HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 544
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 515/05, Urteil v. 26.04.2006, HRRS 2006 Nr. 544
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 24. März 2005 wird verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Seine auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision hat keinen Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde der Angeklagte am 28. Mai 2000 in das Amt des Landrats des Landkreises G. gewählt. Bereits im Laufe des vorangegangenen Wahlkampfs sowie unmittelbar nach der Wahl stellte er verschiedenen Personen, die ihn unterstützten oder deren Unterstützung für seine Kandidatur er gewinnen wollte, Anstellungen im Landratsamt G. in Aussicht. Nach der Wahl, aber noch vor seinem Dienstantritt erkundigte sich der Angeklagte bei den zuständigen Amtsleitern des Landratsamts nach den Möglichkeiten von Neueinstellungen. Ihm wurde mitgeteilt, Neueinstellungen von Personal seien nicht möglich. Der Personalrat des Landratsamts wies auf seine gegebenenfalls zu beachtenden Mitwirkungsrechte hin.
Nach seinem Dienstantritt am 1. Juli 2000 wechselte der Angeklagte den für Personal zuständigen Amtsleiter aus und kündigte diesem sowie der Vorsitzenden des Personalrats an, er beabsichtige, Neueinstellungen durchzuführen. Als er auf das dabei zu beachtende Verfahren sowie darauf hingewiesen wurde, es dürften jedenfalls nur fachlich geeignete Personen eingestellt werden, entgegnete er, er werde die Einstellungen trotzdem vornehmen. Am 5. Juli 2000 verfasste er eine schriftliche "Festlegung", in der er die Neueinstellung von 16 namentlich bezeichneten Personen, die Dienstposten, auf denen sie eingesetzt werden sollten, sowie ihre vergütungsrechtliche Eingruppierung verfügte; er wies den Personalleiter des Landratsamts an, dies alsbald umzusetzen. Zur Begründung der als "Eilentscheidung" bezeichneten Maßnahme führte er aus, sie sei zur Gewährleistung der Arbeitsfähigkeit und Handlungsfähigkeit des Landratsamts G. sowie zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung im Landkreis G. unumgänglich. Einwände des Personalrats wegen dessen mangelnder Beteiligung sowie Hinweise darauf, die Dienstposten seien gegebenenfalls auszuschreiben, wies er mit dem Hinweis auf seine Eilkompetenz zurück. Tatsächlich lagen die Voraussetzungen für eine Eilanordnung nicht vor. Die Arbeitsfähigkeit des Landratsamts G. war uneingeschränkt gegeben; eine Gefährdung von Sicherheit und Ordnung aufgrund sofort zu behebender personeller und verwaltungsorganisatorischer Missstände im Landratsamt lag nicht vor.
Bei seinen Anweisungen kam es dem Angeklagten darauf an, im Landratsamt Personen eine Anstellung zu verschaffen, denen er "bedingungslos vertrauen" konnte. Ob diese Personen fachlich geeignet waren, war ihm hierbei gleichgültig; das Fehlen ihrer Eignung nahm er billigend in Kauf. Überdies wollte er fünf der genannten Personen für ihre Unterstützung während des Wahlkampfs belohnen; von der Einstellung anderer Personen versprach er sich politische Unterstützung. Er wusste hierbei, dass es hierfür keine entsprechenden freien Stellen gab und dass neu zu schaffende Stellen haushaltsrechtlich nicht abgesichert waren; ebenso, dass bei der Einstellung ein Ausschreibungs- und Auswahlverfahren hätte stattfinden müssen.
Am 10. Juli 2000 wurden in Umsetzung der Anweisung des Angeklagten die sieben Personen eingestellt, deren Anstellung den abgeurteilten Fällen zugrunde liegt. Weitere acht Personen nach der Liste der "Festlegung" wurden zwischen 10. Juli und 1. September 2000 eingestellt. Keine dieser Einstellungen erfolgte auf eine im Stellenplan ausgewiesene freie Stelle. Ausschreibungen und Auswahlgespräche fanden nicht statt. Die Stellen wurden teilweise entsprechend den Vorgaben des Angeklagten neu zugeschnitten. Die bisherigen Stelleninhaber wurden auf andere, zum Teil im Stellenplan nicht enthaltene Stellen versetzt. Für die zu besetzenden Stellen bestanden zum Zeitpunkt der Einstellung keine Stellenbeschreibungen; diese wurden vom Angeklagten erst im September 2000 auf Druck der Kommunalaufsichtsbehörden nachträglich gefertigt oder angepasst.
In den sieben von der Anklage umfassten und vom Landgericht abgeurteilten Fällen erfolgten drei Einstellungen als Amtsleiter, zwei Einstellungen als Fachdienstleiter, jeweils eine Einstellung als Leiterin des Büros des Landrats und des Kreistags sowie als Referent im Büro des Landrats; die Stellen waren in die Vergütungsgruppen II (zwei Stellen), III (vier Stellen) und IV (eine Stelle) BAT-O eingruppiert. Keine der sieben Personen verfügte über eine ihrer Dienststellung entsprechende Ausbildung und Eignung. Selbst in den Fällen, in denen die formellen Anforderungen an die Ausbildung (z. B. Hochschulabschluss) erfüllt waren, fehlten den Betroffenen fachliche Erfahrungen und Kenntnisse für den betreffenden Dienstposten; insbesondere hatten sie durchweg keine oder nur oberflächliche verwaltungsrechtliche und verwaltungstechnische Qualifikationen und Erfahrungen.
Am 23. Oktober 2000 genehmigte der Kreistag auf Antrag des Angeklagten einen den Neueinstellungen angepassten Stellenplan im Wege eines Nachtragshaushalts. Mit Bescheiden vom 29. September, 23. Oktober und 5. Dezember 2000 beanstandete das Thüringische Landesverwaltungsamt die Einstellungen, forderte den Angeklagten zur Kündigung der betreffenden Arbeitsverhältnisse auf und drohte eine Ersatzvornahme an. In drei der abgeurteilten Fälle kündigte der Angeklagte die Arbeitsverhältnisse zum 31. Oktober 2000; in vier Fällen wurden Kündigungen im Wege der Ersatzvornahme am 13. Dezember 2000 ausgesprochen.
In der Zeit ihrer Beschäftigung wurden an die sieben Personen Bruttovergütungen in Höhe von insgesamt 247.579 DM gezahlt. Zur Qualität der tatsächlichen Leistungen der Personen in der Zeit ihrer Tätigkeit beim Landratsamt G. hat das Landgericht Feststellungen nicht getroffen.
Das Landgericht hat in den abgeurteilten Fällen die Einstellung der fachlich ungeeigneten Personen jeweils als Untreue in der Tatbestandsvariante des Missbrauchs der dem Angeklagten eingeräumten Verfügungsbefugnis angesehen und angenommen, dem Landkreis sei ein Schaden in Höhe der ausgezahlten Bruttovergütungen entstanden. Es hat in fünf Fällen auf Einzelfreiheitsstrafen von acht Monaten und in zwei Fällen auf Einzelstrafen von sechs Monaten erkannt und hieraus die Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten gebildet.
2. Die Verfahrensrügen sind, soweit sie zulässig erhoben sind, aus den vom Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführten Gründen unbegründet. Insoweit ist nur Folgendes auszuführen:
Die Rüge, das Landgericht habe den Antrag, den Präsidenten des Thüringischen Landesrechnungshofs als Zeugen zu vernehmen, zu Unrecht abgelehnt, ist unbegründet. Der Umstand, dass die von dem Zeugen geleitete Behörde am 5. Juli 2004 einen Prüfungsbericht über den Wasserzweckverband G. gefertigt hat, konnte die Beweisbehauptung, der Angeklagte habe in diesem Bericht aufgeführte "Missstände" beim Wasserzweckverband bereits vor seiner Ernennung zum Landrat am 1. Juli 2000 gekannt, ersichtlich nicht stützen. Wenn die behauptete Tatsache für die Entscheidung überhaupt von Bedeutung sein konnte, so war jedenfalls, wie das Landgericht im zurückweisenden Beschluss zutreffend ausgeführt hat, das Beweismittel völlig ungeeignet.
Zutreffend ist auch der Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen zum Beweis der Tatsache abgelehnt worden, "dass durch die Tätigkeit des Angeklagten vom Landkreis G. Schaden in Millionenhöhe abgewendet wurde". Die Begründung des Beweisantrags erschöpfte sich weitgehend in Gesamtbewertungen der Tätigkeit des Angeklagten ("beherztes Einschreiten", "Abstellen von Missständen"; "besonnenes Vorgehen" bei politischen Konflikten im Bereich der kommunalen Abfallwirtschaft; usw.). Für ein Gutachten eines Sachverständigen - einer im Antrag nicht näher bezeichneten Fachrichtung - fehlte es daher schon an hinreichenden konkreten Anknüpfungstatsachen.
Die auf § 338 Nr. 3 StPO gestützten Befangenheitsrügen sind, soweit sie überhaupt zulässig erhoben sind, offensichtlich unbegründet.
3. Auch die Sachrüge hat keinen Erfolg.
a) Der Schuldspruch wird von den Feststellungen getragen und ist rechtsfehlerfrei. Soweit die Revision sich gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts wendet, zeigt sie Rechtsfehler nicht auf, sondern setzt nur eigene Wertungen von Beweisergebnissen an die Stelle der tatrichterlichen; damit kann sie im Revisionsverfahren nicht gehört werden.
Dass der Angeklagte die ihm eingeräumte Verfügungsbefugnis im Außenverhältnis durch die unter bewusstem Verstoß gegen Vorschriften des Haushalts- und Personalrechts vorgenommene Einstellung nicht qualifizierter Personen auf leitende Dienstposten im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB missbraucht hat, liegt nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts auf der Hand. Zutreffend hat das Landgericht auch angenommen, durch die Einstellung der nicht qualifizierten Personen auf haushaltsrechtlich gar nicht vorhandene und sachlich überflüssige Stellen sei dem Landkreis - unabhängig von der tatsächlichen Arbeitsleistung der Personen - ein Schaden in Höhe der gezahlten Bruttovergütungen entstanden. Zwar können die vom Bundesgerichtshof für Fälle des Erschleichens von Ernennungen zu Beamten entwickelten Grundsätze auf Angestellte nicht ohne weiteres übertragen werden, da diesen Arbeitsverhältnissen regelmäßig die dem Beamtenverhältnis eigene besondere Treuebeziehung fehlt (vgl. BGHSt 45, 1, 5 ff. m. w. N.; vgl. auch BVerfG NJW 1998, 2589, 2590; jeweils zum Schaden beim Anstellungsbetrug). Eine Übertragung ist aber zulässig und geboten, wenn die von der betroffenen Person zu erfüllenden Aufgaben eine besondere Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit voraussetzen (BVerfG aaO; BGHSt 17, 254, 256 f.; BGH NJW 1978, 2042, 2043; vgl. auch Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 263 Rdn. 92; § 266 Rdn. 59; Cramer/Perron in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 263 Rdn. 154; jeweils m. w. N.). Das Landgericht hat das Rechtsproblem gesehen (UA S. 48 f.) und ist hier aufgrund einer nicht zu beanstandenden Wertung zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Voraussetzungen in den abgeurteilten Fällen im Hinblick auf die von den betroffenen Personen auszuübenden Tätigkeiten, namentlich auch ihre hoheitlichen Dienstaufgaben, gegeben waren. Bei Einhaltung des gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrens zur Stellenbesetzung wäre die Einstellung der Personen, die nach Ausbildung, Vorbildung und beruflicher Erfahrung für die Stellen ersichtlich ungeeignet waren (vgl. UA S. 34 ff.), nicht in Betracht gekommen. So liegt es etwa auf der Hand, dass die Stelle eines Fachdienstleiters für Tourismus, Sport und Kulturförderung nicht mit einer Person besetzt werden darf, deren Qualifikation darauf beruhen sollte, dass sie Präsident eines Sportvereins war und einen dreitägigen Lehrgang über kommunales Haushaltsrecht besucht hat (vgl. UA S. 41 f.). Auch dass die Stelle eines Fachdienstleiters zur Abstellung von (angeblichen) "Missständen" bei der kommunalen Abfallwirtschaft im Zusammenhang mit einer großen Zahl anhängiger Widerspruchsverfahren nicht mit einem gelernten Verkäufer ohne jegliche verwaltungsspezifische Ausbildung und Verwaltungserfahrung besetzt werden durfte, war offensichtlich, ebenso der Umstand, dass diese Stellung, erst recht aber diejenige von Amtsleitern, besondere Zuverlässigkeit und fachliche Vertrauenswürdigkeit voraussetzte.
Soweit die Revision einwendet, durch den vom Kreistag im Oktober 2000 beschlossenen Nachtragshaushalt sei eine Kompensation eingetreten, die schon der Entstehung eines durch Gesamtsaldierung zu ermittelnden Schadens entgegen stehe, trifft dies nicht zu. Bei pflichtwidrigen vermögensmindernden Verfügungen stehen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur solche Umstände der Entstehung eines Vermögensschadens entgegen, die unmittelbar zu einem Ausgleich der Vermögensminderung führen. Dies war hier nicht der Fall.
b) Auch der Strafausspruch hält rechtlicher Prüfung stand.
Zwar hat das Landgericht, wie die Revision rügt, die möglichen beamtenrechtlichen Folgen der Verurteilung für den Angeklagten bei der Bemessung der Einzelstrafen nicht ausdrücklich gewürdigt, sondern nur bei der Begründung der Gesamtstrafe den Umstand hervorgehoben, "dass der Angeklagte bei der Verhängung einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 1 BRRG als Beamter zu entlassen ist" (UA S. 55). Dies beruhte jedoch ersichtlich darauf, dass das Landgericht Einzelstrafen, bei welchen es auf den letztgenannten Umstand ankam, gerade nicht verhängen wollte. Insoweit handelte es sich im Hinblick auf die Einzelstrafen bei den möglichen beamtenrechtlichen Folgen um einen jedenfalls nicht bestimmenden Umstand; das Fehlen seiner ausdrücklichen Hervorhebung in den Urteilsgründen begründet keinen Rechtsfehler.
Das Landgericht hat, wie der Generalbundesanwalt beanstandet hat, zwar nicht berücksichtigt, dass die eingestellten Personen bis zu ihrer Entlassung tatsächlich Arbeitsleistungen erbrachten. Entgegen der Auffassung der Revision und des Generalbundesanwalts minderte dies hier aber den Schaden für das zu betreuende Vermögen nicht. Die Arbeitsleistungen wären nämlich nach den Feststellungen des Landgerichts ohne die treuwidrigen Handlungen des Angeklagten von dem zur Verfügung stehenden qualifizierten Personal erbracht worden; die zusätzliche Einstellung und Entlohnung der nicht qualifizier ten Personen war überflüssig. Durch ihre Arbeitsleistung wurden dem Landkreis somit keine Aufwendungen erspart.
Durch die nachträgliche Genehmigung des Stellenplans durch den Kreistagsbeschluss vom 28. Oktober 2000 wurde der dem Landkreis bereits entstandene Schaden grundsätzlich nicht gemindert oder nachträglich wieder gutgemacht. Eine Schadensminderung könnte daher nur für den Zeitraum von diesem Beschluss bis zur Entlassung der noch im Dienst befindlichen ungeeigneten Personen in Höhe der in dieser Zeit tatsächlich erbrachten Arbeitsleistungen anzunehmen sein. Angesichts der festgestellten Gesamtumstände des Tatgeschehens läge hierin nach Ansicht des Senats jedoch jedenfalls kein bestimmender Strafzumessungsgrund, sodass das Fehlen einer ausdrücklichen Erörterung in den Urteilsgründen nicht rechtsfehlerhaft ist.
Auch im Übrigen weist die Strafzumessung keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf. Insbesondere begegnet es hier keinen rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht zu Ungunsten des Angeklagten dessen Uneinsichtigkeit berücksichtigt hat.
HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 544
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2006, 307
Bearbeiter: Ulf Buermeyer