hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 957

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 213/10, Beschluss v. 01.09.2010, HRRS 2010 Nr. 957


BGH 2 StR 213/10 - Beschluss vom 1. September 2010 (LG Aachen)

Totschlag (brutale Tatausführung und Persönlichkeitsstörung; verminderte Schuldfähigkeit).

§ 212 StGB; § 21 StGB; § 46 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung besagt zwar nicht, dass aus diesem Grund jede Mitberücksichtigung belastender Tatmodalitäten unzulässig wäre (vgl. Senat, BGHR StGB § 21 Strafzumessung 2). Tatmodalitäten, die weniger Ausdruck einer sich frei entfaltenden verbrecherischen Energie, sondern Anzeichen für die Stärke einer seelischen Beeinträchtigung sind, dürfen einem vermindert Schuldfähigen nicht uneingeschränkt angelastet werden (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 105, 106).

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 30. November 2009 im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hatte den Angeklagten in einem ersten Urteil wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Der Senat hat dieses Urteil auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers durch Urteil vom 29. April 2009 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Nunmehr hat das Landgericht den Angeklagten wegen eines im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit begangenen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten.

Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

Der Strafausspruch hat keinen Bestand.

Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte zur Tatzeit an einer organisch bedingten Persönlichkeitsstörung litt. Dies bewirkte "eine erheblich verminderte Belastbarkeit bei den ständigen ehelichen Auseinandersetzungen". Nachdem der Angeklagte in der vorangegangenen Nacht kaum geschlafen hatte, wurde er durch erneuten Streit mit seiner Ehefrau von einem "gereizt affektiven Syndrom von tiefem Ausmaß mit Zorn, Hass und Ärger" praktisch "überrollt". Dies führte zu den Tötungshandlungen. Auch der dabei vorgenommene Wechsel des Tatmittels "trat hinter der Erkrankung und dem Affekt" zurück. Gleichwohl hat das Landgericht es als strafschärfend bewertet, "dass die Tötung durch eine besonders brutale, heftige und mehraktige Tatausführung gekennzeichnet war". Dies ist rechtsfehlerhaft.

Das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung besagt zwar nicht, dass aus diesem Grund jede Mitberücksichtigung der genannten Tatmodalitäten unzulässig wäre (vgl. Senat, BGHR StGB § 21 Strafzumessung 2). Die Ausführungen der Strafkammer lassen aber besorgen, dass sie der Handlungsintensität zu großes Gewicht zuerkannt hat. Tatmodalitäten, die weniger Ausdruck einer sich frei entfaltenden verbrecherischen Energie, sondern Anzeichen für die Stärke einer seelischen Beeinträchtigung sind, dürfen einem vermindert Schuldfähigen nicht uneingeschränkt angelastet werden (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 105, 106). Der Senat kann nicht sicher ausschließen, dass der Strafausspruch auf dem Rechtsfehler beruht.

HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 957

Bearbeiter: Karsten Gaede