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HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 639

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 456/11, Urteil v. 18.04.2012, HRRS 2012 Nr. 639


BGH 2 StR 456/11 - Urteil vom 18. April 2012 (LG Aachen)

Gesamtstrafenbildung (übersehene Zäsurwirkung); Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Persönlichkeitsstörung: Sado-Masochismus).

§ 55 StGB; § 54 StGB; § 63 StGB; § 20 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 3. September 2010 aufgehoben

a) im Gesamtstrafenausspruch sowie

b) soweit die Maßregel der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung ausgesetzt worden ist.

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil im Ausspruch über die Gesamtstrafen und über die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben.

3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen unter Einbeziehung einer anderweitig verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Es hat den Angeklagten weiter wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen unter Einbeziehung einer anderweitig verhängten Freiheitsstrafe von zehn Monaten zu einer zweiten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Ferner hat das Landgericht den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung, Körperverletzung sowie Bedrohung zu einer dritten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Schließlich hat das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Vollstreckung dieser Maßregel und auch der Gesamtfreiheitsstrafen hat es zur Bewährung ausgesetzt. Im Übrigen hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft wendet sich gegen die Höhe der verhängten Gesamtstrafen und beanstandet, dass diese wie auch die angeordnete Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus rechtsfehlerhaft zur Bewährung ausgesetzt worden seien. Der Angeklagte erhebt die allgemeine Sachrüge. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat in vollem Umfang, das Rechtsmittel des Angeklagten in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft zielt in ihrem Antrag allein auf die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs und lässt damit die gegen den Angeklagten ergangenen Freisprüche unbeanstandet. Soweit in der Revisionsbegründung lediglich Einwände gegen die Höhe der Gesamtstrafen und die Entscheidung des Landgerichts, die verhängten Freiheitsstrafen sowie die angeordnete Maßregel nach § 63 StGB zur Bewährung auszusetzen, erhoben werden, liegt darin hier eine weitere, statthafte Beschränkung des Rechtsmittels (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 318 Rn. 20, 20 a; s. auch BGH, Urteil vom 24. März 1998 - 1 StR 35/98; BGH NStZ 1983, 167).

2. Die (insoweit zulässig beschränkte) Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

a) Die Aussprüche über die Gesamtstrafen halten - ohne dass es auf die von der Staatsanwaltschaft insoweit erhobenen Einwände ankäme - einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Annahme des Landgerichts hat allein die Vorverurteilung des Angeklagten durch das Landgericht Aachen vom 3. April 2006 Zäsurwirkung. Denn die Taten, die den Verurteilungen durch das Amtsgericht Eschweiler vom 5. März 2007 und das Amtsgericht Düren vom 14. März 2007 zu Grunde liegen, wurden jeweils vor der Verurteilung durch das Landgericht Aachen begangen. Das Landgericht hätte deshalb - unter Auflösung des Gesamtstrafenbeschlusses des Landgerichts Aachen vom 20. August 2007 - aus den darin zusammengeführten Einzelstrafen aus den Verurteilungen des Landgerichts Aachen, des Amtsgerichts Eschweiler und des Amtsgerichts Düren zusammen mit den Einzelstrafen für die abgeurteilten Taten 1 und 2 (Fälle 3 und 4 der Anklage) eine Gesamtstrafe bilden müssen. Eine weitere Gesamtstrafe wäre aus den Einzelstrafen für die übrigen Taten zu bilden gewesen.

Anhaltspunkte dafür, dass die Strafe aus dem Gesamtstrafenbeschluss des Landgerichts Aachen zum Urteilszeitpunkt bereits erlassen war, finden sich in den Urteilsgründen nicht.

Dieser Fehler bei der Bildung der Gesamtstrafe führt zur Aufhebung der drei verhängten Gesamtfreiheitsstrafen. Über die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung wird bei den zwei zu bildenden Gesamtstrafen - sofern sich dabei aussetzungsfähige Strafen ergeben - erneut zu entscheiden sein.

b) Die Aufhebung der Gesamtstrafen führt ohne Weiteres zum Wegfall der Entscheidung der Strafkammer, die Vollstreckung der Maßregel nach § 63 StGB zur Bewährung auszusetzen. § 67b Abs. 1 Satz 2 StGB ordnet an, dass die Aussetzung unterbleibt, wenn der Täter noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, die gleichzeitig mit der Maßregel verhängt und nicht zur Bewährung ausgesetzt wird. Ob dies der Fall ist, lässt sich aber nach der Aufhebung der Gesamtstrafen zur Zeit nicht absehen.

II.

Die Revision des Angeklagten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

1. Die Gesamtstrafenbildung des Landgerichts ist - wie ausgeführt - rechtsfehlerhaft und beschwert den Angeklagten. Eine dem Gesetz entsprechende Entscheidung hätte zu lediglich zwei Gesamtstrafen geführt; es ist nicht auszuschließen, dass es insoweit zur Auferlegung eines geringeren Gesamtstrafübels gekommen wäre.

2. Auch die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Dies gilt zunächst, soweit der Angeklagte hinsichtlich der Taten zum Nachteil der Zeugin P. wegen einer Störung der Sexualpräferenz im Sinne eines Sado-Masochismus im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit gehandelt haben soll (UA S. 25). Das Landgericht hat insofern weder nachvollziehbar ausgeführt, wie es überhaupt zu der Überzeugung vom Vorliegen einer solchen Störung der Sexualpräferenz gekommen ist, noch hat es dargelegt, inwiefern sich diese Störung bei der Begehung von gegen die Zeugin gerichteten Straftaten, bei denen nach den Feststellungen ein Sexualbezug eher fern liegt, ausgewirkt haben könnte. Ein Zustand im Sinne des § 63 StGB, der zur Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB berechtigen würde, ist damit nicht hinreichend dargetan.

Dies gilt auch, soweit das Landgericht hinsichtlich der übrigen Fälle vom Vorliegen einer dissoziativen kombinierten Persönlichkeitsstörung ausgegangen ist, die im Zusammenhang mit Alkoholmissbrauch zu erheblicher Verminderung der Steuerungsfähigkeit geführt haben soll. Die Kammer legt weder dar, welches Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB insoweit gegeben sein soll, noch erörtert sie in für das Revisionsgericht nachvollziehbarer Weise, dass damit eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit einhergegangen ist.

Dies liegt auch bei einer Persönlichkeitsstörung, wie sie das Landgericht beschrieben hat, nicht auf der Hand, zumal diese die Steuerungsfähigkeit offensichtlich auch nur im Zusammenwirken mit dem Missbrauch von Alkohol (der zudem jedenfalls hinsichtlich der Taten vom 1. April 2007 und 23. August 2009 nicht festgestellt ist) maßgeblich beeinträchtigen soll. Der bloße Hinweis, der Angeklagte leide an einer Persönlichkeitsstörung in schwerer Ausprägung, erlaubt insoweit dem Revisionsgericht nicht die Überprüfung, ob der Angeklagte tatsächlich - wie für eine Anordnung nach § 63 StGB erforderlich - in einem Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit gehandelt hat.

HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 639

Bearbeiter: Karsten Gaede