HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 752
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 176/13, Urteil v. 17.07.2013, HRRS 2013 Nr. 752
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 15. November 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die die Verneinung des Tötungsvorsatzes durch die Schwurgerichtskammer beanstandet, hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts verbrachten der aus Litauen stammende Angeklagte und seine Verlobte mit weiteren Bekannten den Abend in einer russischen Bar unweit seiner Wohnung. Etwa eine Stunde nach Mitternacht besuchte auch der Geschädigte Z. mit drei litauischen Landsleuten, die im selben Mehrfamilienhaus wie der Angeklagte lebten, die Bar. In der Folgezeit unterhielt man sich und trank gemeinsam Bier, Wodka und Tequila. Als die Bar um 3.00 Uhr morgens schloss, verabredeten der Angeklagte, seine Verlobte und eine Bekannte mit den vier anderen Personen, in deren Appartement noch weiter zu feiern. Der Angeklagte, der mit seiner Verlobten zuvor noch in seine Wohnung ging, um etwas zu trinken zu holen, geriet mit ihr aus ungeklärten Gründen in Streit und ging sodann gegen 3.45 Uhr allein in das Appartement seiner vier Landsleute. Dort trank man - nachdem auch die Bekannte sich in die Wohnung des Angeklagten zurückgezogen hatte - weiter Bier und Wodka. Dabei erzählte der Angeklagte unter anderem, dass es im Lager seiner Möbelfirma Möglichkeiten gäbe, bei einmaliger Bezahlung mehrfach Waren aus dem Lager abzuholen. Dem trat das spätere Opfer Z. mit dem Hinweis entgegen, man sei in Deutschland zum Arbeiten und wolle mit solchen Dingen nichts zu tun haben.
Gegen 5.00 Uhr morgens schlief der Angeklagte ein. Z. weckte ihn und wollte ihn dazu bewegen, nach Hause zu gehen. Dabei wirkte der Angeklagte unzufrieden, ging dann aber doch in seine Wohnung, wobei der Grund seiner Missstimmung ungeklärt blieb. Dort stellte er fest, dass sich seine Verlobte nicht mehr in der Wohnung befand. Er kehrte darauf hin zum Appartement seiner Landsleute zurück und klingelte dort. Das Tatopfer Z. öffnete die Tür und sah den Angeklagten, wie er den Boden absuchte. Auf Nachfrage, was er dort mache, antwortete dieser wahrheitswidrig, dass er seinen Schlüssel vergessen haben müsse. Nachdem er den Geschädigten erkannt hatte, richtete er sich unvermittelt auf, bedeutete, er habe ihn gefunden, und rammte dem Opfer ein Messer in den Bauch. Z., der eine 6-8 cm tiefe Stichverletzung im Bereich des rechten Oberbauches erlitt, stieß einen Seufzer aus und schloss die Tür. Der Geschädigte erlitt eine Perforation des Dickdarms sowie eine Verletzung des Dünndarmgekröses, die potentiell akut lebensgefährlich war und ohne sofortige, operative Versorgung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Tod des Opfers geführt hätte. Der Angeklagte flüchtete und wurde gegen 13.00 Uhr am Tattag festgenommen. Daraufhin entnommene Blutproben ergaben im Wege der Rückrechnung eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,88‰ und maximal 2,97‰ zum Tatzeitpunkt.
2. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Von einer Bestrafung wegen eines Tötungsdeliktes hat es abgesehen, weil es einen Tötungsvorsatz nicht feststellen konnte. Die Kammer konnte sich schon nicht vom Vorliegen des Wissenselementes des Tötungsvorsatzes überzeugen. Trotz der äußerst gefährlichen Gewalthandlung, die der Angeklagte mit seinem Messerstich vorgenommen habe, sei angesichts der erheblichen Alkoholisierung des Angeklagten und eines fehlenden Motivs, das den Angriff auf das Tatopfer erklären könnte, nicht anzunehmen, dass der Angeklagte die Gefahr der Tötung des Geschädigten erkannt habe. Im Übrigen seien keine hinreichenden Feststellungen zu treffen gewesen, dass der Angeklagte einen als möglich und nicht ganz fernliegend erkannten Eintritt des Todes auch gebilligt habe.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Erwägungen, mit denen die Strafkammer einen bedingten Tötungsvorsatz abgelehnt hat, begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, wenn sie möglich sind. Ein revisionsgerichtliches Eingreifen ist erst dann veranlasst, wenn dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.).
Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (vgl. BGH NStZ 2012, 443, 444). Dabei ist die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator. Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt die Annahme von zumindest bedingtem Tötungsvorsatz nahe (st. Rspr.; BGH NStZ 2011, 338 f.). Gleichwohl können das Wissens- oder Willenselement des Vorsatzes im Einzelfall fehlen, etwa wenn dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko einer Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung oder alkoholischen Beeinflussung zur Tatzeit nicht bewusst ist (vgl. BGH NStZ 2012, 151). Im Rahmen der Prüfung, ob ein Tötungsvorsatz festzustellen ist, hat das Gericht eine umfassende Gesamtwürdigung von Täter und Tatumständen vorzunehmen und dabei in seine Erwägungen alle Umstände einzubeziehen, die für oder gegen einen Tötungsvorsatz sprechen könnten.
2. Eine solche umfassende Gesamtwürdigung hat das Landgericht schon bei der Verneinung des Wissenselementes nicht vorgenommen. Die Kammer führt lediglich aus, dass erhöhte Anforderungen an die Feststellungen zur inneren Tatseite gelten, wenn ein einsichtiger Grund für eine so schwere Tat wie die (versuchte) Tötung eines Menschen fehle, und begnügt sich sodann mit der Feststellung, dass das Motiv des Angeklagten nicht habe aufgeklärt werden können. Zudem verweist das Landgericht auf die erhebliche Alkoholisierung. Dabei lässt die Strafkammer einen maßgeblichen Umstand unberücksichtigt, der der Tat ihr wesentliches Gepräge gibt. Nach den Feststellungen ist der Angeklagte überlegt und zielgerichtet vorgegangen. Da er nicht wusste, wer von den vier Landsleuten nach dem Klingeln die Tür öffnen würde, gab er zunächst vor, am Boden nach seinen tatsächlich nicht verlorenen Schlüsseln zu suchen, um den Öffnenden identifizieren zu können. Anschließend stach er mit einem Messer zu und fügte dem Tatopfer dabei eine 3 cm lange und etwa 6-8 cm tiefe Stichverletzung im Bereich des rechten Oberbauchs zu. Ihm kam es dabei nach der ausdrücklichen Feststellung der Strafkammer darauf an, "konkret den Zeugen Z." zu verletzen (UA S. 11). Wieso der Angeklagte bei diesem geplanten Vorgehen die Gefahr der Tötung des ausgewählten Tatopfers nicht erkannt haben soll, hätte das Landgericht trotz der Alkoholisierung des Angeklagten ausdrücklich erörtern müssen.
Hinzu kommt, dass - worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hinweist - die Beweiswürdigung, mit der die Strafkammer das Vorliegen eines Tatmotivs verneint, nicht nachvollziehbar und damit widersprüchlich ist. Zum einen geht sie davon aus, dass der Angeklagte das Tatopfer verletzten wollte, weil dieser im Laufe des Abends als Wortführer aufgetreten war, der Angeklagte sich speziell von diesem nicht ernst genommen gefühlt hatte und in seinem Stolz verletzt war (UA S. 11). Zum anderen sehen sie in "allenfalls kleineren Unstimmigkeiten mit dem Tatopfer" keinen "Beweggrund" für die Tat (UA S. 17). Dies ist miteinander unvereinbar.
HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 752
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2013, 341
Bearbeiter: Karsten Gaede