HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 69
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 439/05, Urteil v. 14.12.2005, HRRS 2006 Nr. 69
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 23. Februar 2005
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte im Fall 6 der Urteilsgründe der besonders schweren Vergewaltigung und im Fall 8 der Urteilsgründe der besonders schweren sexuellen Nötigung schuldig ist,
b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben im Einzelstrafausspruch in den Fällen 6 und 8 der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in sieben Fällen (Fälle 1 bis 7) und wegen versuchter Vergewaltigung (Fall 8) zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft erhebt mit ihrem zulässig beschränkten Rechtsmittel die Sachrüge und erstrebt im Fall 6 eine Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB) und im Fall 8 wegen besonders schwerer sexueller Nötigung (§ 177 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB). Außerdem beanstandet sie den gesamten Strafausspruch. Das Rechtsmittel hat Erfolg, soweit es sich gegen den Schuld- und Strafausspruch in den genannten Fällen und gegen die Gesamtfreiheitsstrafe richtet. In diesem Umfang wird es auch vom Generalbundesanwalt vertreten. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.
Das Landgericht hat im Wesentlichen festgestellt:
a) Fall 6:
Der Angeklagte hatte seine Lebensgefährtin, die Nebenklägerin, bereits in den Fällen 1 bis 5 vergewaltigt, als er sie am Morgen des 28. Dezember 2003 im Kinderzimmer weckte und den Geschlechtsverkehr verlangte. Die Nebenklägerin lehnte dies ab. Daraufhin holte er seine Matratze, legte sie vor das Bett der Nebenklägerin, packte die schlaftrunkene Frau, zog sie zu sich auf die Matratze und riss ihr trotz heftiger Gegenwehr Jogging- und Unterhose herunter. Dann hielt er ihr eine spitze Haushaltsschere mit knapp 10 cm Schneidelänge vor den Schambereich. Dabei sagte er: "Wenn du still hältst, geht alles ganz schnell!". Die Nebenklägerin erschrak beim bloßen Anblick der spitzen Schere und bewegte sich aus Angst nicht mehr. Der Angeklagte schnitt ihr die Schamhaare oberhalb der Scheide ab und äußerte erniedrigende Beleidigungen. Anschließend legte er die Schere griffbereit neben die Matratze, rieb den Scheidenbereich der Nebenklägerin mit Babyöl ein und vollzog mit ihr, die weiterhin Angst vor der Schere hatte, gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss.
Nach Beendigung des Geschlechtsverkehrs kündigte der Angeklagte eine baldige Wiederholung an. Um dem zuvorzukommen, zog sich die Nebenklägerin Jeans und Pullover an und ging in die Küche. Der Angeklagte folgte ihr und pickte ihr mit einem großen Küchenmesser auf die Hose, damit sie sie auszöge. Die Nebenklägerin weigerte sich. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, hielt er ihr das Messer an die Kehle. Als dies die Nebenklägerin nicht beeindruckte, legte er das Messer wieder weg. Nach einem Gerangel zog sich die Nebenklägerin aus Protest schließlich selbst aus und schlug mit ihren Jeans heftig um sich. In diesem Moment klingelte das Telefon und der Bruder des Angeklagten kündigte sein baldiges Erscheinen an. Daraufhin ließ der Angeklagte von der Nebenklägerin ab.
Diese Tat hat das Landgericht im Schuldspruch als Vergewaltigung gewertet, in den Urteilsgründen (UA S. 48) jedoch die Qualifikation des Beisichführens eines gefährlichen Werkzeugs (§ 177 Abs. 3 Nr. 1 StGB) für verwirklicht erachtet, ohne dies aber im Tenor zum Ausdruck zu bringen, und hat hierfür eine Einzelfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verhängt. Eine Qualifikation nach § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB hat das Landgericht nicht geprüft.
b) Fall 8:
In den Morgenstunden des 4. Januar 2004 kam es zum Streit zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin. Der Angeklagte war bereit aus der Wohnung auszuziehen, wollte aber den gemeinsamen Sohn gegen den Willen der Nebenklägerin und trotz der nächtlichen Stunde gleich mitnehmen. Als sich die Nebenklägerin schützend vor die Tür des Kinderzimmers stellte, holte er ein großes Küchenmesser und eine große Fleischgabel mit 14 cm langen Zinken. Als der Angeklagte bemerkte, dass die Nebenklägerin telefonisch Hilfe herbeirief, legte er Küchenmesser und Fleischgabel aus der Hand, nahm der Nebenklägerin das Telefon weg, zerstörte es und trat und würgte die Nebenklägerin.
Sodann nahm der Angeklagte die Fleischgabel wieder an sich und hielt sie der Nebenklägerin drohend vor Bauch und Brust, drängte sie ins Wohnzimmer und forderte sie auf, sich auszuziehen. Mit der Fleischgabel tippte er jeweils auf das Kleidungsstück, das sie als nächstes ausziehen sollte. Aus Angst vor weiteren Schlägen und der vorgehaltenen Fleischgabel entkleidete sie sich vollständig. Dann drückte sie der Angeklagte unter weiterem Vorhalten der Fleischgabel über das Seitenteil des Sofas nach hinten, während ihre Unterschenkel herunterhingen. Der am Unterleib entblößte Angeklagte legte sich nun mit der Fleischgabel in der Hand über die Nebenklägerin und versuchte, mit seinem erigierten Glied ungeschützt und gegen den Willen der Nebenklägerin in ihre Scheide einzudringen, wobei er sich sexualbezogen herabwürdigend über die Nebenklägerin äußerte. Dem Angeklagten gelang es jedoch wegen der heftigen Gegenwehr der Nebenklägerin nicht, in ihre Scheide einzudringen. Er konnte mit seinem Penis lediglich die äußeren Schamlippen berühren. In diesem Augenblick klingelte die telefonisch herbeigerufene Polizei.
Diesen Vorfall hat das Landgericht im Schuldspruch als versuchte Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 Nr. 1, 22 StGB) bezeichnet, in den Urteilsgründen (UA S. 48) jedoch die Qualifikation des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB für verwirklicht erachtet, weil der Angeklagte die Nebenklägerin mit der Fleischgabel bedroht habe. Bei der Strafzumessung hat das Landgericht einen minder schweren Fall im Sinne von § 177 Abs. 5 Alt. 2 StGB angenommen, weil es beim Versuch der Vergewaltigung geblieben sei, und deshalb im Hinblick auf § 50 StGB von einer Strafrahmenmilderung nach § 23 Abs. 2 StGB abgesehen. Es hat für diese Tat eine Einzelfreiheitsstrafe von vier Jahren verhängt.
Die angefochtenen Schuldsprüche halten der sachlichrechtlichen Prüfung nicht stand.
1. Im Fall 6 ist der Angeklagte auf der Grundlage der rechtsfehlerfreien Feststellungen der besonders schweren Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB) schuldig (zur Tenorierung vgl. Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 177 Rdn. 78 m.w.N.).
Das Landgericht hat in den Urteilsgründen bereits selbst dargelegt, dass der Angeklagte dadurch, dass er beim erzwungenen Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin die spitze Haushaltsschere griffbereit neben sich liegen hatte, zumindest die bereits in der Anklage angenommene Qualifikation des Beisichführens eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne von § 177 Abs. 3 Nr. 1 StGB verwirklicht hat. Dementsprechend hat das Landgericht bei der Strafzumessung für diese Tat auch den Strafrahmen des § 177 Abs. 3 StGB zugrunde gelegt (UA S. 50).
Das Landgericht hätte jedoch darüber hinaus berücksichtigen müssen, dass der Angeklagte die Haushaltsschere bei der Tatbegehung auch verwendet hat. Er hatte sie nach der anfänglichen Bedrohung der Nebenklägerin beim Schneiden der Schamhaare auch beim Vollzug des Geschlechtsverkehrs noch griffbereit neben der Matratze liegen und hat somit die Schere als gefährliches Werkzeug nicht nur bei sich geführt, sondern auch in diesem Tatstadium noch als Drohmittel verwendet. Hierfür genügt es, dass der Täter das gefährliche Werkzeug bei der Tat konkludent als Drohmittel einsetzt. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Täter - wie hier der Angeklagte - auf Grund der Nähe zum Tatopfer diesem jederzeit ohne Weiteres mit der spitzen Haushaltsschere Verletzungen beibringen kann (vgl. BGH NStZ 2001, 369; NStZ-RR 1999, 7; Tröndle/Fischer aaO Rdn. 84; Eser in Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl. § 250 Rdn. 29 jeweils m.w.N.) und das Tatopfer wegen seiner fortbestehenden Angst vor der Schere den ungewollten Geschlechtsverkehr über sich ergehen lässt. Dass der Angeklagte die Haushaltsschere bei dem erzwungenen Geschlechtsverkehr bewusst und gewollt zur konkludenten Bedrohung der Nebenklägerin neben die Matratze gelegt hat, hat das Landgericht unter den gegebenen Umständen hinreichend festgestellt. Dies hat zur Folge, dass der Angeklagte der besonders schweren Vergewaltigung schuldig ist.
2. Im Fall 8 führen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts ebenfalls zu einer Änderung des Schuldspruchs, weil das Tatgeschehen rechtlich als vollendete besonders schwere sexuelle Nötigung (§ 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB) zu werten ist (zur Tenorierung vgl. Tröndle/Fischer aaO Rdn. 78 m.w.N.). Der Angeklagte hat, was das Landgericht verkannt hat, die sexuelle Nötigung der Nebenklägerin nicht nur versucht, sondern mit dem festgestellten Tatverhalten bereits vollendet. Erst der beabsichtigte Geschlechtsverkehr blieb im Versuchsstadium, weil der Angeklagte wegen der heftigen Gegenwehr der Nebenklägerin nicht in deren Scheide eindringen konnte. Eine Verurteilung wegen "versuchter Vergewaltigung" kommt aber nicht in Betracht, wenn das Grunddelikt des § 177 Abs. 1 StGB vollendet und nur das Regelbeispiel der Vergewaltigung, als eines besonders schweren Falls der sexuellen Nötigung versucht wurde (st. Rspr.; vgl. Tröndle/Fischer aaO Rdn. 77; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 177 Rdn. 18, 28 jeweils m.w.N.). Durch das bedrohende Vorhalten der langzinkigen Fleischgabel hat der Angeklagte die Qualifikation des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB verwirklicht, weil er ein gefährliches Werkzeug zur Tatbegehung verwendet hat.
Da der Angeklagte die besonders schwere sexuelle Nötigung vollendet hat, hätte das Landgericht bei der Prüfung, ob ein minder schwerer Fall der sexuellen Nötigung im Sinne von § 177 Abs. 5 Alt. 2 StGB vorlag, nicht den vertypten Strafmilderungsgrund des § 23 Abs. 2 StGB zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigen dürfen.
3. Der Senat kann die Schuldsprüche selbst ändern. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, denn der Senat kann ausschließen, dass sich der Angeklagte im Falle eines Hinweises anders hätte verteidigen können.
4. Die Änderung der Schuldsprüche zum Nachteil des Angeklagten zieht die Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen 6 und 8 nach sich. Damit entfällt auch die Grundlage für die Gesamtfreiheitsstrafe.
5. Soweit die Staatsanwaltschaft darüber hinaus auch die Bemessung der übrigen Einzelstrafen beanstandet, lässt die sachlichrechtliche Prüfung keinen Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten erkennen, auch wenn die verhängten Einzelstrafen eher milde sind. Ebenso wenig ergibt die durch § 301 StPO gebotene Prüfung einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.
HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 69
Bearbeiter: Ulf Buermeyer