellt.
Soweit die Revision rügt, das Landgericht habe die Übereinstimmungen zwischen den beiden verfahrensgegenständlichen Überfällen nicht ausreichend gewürdigt, zeigt dies keinen Rechtsfehler auf. Der hier bedeutsame Gesichtspunkt, dass bei beiden Überfällen ein Zeuge angegeben hatte, einer der Täter habe mit russischem Akzent gesprochen, ist in die Bewertung des Landgerichts eingeflossen. Dies ergibt sich schon aus der Bezugnahme auf Fall B.I.2. der Urteilsgründe. Das Gericht musste sich auch vor dem Hintergrund, dass beide Überfälle von zwei Tätern mit zwei Handfeuerwaffen ausgeführt wurden und dass jeweils einer der Täter eine schwarze Jogginghose sowie eine Baseballkappe trug, nicht zu weitergehenden Erörterungen gedrängt sehen. Bei diesen Übereinstimmungen handelte es sich weder um spezifische Umstände der Tatausführung noch um besonders auffällige oder ungewöhnliche Kleidungsstücke.
Schließlich hat das Landgericht auch keine überspannten Anforderungen an seine zur Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt. Zwar hat es insofern missverständlich formuliert, die feststellbaren Indizien ließen auch bei einer umfassenden Würdigung nicht den "sicheren" Schluss auf eine Täterschaft des Angeklagten zu. Die Zweifel, die dem Gericht nach abschließender Gesamtwürdigung verblieben sind, gründeten indes nicht auf rein denktheoretischen Möglichkeiten, sondern maßgeblich darauf, dass dem Gericht die Einlassung des Angeklagten zwar ungewöhnlich, aber nicht völlig lebensfremd erschienen ist.
HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 985
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel