HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 447
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 621/07, Urteil v. 02.04.2008, HRRS 2008 Nr. 447
Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Bonn vom 21. Juni 2007 werden verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen heimtückisch begangenen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die besondere Schwere der Schuld hat es nicht festgestellt. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, die vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, begehrt die Staatsanwaltschaft die Feststellung weiterer Mordmerkmale und der besonderen Schuldschwere.
Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Zum Tatzeitpunkt, der Silvesternacht 1985, lebte der heute 52-jährige Angeklagte in [X], einem Dorf mit einigen Hundert Einwohnern. Im gleichen Ort bewohnte das spätere Tatopfer, die damals 38 Jahre alte Heilpraktikerin R., auf einem weitläufigen ehemaligen Burggelände allein eine bauernhofähnliche frühere Mühle. Den Silvesterabend verbrachte sie mit ihrem Freund, dem Forstrat W., zunächst in einer Gaststätte in Bonn. Im Verlauf des Abends beschloss R. jedoch, in ihre Wohnung zurückzukehren, um dort, wie an Silvesterabenden für sie üblich, den Abend zurückgezogen zu begehen. Gegen 23.20 Uhr fuhr sie, nachdem sie zunächst W. nach Hause gebracht hatte, in ihrem PKW [X] nach zurück. Der Angeklagte, der R. kannte und gelegentlich für sie Reparaturarbeiten am Auto oder in der Wohnung ausgeführt hatte, hatte sich zu dieser Zeit aus einem nicht feststellbaren Grund Zutritt zu ihrer Wohnung verschafft. Von der noch vor Mitternacht in den Innenhof der Mühle fahrenden Frau R. überrascht, beschloss er, diese anzugreifen. Hierzu drehte er die Glühbirne der Flurlampe um eine halbe Umdrehung aus der Fassung heraus, so dass das Licht nicht mehr eingeschaltet werden konnte. Als Frau R. den dunklen Hausflur betrat, griff sie der Angeklagte an, schlug ihr auf den Kopf und in das Gesicht und versuchte, sie zu Boden zu bringen. Bei der anschließenden, sich vom Hausflur in die Küche verlagernden Auseinandersetzung mit der sich wehrenden Geschädigten brachte er ihr Hämatome an den Armen und Beinen sowie eine großflächige Prellung am Hinterkopf bei. Schließlich ergriff er ein lose durch die Küche verlaufendes Telefonkabel und erdrosselte Frau R. hiermit. Anschließend entkleidete der Angeklagte die Leiche und brachte ihr mit einem Messer Schnittwunden am Bauch und den Brüsten bei. Die Brüste der Geschädigten schnitt er ab, legte sie in zwei Schalen, die er auf dem Küchenboden abstellte, und stach ihr ein Tafelmesser und eine Gabel in den Bauch sowie ein weiteres Tafelmesser in den Dammbereich. Schließlich drapierte er den Leichnam mit einem Teil des zuvor durchtrennten Telefonkabels und der Strumpfhose und überschüttete ihn mit Flüssigkeiten und Körnern.
2. Das Landgericht sieht den die Tat bestreitenden Angeklagten aufgrund von Indizien, insbesondere von am Tatort sichergestellten und ihm zuzuordnenden DNA-Spuren, als überführt an. Die Kammer wertet die Tat als heimtückischen Mord, da der Angeklagte nach dem Herausdrehen der Glühbirne im Hausflur die bis dahin arglose Geschädigte gezielt überrascht und ihre dadurch eingeschränkte Möglichkeit zur Gegenwehr zur Tötung ausgenutzt habe. Zur Motivation des Angeklagten hat das Landgericht keine sicheren Feststellungen treffen können. Insbesondere hätten sich keine sicheren Hinweise auf sexuelle Motive finden lassen. Zwar deuteten das Abschneiden der Brüste und der Einstich eines Messers in den Dammbereich der Leiche darauf hin. Der Angeklagte habe aber weder mit dem Opfer sexuell verkehrt noch beständen tragfähige Anzeichen für eine bei ihm seinerzeit gegebene sexuelle Perversion. Darüber hinaus sei selbst bei der Annahme einer sexuellen Motivation nicht nachweisbar, dass der Angeklagte diese bereits zum Zeitpunkt der Tötung gehabt habe.
Die Revision des Angeklagten ist aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Stellungnahme vom 27. Dezember 2007 ausgeführten und in der Hauptverhandlung weiter erläuterten Gründen unbegründet. Ergänzend bemerkt der Senat:
1. Soweit der Angeklagte rügt, ein Fax-Schreiben des als Zeuge vernommenen Polizeibeamten Günther vom 18. Februar 1986 sei nicht ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt worden, weist der Generalbundesanwalt zutreffend darauf hin, dass sich der Zeuge G. entweder nach entsprechenden - nicht protokollierungspflichtigen - Vorhalten oder nach eigener Lektüre des von ihm selbst verfassten und dem Gericht zur Verfügung gestellten Schreibens an dessen Inhalt erinnert hat. Im Übrigen kann der Senat insoweit ein Beruhen des Urteils sicher ausschließen. Das Landgericht hat nämlich seine Überzeugung, die Einlassung des Angeklagten, wonach die Geschädigte am Tattag bis gegen 19.30 Uhr bei ihm zu Hause gewesen sei, sei widerlegt, in erster Linie auf die Bekundungen des Zeugen W. gestützt.
2. Die auf eine Verletzung des § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO gestützte Rüge ist jedenfalls unbegründet. Allerdings bestehen schon Bedenken hinsichtlich ihrer Zulässigkeit, da das schriftliche Gutachten des Prof. Dr. H. lediglich auszugsweise mitgeteilt wird. Abgesehen davon ist die Ablehnungsentscheidung des Landgerichts deshalb rechtsfehlerfrei, weil es nicht gehalten war, den Sachverständigen Prof. Dr. H. als sachverständigen Zeugen zu vernehmen. Der Beweisantrag war, wie das Landgericht zutreffend angenommen hat, ausschließlich auf die Anhörung eines weiteren Sachverständigen gerichtet. Es ist unerheblich, dass die Verteidigung den Sachverständigen in ihrem Antrag auch als "sachverständigen Zeugen" bezeichnet hat. Maßgeblich ist nicht die von dem Antragsteller gewählte Bezeichnung, sondern der Inhalt der Bekundung (BGH NStZ 1985, 182). Diese bezog sich hier allein auf Befundtatsachen, nämlich auf die bei der Obduktion der Leiche der Geschädigten vorgefundenen Umstände. Solche Tatsachen werden nicht im Wege des Zeugenbeweises, sondern durch das Gutachten eines Sachverständigen in die Hauptverhandlung eingeführt (BGH, aaO; vgl. auch Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl., § 87 Rdn. 16).
Ebenso bleibt die Rüge einer Verletzung des § 244 Abs. 3 und 6 StPO erfolglos. Denn das Landgericht hat die persönliche Vernehmung des Prof. Dr. H. in Bezug auf etwaige Auskunftstatsachen rechtsfehlerfrei abgelehnt, da dieser keinerlei Erinnerung an den Fall mehr hatte und damit ein ungeeignetes Beweismittel war.
3. Auch die Sachrüge hat keinen Erfolg. Ein Fehler der Beweiswürdigung liegt insbesondere nicht darin, dass das Landgericht verschiedene Indizien herangezogen hat, denen für sich genommen allenfalls eine geringe Aussagekraft zukommt - etwa dem Interesse des Angeklagten an der Aufklärung lange zurückliegender Kriminalfälle mittels DNA-Analyse -, oder die auch unabhängig von der Tatbegehung entstanden sein können - etwa die DNA-Spuren des Angeklagten an dem Einmachglas und dem Telefonkabel. Das Landgericht hat entscheidend auf die Gesamtheit aller Indizien abgestellt und aus ihrem Zusammenwirken den Schluss auf die Täterschaft des Angeklagten gezogen.
Das gilt auch hinsichtlich der mit Blut befleckten Handschuhe der Geschädigten, an denen sich DNA-Spuren des Angeklagten befanden. Das Landgericht führt hierzu aus, dass aufgrund der bei der DNA-Analyse verwendeten Untersuchungsmethode nicht sicher festzustellen war, ob das Zellmaterial innen oder außen anhaftete (UA S. 33). Hierzu steht die Feststellung nicht in Widerspruch, wonach am Innenfutter beider - dem Angeklagten zu kleinen - Handschuhe die Beimengung von DNA-Material gefunden worden sei, das dem Angeklagten habe zugeordnet werden können, zumal sich die Feststellung des Landgerichts (UA S. 12), die Kleidung des Opfers "sei auf links gezogen", auch auf die Handschuhe beziehen lässt.
Schließlich begegnet die Beurteilung der Tat als Heimtückemord keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat zwar keine ausdrücklichen Feststellungen dazu getroffen, wann genau der Angeklagte den Vorsatz fasste, die Geschädigte zu töten. Selbst wenn der Angeklagte zu Beginn der Auseinandersetzung im Hausflur zunächst noch nicht mit Tötungsvorsatz gehandelt haben sollte, schließt dieser Umstand eine heimtückische Begehungsweise nicht aus. Der Geschädigten war es infolge des überraschenden Angriffs durch den Angeklagten nicht möglich, sich Erfolg versprechend zur Wehr zu setzen, so dass die hierdurch geschaffene Situation bis zur Tötungshandlung fortdauerte. Es macht nämlich keinen Unterschied, ob ein überraschender Angriff von vornherein mit Tötungsvorsatz geführt wird oder ob der ursprüngliche Handlungswille derart schnell in den Tötungsvorsatz umschlägt, dass der Überraschungseffekt bis zu dem Zeitpunkt andauert, zu dem der Täter mit Tötungsvorsatz angreift. In beiden Fällen bleibt dem Opfer keine Zeit zu irgendwie gearteten Gegenmaßnahmen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3; NStZ 2006, 502, 503; Fischer, StGB 55. Aufl., § 211 Rdn. 37).
Die Revision der Staatsanwaltschaft zeigt keinen den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler auf.
1. Die Rüge, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft nicht alle erhobenen Beweise zu der Frage, ob es sich bei der Tat um ein sexuell motiviertes Delikt gehandelt habe, ausgeschöpft, ist jedenfalls unbegründet. Das Landgericht hat die von dem Angeklagten in verschiedenen Zeitschriften aufgegebenen Anzeigen in seine Beweiswürdigung einbezogen. Hinsichtlich der in der Revisionsbegründung mitgeteilten, im Urteil nicht erwähnten weiteren Inserate mit vergleichbaren Inhalten hätte es der Erhebung einer Verfahrensrüge bedurft. Eine solche hat die Staatsanwaltschaft nicht erhoben.
Die Würdigung der vom Angeklagten aufgegebenen und im Urteil mitgeteilten Anzeigen lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen. Das Landgericht hat in nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, dass es den sicheren Schluss auf eine bei dem Angeklagten zur Tatzeit gegebene sexuelle Perversion hieraus nicht ziehen könne. Dabei hat die Kammer zutreffend auch die Bekundungen verschiedener Zeuginnen, wonach der Angeklagte während der Zeit ihrer jeweiligen Beziehungen keine mit Aggressionen verbundenen Sexualpraktiken ausgeübt habe, berücksichtigt.
Das Landgericht hat sich selbst für den Fall einer sexuellen Motivation des Angeklagten außerstande gesehen, auf deren Vorliegen bereits zum Zeitpunkt der Tötung zu schließen, da hiergegen vor allem der spontane Charakter der Tat spreche. Es sei nicht auszuschließen, dass der Angeklagte erst nach der Tötung Frau R. s auf die Idee gekommen sei, Manipulationen an ihrem Leichnam vorzunehmen. Auch dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat alle maßgeblichen Umstände gesehen und in seine Würdigung einbezogen.
2. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei das Vorliegen weiterer Mordmerkmale neben der Heimtücke verneint. Insbesondere liegt kein Rechtsfehler in der Nichterörterung der von der Revision aufgezeigten denkbaren alternativen Fallgestaltungen, wonach der Angeklagte die Tat entweder zur Befriedigung des Geschlechtstriebs oder zur Verdeckung bzw. Ermöglichung einer anderen Straftat, nämlich eines Hausfriedensbruchs oder eines Sexualdelikts, begangen haben müsse. Wie bereits dargelegt ist die Annahme, eine sexuelle Motivation zum Zeitpunkt der Tat sei nicht sicher nachzuweisen, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Darüber hinaus stellt auch die Nichterörterung des Mordmerkmals der Ermöglichungs- oder Verdeckungsabsicht keinen Rechtsfehler dar. Denn nach den getroffenen Feststellungen steht es weder fest, noch drängt es sich auf, dass der Angeklagte bei der Tötung in der Absicht handelte, einen Hausfriedensbruch oder ein zuvor an der Geschädigten begangenes Sexualdelikt zu verdecken oder ein noch zu begehendes Sexualdelikt zu ermöglichen. So ist es ohne Weiteres auch möglich, dass der Angeklagte durch die für ihn überraschende Rückkehr Frau R. s in eine Stresssituation geriet, in der er sich in einer Kurzschlussreaktion nicht zur Flucht, sondern zu einem heimtückischen Angriff auf diese entschloss, ohne damit zunächst weitere Zwecke zu verfolgen. Darüber hinaus müsste die Absicht, eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, das leitende, die Tat beherrschende Motiv des Angeklagten und die Triebfeder seines Handelns gewesen sein (vgl. BGH NStZ 2005, 332, 333 m.w.N.). Konkrete tatsächliche Anhaltspunkte, die dies belegen könnten, sind jedoch nicht festgestellt.
3. Schließlich ist auch die Verneinung der besonderen Schuldschwere revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die Entscheidung, ob die besondere Schwere der Schuld zu bejahen ist, obliegt dem Tatrichter. Er hat unter Würdigung aller hierzu erheblichen Umstände die Schuld des Angeklagten i.S.d. § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB abzuwägen; dem Revisionsgericht ist insoweit eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle versagt. Es hat die tatrichterliche Entscheidung grundsätzlich hinzunehmen und nur zu prüfen, ob der Tatrichter alle maßgeblichen Umstände bedacht und rechtsfehlerfrei abgewogen hat (vgl. BGHSt 40, 360, 370; 41, 57, 62; 42, 226, 227; BGH, NStZ 2005, 88; 2006, 505, 506).
Nach diesem Maßstab weist die Entscheidung des Landgerichts keinen Rechtsfehler auf. Zutreffend hat die Kammer im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung des Tatgeschehens und der Täterpersönlichkeit (st. Rspr.; vgl. nur Fischer, StGB 55. Aufl., § 57a Rdn. 9 m.w.N.) herausgestellt, dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist und es sich um ein spontanes Delikt handelte. Maßgebliches Gewicht hat sie dem Umstand beigemessen, dass die Tat mehr als 21 Jahre zurückliegt und der Angeklagte in dieser Zeit ein sozialadäquates Leben geführt hat. Selbst die Annahme eines zweiten Mordmerkmals hätte deshalb nicht notwendigerweise zu einer Feststellung der besonderen Schuldschwere geführt.
HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 447
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2008, 238
Bearbeiter: Ulf Buermeyer