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HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 961

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 274/10, Beschluss v. 08.09.2010, HRRS 2010 Nr. 961


BGH 2 StR 274/10 - Beschluss vom 8. September 2010 (LG Bad Kreuznach)

Mord (Voraussetzung der Heimtücke: Arglosigkeit); minder schwerer Fall des Totschlages.

§ 211 StGB; § 212 StGB; § 213 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen des Angeklagten und des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Bad Kreuznach vom 18. Dezember 2009 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des versuchten Totschlages in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig ist.

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das genannte Urteil im Strafausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehenden Revisionen des Angeklagten und des Nebenklägers werden verworfen.

4. Der Nebenkläger hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlages zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er eine Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, führt zur Ergänzung des Schuldspruchs und zur Aufhebung im Strafausspruch (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen war sie als unbegründet zu verwerfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

Die Revision des Nebenklägers hat ebenfalls die Ergänzung des Schuldspruchs zur Folge, bleibt aber im Übrigen ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Der Schuldspruch wegen versuchten Totschlags hält hinsichtlich beider Revisionsbegründungen rechtlicher Überprüfung stand. Er ist jedoch unter Berücksichtigung der tateinheitlich begangenen gefährlichen Körperverletzung, die die Kammer versehentlich nicht in den Urteilstenor aufgenommen hat (vgl. UA S. 40), zu ergänzen.

Entgegen der Rüge der Nebenklage begegnet die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe nicht heimtückisch gehandelt, da der Nebenkläger beim tödlichen Angriff nicht arglos gewesen sei, keinen durchgreifenden Bedenken. Die Kammer hat zwar ausdrücklich nur darauf abgestellt, dass der Nebenkläger schon beim ersten Anblick des Angeklagten mit einer körperlichen Auseinandersetzung gerechnet habe, weil er dessen 15-jährige Tochter sexuell belästigt hatte, und dass er sich deshalb sogleich, ohne den Angeklagten auch nur zu begrüßen, entfernen wollte. Aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich aber, dass die fehlende Arglosigkeit des Nebenklägers auch zu Beginn der mit Tötungsvorsatz begangenen Handlung noch andauerte. Dies steht der Annahme der Heimtücke entgegen (vgl. BGHSt 32, 382, 384; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 7 und 13). Nach den Feststellungen der Kammer hat der Angeklagte den Nebenkläger im Folgenden nämlich angehalten und unvermittelt gefragt, was dieser mit seiner Tochter mache, und sodann, als er den Eindruck hatte, der Nebenkläger grinse ihn verhöhnend an, den Tatentschluss gefasst.

Vor diesem Hintergrund begegnet die Annahme, der Nebenkläger sei nicht arglos gewesen, keinen Bedenken, da insbesondere die Frage nach der Tochter des Angeklagten die Befürchtungen des Nebenklägers verstärken musste. Dem steht nicht entgegen, dass der Nebenkläger bis zuletzt nicht bemerkt hatte, dass der Angeklagte ein Messer mit sich führte, und sich somit in der Gefährlichkeit des zu erwartenden Angriffs verschätzt haben kann (vgl. insoweit BGHR StGB § 211 Heimtücke 13).

2. Auf die Revision des Angeklagten war das Urteil im Strafausspruch aufzuheben. Die Bestimmung des Strafrahmens ist fehlerhaft.

a) Das Landgericht hat sich rechtfehlerhaft nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Voraussetzungen eines minderschweren Falls des versuchten Totschlags im Sinne des § 213 Alt. 1 oder Alt. 2 StGB vorlagen. Unter den gegebenen Umständen hätte es sich zu einer Erörterung gedrängt sehen müssen. Schon zur Prüfung der zwingenden Strafmilderung nach § 213 Alt. 1 StGB bestand Anlass, da die Kammer davon ausgegangen ist, der Angeklagte habe erst an diesem Abend von den sexuellen Übergriffen des Nebenklägers auf seine Tochter erfahren und habe den Gesichtsausdruck des Nebenklägers als verhöhnend und deshalb provozierend empfunden, was bei ihm zu einer affektiven Erregung und dem spontanen Tatentschluss geführt habe (UA S. 32). Jedenfalls hätte es der Erörterung bedurft, ob die allgemeinen Strafmilderungsgründe die Annahme eines sonst minderschweren Falles nach § 213 Alt. 2 StGB rechtfertigen konnten. Bereits an dieser Stelle wären zugunsten des Angeklagten die Strafmilderungsgründe, die das Gericht im Rahmen der konkreten Strafzumessung angeführt hat (Teilgeständnis, ernsthafte Reue, Handeln aufgrund von Ärger, Wut und Erregung aufgrund der Übergriffe auf seine Tochter, spontaner Tatentschluss, keine erhebliche dauerhafte körperliche Beeinträchtigung des Opfers, Erstverbüßer), unter Berücksichtigung der Strafschärfungsgründe zu würdigen gewesen. Hätten nach der Bewertung des Tatrichters die allgemeinen Strafmilderungsgründe allein zur Begründung eines minderschweren Falls nicht ausgereicht, hätte auch der vertypte Strafmilderungsgrund des § 23 Abs. 2 StGB neben allen anderen, in den Urteilsgründen dargestellten Milderungs- und Erschwerungsgründen im Rahmen einer Gesamtbewertung erörtert werden müssen.

b) Der Strafausspruch kann auf diesem Rechtsfehler beruhen. Zwar hat das Gericht die Strafe dem wegen Versuchs gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen. Doch schon der einfach gemilderte Strafrahmen des § 213 StGB (ein Jahr bis zehn Jahren Freiheitsstrafe) wäre für den Angeklagten günstiger, wobei auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei zutreffender Gesamtwürdigung selbst der Strafrahmen des § 213 StGB wegen eines - zur Begründung des minderschweren Falles womöglich nicht benötigten - vertypten Strafmilderungsgrundes noch einmal herabgesetzt worden wäre.

Angesichts der nicht unerheblichen Strafe in Höhe von sechs Jahren kann der Senat nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei einem anderen Strafrahmen zu einer niedrigeren Strafe gelangt wäre. Die Strafe muss deshalb neu zugemessen werden.

HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 961

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2011, 10

Bearbeiter: Karsten Gaede