HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 880
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 84/11, Beschluss v. 07.07.2011, HRRS 2011 Nr. 880
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 8. Oktober 2010
a) im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 39 Fällen schuldig ist;
b) im Strafausspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte in den Fällen 3 und 19 (Anklageschrift vom 13. Mai 2009 - Az.: 302 Js 493/08) jeweils zu einer Einzelstrafe von vier Monaten verurteilt wird.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 21 Fällen, davon in drei Fällen tateinheitlich mit Betrug, sowie wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in weiteren 18 Fällen kostenpflichtig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Seine auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat nur in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlich Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Zur Schuldspruchänderung und zur Herabsetzung von zwei Einzelstrafen hat der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift folgendes ausgeführt:
"1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen tateinheitlich begangenen Betrugs in drei Fällen (Fälle 1 bis 3 der Anklageschrift vom 13. Mai 2009) kann keinen Bestand haben, denn es fehlt an (ausreichenden) Feststellungen zu einer gegebenenfalls durch Unterlassen erfolgten Täuschung mit Irrtumserregung gegenüber den Mitarbeitern der zuständig gewesenen Einzugsstelle(n).
Für den fraglichen Tatzeitraum von April bis Juni 2004 kommt zwar grundsätzlich eine Verurteilung wegen Betrugs in Betracht, soweit die Meldung von Arbeitnehmern an die zuständigen Sozialversicherungsträger unrichtig war oder ganz unterblieben ist. Denn den Arbeitgeber trifft eine Meldepflicht, wonach er die für die Bemessung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags maßgeblichen - im Gesetz im Einzelnen aufgeführten - Anknüpfungstatsachen hinsichtlich aller bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer der Einzugsstelle mitzuteilen hat. Verletzt der Arbeitgeber diese Verpflichtung, indem er bewusst unwahre oder unvollständige Angaben macht, die zu einem geringeren Gesamtsozialversicherungsbeitrag führen, kann dies eine Täuschung im Sinne des § 263 StGB darstellen.
Eine Täuschung kann in solchen Fällen aber nur angenommen werden, wenn durch das Unterlassen der (zutreffenden) Meldung der Arbeitnehmer gegenüber einem Mitarbeiter einer Einzugsstelle zumindest konkludent zum Ausdruck gebracht wird, dass keine oder lediglich die gemeldeten Arbeitnehmer und diese in dem gemeldeten Umfang bei dem fraglichen Arbeitgeber beschäftigt sind. Täuschungen und korrespondierende Irrtümer von Mitarbeitern einer Einzugsstelle durch unrichtige Meldungen über die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von Arbeitnehmern kommen außerdem nur in Betracht, wenn und soweit hinsichtlich der beschäftigten Arbeitnehmer Meldungen an diese Einzugsstelle hätten erfolgen müssen. Darauf beschränkt sich der Erklärungswert der Meldungen und die Mitarbeiter der Einzugsstelle machen sich nur insoweit Gedanken über die Geltendmachung von Sozialversicherungsbeiträgen.
Falls gegenüber den für die beschäftigten Arbeitnehmer zuständigen Einzugsstellen keine Erklärungen über die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erfolgen, kann bei den Mitarbeitern der zuständigen Einzugsstellen ein Irrtum daher nur vorliegen, wenn der Arbeitgeber dort unabhängig davon erfasst ist (BGH, Beschluss vom 18. Mai 2010 - 1 StR 111/10).
Das Landgericht hat nicht festgestellt, welche Arbeitnehmer der Angeklagte von April bis Juni 2004 in welchem Umfang angemeldet hatte und welcher Einzugsstelle gegenüber sozialversicherungsrechtliche Meldungen erfolgt waren (vgl. UA S. 6, 12). Allein dann, wenn sich unter den Stellen, denen gegenüber Meldungen erfolgt sind, die für die überhaupt nicht oder nicht ordnungsgemäß gemeldeten Arbeitnehmer zuständigen Stellen befunden haben, könnte eine Verurteilung wegen Betrugs erfolgen.
Haben sich die für die nicht oder nicht ordnungsgemäß gemeldeten Arbeitnehmer zuständigen Stellen nicht darunter befunden und war der Angeklagte auch nicht aus anderen Gründen bei diesen Stellen erfasst, kommt dagegen für die Zeit bis zum Inkrafttreten des § 266a StGB in der Fassung durch das Gesetz zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung vom 23. Juli 2004 (BGBl. I 1842) am 1. August 2004 lediglich eine Verurteilung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens der Beiträge des Arbeitnehmers gemäß § 266a Abs. 1 StGB in Betracht.
Der Senat wird ausschließen können, dass sich noch tragfähige Feststellungen dazu treffen lassen, ob und gegebenenfalls welchen gemeldeten Arbeitnehmern der Angeklagte im fraglichen Zeitraum Schwarzarbeitslöhne gezahlt und wie viele nicht gemeldete und daher unbekannte Schwarzarbeiter er zugleich beschäftigt hat. Die Verurteilung wegen Betrugs kann daher keinen Bestand haben.
2. Der Wegfall der Verurteilung wegen tateinheitlich begangenen Betrugs in den Fällen 1 bis 3 der Anklageschrift vom 13. Mai 2009 hat zur Folge, dass in diesen Fällen entsprechend der bis zum 31. Juli 2004 geltenden Fassung des § 266a StGB als Schadensbetrag jeweils nur der in der entsprechenden Tabelle ausgewiesene Arbeitnehmeranteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu Grunde zu legen ist. Die Strafkammer hat eine an der Schadenshöhe ausgerichtete Staffelung der Einzelstrafen vorgenommen. Sie hat bei einem Beitragsschaden bis zu 5.000 Euro Einzelstrafen von drei Monaten und bei einem Beitragsschaden bis zu 10.000 Euro Einzelstrafen von vier Monaten verhängt. Der Senat wird daher ausschließen können, dass das Landgericht ohne den Rechtsfehler in den Fällen 1 und 2 niedrigere Einzelstrafen als geschehen und im Fall 3 eine niedrigere Einzelstrafe als vier Monate verhängt hätte. Im Fall 19 der Anklageschrift vom 13. Mai 2009 hat die Strafkammer zudem offensichtlich auf Grund eines Fassungsversehens eine Einzelstrafe von fünf statt von vier Monaten ausgeurteilt.
Der Senat wird im Hinblick auf die rechtlich nicht zu beanstandende Staffelung nach Schadensbeträgen nicht gehindert sein, die Einzelstrafen in den Fällen 3 und 19 jeweils auf vier Monate festzusetzen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Juli 2005 - 1 StR 253/05, vom 8. März 2006 - 1 StR 48/06 und vom 1. Februar 2011 - 4 StR 550/10). Angesichts der Einsatzstrafe und von Zahl und Höhe der übrigen Einzelstrafen wird er ausschließen können, dass die Gesamtstrafe milder ausgefallen wäre, wenn bereits der Tatrichter die Einzelstrafen so bemessen hätte".
Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an.
Der geringfügige Erfolg der Revision rechtfertigt eine Kostenteilung gemäß § 473 Abs. 4 StPO nicht.
HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 880
Bearbeiter: Karsten Gaede