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HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 86

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 437/10, Beschluss v. 18.11.2010, HRRS 2011 Nr. 86


BGH 2 StR 437/10 - Beschluss vom 18. November 2010 (LG Gießen)

Rücktritt vom Versuch (unbeendeter Versuch: korrigierter Rücktrittshorizont, Abstandnahme von der Tat; fehlgeschlagener Versuch).

§ 24 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Auch wenn der Angeklagte während der Tat bereits davon ausgegangen ist, alles zur Verwirklichung des Tatbestands Erforderliche getan zu haben, kann hinsichtlich der Tat noch ein Rücktritt vom unbeendeten Versuch in Betracht kommen. Wenn der Angeklagte unmittelbar nach seiner letzten Ausführungshandlung erkennt, dass er sich über die mögliche Tatverwirklichung geirrt hat, und zugleich erkennt, dass weitere Handlungen zum erstrebten Erfolg erforderlich und möglich sind, ist eine so genannte Korrektur seines Rücktrittshorizontes anzunehmen. Sie schließt die Annahme eines beendeten Versuchs aus.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Gießen vom 22. März 2010 wird

a) der Schuldspruch im Fall II. 3 der Urteilsgründe dahingehend geändert, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern entfällt,

b) das Urteil im Strafausspruch zu Fall II. 3 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer als Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem sexuellen Missbrauch von Kindern, sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zu einer Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Einzelstrafausspruchs im Fall II. 3 sowie des Gesamtstrafenausspruchs; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet.

1. Die tateinheitliche Verurteilung im Fall II. 3 wegen versuchten sexuellen Missbrauchs gemäß § 176 Abs. 1 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen hätte das Landgericht erörtern müssen, ob der Angeklagte von dem versuchten sexuellen Missbrauch von Kindern nicht strafbefreiend gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB zurückgetreten ist. Dies hätte - trotz offenbar fehlender Erkenntnisse zum Vorstellungsbild des Angeklagten - mit Blick auf den Umstand nahe gelegen, dass er nach ablehnender Beantwortung seiner Frage durch B., ob sie seinen Penis mal streicheln wolle (UA S. 10), von einer weiteren Tatausführung Abstand genommen hat. Denn es ist insoweit jedenfalls nicht auszuschließen, dass ein unbeendeter Versuch vorgelegen hat, von dem der Angeklagte ohne weiteres Zutun allein durch Nichtweiterverfolgung der Tat zurücktreten konnte.

Zwar hatte der Angeklagte durch seine Frage an B. zunächst alles zur Verwirklichung des Tatbestands Erforderliche getan. Dass er deshalb in diesem Augenblick den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs für möglich hielt, lag mit Blick auf den Umstand, dass einfache Aufforderungen in der Vergangenheit den gewünschten Erfolg gehabt hatten (UA S. 8), zwar nahe. Doch wäre dann, wenn der Angeklagte unmittelbar nach dieser letzten Ausführungshandlung seinen Irrtum erkannt hätte und zugleich zu der Erkenntnis gelangt wäre, dass weitere Handlungen zum erstrebten Erfolg von Nöten wären, eine so genannte Korrektur seines Rücktrittshorizontes anzunehmen (vgl. dazu Fischer, StGB, 57. Aufl., § 24 Rn. 15a mN zur Rspr.), die die Annahme eines beendeten Versuchs ausschließen würde. Soweit das Tatopfer sofort nach der Aufforderung das Ansinnen des Angeklagten ablehnte, ist nach den bisherigen Feststellungen letztlich nicht auszuschließen, dass der Angeklagte in diesem Augenblick seinen Rücktrittshorizont tatsächlich korrigierte und erkannte, dass es zur Vollendung noch weiteren Handelns seinerseits bedurfte.

Wäre er dabei ungeachtet der zur Zurückhaltung auffordernden Haltung seiner Ehefrau davon ausgegangen, dass ihm nach der Weigerung des Tatopfers noch weitere, gleichartige Handlungsmöglichkeiten - wie etwa die Wiederholung seiner Aufforderung, gegebenenfalls auch in fordernder Form, oder das Anbieten einer "Belohnung" - zur Verfügung stehen, wäre der Versuch auch nicht fehlgeschlagen. Es ist auch insoweit nicht auszuschließen, dass der Angeklagte gerade im Bewusstsein dieser Möglichkeiten von der weiteren Tatausführung Abstand genommen hat und freiwillig und damit strafbefreiend zurückgetreten ist (vgl. BGH StV 1995, 634).

Die tateinheitliche Verurteilung wegen versuchten sexuellen Missbrauchs konnte daher keinen Bestand haben. Angesichts des Umstands, dass der Angeklagte die Taten bisher geleugnet und keine Angaben zur Tat II. 3 gemacht hat, sind auch von einer neuen Verhandlung keine Feststellungen zu erwarten, die zu einem späteren Ausschluss eines freiwilligen Rücktritts führen würde.

Der Senat entscheidet deshalb in der Sache selbst und lässt die tateinheitliche Verurteilung insoweit entfallen.

2. Die Schuldspruchänderung führt zur Aufhebung der Einzelstrafe im Fall II. 3 und des Gesamtstrafenausspruchs. Es ist nicht auszuschließen, dass sich der Rechtsfehler auf den Einzelstrafausspruch ausgewirkt hat. Die Kammer hat die tatbestandliche Verurteilung ausdrücklich strafschärfend berücksichtigt (UA S. 34). Die Aufhebung der Einzelstrafe führt zur Aufhebung der Gesamtstrafe.

Da die Feststellungen von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind, können sie bestehen bleiben.

HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 86

Bearbeiter: Karsten Gaede