Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 BJs 79/00, Beschluss v. 09.11.2001, HRRS-Datenbank, Rn. X
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.
1. Der Beschuldigte befindet sich seit dem 27. Dezember 2000 in Untersuchungshaft aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom selben Tag (2 BGs 208/2000), der durch neuen Haftbefehl vom 19. Juni 2001 (2 BGs 164/2001) ersetzt wurde. Der Senat hat mit Beschluß vom 12. Juli 2001 die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus angeordnet. Zu dem gegen den Beschuldigten bestehenden dringenden Tatverdacht und zum Haftgrund nimmt der Senat zunächst auf diese Entscheidung Bezug.
2. Der Senat stützt seine vorliegende Haftfortdauerentscheidung gegen den Beschuldigten nunmehr auch auf den Vorwurf der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung (§ 129 a Abs. 1 StGB). Aufgrund der zwischenzeitlich gewonnenen Erkenntnisse ist der Beschuldigte dringend verdächtig, sich jedenfalls mit den Mitbeschuldigten B. und K. ab Herbst 2000 im Raum F. zu einem nach außen abgeschotteten, konspirativ arbeitenden Verband zusammengeschlossen zu haben, der Teil eines Netzwerks entsprechender Gruppierungen gewaltbereiter islamistischer Fundamentalisten in anderen europäischen Ländern ist. Auch besteht der dringende Tatverdacht, daß einzelne dieser Gruppierungen bzw. deren Mitglieder im Sinne einer Vereinigung nach § 129 a StGB zusammenwirken, um in Umsetzung des von ihnen propagierten "heiligen Krieges (Djihad)" in Ländern des westlichen Kulturkreises Terrorakte, insbesondere Sprengstoffanschläge zu verüben (§ 129 a Abs. 1 Nr. 3, § 308 Abs. 1, § 6 Nr. 2 StGB). Ob dieser Verdacht sich zu einer die Verurteilung der Beschuldigten tragenden Überzeugung verdichten läßt, insbesondere ob dem Zusammenwirken der einzelnen Gruppierungen oder deren Mitgliedern eine organisierte Willensbildung zugrunde liegt, die dem Wesen einer Vereinigung im Sinne der §§ 129, 129 a StGB entspricht (s. etwa BGHSt 28, 147 ff.; 31, 239, 240), muß der Beurteilung des Tatgerichts nach Durchführung der Beweisaufnahme vorbehalten bleiben.
Der dringende Tatverdacht gründet sich auf folgende Umstände, die dem Senat teilweise auch aus einem früheren Haftprüfungsverfahren betreffend den Mitbeschuldigten K. bekannt sind:
a) Die Gruppierung der Beschuldigten B., S. und K:
Wie der Senat schon in seinem Beschluß vom 12. Juli 2001 im einzelnen dargestellt hat, belegen die geführten Ermittlungen zunächst mit hinreichender Sicherheit, daß die Beschuldigten M., B., E. und S. im Dezember 2000 in F. und anderen Orten der Bundesrepublik einen Sprengstoffanschlag auf den Weihnachtsmarkt oder einen Wochenmarkt in St. vorbereiteten. Dieser Tatplan wird erneut bestätigt durch die zwischenzeitliche Übersetzung der Gespräche, die auf der Tonspur des Videofilms aufgezeichnet sind, der auf der Vorbereitungsfahrt von Ba. nach St. von den Beschuldigten S. und E. aufgenommen wurde.
Das gewonnene Beweismaterial legt darüber hinaus den Schluß nahe, daß sich jedenfalls die Beschuldigten B. , S. und K. zu einer Organisation verbunden hatten, deren Zwecke oder Tätigkeit allgemein darauf gerichtet war, Straftaten wie den geplanten Anschlag in St. zu begehen. Diese drei Beschuldigten hielten sich zumindest seit Herbst 2000 - im Raum F. auf und standen untereinander in Kontakt. Dabei verhielten sie sich in konspirativer Weise. Sie verwendeten verschiedene Decknamen, nutzten teilweise Wohnungen, die von Dritten - auch unter Falschnamen - angemietet worden waren, und telefonierten ausschließlich aus öffentlichen Telefonzellen oder mit Handys, die für andere Personen freigeschaltet worden waren. All dies wird vom Beschuldigten K. zum Teil eingeräumt und im übrigen durch mehrere sichergestellte Beweismittel sowie den Inhalt abgehörter Telefonate bestätigt. Schon diese Besonderheiten legen es nahe, daß es sich bei der Beziehung dieser Beschuldigten nicht um ein reines Freundschaftsverhältnis handelte, gegründet etwa allein auf die gemeinsame Herkunft oder Religion.
Hinzu kommt eine Vielzahl von Verdachtsmomenten, die dafür sprechen, daß sich diese Beschuldigten zusammengeschlossen hatten, um im Rahmen eines internationalen Netzwerks islamistischer Fundamentalisten, aus dem heraus sich in verschiedenen europäischen Ländern (etwa in Großbritannien und Italien) terroristische Organisationseinheiten gebildet haben, an der Verwirklichung terroristischer Ziele in Zusammenarbeit mit solchen anderen Organisationseinheiten oder einzelner deren Mitglieder mitzuwirken. Diese ergeben sich zunächst aus zahlreichen schriftlichen Unterlagen und sonstigen Beweismitteln, die sowohl bei den Beschuldigten dieses Verfahrens als auch bei anderen Personen sichergestellt werden konnten, die im Verdacht stehen, dem Netz gewaltbereiter islamistischer Fundamentalisten anzugehören. Sie folgen außerdem aus dem Inhalt zahlreicher abgehörter Telefonate, die seit Dezember 2000 insbesondere im Zusammenhang mit den Verhaftungen der Beschuldigten in Deutschland, im europäischen Ausland oder auch per Satellitentelefon in den Raum Afghanistan/Pakistan geführt wurden. Besonders aufschlußreich sind darüber hinaus vor allem die Äußerungen des Beschuldigten B. in der Untersuchungshaft gegenüber dem Mitgefangenen Sa., den er von den Zielen des islamischen Fundamentalismus überzeugen wollte und für eine Ausbildung in Afghanistan zu gewinnen suchte. Laut B. habe die Gruppe über mehr als 200 kg Sprengstoff verfügt, es sei ein Anschlag auf eine jüdische Einrichtung in L. vorgesehen gewesen und weitere Operationen hätten sich in der Planung befunden. Zu diesen hätten die Inhaftierten aber noch keine näheren Informationen besessen, da die entsprechenden Anweisungen von Führungspersonen von außerhalb kämen.
b) Einbindung der Organisation der Beschuldigten B., S und K. in das internationale terroristische Netz:
Zur Existenz des internationalen Netzes, den Beziehungen der ihm angehörenden Personen und lokalen Gruppen untereinander sowie den von diesen bereits begangenen oder geplanten terroristischen Anschlägen sind eine Vielzahl von Erkenntnissen deutscher, französischer, italienischer und britischer Ermittlungsbehörden und Geheimdienste aktenkundig. Sie werden beispielhaft auch belegt durch den Inhalt eines am 13. Januar 2001 geführten Telefonats zwischen einem Es. in Italien und einem Ma. in Belgien, die beide der Zugehörigkeit zu Gruppen des internationalen Netzwerks verdächtig sind. In diesem Telefonat bringt Es. seine Hoffnung zum Ausdruck, daß in Frankreich nicht das Gleiche wie in F. passiere und auch das dortige Versteck entdeckt werde, und rät dem Ma., eine neue Identität anzunehmen.
Die Verbindung der zumindest von den Beschuldigten B., S. und K. gebildeten Untergruppierung zu anderen Gruppen des Netzwerks folgt zunächst aus ihrem Kontakt zu bzw. ihr Zusammenwirken mit den Beschuldigten M. und E., die nach den Erkenntnissen der britischen Ermittlungsbehörden einer vergleichbaren Untergruppierung des Netzes gewaltbereiter islamistischer Fundamentalisten in London zugehörten. Darüber hinaus bestand zu weiteren Personen Kontakt, die im Verdacht stehen, derartigen Gruppierungen anzugehören, was erneut durch den Inhalt einer Vielzahl abgehörter Telefonate bestätigt wird. Auch ist ein aussagekräftiger Beleg dafür vorhanden, daß sich die Mitglieder der F. Untergruppierung der gemeinsamen Willensbildung zwischen lokalen nationalen Organisationseinheiten unterwarfen, nämlich die Bemerkung des Beschuldigten B. gegenüber dem Zeugen Sa., es hätten sich weitere Operationen in der Planung befunden, zu denen die Inhaftierten aber noch keine näheren Informationen besessen hätten, da die entsprechenden Anweisungen von Führungspersonen von außerhalb kämen.
3. Der Vollzug der Untersuchungshaft ist weiterhin nicht unverhältnismäßig, da der Beschuldigte im Falle einer Verurteilung eine erhebliche Freiheitsstrafe zu erwarten hat (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Ihr Zweck kann durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinn des § 116 StPO nicht erreicht werden.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über weitere drei Monate hinaus (§ 121 Abs. 1, § 122 Abs. 4 Satz 2 StPO) liegen vor. Im Hinblick auf den erheblichen Ermittlungsaufwand ist das Verfahren weiterhin mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden. Nach Mitteilung des Generalbundesanwaltes ist im November 2001 mit der Anklageerhebung zu rechnen.
Bearbeiter: Karsten Gaede