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HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 5

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 375/05, Urteil v. 14.12.2005, HRRS 2006 Nr. 5


BGH 2 StR 375/05 - Urteil vom 14. Dezember 2005 (LG Trier)

Beweiswürdigung bei "Aussage gegen Aussage" (Zweifelssatz; Feststellung eines dritten Geschehensablaufs).

§ 261 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Wenn "Aussage gegen Aussage" steht, ist es nicht notwendig rechtsfehlerhaft, wenn das Tatgericht eine Version des tatsächlichen Geschehens feststellt, welche weder mit der vom Angeklagten noch mit der von der Nebenklägerin geschilderten übereinstimmt.

Entscheidungstenor

1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Trier vom 23. Februar 2005 werden verworfen.

2. Die Staatskasse hat die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft sowie die dem Angeklagten hierdurch und durch die Revision der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Die Nebenklägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Nebenklägerin und die Staatskasse jeweils zur Hälfte.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen verurteilt. Von den weiteren Tatvorwürfen einer besonders schweren Vergewaltigung, einer Körperverletzung sowie einer gefährlichen Körperverletzung hat es ihn freigesprochen. Hiergegen richten sich die jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin. Die Revisionen sind unbegründet.

1. Das Landgericht hat nicht mit einer zur Verurteilung erforderlichen Gewissheit die Überzeugung gewinnen können, dass der Angeklagte, der die abgeurteilte Körperverletzung eingeräumt hat, die ihm zur Last gelegten weiteren Taten gegen die Nebenklägerin begangen hat. Die Revisionen wenden sich gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts. Sie rügen namentlich, dass der Tatrichter angesichts der Beweislage, in welcher "Aussage gegen Aussage" gestanden habe, nicht alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen konnten, in seine Überlegungen einbezogen habe. So seien bei der Würdigung der nach Auffassung des Landgerichts mangelnden Konstanz in den Aussagen der Nebenklägerin zu dem Vergewaltigungsgeschehen nahe liegende Möglichkeiten nicht erörtert, durch welche die festgestellten Abweichungen erklärt werden könnten. Unzureichend erörtert sei auch die Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage der Nebenklägerin, namentlich auch der Umstand, dass deren Freundin als Zeugin ausgesagt hat, die Nebenklägerin habe ihr schon alsbald nach dem Vorfall, als sie sich im Krankenhaus befunden habe, von der Tat berichtet. Überdies rügt die Revision, das Landgericht habe eine Version des Geschehens festgestellt, die weder mit der Einlassung des Angeklagten noch mit der Aussage der Nebenklägerin übereinstimme; hierfür fehle es an einer hinreichenden Begründung.

2. Die Einwendungen der Revisionen gegen die Beweiswürdigung sind im Ergebnis unbegründet.

a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters; das Revisionsgericht kann nicht eine eigene Bewertung der in der tatrichterlichen Hauptverhandlung erhobenen Beweisergebnisse vornehmen. Eingriffe durch das Revisionsgericht sind vielmehr nur dann zulässig und geboten, wenn die Beweiswürdigung des Tatrichters fehlerhaft ist und das Urteil darauf beruht. Die Darstellung der Beweiswürdigung in den Urteilsgründen muss nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die wesentlichen Gesichtspunkte enthalten, auf welche der Tatrichter seine Überzeugung gestützt hat.

Sie darf insbesondere nicht in sich widersprüchlich sein, keine Verstöße gegen Denkgesetze enthalten und nahe liegende abweichende Möglichkeiten der Beweiswürdigung erkennbar außer Betracht lassen. Es kann andererseits vom Tatrichter nicht verlangt werden, alle nach den Beweisergebnissen nicht ganz fern liegenden Möglichkeiten der Würdigung umfassend zu erörtern und die Erwägungen, welche ihn zu einer bestimmten Überzeugung bewogen haben, in ihrer Gesamtheit in den schriftlichen Urteilsgründen erschöpfend darzustellen.

b) In Anwendung dieser im Grundsatz unstreitigen Maßstäbe kann vorliegend ein von den Revisionsführerinnen behaupteter Rechtsfehler nicht festgestellt werden.

Das Landgericht hat der Frage der Glaubhaftigkeit der belastenden Angaben der Nebenklägerin in den Urteilsgründen breiten Raum eingeräumt und die wesentlichen für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände nicht übersehen. Es hat dabei namentlich nicht die gravierende indizielle Bedeutung der unstreitig festgestellten Verletzung der Nebenklägerin verkannt; ebenso wenig die für die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin sprechende Aussage der Zeugin N., einer engen Freundin der Nebenklägerin. Das Landgericht hat aber darauf hingewiesen, dass andere, dem Angeklagten nahe stehende Zeugen "exakt gegenteilige" Bekundungen gemacht haben und dass die Aussagen eher neutraler, außen stehender Zeugen insgesamt zu widersprechenden Beweisergebnissen geführt haben (UA S. 21-23). Soweit die Revision beanstandet, das Landgericht habe sich mit der Glaubwürdigkeit der Zeugin N. nicht im Einzelnen auseinander gesetzt, deckt dies einen Rechtsfehler nicht auf. Das Landgericht hat sich auf der Grundlage einer umfassenden Gesamtwürdigung außerstande gesehen festzustellen, welchen der einander widersprechenden Zeugenaussagen es glauben solle. Es drängte sich auf dieser Grundlage nicht auf, detaillierte Glaubwürdigkeitsanalysen einzelner dieser Aussagen in die Urteilsgründe aufzunehmen. Das gilt im Ergebnis gleichermaßen für sonstige Beweisanzeichen und Beweisergebnisse.

Es ist auch nicht rechtsfehlerhaft, dass das Landgericht eine Version des tatsächlichen Geschehens für wahrscheinlich gehalten hat, welche weder mit der vom Angeklagten noch mit der von der Nebenklägerin geschilderten übereinstimmt. Dies folgte hier aus den vom Landgericht ausführlich erörterten Besonderheiten des Tatgeschehens: Es erscheint einerseits nicht nahe liegend, dass sich die Nebenklägerin die im Krankenhaus festgestellte Verletzung, einen Riss im oberen Scheidenbereich, selbst mittels des vom Landgericht beschriebenen Kunstpenis beigebracht hat, wie es die Einlassung des Angeklagten unterstellt. Gegen die Version der Nebenklägerin spricht hingegen ihre Schilderung des anatomisch und medizinisch kaum nachvollziehbaren Geschehens, wonach der Angeklagte gegen die auf seinem linken Oberschenkel sitzende Zeugin einen Faustschlag geführt und hierbei "bis zum Ellbogen" in ihre Scheide eingedrungen sein soll. Dass am Scheideneingang keinerlei Verletzungen festgestellt wurden, spricht zwar, wie sich aus den Gutachten der Sachverständigen ergibt, nicht schon für sich allein zwingend gegen ein solches Geschehen; es legt dieses aber auch nicht nahe. Gleiches gilt für den von Zeugen bestätigten Umstand, dass die Nebenklägerin im Bekanntenkreis den Vorfall als "Sex-Unfall" geschildert hat. Auch das indizielle Gewicht der Besonderheiten in der Biographie der Nebenklägerin, in den besonderen Umständen in ihrer Beziehung zum Angeklagten einschließlich des diese Beziehung weithin prägenden Sexualverhaltens der Beteiligten sowie der Ankündigungen der Nebenklägerin, sie werde den Angeklagten "fertig machen", ist vom Landgericht nicht rechtsfehlerhaft gewichtet worden. Dass die Beweisergebnisse auch anders hätten beurteilt werden können, reicht zur Aufhebung durch das Revisionsgericht nicht aus.

Das Landgericht hat Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten im Ergebnis nicht zu überwinden vermocht. Hiergegen ist auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens von Rechts wegen nichts zu erinnern. Eine in jeder Richtung lückenlose und vollständige Erörterung aller nicht gänzlich fern liegenden Erwägungen und Möglichkeiten ist dem Tatgericht nicht möglich und daher von Rechts wegen auch nicht verlangt.

c) Das gilt im Ergebnis auch für die beiden Tatvorwürfe der Körperverletzung. Die Beweiswürdigung hierzu in den Urteilsgründen ist zwar sehr knapp (UA S. 24). Sie nimmt aber Bezug auf die Bedenken hinsichtlich der Motivationslage und der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin zum angeklagten Vergewaltigungsgeschehen; im Zusammenhang der Urteilsgründe ist noch hinreichend dargetan, dass der Tatrichter auch hier Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten nicht zu überwinden vermochte. Soweit die Revisionen Erwägungen zu möglichen Geschehensabläufen und zur Glaubhaftigkeit der Einlassungen des Angeklagten vortragen, nehmen sie in weitem Umfang nur eine eigene, vom angefochtenen Urteil abweichende Beweiswürdigung vor. Damit können die Revisionen nicht gehört werden. Da die Überprüfung des Urteils durchgreifende Rechtsfehler nicht ergibt, waren die Revisionen insgesamt zu verwerfen.

HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 5

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2006, 82

Bearbeiter: Ulf Buermeyer