HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 505
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 22/11, Beschluss v. 16.03.2011, HRRS 2011 Nr. 505
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 29. September 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und versuchtem Schwangerschaftsabbruch zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt. Seine Revision führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts ging der Angeklagte zu Unrecht davon aus, dass nicht er, sondern ein früherer Klassenkamerad Vater des ungeborenen Kindes seiner etwa in der 8. Woche schwangeren Ehefrau war. Bei einem abendlichen Treffen auf einem in einem Wohngebiet gelegenen Spielplatz zog er ein in seiner hinteren Hosentasche steckendes, etwa 30 cm langes Messer mit einer Klingenlänge von 20 cm hervor und stach mit Tötungsabsicht auf seine nichts ahnende Ehefrau ein. Dabei erkannte er, dass sie nicht mit einem Angriff rechnete, und nutzte dies aus. Außerdem war ihm bewusst, dass beim Tod seiner Frau auch das ungeborene Kind nicht überleben konnte.
Er wollte so die ständigen Konflikte mit seiner Ehefrau beenden und diese für den vermeintlichen Fehltritt bestrafen. Insgesamt wurde die Geschädigte von mindestens 15, maximal 18 Messerstichen getroffen. Bei den Stichen verbog sich die Klinge des qualitativ sehr einfachen, billigen Messers. Die überwiegend nicht sehr tiefen Stichverletzungen waren daher nicht konkret lebensgefährlich, trafen aber an der Stirn, am Hals und am Rücken Körperbereiche mit lebenswichtigen Organen und Gefäßen. Während der letzten Stiche klingelte das Handy der Geschädigten. Es gelang ihr, es aus der Jackentasche zu holen, dem Angeklagten entgegenzuhalten und zu sagen, das sei "K." - eine Freundin der Geschädigten -, die wisse, dass der Angeklagte da sei. Der Angeklagte, der aufgrund der Vielzahl und der Art und Weise der Stiche davon ausging, dass die Geschädigte und damit auch das ungeborene Kind an den Verletzungen sterben würden, ließ von ihr ab und verließ den Tatort. Die stark blutende Geschädigte, die die Schwere ihrer Verletzungen zunächst noch nicht registriert hatte, schleppte sich auf den Weg zwischen Spielplatz und Wohnhaus, wo sie von Passanten gefunden und versorgt wurde. Der Angeklagte stellte sich kurz nach der Tat der Polizei. Die Geschädigte entschloss sich zur Abtreibung, da ihr von den behandelnden Ärzten gesagt wurde, das ungeborene Kind könne durch das Tatgeschehen irreparable Schäden erlitten haben.
2. Die Begründung, mit der das Landgericht einen strafbefreienden Rücktritt des Angeklagten vom Versuch des Mordes abgelehnt hat, ist nicht frei von Rechtsfehlern.
a) Die Ausführungen des angefochtenen Urteils zum Vorliegen eines beendeten Versuchs sind lückenhaft. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es für die Abgrenzung eines unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein strafbefreiender Rücktritt gegeben ist, darauf an, ob der Täter nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl. BGHSt 39, 221, 227 f. mwN) oder er sich - namentlich nach besonders gefährlichen Gewalthandlungen, die zu schweren Verletzungen geführt haben - keine Vorstellungen über die Folgen seines Handelns macht (vgl. BGHSt 40, 304, 306; Fischer StGB 58. Aufl. § 24 Rn. 15 mwN).
Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Versuch nicht beendet gewesen sei, "da der Angeklagte aufgrund der Zahl, Art und Weise der Stiche und Verletzungen davon ausgehen musste und ausgegangen" sei, alles für die angestrebte Tötung seiner Ehefrau getan zu haben, als er von ihr abließ. Da er keine aktiven Rettungsbemühungen entfaltet habe, sei ein strafbefreiender Rücktritt nicht gegeben.
Dies lässt die Auseinandersetzung mit wesentlichen festgestellten Umständen vermissen, die dafür sprechen konnten, dass der Angeklagte nach dem letzten Stich nicht mehr mit der tödlichen Folge seines Handelns rechnete. Aus Sicht des Angeklagten stand der Annahme einer Todesgefahr für die Geschädigte entgegen, dass sie in der Lage war, das klingelnde Handy aus ihrer Jackentasche zu holen, es dem Angeklagten entgegenzuhalten und ihn darauf anzusprechen, dass ihre Freundin wisse, dass er anwesend sei. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Nebenklägerin die Schwere ihrer Verletzungen selbst zunächst nicht registrierte und sich - wenngleich nachdem der Angeklagte den Tatort bereits verlassen hatte - vom Spielplatz in Richtung ihres Wohnhauses begeben konnte. Schließlich stellte sich der Angeklagte noch am Tatabend der Polizei mit den Worten, er habe "eben seine Freundin angestochen".
Auch diese Formulierung konnte Rückschlüsse auf den Rücktrittshorizont des Angeklagten zulassen und war deshalb in die gebotene Gesamtwürdigung der für und gegen die Annahme eines beendeten Versuchs sprechenden Indizien einzustellen.
b) Der Rechtsfehler bei der Abgrenzung von unbeendetem und beendetem Versuch würde den Bestand des Urteils allerdings nicht gefährden, wenn die vom Landgericht gegebene weitere Erwägung tragen würde, der Angeklagte habe bei Annahme eines unbeendeten Versuchs die Tatausführung jedenfalls nicht freiwillig aufgegeben. Die hierfür gegebene Begründung ist jedoch ebenfalls nicht frei von Rechtsfehlern. Freiwilligkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundgerichtshofs vor, wenn der Täter noch "Herr seiner Entschlüsse" geblieben ist und die Ausführung seines Verbrechensplans noch für möglich gehalten hat, also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert, noch durch einen seelischen Druck unfähig geworden ist, die Tat zu vollbringen (vgl. BGHSt 35, 184). Dabei ist maßgebliche Beurteilungsgrundlage nicht die objektive Sachlage, sondern die Vorstellung des Täters hiervon; die äußeren Gegebenheiten sind allerdings insofern von Belang, als sie Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Täters zulassen.
Dass es der Angeklagte in diesem Sinne unter dem Eindruck eines äußeren Zwangs oder aus sonstigen innerlich als zwingend empfundenen Gründen unterlassen hat, weiter auf die Geschädigte einzustechen, ist bisher nicht ausreichend dargetan. Die Formulierung, der Angeklagte habe es für "besser" gehalten, "den Tatort zu verlassen" lässt besorgen, dass das Landgericht von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist. Die Tataufgabe kann zwar bei einem vom Angeklagten erkannten erhöhten Entdeckungsrisiko unfreiwillig sein. Dies setzt jedoch voraus, dass der Täter das Tatrisiko aufgrund neuer Umstände nicht mehr für vertretbar hält (BGH NStZ 1993, 76; 279; NStZ-RR 2006, 168; Fischer StGB 58. Aufl. § 24 Rn. 19a, 23 mwN). Dass er es für besser hält, die Tat nicht mehr zu verwirklichen, reicht hierfür nicht aus und vermag einen freiwilligen Rücktritt nicht auszuschließen. Darüber hinaus bedarf es in derartigen Fällen genauer Darlegung der Umstände, aus denen sich die für den Täter nicht mehr hinnehmbare Steigerung des Risikos, alsbald gestellt zu werden, gefolgert wird (BGH NStZ 1992, 536). Auch daran mangelt es bislang. Feststellungen zum insoweit maßgeblichen Vorstellungsbild des Angeklagten, der sich bereits kurz nach der Tat der Polizei stellte, fehlen. Diese waren mit Rücksicht auf die objektive Sachlage, die u.a. durch eine Tatbegehung im öffentlichen Raum gekennzeichnet ist, auch nicht entbehrlich. Alleine aus der Bemerkung der Nebenklägerin, ihre Freundin wisse, dass er da sei, ergab sich für den Angeklagten nicht ohne Weiteres, dass das Tatrisiko nunmehr unvertretbar hoch war. Insofern hätte das Landgericht im Einzelnen feststellen und darlegen müssen, ob und gegebenenfalls wie sich hierdurch aus seiner Sicht die Chancen, nach vollständiger Tatausführung zu entkommen, gegenüber der ursprünglichen Tatbegehung verschlechtert hatten.
HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 505
Bearbeiter: Karsten Gaede