HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 44
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, AK 32/12, Beschluss v. 14.11.2012, HRRS 2013 Nr. 44
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.
Der Beschuldigte wurde aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 25. April 2012 (6 BGs 70/12) am 27. April 2012 festgenommen und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft.
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe unter dem Decknamen "H." als hauptamtlicher Kader der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) und ihrer Europaorganisation "Kurdische Demokratische Volksunion" (YDK) von Juni 2003 bis Juni 2004 in Deutschland den PKK-Sektor Mitte sowie nach einem Aufenthalt im Nordirak von Mai 2005 bis Juni 2007 das "Wirtschafts- und Finanzbüro" (EMB) der PKK in Europa von Juni 2007 bis zu einer vorläufigen Festnahme in Belgien am 4. März 2010 geleitet. Dadurch habe er sich als Mitglied an einer Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt, deren Zwecke oder Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB).
Das Bundesministerium der Justiz hat am 4. Mai 2012 die Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung bereits begangener und künftiger Taten des Beschuldigten im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für die PKK und ihrer Europaorganisation CDK erteilt (§ 129b Abs. 1 Satz 3 StGB).
Die Voraussetzungen der Untersuchungshaft und ihrer Fortdauer über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Der Beschuldigte ist der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland dringend verdächtig.
a) Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt auszugehen:
aa) Die PKK wurde 1978 u.a. von Abdullah Öcalan in der Türkei als Kaderorganisation mit dem Ziel gegründet, einen kurdischen Nationalstaat unter ihrer Führung zu schaffen. Zur Verwirklichung dieses Plans initiierte die PKK verschiedene Organisationen, die mehrfach ihre Bezeichnung wechselten. So besteht seit 2007 - unter dieser Bezeichnung - die "Koma Civaken Kurdistan" (KCK, "Vereinigte Gemeinschaften Kurdistan"), die staatliche Attribute beansprucht und sich laut ihrem grundlegenden Abkommen als "demokratisches, kommunalistisch-konföderales System" versteht. Die "Civaka Demokratik a Kurdistan" (CDK, "Kurdische Demokratische Gesellschaft in Europa"), die letztlich der KCK-Führung untergeordnet und aus der YDK ("Kurdischen Demokratischen Volksunion") entstanden ist, dient dazu, die in Europa lebenden Kurden zu organisieren. Unterhalb der Führungsebene ist Europa in Sektoren, Gebiete, Räume und Stadtteile eingeteilt.
Die KCK ist, ebenso wie die PKK, auf die Person von Abdullah Öcalan ausgerichtet. Daneben geschieht die Willensbildung etwa über den "Kongra Gele Kurdistan" (Kongra Gel, "Volkskongress Kurdistans") und den KCK-Exekutivrat. Die Führungskader folgen grundsätzlich dieser Willensbildung und setzen die getroffenen Entscheidungen um. Zur Überprüfung haben sie regelmäßig der übergeordneten Ebene Bericht über ihre Tätigkeit zu erstatten.
bb) Die KCK bewertet im Rahmen der "Selbstverteidigung" einen Guerillakrieg als legitimes Mittel. Zu ihrem System gehören auch die "Hezen Parastina Gel" (HPG, "Volksverteidigungskräfte"), die nach dem Willen der Führung handeln. Die HPG verübten vor allem im Osten der Türkei Anschläge gegen türkische Soldaten sowie Polizisten und töteten dabei eine Vielzahl von diesen. Sie bekannten sich beispielsweise im Jahr 2010 zu diversen Anschlägen mit mindestens vierzig Todesopfern.
Für verschiedene Anschläge, die ebenfalls von dem Kommando der HPG unterstehenden Einheiten begangen wurden, übernahmen nicht die HPG, sondern die "Teyrebazen Azadiya Kurdistan" (TAK, "Freiheitsfalken Kurdistans") nach außen die Verantwortung. Die PKK/KCK bezweckt damit, sich offiziell insbesondere von denjenigen Anschlägen distanzieren zu können, bei denen Zivilpersonen zu Schaden kommen und die über das in Anspruch genommene "Selbstverteidigungsrecht" hinausgehen.
cc) Der Beschuldigte war jedenfalls ab Juni 2003 als Führungskader in die dargestellte Organisation von PKK sowie KCK eingebunden und förderte diese.
(1) Von Juni 2003 bis Juni 2004 leitete der Beschuldigte den Sektor (Deutschland-) Mitte. Dazu stand er mit der übergeordneten Europaführung einerseits und den untergeordneten Gebietsverantwortlichen andererseits in regelmäßigem Kontakt und reichte Anweisungen sowie Berichte weiter. Dies umfasste auch finanzielle Belange, etwa die Beteiligung an "Spendenkampagnen".
(2) Im Mai 2005 reiste der Beschuldigte nach Irak und hielt sich im Folgenden unter anderem im Norden des Landes bei paramilitärischen Einheiten der PKK auf.
(3) Seit Sommer 2007 leitete der Beschuldigte das an die Europaführung der CDK angebundene "Wirtschafts- und Finanzbüro" (EMB). Als solcher nahm er unter anderem Gelder entgegen und verwaltete diese.
b) Hinsichtlich des vorstehenden Sachverhalts ergibt sich der dringende Tatverdacht aus sichergestellten Unterlagen, der Auswertung überwachter Telekommunikation, öffentlichen Verlautbarungen der Organisationen und zahlreichen Zeugenaussagen.
Danach besteht aufgrund der in diesem Ermittlungsverfahren vorliegenden neueren Erkenntnisse insbesondere auch eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass die TAK an die Organisationsstrukturen der PKK/KCK angebunden sind. Der Senat hatte dies in früheren Entscheidungen in anderen Verfahren im Hinblick auf die dortige jeweilige Beweislage offengelassen (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 16. Februar 2012 - AK 1/12 u.a., juris Rn. 19; vom 19. April 2012 - AK 9/12, Rn. 14). Die gegenwärtige Beweissituation in dem hiesigen Verfahren enthält indes deutliche Hinweise auf eine Anbindung der TAK an die PKK/KCK und die Kenntnis des Beschuldigten hiervon. So hat beispielsweise der im Juni 2012 vom Generalbundesanwalt vernommene Zeuge Z., der Gründer und spätere Inhaber sowie Generaldirektor des Senders R., bekundet, die TAK seien eine Unterorganisation der PKK und erhalte die Anweisungen für ihre Anschläge von der Führungsebene der HPG. Dies sei in den einschlägigen Kreisen allgemein bekannt. Der Grund hierfür bestehe darin, dass die PKK sich von den zivilen Anschlagszielen der TAK distanzieren wolle, um nicht im Lichte des Terrorismus zu erscheinen (SA I.6, Bl. 2, 14 ff.). Diese Aussage wird etwa durch den Inhalt mehrerer weiterer Vernehmungen bestätigt, die in der Türkei durchgeführt und im Wege der Rechtshilfe an die deutschen Strafverfolgungsbehörden übermittelt worden sind. So hat zum Beispiel die Zeugin K. erklärt, die TAK seien im Jahr 2005 aufgrund eines Vorschlags von E. auf einem Kongress der HPG mit dem Ziel gegründet worden, durch eine Einheit innerhalb der Organisation "Aktionen durchzuführen, [...] die in ihrer Anwendung im Widerspruch zu der Notwehr-Strategie stehen" (SA V.3.3.1, Bl. 448). Diese unter dem Namen TAK operierende Aktionseinheit sei der Befehlsgewalt der Spezialeinheit und der HPG unterstellt. In ähnlicher Weise spricht eine Vielzahl weiterer Aussagen, wie zum Teil in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 16. Oktober 2012 dargelegt, für eine Anbindung der TAK an die HPG und damit an die PKK/KCK.
Somit reicht die sich aus dem Akteninhalt ergebende aktuelle Beweislage aus, um bei der im derzeitigen Verfahrensstadium im Rahmen der Haftfortdauerentscheidung gebotenen vorläufigen Würdigung im Sinne eines dringenden Tatverdachts eine Verbindung zwischen TAK und PKK anzunehmen. Der Senat sieht jedoch Anlass, insoweit ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass gerade vor dem Hintergrund der Besonderheiten der hiesigen Beweissituation - etwa dem Umstand, dass die Zeugen überwiegend im Ausland vernommen worden sind - es Aufgabe des Tatgerichts sein wird, den Wert der einzelnen Beweismittel aufgrund des Ergebnisses der in der Hauptverhandlung durchzuführenden Beweisaufnahme abschließend zu beurteilen.
c) Insgesamt liegt eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür vor, dass sich der Beschuldigte wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar gemacht hat.
Nach dem Ermittlungsstand stellt die von der PKK initiierte Verbandsstruktur eine Vereinigung dar, bei der sich der einzelne entsprechend den intern bestehenden Regeln unter den Gruppenwillen unterordnet. Sie ist angesichts des von ihr in Anspruch genommenen - indes nicht gegebenen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 2012 - AK 1/12 u.a., juris Rn. 18) - "Selbstverteidigungsrechts" und der durch ihre weiteren Unterorganisationen, die HPG und die TAK, verübten Anschläge darauf ausgerichtet, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen.
2. Es bestehen die Haftgründe der Flucht- und der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 3 StPO), wie im Haftbefehl zutreffend dargelegt worden ist. Der Zweck der Untersuchungshaft kann nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug erreicht werden (§ 116 StPO).
3. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Mit Blick auf den besonderen Umfang und die besondere Schwierigkeit der Ermittlungen ist das Verfahren mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden. So sind etwa Informationen im Wege der Rechtshilfe mit Belgien zu beschaffen gewesen. Dort ist der Beschuldigte im März 2010 in einer Wohnung vorläufig festgenommen worden, in der sich nach dem Ermittlungsstand das Büro der EMB befand. Auf ein (weiteres) Rechtshilfeersuchen vom 15. Juni 2012 haben die belgischen Behörden mit Schreiben vom 23. August 2012 geantwortet. Im Folgenden sind die sich daraus ergebenden Erkenntnisse ebenso auszuwerten gewesen wie die umfangreichen Beweismittel zur Struktur der PKK im Hinblick auf den hier Beschuldigten.
4. Schließlich steht der weitere Vollzug der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Der Senat geht - entsprechend der Einschätzung des Generalbundesanwalts - allerdings davon aus, dass die Anklage noch in diesem Jahr fertiggestellt und im Januar 2013 erhoben werden kann.
HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 44
Bearbeiter: Christian Becker