HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 345
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 453/12, Urteil v. 30.01.2013, HRRS 2013 Nr. 345
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 29. März 2012 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das oben genannte Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit er verurteilt worden ist.
3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in drei Fällen sowie wegen sexueller Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Von einem weiteren Vorwurf der Vergewaltigung hat es den Angeklagten freigesprochen. Die Revision der Staatsanwaltschaft richtet sich gegen diesen Freispruch, diejenige des Angeklagten gegen seine Verurteilung. Beide Rechtsmittel haben Erfolg.
Nach den Feststellungen des Landgerichts war die Nebenklägerin, die Zeugin G., im Hause des Angeklagten als Reinigungskraft und Haushaltshilfe beschäftigt. Im Zusammenhang mit ihrem Aufenthalt dort kam es zwischen Dezember 2007 und Oktober 2008 zu sexuellen Übergriffen des Angeklagten. Im Einzelnen:
1. Im Dezember 2007 packte der Angeklagte die Nebenklägerin, drückte sie gegen einen Schrank und manipulierte gegen ihren Willen an ihren Brüsten.
2. Im Januar 2008 presste der Angeklagte die Zeugin G. gegen eine Wand im Badezimmer, fasste gegen ihren Willen in ihre Hose und in den Slip, manipulierte an ihrem Geschlechtsteil und drang sodann mit zwei Fingern in ihre Scheide ein.
3. Im Zeitraum zwischen Februar und Juni 2008 drückte der Angeklagte die Nebenklägerin an die Tür zum Gäste-WC. Anschließend manipulierte er wie im vorangegangenen Fall gegen ihren Willen an ihrem Geschlechtsteil und drang wiederum mit zwei Fingern in ihre Scheide ein.
4. Am 2. Oktober 2008 drückte der Angeklagte die Zeugin G. gegen die Waschmaschine im Hauswirtschaftsraum, riss ihr T-Shirt und BH hoch und küsste ihre unbedeckten Brüste. Nachdem er an der Haustür ein Paket in Empfang genommen hatte, drückte er die immer noch im Hauswirtschaftsraum befindliche Nebenklägerin gegen die Wand und fasste ihr erneut ans Geschlechtsteil, wobei er mit den Fingern in ihre Scheide eindrang.
Wegen dieser Taten hat das Landgericht den bestreitenden Angeklagten verurteilt, weil es die diesbezüglichen Angaben der Nebenklägerin für glaubhaft erachtet hat.
Soweit dem Angeklagten darüber hinaus zur Last gelegt worden war sich im Juni 2008 einer Vergewaltigung schuldig gemacht zu haben, weil er die Zeugin G. im Schlafzimmer auf das Bett geworfen und gegen ihren Willen mit seinem erigierten Penis in ihre Scheide eingedrungen sei, hat ihn das Landgericht aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Zwar habe die Nebenklägerin in ihrer glaubhaften Aussage bestätigt, dass es gegen ihren Willen zum Geschlechtsverkehr gekommen sei. Da aber nach den ebenso glaubhaften Angaben des Zeugen Dr. L. sowie des Sachverständigen Dr. Gr. feststehe, dass weder auf natürlichem Weg noch mit medikamentöser Hilfe bei dem Angeklagten zum fraglichen Zeitpunkt eine Erektion herbeigeführt werden konnte, könne ausgeschlossen werden, dass sich die Tat in der ihm vorgeworfenen Vorgehensweise ereignet habe. Ob der Angeklagte technische Hilfsmittel benutzt habe, sei nicht festzustellen gewesen; die Verwendung eines Penisgürtels bleibe danach reine Spekulation.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
Der Freispruch vom Vorwurf der Vergewaltigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Das Urteil entspricht nicht den Anforderungen an die Gründe eines freisprechenden Urteils (§ 267 Abs. 5 Satz 1 StPO). Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen sind grundsätzlich zunächst in einer geschlossenen Darstellung diejenigen Tatsachen festzustellen, die der Tatrichter in Bezug auf den gegen den Angeklagten erhobenen Schuldvorwurf für erwiesen erachtet, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen - zusätzlichen - Feststellungen nicht getroffen werden können (st. Rspr., vgl. BGHR StPO, § 267 Abs. 5 Freispruch 2, 5 mwN). Zwar ist eine Darstellung in allen Einzelheiten regelmäßig nicht erforderlich. Jedoch müssen die Urteilsgründe das Revisionsgericht in die Lage versetzen, nachzuprüfen, ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht. Dies ist hier nicht der Fall.
Es fehlt schon an der eindeutigen Mitteilung derjenigen Tatsachen, die das Landgericht für erwiesen hält. So geht die Kammer zwar davon aus, dass die Angabe der Nebenklägerin, es sei gegen ihren Willen zum Geschlechtsverkehr gekommen, glaubhaft sei. Inwieweit das Landgericht die von ihm mitgeteilten Tatumstände aber tatsächlich als belegt angesehen hat, bleibt indes offen, weil es die diesen entgegenstehenden Aussagen des Zeugen Dr. L. sowie des Sachverständigen Dr. Gr., der Angeklagte sei zum Tatzeitpunkt zu einer Erektion nicht fähig gewesen, gleichfalls als glaubhaft eingestuft und diesen Widerspruch auch nicht aufgelöst hat.
Sollten die Urteilsgründe dahingehend zu verstehen sein, dass angesichts sich ausschließender, für sich aber jeweils als glaubhaft angesehener Angaben letztlich überhaupt keine verlässlichen Feststellungen zum Tatgeschehen getroffen werden konnten, fehlte es insoweit an einer erschöpfenden Beweiswürdigung des Landgerichts. Dieses versäumt es bei seiner Annahme, es habe nach Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Beweismittel nicht festgestellt werden können, ob der Angeklagte beim Vollzug des Geschlechtsverkehrs technische Hilfsmittel benutzt habe und welcher Art diese gewesen sein mögen, mitzuteilen, zu welchen Erkenntnissen die erwähnten Beweismittel geführt haben. Insbesondere wäre es danach erforderlich gewesen, mitzuteilen, welche Angaben die Nebenklägerin zum Tatgeschehen gemacht hat. Auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt sich aber nicht hinreichend zuverlässig entnehmen, wie diese das Tatgeschehen geschildert hat. Die mitgeteilten Angaben beschränken sich zunächst auf eine eher allgemeine Bestätigung des Tatvorwurfs, es sei gegen ihren Willen zum Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten gekommen (UA S. 15); dies wird an einer anderen Stelle zwar präzisiert durch die Wiedergabe ihrer Aussage, der Angeklagte habe sie auf das Bett gedrückt und sei mit seinem erigierten Glied in sie eingedrungen, lässt aber nicht erkennen, ob danach ein an sich eher fernliegender Geschlechtsverkehr mit Hilfsmitteln ausgeschlossen oder vielleicht deshalb möglich gewesen sein könnte, weil die Zeugin den Unterleib des Angeklagten zu keiner Zeit entkleidet gesehen hat (UA S. 12). Ohne ins Einzelne gehende Kenntnis ihrer Aussage, auch zu der Frage, ob der Vollzug des Geschlechtsverkehrs aus ihrer Sicht bzw. Erinnerung heraus mittels Hilfsmittel erfolgt sein kann, kann das Revisionsgericht nicht überprüfen, ob eine solche Möglichkeit in Betracht kommt oder ausgeschlossen ist und ob sich womöglich Hinweise für die eine oder andere Annahme ergeben haben.
Die Revision des Angeklagten hat ebenfalls Erfolg.
Die Beweiswürdigung, auf die sich das Landgericht bei seiner Verurteilung stützt, hält ebenfalls rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar hat sich das Landgericht, wie es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erforderlich ist, mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass es die Verurteilung in allen Fällen im Wesentlichen auf die glaubhaften Angaben der Nebenklägerin stützt, sie diesen aber im Fall des Freispruchs nicht folgt. Dies begründet die Strafkammer aber vor allem damit, dass sie die Aussage der Nebenklägerin auch insoweit grundsätzlich für glaubhaft erachtet und es nicht nur für eine theoretische Möglichkeit hält, dass es - entsprechend den Angaben der Nebenklägerin - zum Vollzug des Geschlechtsverkehrs, wenn auch mit Hilfsmitteln, gekommen ist. Diese Erwägungen, die dem Freispruch des Angeklagten für den Vergewaltigungsvorwurf im Juni 2008 zugrunde liegen, erweisen sich freilich ihrerseits als rechtsfehlerhaft (s. oben II.), weil es insoweit an der erforderlichen Darlegung der festgestellten Tatsachen und einer erschöpfenden Beweiswürdigung mangelt. Damit stellt sich auch die die Verurteilungen tragende Würdigung der Kammer als lückenhaft dar. Der Senat kann auch mit Blick auf die weiteren Beweisergebnisse nicht ausschließen, dass die Kammer bei einer fehlerfreien Würdigung der auf alle Fälle bezogenen Angaben der Nebenklägerin zu einer abweichenden Einschätzung der Aussage der Nebenklägerin gelangt wäre.
HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 345
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel