HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 517
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 153/09, Beschluss v. 07.04.2010, HRRS 2010 Nr. 517
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Limburg an der Lahn vom 12. November 2008 wird als unbegründet verworfen, jedoch gilt zur Kompensation für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung in der Revisionsinstanz ein weiterer Monat der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue in 22 Fällen unter Auflösung der Gesamtfreiheitsstrafen und Einbeziehung der Einzelstrafen aus zwei Vorverurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Es hat von dem Angeklagten auf eine Bewährungsauflage aus einer der Vorverurteilungen erbrachte Zahlungen mit sieben Monaten auf die verhängte Strafe angerechnet und angeordnet, dass zur Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung weitere sechs Monate als verbüßt gelten. Die auf mehrere Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zur Kompensation für eine weitere Verzögerung des Verfahrens. Im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Das Landgericht hat festgestellt:
1. Fälle 1 bis 21 der Urteilsgründe (Komplex B.)
Die V. GmbH, hinter der wirtschaftlich die Zeugen K. und Ka. standen, erwarb im Jahr 2000 ein mit Wohngebäuden bebautes ehemaliges Kasernengelände in B. zum Preis von 1 Mio. DM. Aus den Weiterverkäufen eines Teils der geplanten Eigentumswohnungen - z. T. unter Zwischenschaltung einer spanischen Gesellschaft - erzielten die Zeugen einen Gesamterlös von knapp 2,6 Mio. DM. Die Kreissparkasse B. finanzierte sowohl die Kaufpreise als auch die um ein Mehrfaches höheren Kosten der anstehenden Sanierung der Wohnungen durch die Käufer in voller Höhe.
Der Angeklagte nahm als Notar beim Ankauf und Verkauf der Wohnungen die Beurkundungen vor; die Abwicklung der Zahlungen sollte in allen Fällen über von ihm geführte Notaranderkonten erfolgen. Ihm war bekannt, dass sich K. und Ka. in finanziellen Schwierigkeiten befanden, dass sie die Kreditentscheidungen der Sparkasse in allen Fällen nur durch Täuschung über die mangelnde Bonität der Käufer und über die Werthaltigkeit vereinbarter Sicherheiten herbeiführen konnten und dass sie in den meisten Fällen auch darüber täuschten, dass die beurkundeten Kaufpreise um den Betrag von Kick-back-Zahlungen an die Käufer und/oder verdeckter Vermittlungsprovisionen in Höhe von mehr als 50 % des jeweiligen Kaufpreises überhöht waren.
Die Kreissparkasse überwies in allen Fällen die Darlehensvaluta bzw. Teile hiervon in mehreren Tranchen auf das jeweilige Anderkonto des Angeklagten. Dieser buchte sämtliche Zahlungseingänge jeweils umgehend auf ein allgemeines Geschäftskonto seiner Anwaltskanzlei um, um die weiteren Zahlungsflüsse vor der Darlehensgeberin zu verschleiern und der Überwachung durch die Notaraufsicht zu entziehen. Aus den Einlagen auf dem Geschäftskonto bediente der Angeklagte in der Folge nicht nur die Kaufpreis- und Werklohnansprüche. Vielmehr erbrachte er auf Grund unwiderruflicher Zahlungsanweisungen der Verkäuferseite auch die vereinbarten Kick-back-Zahlungen an die jeweiligen Käufer und die Vermittlungsprovisionen unmittelbar vom Kanzleikonto.
Die Kredite wurden in sämtlichen Fällen notleidend. Eine Zwangsversteigerung war nur in einem Teil der Fälle möglich, da die Eintragung der Grundpfandrechte nicht bei allen Objekten gelungen war und da das mit der Sanierung beauftragte Bauunternehmen durch Abzug von der Baustelle unter Ausbau von Fenstern und Türen eines der Häuser als Bauruine hinterlassen hatte, nachdem die Sparkasse 2002 die Unregelmäßigkeiten erkannt und ihre in einem Teil der Fälle noch ausstehenden Restzahlungen eingestellt hatte. Sie erbrachte auch in diesen Fällen nur deutlich unter den ausgezahlten Kreditvaluta liegende Beträge. Der Gesamtschaden der Kreissparkasse belief sich (ohne Berücksichtigung der Zinsen) auf gut 3,6 Mio. €.
2. Fall 22 der Urteilsgründe (Komplex Ke.)
Der Angeklagte beurkundete im November 2001 einen Vertrag über den Verkauf einer Gewerbeimmobilie in Ke. zum Preis von 3,6 Mio. DM. Die Sparkasse A. hatte einen Kaufpreisanteil in Höhe von 3 Mio. DM finanziert, wobei der vertraglich vereinbarte Eigenkapitaleinsatz für die Finanzierungsentscheidung von ausschlaggebender Bedeutung gewesen war. Tatsächlich verfügte der Käufer nicht über das erforderliche Eigenkapital. Die Kaufvertragsparteien beschlossen deshalb in mehreren Zusatzvereinbarungen Modifikationen der Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises, die schließlich in einem Kaufpreisdarlehen in Höhe von 1 Mio. DM mündeten. Der Angeklagte stellte in Kenntnis dieser Zusatzvereinbarungen die Darlehensforderung gegenüber der Sparkasse fällig. Die auf seinem Treuhandkonto eingegangene Darlehensvaluta zahlte er am 1. Februar 2002 unter bewusstem Verstoß gegen den Treuhandauftrag der Sparkasse zum überwiegenden Teil an die Verkäufer, zum Teil aber auch auf ein Konto der Ehefrau des Käufers aus.
1. Den Verfahrensrügen bleibt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 29. Mai 2009 dargelegten Gründen der Erfolg versagt.
Soweit dem über 113 Seiten der Revisionsbegründungsschrift eingerückten eigenen Vorbringen des Angeklagten mehrere Aufklärungsrügen zu entnehmen sein mögen, erscheint schon zweifelhaft, dass der Verteidiger in einer dem § 345 Abs. 2 StPO entsprechenden Weise die volle Verantwortung für den Inhalt auch dieser Passagen übernommen hat. Jedenfalls ist das Vorbringen, wie der Generalbundesanwalt zutreffend dargelegt hat, so ungeordnet, dass es den formalen Anforderungen an einen zulässigen Revisionsvortrag im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genügt.
2. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Untreue in den 22 Fällen der Urteilsgründe hält sachlich-rechtlicher Überprüfung stand.
a) Dem Angeklagten oblag in dem Komplex B. aus den von ihm übernommenen Verwahrungstreuhandverhältnissen jeweils eine Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 StGB gegenüber der Kreissparkasse. Dass die Sparkasse die Treuhandaufträge jeweils erst zeitgleich mit der Überweisung der einzelnen Darlehenstranchen versandt hatte, so dass sie beim Angeklagten erst nach der Umbuchung vom Anderkonto auf das Geschäftskonto der Kanzlei eingingen, nahm der Treugeberin zwar die Möglichkeit zur Erteilung vorrangiger einseitiger Verwahrungsanweisungen, entband den Angeklagten aber nicht von der gesetzlichen Ausgestaltung der Verwahrungstreuhand durch §§ 54 a ff. BeurkG.
b) Seine Vermögensbetreuungspflicht verletzte der Angeklagte in den Fällen 1 bis 21 der Urteilsgründe jeweils in zweierlei Hinsicht:
aa) Durch die Umbuchungen von den Anderkonten auf das allgemeine Geschäftskonto verstieß er gegen das Verbot des § 54b Abs. 1 Satz 3 BeurkG und setzte die treuhänderisch verwahrten Gelder einer schadensgleichen konkreten Vermögensgefährdung aus. Anders als das Landgericht anzunehmen scheint, trat eine solche Vermögensgefährdung nicht erst durch die Umbuchungen nach dem März 2001 ein, nachdem der Angeklagte gegenüber einer eigenen Gläubigerin - der N. Sparkasse - erstmals eine Monatsrate aus einer Ratenzahlungsvereinbarung vom Juli 1998 schuldig geblieben war und deshalb ein Pfändungszugriff wegen titulierter Forderungen in einer Gesamthöhe von 5 Mio. DM drohte. Vielmehr führt die Vermischung treuhänderisch verwahrter fremder mit eigenen Geldern nur dann nicht zu einem Vermögensnachteil im Sinne des § 266 StGB, wenn der die Treuepflicht Verletzende uneingeschränkt bereit und jederzeit fähig ist, einen entsprechenden Betrag aus eigenen flüssigen Mitteln vollständig auszukehren (st. Rechtspr.; vgl. nur RGSt 73, 283, 285 f.; BGHSt 15, 342, 344 f.; BGH BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 56), was hier angesichts der Feststellungen zur finanziellen Lage des Angeklagten für alle von ihm veranlassten Umbuchungen ausgeschlossen werden kann.
Die Rechtsprechung des Senats zum voluntativen Vorsatzelement in Fällen schadensgleicher Vermögensgefährdung (BGH BGHSt 51, 100, 118 ff.; NStZ 2007, 704, 705) hat das Landgericht dem angefochtenen Urteil in rechtsfehlerfreier Weise zu Grunde gelegt. Dass der Angeklagte die Realisierung der Gefahr eines konkreten Schadenseintritts billigend in Kauf genommen hatte, wird insbesondere durch die Feststellung belegt, dass er angesichts seiner desolaten finanziellen Lage keine andere Möglichkeit sah, die Einnahmen aus seinem Notariat zu steigern. Auf die in mehreren Entscheidungen jeweils nichttragend geäußerte abweichende Rechtsauffassung des 1. Strafsenats, wonach der bedingte Vorsatz nicht auch die Billigung eines eventuellen Endschadens umfassen müsse (BGHSt 53, 199, 204 Rn. 17; so auch schon NJW 2008, 2451, 2452; offen gelassen durch den 3. Strafsenat Urt. v. 13. August 2009 - 3 StR 576/08 - Rn. 25), kommt es damit hier nicht an.
bb) Der Angeklagte verstieß zudem durch die Auszahlungen der hinterlegten Gelder in Kenntnis der Täuschung der finanzierenden Sparkasse durch die Kaufvertragsparteien gegen seine Verpflichtung aus § 54 d BeurkG. Hiernach hat der Notar von der Auszahlung abzusehen und alle an dem Verwahrungsgeschäft beteiligten Personen hiervon zu unterrichten, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er bei Befolgung der unwiderruflichen Anweisung an der Erreichung unerlaubter oder unredlicher Zwecke mitwirken würde, oder einem Auftraggeber durch die Auszahlung des verwahrten Geldes ein unwiederbringlicher Schaden erkennbar droht. Nach dieser Vorschrift hat nicht nur derjenige Notar die Auszahlung zu unterlassen, der wegen eines erst nach Annahme des Verwahrungsauftrags verdichteten Verdachts eines Betrugs zu Lasten des Einzahlers Anlass hat, dessen Belange für gefährdet zu halten. Das Verbot trifft vielmehr auch den Notar, der bereits bei der der Verwahrung zu Grunde liegenden Beurkundung davon Kenntnis hatte, dass die Beteiligten einen Betrug zum Nachteil des künftigen Hinterlegers planen, und der deshalb nach § 14 Abs. 2 BNotO seine Amtstätigkeit insgesamt hätte versagen müssen (BGH - NotS - NJW-RR 2009, 488, 489).
Durch die Auszahlungen fügte der Angeklagte der Treugeberin in allen Fällen mit direktem Schädigungsvorsatz einen Vermögensnachteil in Höhe der Differenz zwischen dem Betrag der Darlehensvaluta und dem Wert der ihr gewährten Sicherheiten zu. Dass das Landgericht den konkreten Wert der der Kreissparkasse eingeräumten Grundpfandrechte zur Zeit der schädigenden Verfügungen nicht festgestellt hat, berührt den Bestand der Schuldsprüche nicht, da den festgestellten Gesamtumständen hinreichend zu entnehmen ist, dass sie keine ausreichende Sicherheit boten. Im Übrigen belief sich in den Fällen 1 bis 4, 6 bis 9, 11 bis 13, 15 bis 16 und 18 der Urteilsgründe der durch die Auszahlungen verursachte Schaden zumindest auf die Höhe der Beträge der Kick-back-Zahlungen und der verdeckten Vermittlungsprovisionen.
c) Keiner Entscheidung bedarf damit, ob der Angeklagte auch insofern treuwidrig handelte, als er Auszahlungen aus der Darlehensvaluta in mehreren Fällen noch nach Kenntnisnahme vom Inhalt von Zwischenverfügungen des Grundbuchamtes vornahm, durch die er auf Eintragungshindernisse hingewiesen worden war. Das konnte der Senat nicht beurteilen, weil das Landgericht den konkreten Inhalt der Beanstandungen nicht festgestellt und nicht erörtert hat, ob sich die jeweiligen Eintragungshindernisse aus Sicht des Angeklagten als behebbar darstellten.
Dass das Landgericht die einzelnen Umbuchungen der eingehenden Darlehenstranchen auf das Geschäftskonto in jedem der 21 Vertragsverhältnisse zu je einer Untreuetat zusammengefasst hat, beschwert den Angeklagten nicht.
d) Komplex Ke. (Fall 22 der Urteilsgründe)
aa) Die Verjährung ist im Fall 22 der Urteilsgründe nicht durch den Durchsuchungsbeschluss vom 16. März 2005 (UA S. 160) unterbrochen worden, da sich der ihm zu Grunde liegende Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft zu diesem Zeitpunkt auf die Verfolgung der Taten aus dem Verfahrenskomplex B. (Fälle 1 bis 21 der Urteilsgründe) beschränkte. Sie wurde aber unterbrochen, indem das Oberlandesgericht F. den Angeklagten im Klageerzwingungsverfahren beteiligte und ihm so spätestens durch die Mitteilung seiner, die Fortführung der Ermittlungen anordnende Entscheidung, bekanntgab, dass das Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet worden war (§ 78 c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO).
bb) Der Angeklagte verletzte die ihm gegenüber der Sparkasse A. obliegende Vermögensbetreuungspflicht, indem er die Darlehensvaluta entgegen dem ihm erteilten Treuhandauftrag ohne Sicherstellung der vollen Kaufpreiszahlung auszahlte.
cc) Durch die Aufrechnung der Restkaufpreisforderung mit einem Anspruch des Käufers gegen die Verkäufer auf Auszahlung eines Darlehens, das lediglich durch Begebung von Wechseln des Käufers besichert worden war, war die Restzahlung nicht sichergestellt. Indem der Angeklagte die Auszahlung in Kenntnis des betrügerischen Vorgehens der Kaufvertragsparteien gegenüber der Sparkasse vornahm, verstieß er zudem auch hier gegen seine Verpflichtung aus § 54 d BeurkG. Allerdings entsprach in diesem Fall der Wert der gestellten Sicherheiten dem Betrag der Darlehensvaluta (UA S. 116). Der Angeklagte fügte aber der Treugeberin einen Vermögensnachteil zum Einen in Höhe des an die Käuferseite ausgezahlten Teilbetrags zu; dass die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen der Geschädigten später zu einem teilweisen Ausgleich führten, stellte lediglich eine den Schuldspruch nicht berührende nachträgliche Schadenskompensation dar. Zum Anderen setzte der Angeklagte die Treugeberin bewusst dem allgemeinen Risiko eines teilweisen Ausfalls mit ihrer Forderung bei der absehbar erforderlichen Verwertung der Sicherheiten aus. Dass der Angeklagte auch in diesem Fall die Realisierung der Gefahr eines konkreten Schadenseintritts billigend in Kauf genommen hatte, wird durch die Feststellungen auf UA S. 116 belegt.
3. Auch die Einzelstrafaussprüche und der Gesamtstrafenausspruch halten der rechtlichen Überprüfung stand.
Ob der durch den Angeklagten verursachte Schaden in jedem Einzelfall einen Vermögensverlust großen Ausmaßes i. S. d. § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 i.V.m. § 266 Abs. 2 StGB darstellte, kann angesichts der Verwirklichung von jeweils zwei weiteren Regelfallbeispielen, nämlich der Nr. 1 Alt. 1 und der Nr. 4 der Vorschrift, dahinstehen.
Die Entscheidungen über die Anrechnung der auf die Bewährungsauflage erbrachten Leistungen gemäß §§ 58 Abs. 2 Satz 2, 56 f. Abs. 3 Satz 2 StGB sowie über die Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung weisen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
Zur Kompensation einer überlangen Bearbeitungsdauer in der Revisionsinstanz hat der Senat angeordnet, dass ein weiterer Monat der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt gilt. Die geringe zu Gunsten des Angeklagten ergangene Entscheidung rechtfertigt eine Kostenermäßigung nach § 473 Abs. 4 StPO nicht.
HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 517
Externe Fundstellen: NJW 2010, 1764
Bearbeiter: Karsten Gaede