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HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 871

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 407/10, Beschluss v. 08.09.2010, HRRS 2010 Nr. 871


BGH 2 StR 407/10 - Beschluss vom 8. September 2010 (LG Aachen)

Rechtsfehlerhafte Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe (Unerlässlichkeit; Gebotenheit).

§ 47 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten hat regelmäßig nur dann Bestand, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar bzw. "unerlässlich" (§ 47 Abs. 1 StGB) erweist (BGHR StGB § 47 Abs. 1 Umstände 6). Sie darf nicht verhängt werden, wenn sie einem Gericht lediglich "geboten" erscheint.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 4. Mai 2010 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht - Strafrichter - Aachen zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

In seiner Zuschrift an den Senat hat der Generalbundesanwalt unter anderem ausgeführt:

"Die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe hält rechtlicher Nachprüfung indes nicht stand. Grundsätzlich ist die Strafzumessung Sache des Tatrichters und eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle durch das Revisionsgericht ausgeschlossen. Dieses darf lediglich nachprüfen, ob dem Tatrichter ein Rechtsfehler unterlaufen ist (st. Rspr.; vgl. die Nachweise bei Fischer StGB 57. Auflage § 46 Rn 146).

Davon ausgehend ist zu besorgen, dass das Landgericht bei der Beurteilung, ob besondere Umstände im Sinne von § 47 Abs. 1 StGB vorgelegen haben, von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten hat regelmäßig nur dann Bestand, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar bzw. "unerlässlich" (§ 47 Abs. 1 StGB) erweist (BGHR StGB § 47 Abs. 1 Umstände 6; Fischer a.a.O. § 47 Rn 7). Die Strafkammer hat die kurze Freiheitsstrafe anstelle einer Geldstrafe jedoch lediglich für "geboten" (UA S. 10) erachtet. Dass eine Freiheitsstrafe "geboten" (d.h. angebracht, sinnvoll, präventiv Erfolg versprechend usw.) ist, reicht allerdings nicht aus (Fischer a.a.O.; OLG Stuttgart StraFo 2009, 118 f.). Zwar war sich die Kammer des Ausnahmecharakters der Vorschrift des § 47 StGB durchaus bewusst (vgl. UA S. 10). Jedoch vermögen auch die Erwägungen der Kammer zur Begründung der kurzen Freiheitsstrafe - namentlich die Ausführungen zum Lebenswandel des Angeklagten und dessen Haltung zur Tat (UA S. 10) - nicht zu belegen, dass die Kammer - entgegen dem von ihr gewählten Wort laut - die kurze Freiheitsstrafe für unerlässlich gehalten hat. Auch diese Ausführungen sprechen dafür, dass die Kammer die Freiheitsstrafe lediglich für geboten erachtet hat.

Im Hinblick auf die - angesichts des Bestreitens des Handeltreibens durch den Angeklagten - nicht unbedenklichen Erwägungen der Kammer zur Bagatellisierung seiner Tat, erscheint die Aufhebung der zugehörigen Feststellungen sachgerecht, auch wenn diese rechtsfehlerfrei getroffen wurden.

Schließlich erscheint es sachgerecht, von der Möglichkeit des § 354 Abs. 3 StPO Gebrauch zu machen und die Sache an das Amtsgericht - Strafrichter - Aachen zurückzuverweisen, da dessen Strafgewalt ausreicht."

Dem kann sich der Senat nicht verschließen und bemerkt ergänzend:

Dass der Angeklagte - für den Senat nicht nachvollziehbar - hinsichtlich der in seinem Wohnzimmer sichergestellten 10 kg Amphetamin nicht wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmittel in nicht geringer Menge bzw. wegen unerlaubten Besitzes an dieser Rauschgiftmenge verurteilt worden ist, beschwert ihn nicht.

HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 871

Bearbeiter: Karsten Gaede