HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 681
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 249/06, Urteil v. 02.08.2006, HRRS 2006 Nr. 681
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Fulda vom 19. Januar 2006 wird verworfen.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels sowie die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Verbreitung kinderpornographischer Schriften in drei Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs Jugendlicher in elf Fällen sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt, ihn vom Vorwurf weiterer Taten freigesprochen und die Einziehung eines Personal Computers angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die von der Bundesanwaltschaft nicht vertreten wird, ist unbegründet.
1. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit der Sachrüge allein gegen die Entscheidung des Landgerichts, eine Maßregel gemäß § 63 (in Verbindung mit § 21) StGB oder gemäß § 66 StGB nicht anzuordnen.
a) Das Landgericht hat festgestellt, der Angeklagte sei bei Begehung der Taten voll schuldfähig gewesen. Die Ausführungen des (verlesenen) Gutachtens eines Sachverständigen sind in den Urteilsgründen wie folgt wiedergegeben:
"Zwar könne die homosexuelle Präferenz mit adoleszentophilen Neigungen des Angeklagten im Gegensatz zur sogenannten reifen Homosexualität als Triebabweichung qualifiziert und damit dem Merkmalsbereich der schweren anderen seelischen Abartigkeit zugeordnet werden. Jedoch sei auf Grund der vom Angeklagten selbst durchgeführten Analyse seiner Handlungs- und Vorgehensweise davon auszugehen, dass der Angeklagte die volle Einsicht in seine Handlungen gehabt habe. Die erforderliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Zeitpunkt der Tathandlungen sei daher auszuschließen" (UA S. 41).
Diesen als "in sich schlüssig und nachvollziehbar" bezeichneten Ausführungen hat sich das Landgericht ohne nähere Erörterung angeschlossen (UA S. 41).
Der Revision ist zuzugeben, dass die Formulierung, der Angeklagte habe "die volle Einsicht" gehabt, und "daher" sei eine Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit ausgeschlossen, missverständlich und unzutreffend ist. Zwischen Einschränkungen der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ist, wie sich schon aus dem Wortlaut von § 20 StGB ergibt, zu unterscheiden. Auf eine Minderung der Fähigkeit, nach der Einsicht in das Unrecht der Tat zu handeln (§ 20 StGB), kann es nur ankommen, wenn eine solche Einsicht gegeben ist (vgl. BGHSt 49, 347, 356 ff.; BGH NStZ-RR 2003, 232 f.; BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1, 3; Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 20 Rdn. 44 m.w.N.). Umgekehrt kann daher aus dem Umstand, dass die Einsichtsfähigkeit des Täters von der vorliegenden psychischen Störung nicht beeinträchtigt ist, nicht darauf geschlossen werden, auch sein Hemmungsvermögen sei in vollem Umfang gegeben.
Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich hier aber hinreichend deutlich, dass der Tatrichter dies im Ergebnis nicht verkannt und dass er in letztlich zutreffender Weise auf eine Einschränkung der Steuerungsfähigkeit abgestellt hat. Der Angeklagte hatte sich, wie sich aus den Urteilsfeststellungen ergibt, zu den Anklagevorwürfen umfangreich eingelassen; er hatte die Taten weitgehend gestanden und seine Motivlage sowie Einzelheiten der Tatbegehung geschildert. Hieraus und aus den Aussagen der Geschädigten ergeben sich ersichtlich keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme, die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten könne bei Begehung der Taten eingeschränkt gewesen sein. Auch gegenüber dem Sachverständigen hatte sich der Angeklagte zu den Tatvorwürfen eingelassen. Hinzu kam, dass der Sachverständige den Angeklagten bereits in einem früheren Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern im Jahr 1997 untersucht und ein Gutachten über seine Schuldfähigkeit erstattet hatte. Das Landgericht selbst hat trotz der fehlerhaften Formulierung seine Beurteilung im Anschluss an den Sachverständigen auf die "vom Angeklagten selbst durchgeführte Analyse seiner Handlungs- und Vorgehensweise" gestützt (UA S. 41).
Im Ergebnis wird daher die Annahme voller Schuldfähigkeit von den Urteilsfeststellungen getragen. Damit fehlte es bereits an der Eingangsvoraussetzung für die Anordnung einer Maßregel gemäß § 63 StGB.
b) Auch die Ablehnung der Anordnung einer Maßregel nach § 66 StGB ist im Ergebnis rechtsfehlerfrei. Das sachverständig beratene Landgericht hat im Hinblick auf die Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten und den Verlauf seiner Kriminalitätsentwicklung einen "Umschwung" in prägenden Persönlichkeitsmerkmalen sowie wichtige Indizien gegen die Annahme einer Hangtäterschaft im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB festgestellt (UA S. 51) und daher das Vorliegen eines Hangs verneint. Die Revision zeigt Rechtsfehler dieser tatrichterlichen Beurteilung nicht auf. Auch ein Vorbehalt der Anordnung gemäß § 66 a StGB kam danach nicht in Betracht (vgl. BGHSt 50, 188, 194 f.; BGH NJW 2005, 3155, 3156 f.).
2. Auch die Prüfung der Strafzumessung auf Grund der Sachrüge hat keine Rechtsfehler zum Vorteil oder zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 681
Bearbeiter: Ulf Buermeyer