HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 257
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 427/09, Urteil v. 03.03.2010, HRRS 2010 Nr. 257
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Fulda vom 27. April 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf dreier, teils gemeinschaftlich begangener sexueller Nötigungen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft, deren Rechtsmittel vom Generalbundesanwalt vertreten wird, mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Ein grundlegender Mangel des Urteils liegt bereits darin, dass es nicht erkennen lässt, welchen Sachverhalt das Landgericht als festgestellt erachtet. Vielmehr schließt sich nach Mitteilung des Anklagevorwurfs unmittelbar die Beweiswürdigung an.
Spricht aber der Tatrichter den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen frei, so muss er in den Urteilsgründen zunächst den Anklagevorwurf, hieran anschließend die hierzu getroffenen Feststellungen, dann die wesentlichen Beweisgründe und schließlich seine rechtlichen Erwägungen mitteilen. Der Tatrichter muss also zunächst diejenigen Tatsachen bezeichnen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen er die zur Verurteilung notwendigen Feststellungen nicht treffen konnte (BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 10, 13 jeweils m.w.N.; BGH NStZ 2009, 512, 513; zum Aufbau eines freisprechenden Urteils Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen 28. Aufl. Rdn. 619 ff.). Hier sind die Freisprüche - weil tatsächliche Feststellungen nicht ausgewiesen sind - aus den Urteilsgründen selbst heraus nicht nachvollziehbar und nicht überprüfbar. Bereits dieser Darstellungsmangel zwingt zur Aufhebung des Urteils.
Im Übrigen hält auch die Beweiswürdigung sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, bzw. gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16 m.w.N.). Insbesondere sind die Beweise auch erschöpfend zu würdigen (BGHSt 29, 18, 20). Ist die Beweislage schwierig und hängt die Entscheidung im Wesentlichen davon ab, ob das Gericht den Angaben des potentiellen Opfers einer Sexualstraftat oder dem Angeklagten folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13, 14). Dies gilt insbesondere dann, wenn die einzige Belastungszeugin in der Hauptverhandlung ihre Vorwürfe im Wesentlichen nicht mehr aufrechterhält (BGHSt 44, 153, 159; 256; BGH NStZ-RR 2008, 254; Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 261 Rdn. 11 a).
Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung nicht gerecht:
Sie ist lückenhaft, weil das Urteil nicht erkennen lässt, dass das Landgericht alle Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, in seine Überlegungen einbezogen hat.
1. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, zusammen mit drei anderen nach einem Discobesuch die Geschädigte - unter dem Vorwand, sie nach Hause fahren zu wollen - zu einer gemeinsamen PKW-Fahrt überredet zu haben. Bei einem Halt auf einem Feldweg habe der Angeklagte die Zeugin aus dem PKW gezerrt, sie zu küssen versucht und zusammen mit einem der Mitfahrer ihre Hose gewaltsam heruntergezogen, um gegen ihren Willen mit ihr den Beischlaf zu vollziehen, was letztlich an ihrer heftigen Gegenwehr gescheitert sei.
Während der anschließenden Weiterfahrt habe der neben der Geschädigten auf dem Rücksitz des PKW's sitzende Angeklagte erfolglos durch gewaltsames Herunterdrücken des Kopfes diese zur Ausführung des Oralverkehrs zwingen wollen. Nach dem Scheitern dieser Bemühungen habe er die Hand der Zeugin zu seinem erigierten Glied geführt und bis zum Samenerguss hin und her bewegt.
2. Diesen vor allem auf den polizeilichen Aussagen der Geschädigten beruhenden Anklagevorwurf hält die Strafkammer nicht für erwiesen, weil sich die Zeugin in der Hauptverhandlung zunächst auf Erinnerungslücken berufen und später ihre Aussage relativiert habe. Der Angeklagte hingegen habe bestritten, an dem stattgefundenen Vergewaltigungsversuch außerhalb des PKW beteiligt gewesen zu sein. Die sich anschließenden sexuellen Handlungen auf der Rücksitzbank seien einvernehmlich erfolgt, er habe der Geschädigten nur die Hand geführt (UA 9).
3. Die Beweiswürdigung der Strafkammer ist bereits deshalb rechtsfehlerhaft, weil es an einer geschlossenen Darstellung der Aussage der im Ermittlungsverfahren mehrfach vernommenen Geschädigten fehlt. Das Revisionsgericht kann so nicht prüfen, ob der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung zu beeinflussen geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Insbesondere bleibt unerörtert, welche belastenden Aussagen die Zeugin bei welcher polizeilichen Vernehmung überhaupt gemacht hat sowie, ob und ggf. welche Angaben sie zu den vom Angeklagten behaupteten sexuellen Annäherungen ihrerseits in der Discothek und während der Fahrt bis zum Anhalten auf dem Feldweg gemacht hat.
4. Darüber hinaus ist die Beweiswürdigung deshalb lückenhaft, weil sich das Landgericht nicht damit auseinandersetzt, welches Motiv die Geschädigte gehabt haben könnte, den ihr bis dahin völlig unbekannten Angeklagten und dessen drei Freunde zu Unrecht einer sexuellen Nötigung zu beschuldigen. Die Erwägung, die Geschädigte könnte die Geschehnisse zunächst eher "dramatisiert" haben (UA 6), ist insoweit unbehelflich.
Weitere, von der Strafkammer unberücksichtigte Indizien für die Glaubwürdigkeit der Zeugin sind, dass das von ihr geschilderte äußere Tatgeschehen 13 im PKW insoweit vom Angeklagten, dessen Spermaspuren ausweislich der Anklage auf der Jacke der Geschädigten gesichert werden konnten, eingeräumt wird und dass der von ihr angezeigte Vergewaltigungsversuch außerhalb des PKW's nach der Anklage eine objektive Bestätigung durch von den Verletzungen gefertigte Lichtbilder findet. Auch der Angeklagte selbst räumt den von der Geschädigten angezeigten Vergewaltigungsversuch auf dem Feldweg ein, der jedoch nicht von ihm, der im Auto sitzen geblieben sein will, sondern ausschließlich von seinen Mitfahrern unternommen worden sein soll.
Weiterhin spräche es für die Glaubwürdigkeit der Geschädigten, wenn sie sich im unmittelbaren Anschluss an die PKW-Fahrt noch vor Anzeigeerstattung ihren Eltern anvertraut hätte, wofür sich in den Urteilsgründen Anhaltspunkte finden (UA 6); auch insoweit fehlt es an der erforderlichen Wiedergabe der von dem Vater der Geschädigten in der Hauptverhandlung dazu offenbar gemachten Bekundungen.
Ebenso wenig werden die früheren Einlassungen des Angeklagten mitgeteilt, und es wird nicht erwogen, dass es sich in der Hauptverhandlung um eine der damaligen Beweislage angepasste Einlassung gehandelt haben könnte. Zu einer solchen Überlegung hätte umso mehr Veranlassung bestanden, weil die Strafkammer selbst mitteilt, dass der Angeklagte und seine als Zeugen vernommenen Mitfahrer im Vorfeld der Hauptverhandlung eine Falschaussage mit dem Ziel der Entlastung Einzelner verabredet hatten (UA 7).
5. Dass - wovon die Strafkammer ausgeht - die gerade einer Vergewaltigung entronnene Geschädigte unmittelbar anschließend in gelöster Stimmung (UA 6/7) freiwillig auf der Rücksitzbank an dem Angeklagten sexuelle Handlungen vorgenommen haben könnte, bzw. dass der Angeklagte ungeachtet des gerade vorausgegangenen Vergewaltigungsversuchs jedenfalls von einer freiwilligen sexuellen Hingabe der Zeugin, deren Hand er "führte" (UA 9), ausgegangen war, widerspricht der Lebenserfahrung und hätte eingehender begründet werden müssen.
6. Der neue Tatrichter wird auch denkbaren Ursachen für ein gegebenenfalls zögerliches Aussageverhalten der Geschädigten nachzugehen haben.
HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 257
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2010, 182
Bearbeiter: Karsten Gaede