HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 1066
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 253/12, Urteil v. 24.10.2012, HRRS 2012 Nr. 1066
1. Die Revisionen des Angeklagten und der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Bonn vom 15. Februar 2012 werden verworfen.
2. Die Beschwerdeführer haben die jeweiligen Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil haben der Angeklagte und die Nebenklägerin Revision eingelegt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.
1. Nach den Feststellungen vermietete der Angeklagte im Frühjahr 2011 eine in seinem Wohnhaus gelegene Wohnung an die Eheleute T., die dort mit einem gemeinsamen Sohn und der aus erster Ehe der Ehefrau stammenden Tochter, der Nebenklägerin G. W., im Juni 2011 einzogen. Schon im Zuge der vorangegangenen Renovierung hatte sich ein gutes Verhältnis des Angeklagten zu seinen Mietern, insbesondere auch der 10-jährigen Nebenklägerin, entwickelt. G. W. weist psychomotorische, kognitive und sprachliche Entwicklungsstörungen auf und ist zu 80% schwer behindert; wegen dieser geistigen Beeinträchtigungen ist sie einem eingeholten Sachverständigengutachten zufolge nicht aussagetüchtig. Demgegenüber ist die Nebenklägerin, die zudem ein nur gering ausgeprägtes Schamgefühl besitzt, in ihrer körperlichen Entwicklung überdurchschnittlich weit entwickelt. Sie erlangte bereits im Alter von 10 Jahren die Geschlechtsreife und ist sexuell in Form von Selbstbefriedigung aktiv.
Das gute Verhältnis zur Nebenklägerin setzte sich auch nach dem Einzug fort. Sie hielt sich nach der Schule häufig in der Wohnung des Angeklagten auf, die sie immer wieder auch ohne Ankündigung betrat. Dabei ließ es der Angeklagte zu, dass die Nebenklägerin ihn beim Urinieren im Badezimmer beobachten und dabei sein Geschlechtsteil betrachten konnte.
Am Tattag, dem 27. Juni 2011, befand sich der Angeklagte, der bereits seit dem Vormittag Bier getrunken hatte, in seinem Garten, während die inzwischen 11 Jahre alte Nebenklägerin und ihr Halbbruder im angrenzenden Hof spielten und sich mit dem Angeklagten unterhielten. Zwischen 16 und 17 Uhr teilte er den Kindern mit, er werde ins Haus gehen, um einen Mittagsschlaf zu halten. Die Nebenklägerin erklärte, ihn begleiten zu wollen, der Angeklagte lehnte dies ab. Er ging ins Haus und legte sich auf eine Couch in der Küche, auf der er häufig seinen Mittagsschlaf machte. Er zog Hose und Unterhose aus, das Oberhemd ließ er an. Dazu trank er eine Flasche Bier. Die bis dahin zu sich genommene Menge an Alkohol führte zwar zu einer Enthemmung des Angeklagten, nicht jedoch zu einer erheblich eingeschränkten Schuldfähigkeit.
Kurze Zeit später betrat G. die Küche, erbat ein Getränk und setzte sich damit an den unmittelbar vor dem Sofa platzierten Küchentisch. Während sie dort saß, kam ihr Stiefvater hinzu und fragte, ob sie mit dem Rest der Familie zum Einkaufen mitfahren wolle. G. lehnte dies ab und blieb in der Obhut des Angeklagten zurück. Nachdem sie noch eine Weile am Küchentisch gesessen hatte, legte sie sich neben den Angeklagten und zog ihren Pullover hoch, so dass ihre Brüste sichtbar waren. Dann forderte sie den Angeklagten auf, sie am Bauch zu kitzeln und zu streicheln, was dieser sodann auch tat. In der Folgezeit nahm sie seine Hand und schob sie über ihren Bauch in ihre Unterhose und an ihre Scheide, was der Angeklagte zuließ. Dann rieb er mehrere Male mit seinen Fingern an der Scheide der Nebenklägerin hin und her; ob er dabei auch einen oder mehrere seiner Finger in die Scheide einführte, konnte die Kammer nicht feststellen. Schließlich zog der Angeklagte mit den Worten "Das darf ich nicht, das musst Du schon selber machen" seine Hand zurück und ergriff eine auf dem Tisch liegende Kerze, die er auf dem Bauch der Nebenklägerin ablegte. Auf diese Aufforderung hin rieb G. einige Minuten mit ihrer Hand an ihrer Scheide, um sich selbst zu befriedigen. Ob sie sich dabei auch der Kerze bediente, ließ sich nicht feststellen. Schließlich zog sich die Nebenklägerin Hose und Unterhose aus und schlug die Bettdecke zurück, so dass das Genital des Angeklagten sichtbar wurde. Sie krabbelte auf den Angeklagten und setzte sich nackt auf dessen entblößten Penis. Dort saß die Nebenklägerin einige Minuten, was der Angeklagte, dessen Genitalbereich dadurch feucht wurde, zuließ. Ob es dabei zu einer Erektion beim Angeklagten gekommen ist und er womöglich auch in die Scheide der Nebenklägerin eingedrungen ist, konnte die Kammer nicht feststellen. Schließlich forderte er G. auf, von ihm herunterzugehen. Als sie dies nicht tat, schubste er sie herunter. Sie zog sich wieder an und ging auf den Hof, ebenso wie der Angeklagte, nachdem er sich gesäubert und wieder bekleidet hatte.
Als der Angeklagte einige Zeit später im Hof mit dem Stiefvater der Nebenklägerin zusammen saß, setzte sich G. auf dessen Schoß und erklärte, dass sie mit dem Willi "etwas Schönes gemacht" habe, was aber ein Geheimnis sei. Auf Nachfrage der von ihrem Ehemann eingeschalteten Mutter erklärte G., der Angeklagte habe ihr die Hose heruntergezogen und seinen "Bulle-Bulle" in ihren Popo gesteckt. Als G. dem weiter im Hof sitzenden Angeklagten berichtete, sie habe ihrer Mutter ihr gemeinsames Geheimnis verraten, sagte der Angeklagte, dass sie das doch nicht tun könne, und rief mehrmals "Scheiße". Auf Veranlassung der sofort eingeschalteten Polizei kam es unmittelbar zu einer gynäkologischen Untersuchung der Nebenklägerin. Dabei wurde ein intaktes, aber stark gedehntes Hymen und zudem im Randbereich eine stecknadelkopfgroße frische Einblutung festgestellt. Auf Befragen der Ärztinnen erklärte die Nebenklägerin, der Angeklagte habe seinen Penis, seinen Finger und eine Kerze da reingesteckt, "wo das Pipi rauskomme".
2. Das Landgericht hat sich bei seiner Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern vor allem auf die im Wesentlichen geständige Einlassung des Angeklagten gestützt; soweit dieser das Tatgeschehen damit zu relativieren versucht hatte, er sei schläfrig gewesen, habe deshalb nicht reagieren können und sei außerdem von der auf ihm sitzenden Nebenklägerin im Schlaf überrascht worden, handelt es sich nach Ansicht der Kammer um eine unwahre Schutzbehauptung.
Von dem weitergehenden Tatvorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes hat sich die Kammer demgegenüber nicht überzeugen können. Der Angeklagte hat abgestritten, mit einem Finger, seinem Glied oder einer Kerze in die Scheide oder den After des Mädchens eingedrungen zu sein. Auf Angaben der Nebenklägerin hat sie sich nicht stützen können, weil diese nach einem eingeholten Sachverständigengutachten nicht aussagetüchtig sei.
Auch Ergebnisse kriminaltechnischer Untersuchungen und die unmittelbar nach der Tat erhobenen gynäkologischen Befunde haben nach Ansicht der Kammer keinen sicheren Hinweis für einen Vorwurf nach § 176a StGB erbracht.
Die Revision der Nebenklägerin, die sich gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts wendet, bleibt ohne Erfolg. Die sachlich-rechtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils deckt im Ergebnis durchgreifende Rechtsfehler nicht auf.
1. Das Revisionsgericht hat es grundsätzlich hinzunehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht bzw. wie vorliegend von einer weitergehenden Verurteilung absieht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Rechtsfehlerhaft ist es auch, wenn sich das Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung darauf beschränkt, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen, ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände vorzunehmen. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt auch, ob überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ 2011, 302 mwN).
2. Solche Rechtsfehler weist die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht auf. Die Kammer hat in ihrer Entscheidung die maßgebenden, für eine weitergehende Verurteilung sprechenden Umstände berücksichtigt und hat sich in einer "Gesamtschau aller Beweismittel" insoweit nicht die notwendige Überzeugung verschaffen können. Dies ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.
Die Beweiswürdigung der Kammer ist insbesondere nicht deshalb lückenhaft, weil das Landgericht der Aussage der Nebenklägerin keinerlei Bedeutung zumisst, obwohl diese durch mehrere Beweisanzeichen gestützt werde. Das Landgericht hat sich eingehend mit der Frage auseinandergesetzt, ob ihre Angaben zur Überführung des Angeklagten beitragen können, und ist sachverständig beraten zu dem Ergebnis gekommen, aus ihren Angaben könne nicht zuverlässig auf einen Erlebnisbezug geschlossen werden (UA S. 29). Gegen die weiter begründete Schlussfolgerung, deshalb könne die Kammer ihre Feststellungen weder auf den Inhalt der polizeilichen und richterlichen Vernehmungen der Nebenklägerin noch auf ihre Angaben gegenüber dritten Personen stützen (UA S. 30), ist deshalb von Rechts wegen nichts zu erinnern.
Lückenhaft ist die Würdigung des Landgerichts entgegen der Ansicht der Revision auch nicht deshalb, weil sie sich im Rahmen der Prüfung des § 176a StGB nicht (erneut) mit der Einlassung des Angeklagten auseinandersetzt, die sie bei der Erörterung einer Strafbarkeit nach § 176 StGB als widerlegt angesehen hat. Das Landgericht hat sich insoweit ohne Rechtsfehler lediglich nicht die Überzeugung verschaffen können, der Angeklagte sei schläfrig gewesen, habe deshalb nicht reagieren können und sei außerdem von der Nebenklägerin überrascht worden (UA S. 19). Es ist nicht erkennbar, warum es sich hiermit erneut hätte befassen müssen. Im Übrigen hat es - ersichtlich mangels weiterer Erkenntnismöglichkeiten - den Geschehensablauf, wie ihn der Angeklagte geschildert hat, zugrunde gelegt. Dies ist auch nicht ohne zureichende Anhaltspunkte geschehen, nachdem eine Kerze auf dem Küchenboden gefunden wurde, daran DNA-Spuren der Nebenklägerin und in geringem Menge auch des Angeklagten, nicht aber Scheidensekret oder Ejakulat festgestellt wurden und dem Landgericht durch die Aussage ihrer Mutter bekannt war, dass die nur mit einem geringen Schamgefühl ausgestattete Nebenklägerin in Form von Selbstbefriedigung sexuell aktiv ist.
Rechtlich zu beanstanden ist im Ergebnis auch nicht, dass das Landgericht ohne nähere Begründung davon ausgegangen ist, das Ablegen einer Kerze auf dem Bauch der Nebenklägerin könne als "intensiver Kontakt" zu den festgestellten DNA-Spuren an der Kerze geführt haben (UA S. 31). Selbst wenn aus der Dichte des Materials auf ein Einführen der Kerze zu schließen wäre, ist nach den insoweit nicht zu beanstandenden weiteren Erwägungen der Kammer nicht festzustellen, dass die Kerze in diesem Fall auch von dem Angeklagten eingeführt worden ist (UA S. 32).
Schließlich bedurfte es - entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts - einer ausdrücklichen Auseinandersetzung mit einer festgestellten Verhaltensänderung der Nebenklägerin nicht. Inwieweit dies gerade für den Vorwurf eines schweren sexuellen Missbrauchs Beweiskraft haben soll, erschließt sich nicht. Die Verhaltensänderung lässt sich - sofern sie überhaupt mit dem Tatgeschehen in Zusammenhang steht - zwanglos auch mit dem festgestellten sexuellen Übergriff des Angeklagten erklären.
Die Revision des Angeklagten bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Sie ist offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Die materiellrechtlichen Einwendungen der Revision zeigen einen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler nicht auf.
1. Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung stand. Soweit das Landgericht von den Angaben des Angeklagten abweicht, legt es anhand nahe liegender Schlussfolgerungen nachvollziehbar dar, warum es seiner Einlassung, er sei von der Nebenklägerin im Schlaf überrascht worden, die Vorgänge hätten sich deshalb ohne Einwilligung und ohne seine Billigung abgespielt, nicht folgt (UA S. 19-22). Die Revision nimmt insoweit unter Heranziehung urteilsfremder Erwägungen eine eigene Beweiswürdigung vor, ohne damit Rechtsfehler der Kammer aufzudecken.
2. Auch die Strafzumessung ist frei von Rechtsfehlern. Sie bewegt sich innerhalb des dem Tatrichter zustehenden Beurteilungsspielraums.
HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 1066
Bearbeiter: Karsten Gaede