HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 649
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 66/11, Urteil v. 25.05.2011, HRRS 2011 Nr. 649
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 17. November 2010 im Strafausspruch aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die zum Nachteil des Angeklagten eingelegte, wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts lebte der Angeklagte seit einigen Monaten mit dem Tatopfer und dessen beiden Kindern zusammen. Anfänglich verstand sich das Paar sehr gut. Alsbald aber kam es wegen finanzieller Probleme öfter zum Streit. Noch am Vorabend des Tattages gab es eine Diskussion wegen der Geldsorgen.
Am frühen Morgen des 16. Oktober 2009 weckte der Angeklagte seine Lebensgefährtin und lockte sie unter dem Vorwand, es sei jemand im Garten, in das Wohnzimmer. Als sie dort am Fenster stehend niemand erblickte und zurück ins Bett gehen wollte, hinderte sie der Angeklagte daran. Er hielt sie unvermittelt am Arm fest und verlangte von ihr Geschlechtsverkehr. Als die später Geschädigte weiter den Raum verlassen wollte, wies er sie an, leiser zu sein; zugleich drohte er für den Fall, dass eines der Kinder erscheinen würde, dieses "abzustechen". Schließlich riss der Angeklagte seine Lebensgefährtin zur Seite, woraufhin sie zu Boden fiel. Der Angeklagte beugte sich zu ihr herunter, legte einen seiner Arme auf ihren Kehlkopf, übte wenige Sekunden lang Druck aus und forderte sie weiter auf, leise zu sein. Die Geschädigte hatte deshalb leichte Nackenschmerzen, ohne in Atemnot zu geraten. Als der Angeklagte schließlich von ihr abließ, stand sie auf und forderte ihn auf, sie in Ruhe zu lassen. Er hielt aber an seinem Vorhaben fest, fasste ihr an die Brust und drückte mit der Hand erneut für wenige Sekunden auf ihren Kehlkopf. Die Geschädigte warf ein auf dem Tisch stehendes Glas auf den Angeklagten, mit dem sie ihn an der Stirn traf. Ihr Versuch, das Wohnzimmer zu verlassen, scheiterte, weil die Tür abgeschlossen war.
In dieser Situation nahm der Angeklagte ein auf einem Sideboard liegendes Küchenmesser von 20 cm Länge und forderte seine Lebensgefährtin auf, zu machen, was er wolle, ansonsten "gebe es böses Blut". Sie bat ihn, das Messer wegzulegen und stellte dabei in Aussicht, seinen Forderungen nachzukommen.
Der Angeklagte legte unverzüglich das Messer weg und forderte die Geschädigte auf, sich jetzt auszuziehen. Als sie dem nicht nachkam, zog er sie und sich aus und vollzog unter Ausnutzung seines Körpergewichtes mit dem sich wehrenden Opfer - nachdem er es mit dem Rücken auf die Couch gedrückt hatte - ungeschützten Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss. Danach beruhigte sich die Situation zusehends, der Angeklagte entschuldigte sich für den Vorfall, sagte, es tue ihm leid und versprach, es werde nicht mehr vorkommen.
Er bemühte sich in der Folgezeit, auch mit finanziellen Unterstützungsleistungen an die Geschädigte, die Beziehung wieder aufleben zu lassen. Dazu kam es aber nicht, weil der Vertrauensbruch für die frühere Lebensgefährtin zu groß war.
2. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit Köperverletzung verurteilt. Die zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von zwei Jahren hat die Kammer dem nach § 177 Abs. 5 Satz 2 StGB gemilderten Strafrahmen entnommen, wobei sie angesichts der bestehenden Regelwirkung des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB von einem Strafrahmen von zwei Jahren bis 15 Jahre ausgegangen ist.
Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Schon die Annahme eines minder schweren Falles nach § 177 Abs. 5 StGB begegnet rechtlichen Bedenken, weil das Landgericht bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat und letztlich nicht auszuschließen ist, dass die Kammer bei umfassender Würdigung einen minder schweren Fall ausgeschlossen hätte.
Es kann dahinstehen, ob das Landgericht tatsächlich - wie die Revision meint - die Verwirklichung des Regelbeispiels nach § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB (Vollzug des Beischlafs) bei seiner Betrachtung außer Acht gelassen hat. Dagegen könnte immerhin sprechen, dass die Kammer mehrfach im Rahmen der strafschärfenden Aspekte den vollzogenen Geschlechtsverkehr erwähnt und es für die Annahme der Revision, dabei seien lediglich die darüber hinaus angeführten Begleitumstände, nicht aber das Vorliegen des Regelbeispiels selbst berücksichtigt worden, keine greifbaren Anhaltspunkte gibt.
Die Kammer hat es jedenfalls rechtsfehlerhaft unterlassen, weitere strafschärfende Tatumstände, deren Erörterung sich aufgedrängt hätte, zu berücksichtigen. Neben der Anwendung von Gewalt nötigte der Angeklagte die Geschädigte auch durch die Drohung, eines ihrer Kinder abzustechen. Dies hätte das Landgericht ebenso erörtern müssen wie den Umstand, dass der Angeklagte die Wohnzimmertür verschlossen hatte und so das Tatopfer am Verlassen des Raumes gehindert war.
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei der gebotenen umfassenden Würdigung die Annahme eines minder schweren Falles abgelehnt hätte. Dies gilt letztlich trotz des Umstands, dass zumindest eine Erwägung der Kammer zu Lasten des Angeklagten rechtlich nicht unbedenklich ist. Ungeschützter Geschlechtsverkehr in einer Partnerschaft begründet bei gewährleisteter Vorsorge für eine Schwangerschaftsverhütung dann keinen erhöhten Schuldgehalt, wenn er üblicherweise ungeschützt durchgeführt worden ist (vgl. BGH NStZ 1998, 133). Feststellungen dazu hat das Landgericht allerdings nicht getroffen.
2. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die Feststellung von Tatsachen ist von dem Abwägungsdefizit nicht betroffen, diese können deshalb aufrechterhalten bleiben. Ergänzende Feststellungen, die zu den bisherigen Feststellungen nicht in Widerspruch stehen, bleiben zulässig.
3. Sollte das Landgericht auch nach einer neuen Hauptverhandlung zur Annahme eines minder schweren Falles gelangen und ebenso wie der erste Tatrichter die Festsetzung der Mindeststrafe in Betracht ziehen, bedürfte eine solche Strafe einer eingehenderen Begründung ihrer Schuldangemessenheit als bisher (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 237).
HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 649
Bearbeiter: Karsten Gaede