HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 153
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 446/09, Urteil v. 16.12.2009, HRRS 2010 Nr. 153
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 25. März 2009 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen sexuellen Missbrauch widerstandsunfähiger Personen mit Todesfolge verurteilt ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels,
an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil wird als unbegründet verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Überlassens von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch sowie wegen sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen mit Todesfolge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Dagegen richten sich die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft und die Revision des Angeklagten jeweils mit der Sachrüge.
Nach den Feststellungen des Landgerichts traf sich der Angeklagte am Abend des 24. April 2008 mit dem späteren Tatopfer S. Der Angeklagte hatte MDMA-Kristalle mitgebracht, die er zu Pulver zerstieß und in Cola auflöste. Der Angeklagte und S. tranken jeweils ein Glas; beide nahmen jeweils etwa 1480 mg reines MDMA zu sich, was der Wirkstoffmenge von 14 bis 15 Ecstasy-Tabletten entsprach. Es kam dann zu einverständlichen sexuellen Handlungen, auch mit verschiedenen Dildos und Analplugs. Der Angeklagte versuchte, den größten Analplug mit einem Durchmesser von 12 cm bei S. einzuführen, was aber nicht gelang, weil er zu groß war. Der Angeklagte suchte dann die Toilette auf; als er ins Schlafzimmer zurückkehrte, lag S. aufgrund der Intoxikation mit MDMA bewusstlos in Bauchlage auf dem Bett. Der Angeklagte bemerkte dies. Er war aufgrund der stimulierenden Wirkung des MDMA, von am Nachmittag betrachteten pornographischen Bildern und Filmen, die das Einführen von Händen und großen Gegenständen in Anus und Vagina von Frauen zum Gegenstand hatten, und der vorangegangenen sexuellen Handlungen hochgradig erregt und sah eine willkommene Gelegenheit, seine sexuellen Fantasien in die Tat umzusetzen. Unter erheblichem Kraftaufwand, wobei er S. zum Teil an den Oberarmen und Oberschenkeln kräftig festhielt, führte der Angeklagte unter anderem den großen Analplug mit 12 cm Durchmesser in ihren Anus ein, wobei er die Enddarmwand durchstieß und umfangreiche Zerreißungen des umgebenden Gewebes verursachte.
Ebenso führte er mit großem Kraftaufwand eine Weinflasche, die er am Flaschenhals fasste, mit dem Boden voran nahezu vollständig ein, wobei er die Flasche hin- und herdrehte, um das Einführen zu ermöglichen. S. erlitt dadurch in der Vaginal- und Analregion schwerste Verletzungen, die in Kombination mit der Intoxikation durch das MDMA nach einem Zeitraum von mindestens 15 Minuten zum Tode führten.
Der Angeklagte bemerkte, dass S. blutete. Er untersuchte sie mit Hilfe der Nachttischlampen und sah, dass er ihr schwere Verletzungen zugefügt hatte. Er führte dennoch weiter Gegenstände in ihren Körper ein, bis die verschiedenen von ihm verwendeten Cremes und Gleitmittel nahezu vollständig aufgebraucht waren. Der Angeklagte ließ schließlich von ihr ab und legte eine der Bettdecken über ihren von der Hüfte abwärts blutverschmierten Körper. Er reinigte sich mit Handtüchern und Papiertüchern und sammelte den Aschenbecher mit Kippen, die blutigen Sexspielzeuge, die blutbenetzte Weinflasche, die blutbeschmierten Behältnisse der Cremes und Gleitmittel, die benutzten blutverschmierten Papiertücher und Handtücher sowie CD's, DVD's u.a. in einen Stoffbeutel. Er versuchte, einige der blutigen Spuren in der Wohnung zu beseitigen. Dann duschte er sich und zog sich an. Gegen 8.00 Uhr am 25. April 2008 verließ er die Wohnung mit dem Stoffbeutel und fuhr zu einer nahe gelegenen Bank, wo er am Automaten Geld abhob.
Nach der Überzeugung des Landgerichts war dem Angeklagten nicht bewusst, dass er S. durch seine Handlungen so schwere Verletzungen zufügte, dass sie an deren Folgen - im Zusammenwirken mit dem Drogenkonsum - versterben würde. Er habe die von ihm benutzen Gegenstände nicht als "Waffen" oder gefährliche Werkzeuge angesehen, sondern als Sexspielzeug, wie er es auch im Einvernehmen mit verschiedenen Frauen zuvor schon vielfach eingesetzt gehabt habe, und habe sein eigenes Lusterleben lediglich durch die Verwendung größerer Gegenstände noch steigern wollen. Er habe die Möglichkeit, dass S. aufgrund der sexuellen Handlungen versterben könne, auch nicht billigend in Kauf genommen. Zu dem Zeitpunkt, als er S. untersucht habe, sei diese möglicherweise schon tot gewesen, jedenfalls sei der Angeklagte nicht ausschließbar subjektiv davon ausgegangen.
Der Angeklagte habe sich aber des sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person mit Todesfolge schuldig gemacht, weil sich ihm die Möglichkeit der Verursachung schwerster innerer Verletzungen habe aufdrängen müssen. Hingegen sei ihm die Todesfolge hinsichtlich des Überlassens des MDMA nicht zuzurechnen, weil der Tod nur im Zusammenwirken mit den sexuellen Handlungen eingetreten und dies im Zeitpunkt des Überlassens nicht vorhersehbar gewesen sei.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat im Wesentlichen Erfolg.
1. Die Beweiswürdigung, mit der das Landgericht einen Tötungsvorsatz bei Vornahme der sexuellen Handlungen verneint hat, ist widersprüchlich und lückenhaft. Die Feststellung, dass der Angeklagte die von ihm benutzten Gegenstände nicht als "Waffen" oder gefährliche Werkzeuge, sondern als Sexspielzeuge angesehen habe (UA S. 16, 55), lässt sich hinsichtlich des Analplugs mit 12 cm Durchmesser und der Weinflasche nicht mit den festgestellten Umständen vereinbaren. Der Angeklagte wusste, dass der Analplug mit 12 cm Durchmesser zu groß war, um ihn anal oder vaginal einzuführen. So hatte eine frühere Sexualpartnerin in Gegenwart des Angeklagten vergeblich versucht, diesen Analplug in ihre Vagina einzuführen (UA S. 6). Bei S. hatte der Angeklagte dies vor dem Tattag (UA S. 7) und am Tattag selbst, als sie noch bei Bewusstsein war, ebenfalls vergeblich (UA S. 14) versucht. Unter diesen Umständen liegt es fern, dass dem Angeklagten nicht bewusst gewesen ist, dass ein gewaltsames vollständiges vaginales oder anales Einführen dieses großen Analplugs zu schweren Verletzungen führen könnte. Dies gilt erst recht für das Einführen einer Weinflasche mit dem Flaschenboden voran durch Hin- und Herdrehen unter erheblichem Kraftaufwand. Bei dieser Art des Einsatzes liegt es ausgesprochen nahe, dass erhebliche, möglicherweise sogar lebensgefährliche körperliche Verletzungen hervorgerufen werden. Das Landgericht hat sich mit der Verwendung einer Weinflasche auch nicht ausdrücklich auseinandergesetzt, sondern diese fehlerhaft mit üblichem "Sexspielzeug" gleichgesetzt, das der Angeklagte zuvor schon vielfach eingesetzt habe. Auf der Grundlage der hierzu neu zu treffenden Feststellungen wird der neue Tatrichter dann das voluntative Element des Vorsatzes zu prüfen haben.
2. Falls ein (bedingter) Tötungsvorsatz bei Verursachung der schweren Verletzungen nicht feststellbar ist, wird erneut zu prüfen sein, ob der Angeklagte im Verlauf der Nacht erkannte, dass S. hilfebedürftig war, also ein - ggf. versuchtes - Tötungsdelikt durch Unterlassen vorliegt.
3. Demgegenüber weist die Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Überlassens von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch keinen Rechtsfehler auf; ein solcher wird von der Revisionsführerin auch nicht dezidiert behauptet.
Die Revisionsbegründung des Angeklagten zeigt weder zum Schuldspruch noch zum Strafausspruch Rechtsfehler zu seinem Nachteil auf.
Eine Rechtfertigung der Tathandlungen durch die Einwilligung von S. mit der Einnahme des Betäubungsmittels und der Vornahme von sexuellen Handlungen, worauf der Revisionsvortrag des Angeklagten abzielt, kommt nach den vorliegenden Feststellungen nicht in Betracht. Angesichts des Umfangs der dem Opfer hier beigebrachten Gesundheitsschädigung und des Grades der damit verbundenen weiteren Leibes- oder Lebensgefahr wäre die Körperverletzung auch bei einer Einwilligung unvereinbar mit den guten Sitten (vgl. BGHSt 49, 34, 42; 49, 166, 171 f.). Im Übrigen würde eine wirksame Einwilligung voraussetzen, dass sie mit vollem Verständnis der Sachlage erteilt wird und der Einwilligende namentlich eine zutreffende Vorstellung vom voraussichtlichen Verlauf und den möglichen Folgen der zu erwartenden Handlungen hat (vgl. BGH NStZ 2000, 87). Schon dies erscheint nach den bisherigen Feststellungen ausgeschlossen.
HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 153
Externe Fundstellen: NStZ 2010, 389
Bearbeiter: Karsten Gaede