HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 251
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 531/10, Urteil v. 15.12.2010, HRRS 2011 Nr. 251
Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 5. März 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Der Nebenkläger verfolgt mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision dessen Verurteilung wegen versuchten Totschlags. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
1. Der Angeklagte, ein trainierter Kampfsportler, handelte zusammen mit Landsleuten in den Jahren 2005 / 2006 im Raum Aachen mit Rauschgift im Kilobereich. Aufgrund von Revierstreitigkeiten war es im Sommer 2005 zu einer Auseinandersetzung mit einer Gruppe um die kosovarischen Brüder A. gekommen. Dabei wurde der Angeklagte von S. und L. A. zusammengeschlagen und fühlte sich fortan gedemütigt und in seiner Ehre verletzt, weshalb er auf Rache sann.
2. Am 12. März 2009 gegen 23.30 Uhr hielt sich der Angeklagte mit Freunden vor dem Eingang eines Aachener Kinos auf. Dort traf er auf die drei Brüder S., B. und D. A., die zufällig das gleiche Kino besuchen wollten. Sofort stürzte er sich auf S. A. und schlug diesem nach kurzem Wortwechsel ins Gesicht. Während sich die übrigen Anwesenden einige Meter abseits hielten, traten B. und D. ihrem Bruder zur Seite und es entwickelte sich zunächst eine verbale Auseinandersetzung mit gegenseitigen Beschimpfungen sowie ein Gerangel. Zu diesem Zeitpunkt hätte sich der Angeklagte durch Weggehen oder Weglaufen der von ihm provozierten Gefahrensituation entziehen können, er wollte jedoch der bevorstehenden Auseinandersetzung nicht aus dem Wege gehen. Während S. A. ein Messer und D. A. einen Gürtel oder eine zum Schlagen geeignete Kette in Händen hielten, war der Angeklagte mit einer 40-70 cm langen Machete bewaffnet. Zu Gunsten des Angeklagten geht das Landgericht davon aus, dieser habe die Machete nicht mitgeführt, sondern während des vorangegangenen Gerangels B. A. entwendet. Nun schlug der Angeklagte in Kenntnis der Gefährlichkeit der Waffe wuchtig - mit Verletzungsaber ohne Tötungsabsicht - auf seine sich jetzt passiv verhaltenden Kontrahenten ein. Dabei traf er D. A. an der Hand und am Kopf. Die scharfe Klinge der Machete drang in die Kopfhaut ein, verursachte eine 9 cm lange Fleischwunde, schälte ein Stück des knöchernen Schädeldachs ab und trennte einen Teil der Kopfschwarte vom Schädel (so genannte Skalpierungs-Verletzung). Während der Angeklagte fluchtartig den Tatort verließ, begann der Geschädigte sofort stark zu bluten.
Nach notärztlicher Erstversorgung wurde er stationär behandelt. Ohne rechtzeitige Hilfe wäre er möglicherweise verblutet, bei einem nur geringfügig veränderten Auftreffwinkel der Machete wäre die Schädeldecke vollständig durchdrungen und lebenswichtige Gehirnfunktionen wären beeinträchtigt worden. So aber sind Hand und Kopfverletzungen verheilt, zurückgeblieben ist eine starke Narbenbildung am oberen Kopf, wo keine Haare mehr wachsen, sowie psychische Beeinträchtigungen wie starke Angstgefühle.
3. Zumindest bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten hat das Landgericht nicht festzustellen vermocht. Weil das Töten eines Menschen die Überwindung einer hohen Hemmschwelle erfordere, könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte nicht von lebensgefährlichen Verletzungen ausgegangen sei und den Tod seines Kontrahenten nicht billigend in Kauf genommen habe, zumal es sich um ein dynamisches Geschehen gehandelt habe und er zufällig in den Besitz der Machete gelangt war.
Die Erwägungen, mit denen das Landgericht bedingten Tötungsvorsatz verneint hat, halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand:
Zunächst ist es für die Frage bedingten Vorsatzes ohne Aussagekraft, auf welche Weise der Angeklagte, der die Auseinandersetzung bewusst herbeigeführt hat, in den Besitz der Machete gelangt ist. Entscheidend ist vielmehr sein Vorstellungsbild, als er seinen Kontrahenten bewaffnet mit einem Schlagwerkzeug, das - wie er wusste - geeignet war, schwerste Verletzungen zu verursachen, angriff.
Soweit das Schwurgericht auf die erhöhte Hemmschwelle bei Tötungsdelikten verweist, genügt hier der bloße Hinweis für sich allein nicht für eine Verneinung zumindest bedingten Tötungsvorsatzes. Vielmehr ist stets unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sorgfältig zu prüfen, ob ein Täter, der sein gefährliches Handeln durchführt, obwohl er mit der Möglichkeit tödlicher Verletzung rechnet, den Tod des Opfers billigend in Kauf nimmt. Dies wird bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe liegen wenn - wie hier - das Ausbleiben des Todeserfolgs nur als glücklicher Zufall erscheinen kann (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 3, 5, 33, 35 und 38; BGH NStZ 2007, 150 f). Erforderlich ist stets eine umfassende Würdigung der objektiven und subjektiven Tatumstände, nämlich der konkreten Tatsituation und Angriffsweise, Lage und Abwehrmöglichkeit des Opfers, der psychischen Verfassung des Täters und seiner Motivation (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz bedingter 39; Fischer, StGB 57. Aufl. § 212 Rn. 7 m.w.N.).
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. So fehlen bereits Ausführungen zum Vorstellungsbild des geständigen, das Tatgeschehen aber nicht bereuenden (UA 26) Angeklagten bei Beginn seines Angriffs.
Das Landgericht stellt lediglich darauf ab, dass es sich um ein dynamisches, von dem Angeklagten nicht mehr kontrollierbares Geschehen gehandelt habe. Dies spricht hier jedoch nicht gegen sondern vielmehr für einen bedingten Tötungsvorsatz. Insbesondere ist nicht ersichtlich, wieso der Angeklagte bei unkontrollierten, mit voller Wucht gegen den Kopf seines Opfers geführten Schlägen, von denen jeder bei geringfügig anderem Auftreffwinkel tödlich gewesen wäre, ernsthaft auf das Ausbleiben eines entsprechenden Erfolgs vertraut haben sollte.
Der neue Tatrichter wird bei der Prüfung bedingten Vorsatzes auch die dem Angriff zugrunde liegende Motivlage des Angeklagten einzubeziehen haben. So könnte dem in seiner Ehre gekränkten, aus Wut- und Rachsucht die Auseinandersetzung um jeden Preis suchenden Angeklagten die in der konkreten Situation als möglich erkannte Tötung seines Opfers zumindest gleichgültig gewesen sein. Dass ihm dessen Tod möglicherweise unerwünscht war, steht der Annahme bedingten Vorsatzes nicht entgegen (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 42, 51).
HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 251
Externe Fundstellen: NStZ 2011, 210; NStZ-RR 2011, 110
Bearbeiter: Karsten Gaede