HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 475
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 405/12, Beschluss v. 17.04.2014, HRRS 2014 Nr. 475
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 19. Januar 2012 aufgehoben, jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrecht erhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in achtunddreißig Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
Nach den Feststellungen des Landgerichts beschloss der Angeklagte im Herbst 2005 während der Verbüßung einer Freiheitsstrafe Kunden in schwierigen finanziellen Verhältnissen eine Leasingfinanzierung anzubieten und dabei Vorschusszahlungen zu verlangen. Im Februar 2006 gründete er dazu mit dem gesondert verfolgten S. die H. mit Sitz in M. Das Unternehmen unterbreitete Interessenten jeweils Angebote für eine Finanzierung, wobei eine Vorausgebühr ab Erteilung einer Darlehenszusage in Höhe von fünf vom Hundert der Darlehenssumme verlangt wurde. Unmittelbar nach Erbringung dieser "Sonderzahlung" übernahm eine "Refinanzierungsabteilung" des Unternehmens die Sachbearbeitung und forderte umfangreiche Bonitätsauskünfte sowie die Vorlage weiterer Unterlagen ein. Danach wurde der Vertrag jeweils mit Hinweis auf ein Verschulden des Kunden gekündigt, und die H. machte gegen die Kunden auch Schadensersatzansprüche geltend, bis diese einer Aufhebungsvereinbarung unter Verzicht auf die Rückzahlung der Vorausgebühr zustimmten. Über ausreichende Mittel oder Refinanzierungsmöglichkeiten zur Darlehensgewährung an die Kunden verfügte die H. zu keinem Zeitpunkt.
Gegenstand der Verurteilung sind achtunddreißig Sonderzahlungen von Kunden der H. aufgrund von Darlehenszusagen durch Mitarbeiter der H. In einem Teil der Fälle hatte der Angeklagte, der zumindest als faktischer Geschäftsführer des Unternehmens aufgetreten war, neben anderen Personen auch selbst am Vertragsabschluss mitgewirkt. In den anderen Fällen ist dies nicht festgestellt worden. Gleichwohl hat das Landgericht dem Angeklagten alle Fälle jeweils als rechtlich selbständige Betrugstaten zugerechnet.
Die Strafkammer hat nicht ausschließen können, dass dem Angeklagten zur Tatzeit aufgrund einer Persönlichkeitsstörung die Einsicht in das Unrecht der Taten gefehlt habe. Weil er aber grundsätzlich zur Unrechtseinsicht fähig gewesen sei und ihm das Fehlen der Einsicht mit Blick auf vorangegangene Verurteilungen wegen vergleichbarer Betrugstaten vorzuwerfen sei, komme nur § 21 StGB zur Anwendung, nicht § 20 StGB.
Die Revision hat Erfolg.
Die erhobenen Verfahrensrügen sind zwar aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 20. November 2012 genannten Gründen unbegründet, jedoch greift die Sachrüge durch. Lediglich die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, die rechtsfehlerfrei getroffen wurden, können aufrecht erhalten bleiben.
Die Ausschließung von Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit ist vom Landgericht nicht tragfähig begründet worden. Es ist der Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen gefolgt, der ausgeführt hat, dass der Angeklagte möglicherweise "zum Tatzeitpunkt nicht in der Lage gewesen sei, das Unrecht seiner Tat einzusehen." Diese Ausführungen stehen im Widerspruch zu der Annahme des Landgerichts im Rahmen seiner rechtlichen Würdigung, die Fähigkeit des Angeklagten zur Unrechtseinsicht sei zur Tatzeit zwar erheblich vermindert, aber grundsätzlich erhalten gewesen und ein mögliches Fehlen der tatsächlichen Unrechtseinsicht zur Tatzeit sei ihm angesichts der früheren Verurteilungen vorzuwerfen.
§ 20 StGB ist anzuwenden, wenn die Fähigkeit des Täters zur Unrechtseinsicht bei der Begehung der Tat aufgrund eines Eingangsmerkmals fehlte. In diesem Fall kommt es auf die Frage der Vorwerfbarkeit eines tatsächlichen Fehlens von Unrechtseinsicht nicht an. Anders ist es, wenn bei der Begehung der Tat die Fähigkeit zur Unrechtseinsicht zwar vorhanden, aber eingeschränkt ist. In diesem Fall kann tatsächliche Einsicht gegeben sein oder nicht; daher ist hier zu differenzieren: Der Täter, der trotz verminderter Einsichtsfähigkeit tatsächlich Einsicht in das Unrecht der Tat gehabt hat, ist voll schuldfähig. Fehlt ihm dagegen die Einsicht in das Unrecht der Tat, so wird - zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen gegenüber § 17 Satz 2 StGB - § 21 StGB angewendet, wenn ihm das Fehlen der Unrechtseinsicht vorzuwerfen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 21. April 2005 - 2 StR 124/05, RuP 2006, 101).
Diese Unterscheidung hat das Landgericht - offenbar aufgrund entsprechender Unklarheiten des Sachverständigengutachtens, die es unkritisch übernommen hat - nicht zutreffend vollzogen; vielmehr sind die Urteilsgründe widersprüchlich. Das Landgericht hat die Annahme des psychiatrischen Sachverständigen, dem Angeklagten habe zur Tatzeit die Fähigkeit zur Unrechtseinsicht gefehlt, nicht widerlegt; vielmehr hat es sein Gutachten als überzeugend bezeichnet. Auf dieser Grundlage durfte es dem Angeklagten mit der bloßen Behauptung, er sei gleichwohl im Allgemeinen einsichtsfähig gewesen, das Fehlen der Unrechtseinsicht zur Tatzeit nicht vorwerfen.
In Fällen einer - hier diagnostizierten - histrionischen Persönlichkeitsstörung liegt im Übrigen die Annahme von Unfähigkeit zur Einsicht in das Unrecht eines Betrugs, sowohl bei einzelnen Tathandlungen als auch - erst recht - im Rahmen der Mitwirkung an einem "uneigentlichen Organisationsdelikt", im Allgemeinen eher fern. Der neue Tatrichter wird zu erwägen haben, ob er einen anderen Sachverständigen mit der Erstattung eines Gutachtens zur Schuldfähigkeit beauftragt.
Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat darauf hin, dass auch die Konkurrenzbewertung rechtlichen Bedenken begegnet.
Soweit dem Angeklagten einzelne Betrugstaten auch deshalb individuell vorzuwerfen sind, weil er daran eigenhändig mitgewirkt hat, ist die Annahme von Tatmehrheit zwar gerechtfertigt. Die Zurechnung des tatbestandsmäßigen Handelns der Mitarbeiter des Unternehmens nach § 25 Abs. 2 StGB führt aber in den übrigen Fällen im Rahmen eines "uneigentlichen Organisationsdelikts" dazu, dass dem Angeklagten insoweit nur eine Tat im Rechtssinne aufgrund seiner Mitwirkung an der Organisation der betrügerischen Handlungen im Unternehmen zur Last liegt (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Mai 2013 - 2 StR 555/13, wistra 2013, 389 f.).
HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 475
Externe Fundstellen: NJW 2014, 2738; NStZ-RR 2014, 337; StV 2015, 214
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel