Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 88/01, Urteil v. 25.05.2001, HRRS-Datenbank, Rn. X
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Limburg an der Lahn vom 31. August 2000 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen falscher uneidlicher Aussage zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Von dem Vorwurf, am 19. Juni 1995 und am 14. August 1995 (Fälle 2 und 3) jeweils eine Falschbeurkundung im Amt sowie am 23. März 1996 (Fall 4) einen Betrug in Tateinheit mit Falschbeurkundung im Amt begangen zu haben, hat es ihn freigesprochen. Die Revision der Staatsanwaltschaft richtet sich gegen den Freispruch in den Fällen 2 und 3. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechtes. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, hat keinen Erfolg.
2. Hinsichtlich der Fälle 2 und 3 der Urteilsgründe hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
a) Der marokkanische Staatsangehörige R. beabsichtigte 1995 zusammen mit seiner Ehefrau K eine Eigentumswohnung zu erwerben. Da ihm eine von A. gezeigte Musterwohnung gefiel, schlug ihm dieser vor, eine zum sicheren Erwerb erforderliche Vollmacht bei dem Angeklagten, einem Notar, protokollieren zu lassen. Es wurde ein Beurkundungstermin bei dem Angeklagten für den 19. Juni 1995 in dessen Notariat vereinbart. Der Angeklagte ließ eine Vollmachtsurkunde vorbereiten. Darin erteilten die Zeugen R. und K der I.GmbH Vollmacht zum Erwerb der Eigentumswohnung. Bei der in der Vollmacht genannten Wohnung handelte es sich nicht um die besichtigte Wohnung, sondern um eine Dachgeschoßwohnung. Nach den Angaben zu den Personalien der Zeugen R. und K enthielt die Vollmachtsurkunde ferner folgende Feststellung:
"Die Erschienenen sind marokkanische Staatsbürger und der deutschen Sprache hinreichend mächtig, um dieser Beurkundung folgen zu können, wovon sich der amtierende Notar überzeugt hat."
Am 19. Juni 1995 erschien der Zeuge R. in Begleitung der Zeugin K im Notariat des Angeklagten. Bevor der Angeklagte mit der notariellen Protokollierung der Vollmacht begann, wandte er sich der Zeugin K zu und fragte sie, ob sie deutsch verstehe. Daraufhin nickte sie mit dem Kopf. Der Angeklagte gab sich mit dieser Geste zufrieden und fragte sie noch ergänzend, ob sie denn wisse, warum sie hier sei. Auf diese Frage antwortete die Zeugin auf arabisch, daß es um einen Wohnungskauf gehe, wobei der Zeuge R. diese Antwort für den Angeklagten ins Deutsche übersetzte. Da der Angeklagte aufgrund dieser Äußerung annahm, daß die Zeugin K. über den Gegenstand der Vollmacht Bescheid wisse, richtete er keine weiteren Fragen mehr an sie und begann mit der Beurkundung. Darüber, ob die Hinzuziehung eines Dolmetschers nötig sei, machte er sich keine weiteren Gedanken.
Zum Zeitpunkt der notariellen Beurkundung vom 19. Juni 1995 verfügte die Zeugin K. lediglich über bruchstückhafte passive Kenntnisse der deutschen Sprache. Sie war weder in der Lage, sich über alltägliche, einfache Lebenssachverhalte auf deutsch zu unterhalten, noch war es ihr möglich, der notariellen Beurkundung der Vollmachtsurkunde auch nur in Ansätzen zu folgen. Die Beurkundung endete mit der Unterzeichnung durch alle Beteiligten, darunter auch der Zeugin K.
b) Als der Zeuge R. wenig später feststellte, daß es sich bei der erworbenen Eigentumswohnung um eine Dachgeschoßwohnung handelte, "fühlte er sich betrogen" und erreichte schließlich, daß er die Eigentumswohnung umtauschen konnte, was eine weitere notarielle Beurkundung erforderlich machte. Am 14. August 1995 fand daher ein zweiter Beurkundungstermin bei dem Angeklagten statt, zu dem der Zeuge R. wieder in Begleitung der Zeugin K erschien. Der Entwurf der Vertragsurkunde enthielt wiederum die Klausel zur hinreichenden Sprachkunde des Ehepaares R. und K.
Zur Beurkundung am 14. August 1995 begrüßte der Angeklagte die Zeugen R. und K. wiederum kurz und fragte die Zeugin K. ob sie deutsch verstehe. Nachdem sie diese Frage auf deutsch mit einem "ja" beantwortet hatte, gab er sich damit zufrieden und begann sogleich, den Beteiligten die Vertragsurkunde vorzulesen. Die Hinzuziehung eines Dolmetschers hielt er nicht für erforderlich. Die Zeugin K. war aufgrund ihrer unzureichenden passiven Deutschkenntnisse jedoch nicht in der Lage, den Inhalt der verlesenen Urkunde zu verstehen. Die Beurkundung endete mit der Vertragsunterzeichnung durch alle Beteiligten, darunter auch der Zeugin K.
3. Der Freispruch durch das Landgericht in den Fällen 2 und 3 der Urteilsgründe ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Zutreffend ist der Tatrichter davon ausgegangen, daß der Angeklagte keine Falschbeurkundungen im Amt (§ 348 StGB) begangen hat. Der Angeklagte hat nicht eine rechtlich erhebliche Tatsache falsch beurkundet.
Allerdings sind die errichteten Urkunden öffentliche Urkunden im Sinne der §§ 415 ff. ZPO. Nicht jede falsche Angabe in einer solchen Urkunde ist aber Gegenstand einer Straftat nach § 348 StGB. Falsch beurkundet im Sinne dieser Vorschrift sind nur diejenigen rechtlich erheblichen Erklärungen, Verhandlungen oder Tatsachen, auf die sich der öffentliche Glaube der Urkunde, das heißt die "volle Beweiswirkung für und gegen jedermann", erstreckt (vgl. BGH wistra 2000, 266; BGHSt 44, 186, 187; BGHSt 22, 201, 203; bereits RGSt 39, 370, 373; BayObLG NJW 1992, 1841, 1842). Welche Angaben im einzelnen diese Voraussetzung erfüllen, ergibt sich in erster Linie aus den gesetzlichen Bestimmungen, die für Errichtung und Zweck der öffentlichen Urkunde maßgeblich sind. Dabei sind auch die Anschauungen des Rechtsverkehrs zu beachten. Die Beurkundung einer Tatsache, die weder nach dem Gesetz noch nach einer anderen Vorschrift (zwingend) angegeben zu werden braucht und deren unwahre Kundgabe die Wirksamkeit der Beurkundung nicht berührt, kann grundsätzlich nicht als Beurkundung einer rechtlich erheblichen Tatsache angesehen werden (vgl. auch BGHSt 22, 32, 35). Danach enthält die Angabe über die vermeintliche Sprachkunde der Zeugin K keine vom Strafschutz des § 348 StGB umfaßte Beurkundung; denn ihr kommt keine öffentliche Beweiskraft zu. Die von einem Notar aufgenommenen Urkunden begründen vollen Beweis nur für die vor der Urkundsperson abgegebenen Erklärungen (§ 415 ZPO) und die von ihr bezeugten Tatsachen (§ 418 ZPO). Da es sich hier nicht um die Abgabe einer Erklärung handelt, scheidet § 415 ZPO aus. § 418 ZPO findet aber ebenfalls keine Anwendung. Denn eine Tatsache ist von dem Urkundsbeamten nur dann beurkundet, wenn er sie zum Zwecke des Beweises für und gegen jedermann in der Urkunde festgestellt hat. Dies trifft auf einen Vermerk über die "Sprachkunde" aber nicht zu. Denn er bezeugt keine von dem Notar wahrgenommene Tatsache, wie etwa das Erscheinen einer bestimmten Person, sondern bringt nur seinen subjektiven Eindruck über die sprachliche Fertigkeit des Erschienenen zum Ausdruck. Deshalb hat die Rechtsprechung bereits in vergleichbaren Fällen (vgl. OGHZ 2 [1949] 45, 54 zur Testierfähigkeit; BayObLG DNotZ 1975, 555 zur Geschäftsfähigkeit) verneint, daß ein derartiger Vermerk vollen Beweis erbringt. Bewiesen wird hierdurch nur die Überzeugung des Notars und damit lediglich ein Indiz für die Sprachkunde. Auch der Bundesgerichtshof (GA 1964, 9, 10) hat daher eine Strafbarkeit gemäß § 348 StGB hinsichtlich eines Vermerks über die Geschäftsfähigkeit des Erklärenden verneint, da der Beurkundung insoweit keine öffentliche Beweiskraft zukommt.
Demgemäß wird auch von der Literatur zutreffend festgehalten, daß die Beweiskraft der sogenannten Zeugnisurkunden (§ 418 ZPO) sich weder auf Vermerke, die eine rechtliche Beurteilung enthalten, erstreckt, noch auf solche, von denen nicht gewährleistet ist, daß die Urkundsperson sie zuverlässig festgestellt hat (vgl. u.a. Thomas/Putzo, ZPO 22. Aufl. § 418 Rdn. 3; Zöller/Geimer, ZPO 22. Aufl. § 418 Rdn. 3; Stein/Jonas/Leipold, ZPO 21. Aufl. § 418 Rdn. 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 59. Aufl. § 418 Rdn. 4). Im vorliegenden Fall kann nichts anderes gelten. Dies ergibt sich insbesondere auch aus folgenden Überlegungen:
Es ist bereits zweifelhaft (vgl. hierzu u.a. Huhn/von Schuckmann, BeurkG 3. Aufl. § 16 Rdn. 7 m.w.N.), was unter Sprachunkundigkeit zu verstehen ist. Diese ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Beteiligte die Sprache so wenig versteht, daß er dem Vorlesen der Niederschrift nicht folgen kann. Nach weitergehender Meinung ist aber auch derjenige der Sprache nicht hinreichend kundig, der nicht hinreichend sprechkundig ist (vgl. u.a. Erman/Schmidt, BGB 9. Aufl. § 16 BeurkG Rdn. 1).
Letzteres ist für einen Notar durch ein Gespräch leichter festzustellen. Hingegen ist es wesentlich schwieriger, sich von der passiven Sprachkunde eine Überzeugung zu verschaffen. Auch dies belegt daß eine zuverlässige Beurteilung nicht ohne weiteres möglich ist und deshalb dem Vermerk über die Sprachkunde keine Beweiskraft zukommen kann, zumal das Element "hinreichend" kundig ohnehin zusätzlich eine Wertung enthält.
Hinzu kommt, daß die Beurkundung der Sprachkunde eines Beteiligten nicht zwingend vorgeschrieben ist. Nach § 16 Abs. 1 Beurkundungsgesetz soll in der Niederschrift festgestellt werden, daß ein Beteiligter der deutschen Sprache nicht hinreichend kundig ist, wenn er dies angibt oder es nach Überzeugung des Notars der Fall ist. Daß ein Beteiligter der deutschen Sprache dagegen hinreichend mächtig ist, fällt als Normalfall noch nicht einmal unter die Sollvorschrift (vgl. u.a. Huhn/von Schuckmann aaO § 16 Rdn. 21; Keidel/Winkler, BeurkG 14. Aufl. § 16 Rdn. 29; ebenso bei der Geschäftsfähigkeit: Keidel/Winkler aaO BeurkG § 11 Rdn. 3 und 12; Erman/Schmidt aaO § 11 BeurkG Rdn. 2). Da es sich bei § 16 Abs. 1 Beurkundungsgesetz lediglich um eine Sollvorschrift handelt, die zudem für die Feststellung der Sprachkunde nicht gilt, berührt eine unrichtige Angabe über die Sprachkunde die Wirksamkeit der Urkunde nicht (vgl. u.a. Huhn/von Schuckmann aaO § 16 Rdn. 3).
Auch die Berücksichtigung der Verkehrsanschauung legt keine andere Beurteilung nahe. Denn der Vermerk über die Sprachkunde ist für die Beweiskraft der Urkunde und für den Nachweis der sich aus ihr ergebenden Rechte und Pflichten regelmäßig ohne Bedeutung. Ob die Angabe des Beteiligten zu seiner Sprachkunde richtig war, ob sich der Notar zu Recht überzeugt oder ob er sich geirrt hat oder getäuscht wurde, beeinflußt - wie erwähnt - die Wirksamkeit der Beurkundung nicht (vgl. u.a. Keidel/Winkler aaO § 16 Rdn. 10). Nur wenn die Sprachunkunde in der Niederschrift festgestellt ist, sich also aus der Niederschrift selbst ergibt, greifen die Mußvorschriften des § 16 Abs. 2 und 3 BeurkG ein. Fehlt dagegen eine Feststellung, obwohl ein Beteiligter Sprachunkunde behauptet oder der Notar davon überzeugt ist, und verfährt der Notar mit ihm wie mit einem Sprachkundigen, so ist die Beurkundung trotzdem wirksam (vgl. u.a. Soergel/Harder, BGB 12. Aufl. § 16 BeurkG Rdn. 4; Keidel/Winkler aaO § 16 Rdn. 11 und Rdn. 31).
Aus alldem ergibt sich, daß der Tatrichter ohne Rechtsfehler den Angeklagten in den Fällen 2 und 3 vom Vorwurf der Falschbeurkundung freigesprochen hat.
Externe Fundstellen: BGHSt 47, 39; NJW 2001, 3135; StV 2001, 625
Bearbeiter: Karsten Gaede