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HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 905

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 207/11, Urteil v. 03.08.2011, HRRS 2011 Nr. 905


BGH 2 StR 207/11 - Urteil vom 3. August 2011 (LG Trier)

Strafzumessung bei einer gefährlichen Körperverletzung zulasten eines "linken Plakatabreißers" durch Angehörige der NPD und der Jungen Union/des örtlichen Kirchenchors (Revisibilität der Strafzumessung; gerechter Schuldausgleich; Bedeutung der Unbestraftheit; strafmildernde Bedeutung belastender Berichterstattung).

§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB; § 46 StGB; § 47 StGB; § 56 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn Rechtsfehler vorliegen, insbesondere wenn der Tatrichter von einem falschen Strafrahmen ausgegangen ist, seine Strafzumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind oder rechtlich anerkannte Strafzwecke außer Acht gelassen haben oder wenn sich die Strafe von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit nach oben oder nach unten inhaltlich löst, dass ein grobes Missverhältnis von Schuld und Strafe offenkundig ist (BGHR StGB § 46 Abs. 1 Beurteilungsrahmen 1 mwN).

2. Zur Anwendung auf den Fall einer gefährlichen Körperverletzung zulasten eines "Plakatabreißers" durch Angehörige der NPD und der Jungen Union.

Entscheidungstenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Trier vom 22. Dezember 2010 wird verworfen.

Die Staatskasse hat die Kosten des Revisionsverfahrens und die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Gegen den Angeklagten H. hat es wegen des gleichen Delikts unter Annahme eines minderschweren Falles eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen à 10 € verhängt. Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte, vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, die die Verletzung materiellen Rechts rügt, bleibt ohne Erfolg.

I.

Nach den Feststellungen handelt es sich bei den beiden miteinander befreundeten, nicht vorbestraften Angeklagten um Studenten der Rechtswissenschaft im fortgeschrittenen Semester. B. ist Kreisvorsitzender der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) im Kreis Trier und seit 2009 Mitglied im Trierer Stadtrat. H. ist langjähriges Mitglied der Jungen Union (JU) und in der örtlichen Kirchengemeinde als Organist und Chorleiter engagiert. Am 7. Juni 2009 fanden in Rheinland-Pfalz die Kommunalwahlen statt, bei denen der Angeklagte B. in Trier auf Listenplatz 1 für die NPD kandidierte. Bereits seit Mai 2009 waren Mitglieder der NPD im Auftrag und unter Leitung B. 's in Trier unterwegs, um Wahlplakate der NPD aufzuhängen. Daran störten sich einige vor allem dem "Forum gegen Rechts" und der "Antifa" angehörende Personen, die wiederholt aufgehängte Wahlplakate abrissen. Auch am Montag, den 18. Mai 2009 gegen 22.40 Uhr war wieder eine Gruppe von ca. sechs mit dunklen Kapuzenpullovern bekleideten "Plakatabreißern" der "Antifa" oder einer anderer linksgerichteten Gruppierung im Stadtgebiet von Trier unterwegs. Dabei wurden sie von dem Angeklagten H. beobachtet, der mit seinem Pkw gezielt im Stadtgebiet umherfuhr, um nach "Plakatabreißern" Ausschau zu halten und diese gegebenenfalls zu fotografieren. H. bemerkte dabei, dass der Nebenkläger als einer der "Plakatabreißer", durch eine Polizeistreife gestellt und kontrolliert, dann aber wieder freigelassen wurde.

Von H. über diesen Vorfall informiert, organisierte der Angeklagte B. sechs bis sieben weitere Personen, die sich im Pkw des H. und in einem von B. gesteuerten Pkw auf die Suche nach den "Plakatabreißern" begaben. Als sie den Nebenkläger mit zwei weiteren "Plakatabreißern" wahrnahmen, hielten sie an und nahmen zu Fuß die Verfolgung auf. Während H. mit einigen Begleitern vergeblich zwei der flüchtenden "Plakatabreißer" verfolgte, gelang es B. und seinen Begleitern den gestrauchelten und zu Fall gekommenen Nebenkläger zu stellen. Dieser erhielt von B. 's Begleitern etwa fünf Faustschläge gegen den Kopf und fünf Tritte in den Rumpf, während B. selbst das Geschehen beobachtete. Als Anwohner - alarmiert durch die Schreie des Nebenklägers - die Rollläden öffneten, ergriffen die Täter die Flucht. Der Nebenkläger erlitt bei dem Vorfall eine leichte Schädelprellung, eine leichte HWS-Distorsion, sowie Hämatome, weshalb er für zwei Tage im Krankenhaus verbleiben musste.

Rechtlich hat das Landgericht das Verhalten der Angeklagten als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB gewertet. Hinsichtlich des Angeklagten B. hat es einen minderschweren Fall verneint und diesen zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt; gegen den Angeklagten H. hat es unter Annahme eines minderschweren Falles eine Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen à 10 € verhängt.

II.

Die Bemessung der Höhe dieser Strafe durch das Landgericht ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn Rechtsfehler vorliegen, insbesondere wenn der Tatrichter von einem falschen Strafrahmen ausgegangen ist, seine Strafzumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind oder rechtlich anerkannte Strafzwecke außer Acht gelassen haben oder wenn sich die Strafe von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit nach oben oder nach unten inhaltlich löst, dass ein grobes Missverhältnis von Schuld und Strafe offenkundig ist (BGHR StGB § 46 Abs. 1 Beurteilungsrahmen 1 mwN).

Das ist hier nicht der Fall:

1. Als für den Angeklagten B. bestimmende Strafzumessungsgesichtspunkte hat die Strafkammer zu seinen Lasten zutreffend berücksichtigt, dass er die Führungsrolle bei dem Geschehen innehatte und eine größere Gruppe gewaltbereiter Personen um sich versammelt hatte. Zu seinen Gunsten hat das Landgericht - von der Revision unbeanstandet - rechtsfehlerfrei berücksichtigt, dass er nicht vorbestraft ist, selbst weder geschlagen noch getreten hat, einer langen Verfahrensdauer und einer belastenden Berichterstattung ausgesetzt war und infolge seiner Verurteilung mit dem Ausschluss aus dem Trierer Stadtrat rechnen muss. Weiter hat das Landgericht bedacht, dass der Nebenkläger durch sein strafbares Verhalten - das Abreißen von Wahlplakaten - das spontane Verhalten des Angeklagten provoziert hat, sich seine Verletzungen im unteren Rahmen bewegten und er weder körperliche noch psychische Schäden davon getragen hat.

Bei Abwägung dieser bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkte eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten zu verhängen, hält sich noch im Rahmen des dem Tatrichter eingeräumten Spielraums. Dass die Strafe milde ist und an der untersten Grenze des Spielraums liegt, mag richtig sein. Von einem groben Missverhältnis zwischen Schuld und Strafe kann aber nicht gesprochen werden. Soweit die Revision beanstandet, das Urteil lasse weitere zu Lasten des Angeklagten wirkende Strafzumessungsgesichtspunkte außer Betracht - z.B. dass die Gruppe von Schlägern nicht aus freien Stücken, sondern nur wegen der Öffnung der Rollläden von dem Nebenkläger abgelassen habe - verkennt sie, dass das Landgericht nach § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht gehalten war, sämtliche in Betracht kommende Zumessungserwägungen in den schriftlichen Urteilsgründen aufzuführen (BGHR StPO § 267 Abs. 3 Satz 1 Strafzumessung 2). Es besteht kein Anhalt dafür, dass die Strafkammer wesentliche Zumessungserwägungen übersehen hätte.

2. Zugunsten des Angeklagten H. hat die Strafkammer zusätzlich insbesondere bedacht, dass dieser bei dem eigentlichen Geschehen nur eine untergeordnete Rolle spielte, er bei den Körperverletzungen zum Nachteil des Nebenklägers nicht unmittelbar zugegen war und dass ihm wegen des Geschehens zu Unrecht die Fahrerlaubnis durch das Amtsgericht entzogen und sein Pkw beschlagnahmt worden war. Bei dieser Sachlage einen minderschweren Fall anzunehmen und unter Anwendung des § 47 Abs. 2 StGB auf eine Tagessatzhöhe von 120 Tagessätzen zu erkennen, hält sich - angesichts des bislang untadeligen Lebenswandels dieses Angeklagten und in Betracht dessen, dass ihm infolge des Strafverfahrens seine Stelle als Organist mit einem Monatsverdienst von 700 € gekündigt worden war (UA 6) - ebenfalls im Rahmen des dem Tatrichter zustehenden Spielraums. Die abweichende Wertung der Staatsanwaltschaft ist im Revisionsverfahren unerheblich.

3. Soweit die Revision schließlich meint, aus generalpräventiven Erwägungen sei eine deutliche Sanktionierung beider Angeklagten erforderlich, verkennt sie, dass das Landgericht diesen Strafzweck ausdrücklich erwogen und rechtsfehlerfrei verworfen hat (UA 47; vgl. Fischer, StGB 58. Aufl. § 46 Rn. 11 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 905

Bearbeiter: Karsten Gaede