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HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 362

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 271/05, Beschluss v. 24.03.2006, HRRS 2006 Nr. 362


BGH 2 StR 271/05 - Beschluss vom 24. März 2006

Ausschluss vom Richteramt kraft Gesetzes (Tätigwerden als Beamter der Staatsanwaltschaft); Besorgnis der Befangenheit.

§ 22 Nr. 4 StPO; § 24 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Wer lediglich die Dienstaufsicht über Beamte der Staatsanwaltschaft ausübt, wird nicht selbst als Beamter der Staatsanwaltschaft "in der Sache" tätig im Sinne von § 22 Nr. 4 StPO. Denn die Ausübung der Dienstaufsicht ist nicht dazu bestimmt, Einfluss auf ein bestimmtes Strafverfahren zu nehmen, sondern dient allein der allgemeinen dienstlichen Überprüfung des Handelns der beaufsichtigten Behörde.

2. Die Besorgnis der Befangenheit kann sich nicht allgemein aus dem Umstand der früheren Abordnung eines Richters an ein Justizministerium und seiner dortigen, im Wege der Dienstaufsicht erfolgten Befassung mit dem gegen den nunmehrigen Angeklagten geführten Strafverfahren ergeben.

Entscheidungstenor

1. Ein Ausschließungsgrund gemäß § 22 StPO gegen den Richter am Bundesgerichtshof Dr. A. liegt nicht vor.

2. Die Anträge der Angeklagten, den Richter am Bundesgerichtshof Dr. A. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, werden zurückgewiesen.

Gründe

I.

Der Richter am Bundesgerichtshof Dr. A. war in der Zeit vom 1. Dezember 1999 bis zum 31. März 2001 als stellvertretender Abteilungsleiter der Abteilung 3 (Strafrecht) an das Thüringer Justizministerium abgeordnet. Zu seinem dortigen Aufgabengebiet gehörte neben anderem die Organisation der Thüringer Staatsanwaltschaften. Darüber hinaus war er im Rahmen der Dienstaufsicht zuständig für alle großen Wirtschaftsstrafsachen, die bei der Staatsanwaltschaft Mühlhausen konzentriert waren, und damit auch für das gegen die Angeklagten stattfindende Verfahren. Es bestanden in Bezug auf diese Verfahren besondere mündliche und schriftliche Berichtspflichten der Staatsanwaltschaften dem Thüringer Justizministerium gegenüber.

Zum Zeitpunkt des Beginns der Abordnung des Richters am Bundesgerichtshof Dr. A. war das Ermittlungsverfahren gegen die Angeklagten bereits abgeschlossen und die Anklage erhoben. Über die in der Folgezeit stattgefundene und mehrfach ausgesetzte Hauptverhandlung fanden regelmäßige Unterrichtungen der Strafrechtsabteilung des Thüringer Justizministeriums statt. Zum Zeitpunkt des Beginns der letzten, mit Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 19. April 2004 abgeschlossenen Hauptverhandlung am 6. September 2002 war die Abordnung des Richters am Bundesgerichtshof Dr. A. beendet.

Der Richter am Bundesgerichtshof Dr. A. hat mit dienstlicher Erklärung vom 31. Januar 2006 den vorstehenden Sachverhalt dem Senat angezeigt. Der Angeklagte P. hat, nachdem ihm die dienstliche Anzeige des Richters am Bundesgerichtshof Dr. A. zur Kenntnis gebracht worden ist, diesen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Er hat über seinen Verteidiger ausführen lassen, dass der Richter am Bundesgerichtshof Dr. A. während der Zeit seiner Abordnung an das Thüringische Justizministerium auf Seiten der Staatsanwaltschaft auf das Verfahren Einfluss genommen habe. Die ihm erstatteten Berichte und die geführten Erörterungen unter seiner Beteiligung legten den Schluss nahe, dass der Richter am Bundesgerichtshof Dr. A. sich bereits zum damaligen Zeitpunkt eine den Angeklagten P. belastende Meinung gebildet habe. Es sei davon auszugehen, dass er mit der Staatsanwaltschaft auch deren Rechtsansichten und Strafmaßvorstellungen abgesprochen habe und so während der gegen den Angeklagten geführten Hauptverhandlung zu dessen Nachteil tätig geworden sei. Unabhängig vom Vorliegen eines Ausschließungsgrundes nach § 22 Nr. 4 StPO ergebe sich eine Besorgnis der Voreingenommenheit des Richters aus seiner Tätigkeit im Thüringer Justizministerium und seines Kontaktes zu dem gegen den Angeklagten geführten Strafverfahren während dieser Zeit.

Der Angeklagte K. hat zu der dienstlichen Erklärung des Richters am Bundesgerichtshof Dr. A. sowie zu der Stellungnahme des Generalbundesanwalts vom 22. Februar 2006 geäußert, dass sich hieraus zwar seiner Auffassung nach kein Ausschlussgrund, wohl aber die Möglichkeit zu einer Einflussnahme auf das damalige Verfahren ergebe. Dies erwecke die Besorgnis, dass der Richter am Bundesgerichtshof Dr. A. auch im Revisionsverfahren unter dem Einfluss seiner früheren Tätigkeit stehe, was seine Unvoreingenommenheit störend beeinflussen könne.

In einer weiteren dienstlichen Erklärung vom 28. Februar 2006 hat sich der Richter am Bundesgerichtshof Dr. A. zu den Schreiben der Angeklagten geäußert und ausgeführt, es sei nicht zutreffend, dass er auf Seiten der Staatsanwaltschaft Einfluss auf das Verfahren gegen die Angeklagten genommen habe. Er habe in seiner dienstlichen Funktion im Thüringer Justizministerium die Berichte der Staatsanwaltschaft lediglich entgegengenommen und erforderlichenfalls in komprimierter Form an die Hausspitze weitergeleitet. Im Rahmen der Erörterung bestimmter Prozesssituationen und gerichtlich veranlasster Ermittlungsmaßnahmen seien durch ihn keine Weisungen an die Staatsanwaltschaft erfolgt.

II.

Ein Ausschlussgrund gegen den Richter am Bundesgerichtshof Dr. A. liegt nicht vor. In Betracht käme hierbei allein ein möglicher Ausschluss des Richters nach § 22 Nr. 4 StPO, wenn er in der Sache als Beamter der Staatsanwaltschaft tätig gewesen wäre. Dies ist hier nicht der Fall.

Entscheidend hierfür ist darauf abzustellen, ob der Richter zuvor als Beamter der Staatsanwaltschaft irgendetwas zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Beeinflussung des Ganges des Verfahrens getan hat (RGSt 70, 161, 162; BGH, Urteil vom 7. August 1973 - 1 StR 219/73; NStZ 1982, 78; BGH bei Holtz MDR 1982, 281, 282; KK-StPO/Pfeiffer 5. Auflage § 22 Rdn. 10; Meyer-Goßner StPO 48. Auflage § 22 Rdn. 18).

Der Richter am Bundesgerichtshof Dr. A. ist in dem gegen die Angeklagten geführten Strafverfahren nicht als Beamter der Staatsanwaltschaft tätig geworden. Er hat, wie sich aus der Selbstanzeige des Richters vom 31. Januar 2006 sowie der weiteren dienstlichen Erklärung vom 28. Februar 2006 ergibt, während der Zeit seiner Abordnung an das Thüringer Justizministerium keine Tätigkeiten entfaltet, die der Erforschung des Sachverhalts oder einer Beeinflussung des Ganges des Verfahrens dienten oder dienen sollten. Die Ausübung der Dienstaufsicht ist nicht dazu bestimmt, Einfluss auf ein bestimmtes Strafverfahren zu nehmen, sondern dient allein der allgemeinen dienstlichen Überprüfung des Handelns der beaufsichtigten Behörde. Fachaufsichtliche Weisungen an die Staatsanwaltschaft sind nicht erfolgt. Auch sonst sind das Strafverfahren gegen die Angeklagten betreffende Weisungen an die Staatsanwaltschaft unter Beteiligung des Richters am Bundesgerichtshof Dr. A. nicht ergangen. Fakten, die auf eine solche Tätigkeit des Richters hindeuteten oder sie belegten, sind aus den Akten weder ersichtlich noch werden sie von den Angeklagten vorgetragen. Insbesondere ergibt sich aus dem von dem Angeklagten P. vorgelegten Wortprotokoll des Justizausschusses des Thüringer Landtags vom 27. Oktober 2000 eine solche Tätigkeit nicht. Ausweislich dieses Protokolls erhielt der Richter in Vertretung des Abteilungsleiters 3 des Thüringer Justizministeriums am 14. Juni 2000 einen Anruf des damaligen Thüringer Generalstaatsanwalts, der ihm mitteilte, dass ein Beschluss des Landgerichts Mühlhausen in dem gegen die Angeklagten stattfindenden Strafverfahren ergangen sei, der die Durchsuchung des Thüringer Wirtschaftsministeriums anordne. Der Beschluss werde per Fax an das Justizministerium geleitet, wobei er darum bitte, dass Dr. A. ihn persönlich entgegennehme, um die Kenntnisnahme durch Unbefugte zu verhindern. Richter am Bundesgerichtshof Dr. A. versuchte nach Erhalt des Beschlusses, den Thüringer Justizminister zu unterrichten, was jedoch zunächst misslang, da dieser einen auswärtigen Termin wahrnahm. Nach der Rückkehr des Ministers überbrachte ihm der Richter den Durchsuchungsbeschluss des Landgerichts und wies ihn auf dessen Inhalt hin. Der Justizminister informierte sodann im Beisein Dr. A.s telefonisch das Thüringer Wirtschaftsministerium darüber, dass eine Durchsuchung bevorstehe. Auch nach dem Ende des Telefongesprächs des Justizministers erfolgte keine Besprechung mit Dr. A. Der Minister bat Dr. A. nur, die Staatsanwaltschaft davon zu unterrichten, dass die von dem Landgericht Mühlhausen gewünschten Unterlagen durch das Thüringer Wirtschaftsministerium herausgegeben würden, ohne dass es einer Vollziehung des Durchsuchungsbeschlusses bedürfte. Dr. A. informierte nach der Abfahrt des Ministers den Generalstaatsanwalt sowie den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft Mühlhausen entsprechend. Am Abend des 14. Juni 2000 unterrichtete Dr. A. seinen vorgesetzten Abteilungsleiter im Thüringer Justizministerium über den Vorgang; dieser übernahm am folgenden Tag die weitere Bearbeitung der Angelegenheit.

Danach hat der Richter am Bundesgerichtshof Dr. A. in Bezug auf die anstehende Durchsuchung des Thüringer Wirtschaftsministeriums lediglich eine als Überbringertätigkeit einzuordnende Funktion erfüllt. Seine Aufgabe erschöpfte sich in der Entgegennahme und anschließenden Weiterleitung des dem Justizministerium mitgeteilten Durchsuchungsbeschlusses des Landgerichts Mühlhausen. Die Entscheidung über die Information des Wirtschaftsministeriums oblag allein dem Thüringer Justizminister, die dieser ohne Mitwirkung des Richters getroffen hat. Darüber hinaus folgt aus dem Wortprotokoll der Sitzung des Justizausschusses des Thüringer Landtags, dass der Richter am Bundesgerichtshof Dr. A. erst den vorstehend dargestellten Vorgang zum An lass nahm, in die das Strafverfahren gegen die Angeklagten beim Thüringer Justizministerium geführten Akten Einsicht zu nehmen (Bl. 31 des Protokolls); zuvor hatte er ersichtlich noch keine Kenntnis von deren Inhalt.

III.

Die Ablehnungsgesuche der Angeklagten P. und K. sind nicht begründet.

Der Senat legt die Stellungnahmen des Angeklagten K., obgleich dieser nicht ausdrücklich die Ablehnung des Richters am Bundesgerichtshof Dr. A. erklärt hat, als Ablehnungsgesuch im Sinne von § 24 StPO aus. Der Angeklagte K. hat seine Besorgnis dargelegt, der Richter am Bundesgerichtshof Dr. A. könne durch seine frühere Tätigkeit für das Revisionsverfahren beeinflusst sein. Aus einer "großen Nähe" des vorliegenden Sachverhalts zu den in § 22 StPO umschriebenen Konstellationen sei auch aus der Sicht eines verständigen Angeklagten die Besorgnis der Befangenheit begründet. Dies lässt erkennen, dass der Angeklagte K. Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters am Bundesgerichtshof Dr. A. hegt.

Soweit die Angeklagten geltend machen, die Tätigkeit des Richters am Bundesgerichtshof Dr. A. während der Zeit seiner Abordnung an das Thüringer Justizministerium ergebe jedenfalls eine "große Nähe" zu dem in § 22 Nr. 4 StPO geregelten Ausschlussgrund, ist ihr nach § 24 StPO zulässiger Antrag nach dem oben Ausgeführten nicht begründet.

Eine Besorgnis der Befangenheit kann sich nicht allgemein aus dem Umstand der Abordnung des Richters am Bundesgerichtshof Dr. A. an das Thüringer Justizministerium und seiner dortigen, im Wege der Dienstaufsicht erfolgten Befassung mit dem gegen die Angeklagten geführten Strafverfahren ergeben (vgl. KK-StPO/Pfeiffer § 24 Rdn. 6).

Auch aus dem Handeln des Richters im Zusammenhang mit dem Erlass eines gegen das Thüringer Wirtschaftsministerium gerichteten Durchsuchungsbeschlusses des Landgerichts Mühlhausen kann eine Besorgnis der Befangenheit nicht gefolgert werden. Wie sich aus dem Wortprotokoll über die Sitzung des Justizausschusses des Thüringer Landtags vom 27. Oktober 2000 ergibt, hat der Richter am Bundesgerichtshof Dr. A. insoweit lediglich als Überbringer des Beschlusses an den Justizminister gehandelt, ohne dass er auf die Entscheidung des Ministers über eine vorherige Benachrichtigung des Wirtschaftsministeriums oder gar den Erlass des Durchsuchungsbeschlusses selbst Einfluss genommen hätte. Hieraus ergeben sich keine Anhaltspunkte, die darauf schließen ließen, der Richter nehme den Angeklagten gegenüber eine innere Haltung ein, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen könnte.

Auch aus den übrigen dem Senat vorliegenden Unterlagen sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die die Besorgnis der Befangenheit begründen könnten. Die oben dargestellten von den Angeklagten vorgetragenen Behauptungen und Vermutungen, aus denen aus ihrer Sicht eine Besorgnis der Befangenheit des Richters am Bundesgerichtshof Dr. A. folgen soll, sind mit Tatsachen nicht belegt und vermögen das Ablehnungsgesuch daher nicht zu begründen. Insbesondere hat der Richter am Bundesgerichtshof Dr. A., wie sich aus seiner dienstlichen Erklärung vom 28. Februar 2006 ergibt, während der Zeit seiner Abordnung in keiner Weise auf eine Verurteilung der Angeklagten hingewirkt oder Vorstellungen über das Maß einer gegebenenfalls zu beantragenden Strafe geäußert. Bereits die zeitlichen Umstände der Abordnung des Richters weisen darauf hin, dass eine von den Angeklagten befürchtete Mitwirkung an ihrer durch das Landgericht Mühlhausen erfolgten Verurteilung nicht stattgefunden hat.

HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 362

Bearbeiter: Ulf Buermeyer