HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 29
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 355/08, Beschluss v. 12.11.2008, HRRS 2009 Nr. 29
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 2. April 2008 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 505 Fällen und wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 26 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt und die Sicherungsverwahrung angeordnet; vom Vorwurf weiterer Taten hat es den Angeklagten freigesprochen. Während die Überprüfung des Schuldspruchs aufgrund der auf die Sachrüge gestützten Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat, hält der Rechtsfolgenausspruch der rechtlichen Prüfung nicht stand.
1. Das Landgericht hat für die 505 Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern, die der Angeklagte an fünf verschiedenen Kindern in verschieden langen Zeiträumen zwischen 1996 und Ende 2006 beging, 117 Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten, 30 Einzelstrafen von drei Jahren und 358 Einzelstrafen von jeweils drei Jahren sechs Monaten verhängt. In den Fällen des schweren sexuellen Missbrauchs zu Lasten von zwei der genannten und eines weiteren Kindes hat das Landgericht 25 Einzelfreiheitsstrafen von jeweils vier Jahren und eine Einzelfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten festgesetzt. Das Vorliegen minder schwerer Fälle hat es in allen Fällen verneint.
Zutreffend rügt die Revision, dass die Strafzumessung in den einzelnen vom Landgericht gebildeten Gruppen zu pauschal vorgenommen wurde und eine im Hinblick auf die Schuldschwere gebotene Differenzierung nicht erkennen lässt. So ist hinsichtlich der einzelnen Tatserien in den Urteilsgründen zwar pauschal erwähnt, aber nicht erkennbar berücksichtigt, dass im Hinblick auf die Gewöhnung und die jedenfalls teilweise ausdrückliche Zustimmung der missbrauchten Jungen die Hemmschwelle des Angeklagten gesunken ist. Auch das zunehmende Alter der Betroffenen - bei drei der sechs Geschädigten sind Taten bis zu deren 14. Geburtstag erfasst, bei den übrigen bis zum 13. Lebensjahr -, der Umstand, dass bei einigen von ihnen ein freundschaftliches Verhältnis zum Angeklagten bestand, das auch nach dem Ende der Tatserien fortgesetzt wurde, sowie insbesondere auch der unterschiedliche Schuldgehalt der Tatausführungen sind in den Strafzumessungsgründen des angefochtenen Urteils nicht hinreichend deutlich berücksichtigt. Eine differenzierte, im Einzelnen nachvollziehbare Begründung wäre aber schon deshalb erforderlich gewesen, weil die vom Landgericht festgesetzten Einzelstrafen ungewöhnlich hoch sind. So kam es etwa in den unter Ziffer II. 1 der Urteilsgründe aufgeführten 30 Taten zu Lasten des Geschädigten J. stets zum - einverständlichen - gegenseitigen Masturbieren, jedoch nur in einer nicht festgestellten Anzahl von Fällen auch zum Schenkelverkehr. Das Landgericht hat die Annahme minder schwerer Fälle aber (auch) hier mit der Begründung abgelehnt, es habe sich "um massive Taten innerhalb der Bandbreite möglicher Tathandlungen" gehandelt; überdies habe der Angeklagte "verschiedene Sexualpraktiken gleichzeitig" angewendet (UA S. 40). Auch die gleichförmige Verhängung von 30 Einzelfreiheitsstrafen von jeweils drei Jahren in den genannten Fällen, die mit denselben Erwägungen begründet ist, erweist sich als nicht rechtsfehlerfrei. Im Übrigen ist auch zweifelhaft, ob eine Freiheitsstrafe von drei Jahren für das einverständliche gegenseitige Masturbieren mit einem 13-jährigen Jungen, bei dem auch später keine nachteiligen psychischen Folgen der Geschehnisse festgestellt wurden, noch innerhalb des vertretbaren Spielraums schuldangemessener Strafen liegt.
Der Rechtsfehler der Zumessung nur pauschal begründeter, durchweg hoher Einzelstrafen trotz teilweise lang dauernder Tatserien, unterschiedlicher Tatgestaltung und abnehmender Schuldschwere betrifft den überwiegenden Teil der verhängten Einzelstrafen. Insoweit wird der neue Tatrichter auch jeweils eine unter Umständen differenzierte Prüfung des Vorliegens minder schwerer Fälle unter Heranziehung aller hierfür wesentlichen Gesichtspunkte vorzunehmen haben.
Soweit Einzelstrafen isoliert betrachtet rechtsfehlerfrei begründet sind, kann der Senat nicht ausschließen, dass auch ihre Zumessung von den genannten Rechtsfehlern beeinflusst ist.
Der neue Tatrichter wird auch zu beachten haben, dass die Festsetzung einer Gesamtfreiheitsstrafe im oberen Bereich des Strafrahmens, durch welche die Einsatzstrafe auf mehr als das Doppelte erhöht wird, nicht mit ausschließlich zu Gunsten des Angeklagten sprechenden Gesichtspunkten begründet werden kann.
2. Auch die Maßregelanordnung hat keinen Bestand. In der Begründung des Landgerichts bleibt schon unklar, ob die Anordnung auf § 66 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 oder Abs. 3 Satz 2 StGB gestützt werden sollte; die Urteilsgründe nennen - offenbar irrtümlich - an unterschiedlichen Stellen verschiedene Rechtsgrundlagen.
Nicht bedenkenfrei ist das für die Begründung der Gefährlichkeit des Angeklagten angeführte Argument, "vordergründig" günstige Umstände wie Vorstrafenlosigkeit, gute soziale Einbindung und Bestehen eines günstigen sozialen Empfangsraums seien hier in Wahrheit Indizien für besonders hohe Gefährlichkeit, da sie den Angeklagten auch in der Vergangenheit nicht von der Begehung der (abgeurteilten) Taten abgehalten hätten. Ein prognostisch günstiges Kriterium verliert sein Gewicht nicht schon dadurch, dass es in der Vergangenheit - unter anderen Bedingungen - Straftaten nicht verhindert hat. Die Erwägung, hinter dem Fehlen von Vorstrafen verberge sich die hohe Gefährlichkeit des Angeklagten (UA S. 48 f.), ist rechtlich bedenklich, denn andere als die abgeurteilten Taten sind nicht festgestellt.
Unklar sind im Übrigen auch die Erwägungen des Landgerichts zur Einbeziehung der Wirkungen des Strafvollzugs in die Gefährlichkeitsprognose (UA S. 51). Zutreffend ist zwar, dass es für die Prognose i.S.v. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB auf den Zeitpunkt der Urteilsfällung ankommt. Die anschließende Erwägung, (nur) in Fällen des § 66 Abs. 3 StGB habe der Gesetzgeber bewusst auf das Prognosekriterium der Gefährlichkeit zum Zeitpunkt des Strafendes verzichten wollen, ist jedoch nicht nachvollziehbar; sie zeigt, dass das Landgericht, das unmittelbar danach wieder die Erfüllung der Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 betont, insgesamt die Anwendungsvoraussetzungen des § 66 StGB nicht mit der erforderlichen Klarheit geprüft hat.
Der Rechtsfolgenausspruch war daher insgesamt aufzuheben.
HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 29
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2009, 72
Bearbeiter: Ulf Buermeyer