HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 79
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 235/12, Urteil v. 22.08.2012, HRRS 2013 Nr. 79
I. 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 7. März 2012
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln schuldig ist,
b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, im Strafausspruch und soweit die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
II. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das vorgenannte Urteil wird verworfen.
Die Kosten dieses Rechtsmittels und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten hat die Staatskasse zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil richten sich die Revision des Angeklagten und die zu seinen Ungunsten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; das auf den Strafausspruch beschränkte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist unbegründet.
Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierte der Angeklagte seit dem 14. Lebensjahr Haschisch und Amphetamin, später nahm er auch Ecstasy und LSD. Seit dem Jahre 2006 konsumierte er überdies Kokain. Er wurde im Jahre 2007 wegen Drogendelikten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Im offenen Vollzug eines Teils dieser Gesamtfreiheitsstrafe sowie nach der bedingten Entlassung war er zunächst drogenfrei. Vor dem Hintergrund einer psychischen Erkrankung seiner Freundin und durch den Kontakt mit Bekannten aus der Drogenszene nahm er ab Sommer 2011 den Drogenkonsum wieder auf. Da er nicht über legale Einkünfte verfügte, nutzte er den Drogenhandel als laufende Einnahmequelle. Die Ermittlungsbehörde erfuhr davon im Rahmen einer Telekommunikationsüberwachung. Am 6. Oktober 2011 durchsuchte sie die aus zwei Zimmern bestehende Wohnung des Angeklagten. Dieser wollte die Wohnung aufgeben und führte Schönheitsreparaturen durch. Deshalb hatte er das Schlafzimmer geräumt, so dass nur ein zu Wohn- und Schlafzwecken genutzter Raum mit angrenzender Küchenzeile verblieb. Dort hatte der Angeklagte in einem Wäschekorb einen Rucksack deponiert, in dem er einen Teleskopschlagstock aufbewahrte. Er wusste, dass dieser ihm griffbereit zur Verfügung stand. Außerdem besaß er in dem Raum insgesamt 316,96 Gramm Amphetaminzubereitung mit einem Anteil von 49,53 Gramm Amphetaminbase sowie 289,82 Gramm Ecstasy-Tabletten mit einem Anteil von 94,77 Gramm MDMA-Base. Ferner verfügte er über 10,5 Kilogramm Streckmittel, Feinwaagen und Verpackungsmaterial sowie 1.989,86 Euro Bargeld aus Drogenverkäufen. Die Betäubungsmittel waren überwiegend zum Weiterverkauf vorgesehen, nur zu einem geringeren Teil zum Eigenkonsum.
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet, soweit sie den Schuldspruch betrifft. Sie führt aber zur Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen im Strafausspruch und soweit das Landgericht die Anordnung einer Maßregel im Sinne von § 64 StGB nicht geprüft hat.
1. Der Schuldspruch gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG weist insoweit keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Er ist nur dahin zu ändern, dass tateinheitlich mit dem Handeltreiben auch Erwerb von Betäubungsmitteln im Sinne von § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG vorliegt.
a) Nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG wird bestraft, wer mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel treibt und dabei eine Schusswaffe oder sonstige Gegenstände mit sich führt, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt sind. Diese Voraussetzungen sind nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts erfüllt.
aa) Die aufgefundene Drogenmenge betrug hinsichtlich des Amphetamins das Fünffache, bei den Ecstasy-Tabletten das Dreifache der nicht geringen Menge. Der überwiegende Teil davon war zum Weiterverkauf bestimmt, ein geringer Teil zum Eigenkonsum. Auch wenn diese Anteile nicht beziffert wurden, ist davon auszugehen, dass die dem Handeltreiben dienende Menge die Untergrenze zur nicht geringen Menge sicher überschreitet.
bb) Das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln ist dadurch qualifiziert, dass der Angeklagte einen Gegenstand mit sich führte, der seiner Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt war. Bei dem Teleskopschlagstock handelt es sich um eine Waffe im technischen Sinn (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 2 a WaffG). Er ist zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt, ohne dass es dazu weiterer Feststellungen bedarf (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 2003 - 1 StR 25/03, NStZ 2004, 111, 112; Rahlf in: MünchKomm, StGB, 2007, § 30a BtMG Rn. 148).
Ein Mitführen des gefährlichen Gegenstands wird von der Rechtsprechung angenommen, wenn der Täter ihn bewusst gebrauchsbereit in der Weise bei sich hat, dass er sich seiner jederzeit bedienen kann. Es genügt, wenn er sich in Griffweite befindet (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Juni 2010 - 2 StR 203/10, NStZ 2011, 99). Dies war hier der Fall, weil sich der Teleskopschlagstock im selben Raum befand, in dem auch die Drogen gelagert waren. Dort war er für den Angeklagten rasch und unschwer zu ergreifen, wenn er mit den Drogen, etwa beim Portionieren und Verpacken, hantierte.
cc) Setzt sich die Tat aus mehreren Einzelakten zusammen, so reicht es zur Tatbestandserfüllung aus, wenn der qualifizierende Umstand nur bei einem Einzelakt verwirklicht ist. Zwar fehlen Feststellungen des Landgerichts dazu, ob der Angeklagte den Teleskopschlagstock bei der Übergabe der Betäubungsmittel von Lieferanten oder an Abnehmer dabei hatte. Dem Angeklagten stand die Waffe aber griffbereit zur Verfügung, als er in der Wohnung das Amphetamin vorrätig hielt, streckte und portionierte. Auch dabei handelt es sich um Teilakte des Handeltreibens. Dadurch hat der Angeklagte den Qualifikationstatbestand des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG nach dem Wortlaut des Gesetzes erfüllt (vgl. Senat, Urteil vom 28. Februar 1997 - 2 StR 556/96, BGHSt 43, 8, 10 f. und Urteil vom 21. September 2011 - 2 StR 286/11, StV 2012, 411).
Für eine einschränkende Auslegung des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG im Hinblick darauf, dass kein unmittelbarer Zusammenhang des Beisichführens der Waffe mit einem eigentlichen Umsatzgeschäft festgestellt ist, besteht kein Anlass. Ein Drogenhändler kann nicht nur von Kunden, mit denen er planmäßig in Kontakt tritt, sondern auch unerwartet von Drogenabhängigen, Polizeibeamten oder sonstigen Personen aufgesucht werden, gegen die er sich zum Schutz seiner Person, von Drogenvorräten und Gelderlös oder aber zur Verschleierung seines Handeltreibens mit der Waffe verteidigt. Die Vorschrift regelt ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Ein sicherer Ausschluss der Gefahr, vor der § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG andere Personen schützen will, ist hier nicht möglich.
dd) Für die subjektive Tatseite genügt das Bewusstsein der Verfügbarkeit der Waffe. Der Wille des Täters, sie einzusetzen, ist nicht erforderlich (vgl. Senat, Urteil vom 28. Februar 1997 - 2 StR 556/96, BGHSt 43, 8, 14). Das Bewusstsein der Gebrauchsbereitschaft hat der Angeklagte eingeräumt.
b) Da der Angeklagte die sichergestellten Drogen teilweise zum Eigenkonsum verwenden wollte, liegt insoweit tateinheitlich der Tatbestand des Erwerbs von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG vor. Nicht feststellbar ist freilich, dass sich auch dieser auf eine nicht geringe Menge bezog.
Der für den Eigenkonsum vorgesehene Anteil war nach den Urteilsfeststellungen deutlich geringer als der für das Handeltreiben bestimmte Anteil.
Der Senat ändert daher den Schuldspruch dahin, dass neben dem bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge tateinheitlich Erwerb von Betäubungsmitteln vorliegt. § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
2. Das Landgericht hätte prüfen müssen, ob die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB anzuordnen ist. Insoweit liegt ein Erörterungsmangel vor, der zur Urteilsaufhebung zwingt.
Nach § 64 Satz 1 StGB kann das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn der Täter den Hang hat, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, wenn er wegen einer auf seinen Hang zurückzuführenden rechtswidrigen Tat verurteilt wird und wenn die Gefahr besteht, dass er auch in Zukunft infolge seines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Der Hang zum Konsum von Rauschmitteln im Übermaß besteht darin, dass der Täter entweder eine chronische, auf Sucht beruhende Abhängigkeit aufweist - was hier fern liegt - oder aufgrund einer eingewurzelten, auf eine psychische Disposition zurückgehenden oder durch Übung erworbenen Neigung zum Rauschmittelkonsum (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2012 - 5 StR 545/11) von dem Drang hierzu so beherrscht wird, dass er ihm immer wieder nachgibt (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Dezember 2011 - 2 StR 543/11). Wer dagegen nur gelegentlich Drogen konsumiert, wird vom Anwendungsbereich des § 64 StGB nicht erfasst. Die Grenze liegt dort, wo die Neigung zum Rauschmittelkonsum handlungsleitend wird (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 64 Rn. 8; LK/Schöch, StGB, 12. Aufl., § 64 Rn. 62). Dies liegt nach den getroffenen Feststellungen nahe, insbesondere weil der Angeklagte zuletzt so viel Drogen konsumierte, wie er sich leisten konnte, und weil er den Drogenerwerb zum Eigenkonsum sowie seinen Lebensunterhalt alleine durch Drogenhandel finanzierte, aber keiner Arbeit nachging. Die Beschaffungsdelikte des Angeklagten deuten an, dass sie symptomatisch für den Hang zum Drogenkonsum sind. Sollte der neue Tatrichter einen Hang des Angeklagten im Sinne des § 64 StGB bejahen, so wäre weiter zu prüfen, ob deshalb die Gefahr besteht, dass er künftig weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
3. Da nicht auszuschließen ist, dass die zuerkannte Strafe niedriger ausgefallen wäre, wenn zugleich die Unterbringung angeordnet worden wäre, kann der Strafausspruch nicht bestehen bleiben (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 10).
Die Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, ist der Sache nach wirksam auf den Strafausspruch beschränkt (vgl. BGH, Urteil vom 12. April 1989 - 3 StR 453/88, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3). Sie ist unbegründet.
Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer unbeschadet der einschlägigen Vorstrafe, der Rückfälligkeit des Angeklagten in der Bewährungszeit und seines auf laufenden Drogenhandel ausgerichteten Verhaltens von einem minder schweren Fall des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ausgegangen ist (§ 30a Abs. 3 BtMG). Die Entscheidung, ob ein minder schwerer Fall vorliegt, erfordert eine Gesamtbetrachtung, bei der alle Umstände zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen. Dabei sind alle wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände gegeneinander abzuwägen. Erst nach dem Gesamteindruck kann entschieden werden, ob der außerordentliche Strafrahmen anzuwenden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 22. November 2011 - 4 StR 581/11, StV 2012, 289 f.). Dies hat das Landgericht nicht verkannt. Es hat alle bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkte berücksichtigt und keinen Gesichtspunkt herangezogen, der ohne Belang wäre.
Die Berücksichtigung des Geständnisses des Angeklagten als Milderungsgrund ist rechtlich unbedenklich, weil es jedenfalls für den Nachweis des subjektiven Tatbestands von nicht unerheblicher Bedeutung war. Der Qualifikationstatbestand des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG wäre nicht erfüllt, wenn zwar eine Waffe in der Wohnung, in der Betäubungsmittel für den Verkauf vorrätig gehalten, portioniert und verpackt werden, vorhanden ist, diese aber nicht in Griffweite bereit gehalten wird (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Juni 2010 - 2 StR 203/10). Der Angeklagte hatte hier objektiv einen noch ausreichenden Zugriff auf den Teleskopschlagstock. In einem solchen Fall, in dem die Verfügbarkeit des Gegenstands auch nicht das eigentliche Umsatzgeschäft des Drogenhandels betrifft, ist allerdings der subjektive Tatbestand genau zu prüfen (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2002 - 1 StR 138/02, StV 2003, 80, 81). Je ferner die Gefahr des Einsatzes liegt, desto höher sind die Anforderungen an die Prüfung des subjektiven Tatbestands (vgl. Senat, Urteil vom 28. Februar 1997 - 2 StR 556/96, BGHSt 43, 8, 14), der hier durch das Geständnis des Angeklagten bewiesen wurde. Das Landgericht durfte dabei dem Geständnis des Angeklagten strafmildernde Bedeutung beimessen. Es hat nicht übersehen, dass die äußeren Umstände bei der Wohnungsdurchsuchung offen zutage lagen.
Rechtlich nicht zu beanstanden ist ferner die Berücksichtigung des Handlungsantriebs, dass der Angeklagte vor dem Hintergrund der psychischen Erkrankung seiner Lebensgefährtin wieder selbst Drogen konsumiert und zur Finanzierung dieses Drogenkonsums sowie des Lebensunterhalts mit Betäubungsmitteln Handel getrieben hat.
Es stellt ferner keinen Rechtsfehler dar, dass das Tatgericht den drohenden Widerruf der Strafrestaussetzung zur Bewährung wegen der früheren Verurteilung des Angeklagten berücksichtigt hat. Mit Rücksicht auf die Wirkungen der Strafe, die für das künftige Leben des Angeklagten zu erwarten sind (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB), hatte es auch das Gesamtstrafübel im Blick zu behalten (vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 1995 - 4 StR 650/95, BGHSt 41, 310, 314; Beschluss vom 27. Januar 2010 - 5 StR 432/09, StV 2010, 238, 239).
Bei der Strafzumessung kommt schließlich den tatbestandsbezogenen Umständen bestimmende Bedeutung zu. Insoweit hat sich das Landgericht für den Ausnahmestrafrahmen auch entschieden, weil der Schlagstock im Vergleich mit einer Schusswaffe geringeres Gefahrenpotenzial aufweist, ferner weil die Drogenmenge innerhalb der erfahrungsgemäß vorkommenden Bandbreite der nicht geringen Mengen im unteren Bereich lag und keine "harten Drogen" betraf. Art und Menge der Drogen können auch in Fällen des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG als bestimmende Aspekte berücksichtigt werden (vgl. Senat, Beschluss vom 14. November 2003 - 2 StR 404/03, BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Strafzumessung 1).
HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 79
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2013, 150
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel