Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 846/94, Urteil v. 14.03.1995, HRRS-Datenbank, Rn. X
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 17. Oktober 1994 im Ausspruch über die Einzelstrafe wegen versuchten Mordes und im Gesamtstrafenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Mordes und wegen versuchter Anstiftung zum Totschlag zur Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft ist beschränkt auf die wegen versuchten Mordes verhängte Einzelstrafe und auf die Gesamtstrafe.
Nach den Feststellungen hat die Angeklagte das Insektengift "Detmol" aus einer Spraydose auf das Vesperbrot ihres Ehemannes gesprüht, um ihn zu töten. Der Sprühvorgang dauerte zweimal je etwa eine Sekunde. Der Ehemann verzichtete jedoch auf den Verzehr des Brotes, nachdem er einen ersten Bissen wegen des bitteren Geschmacks ausgespuckt hatte. Sachverständig beraten hat die Strafkammer festgestellt, daß die 500 ml-Spraydose 0,17 % des Giftes Fenitrothion enthielt, mithin 0,85 ml dieses Wirkstoffes. Die für einen Menschen mit 70 kg Körpergewicht tödliche Dosis dieses Giftes beträgt bei oraler Einnahme 40 g.
Zu Recht beanstandet die Revision, daß das Landgericht die Einzelstrafe von zwei Jahren wegen versuchten Mordes in Anwendung der Milderungsmöglichkeit nach den §§ 23 Abs. 3, 49 Abs. 2 StGB bestimmt hat.
§ 23 Abs. 3 StGB setzt voraus, daß der Täter aus grobem Unverstand verkannt hat, daß der Versuch nach der Art des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung gelangen konnte. Mit dieser Gesetzesformulierung sollte zunächst einmal klargestellt werden, daß § 23 Abs. 3 StGB nur anwendbar ist, wenn durch die Tat weder eine konkrete noch eine abstrakte Gefährdung für das Opfer bestand (Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform BT-Drucks. V/4095 S. 12). Des weiteren muß dann diese objektive Ungeeignetheit des Versuchs mit dem subjektiven Merkmal des 'groben Unverstands' in einer Einheit gesehen werden. Aus grobem Unverstand handelt der Täter nur dann, wenn er trotz ungeeigneten Mittels den Taterfolg für möglich hält, weil er bei der Tatausführung von völlig abwegigen Vorstellungen über gemeinhin bekannte Ursachenzusammenhänge ausgeht. Dabei muß der Irrtum nicht nur für fachkundige Personen, sondern für jeden Menschen mit durchschnittlichem Erfahrungswissen offenkundig, ja geradezu handgreiflich sein (vgl. Vogler in LK StGB 10. Aufl. § 23 Rdn. 33, 35; Eser in Schönke/Schröder, StGB 24. Aufl. § 23 Rdn. 15; Roxin JuS 1973, 329 ff.; Dreher/Tröndle, StGB 47. Aufl. § 23 Rdn. 6).
Das ist hier nicht der Fall.
Bei der Tat der Angeklagten handelte es sich um einen untauglichen Versuch. Nach durchschnittlichem Erfahrungswissen ist ein Insektenvernichtungsmittel giftig und grundsätzlich geeignet, den Tod eines Menschen herbeizuführen. Ob dieser Erfolg im Einzelfall tatsächlich eintritt, hängt von der Art und Menge des verwendeten Mittels ab. Mit der hier benutzten Menge konnte der Taterfolg tatsächlich nicht eintreten; um ihn herbeizuführen, hätte es einer für eine heimtückische Tötung ungeeignet großen Menge bedurft.
Die Angeklagte irrte hier nicht über die grundsätzliche Eignung von Insektengift zur Tötung, ihre Fehlvorstellung bezog sich lediglich auf die tatsächliche Beschaffenheit des von ihr gewählten und in seiner giftigen Konzentration für ausreichend gehaltenen Mittels. Es handelt sich um einen Irrtum über die erforderliche Dosis. Ein solcher Irrtum erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 StGB (so auch in einem vergleichbaren Beispiel Roxin aaO S. 332: Irrtum über die zur Tötung geeignete Menge eines Beruhigungsmittels), denn es handelte sich nicht um eine für jedermann ersichtlich abwegige Verkennung der Ursachenzusammenhänge. Auch das Landgericht hielt zur Feststellung der benutzten Giftmenge und der zur Tötung geeigneten Dosis die Zuziehung eines Sachverständigen für erforderlich.
Das Gesetz geht von der Strafwürdigkeit auch des untauglichen Versuchs aus; die in den Vorstellungen des Täters liegende Gefährlichkeit ist Grund der Strafbarkeit. Eine über die Versuchsmilderung nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB hinausgehende Milderung soll möglich sein, wenn die Vollendung der Tat nur bei grobem Unverstand für möglich gehalten werden konnte. Der Grund liegt einmal darin, daß ein ungefährliches Mittel verwendet und so ein Taterfolg generell nicht herbeigeführt werden konnte. Verlangt ist zusätzlich eine über die Untauglichkeit des Versuchs hinaus weiter verringerte Gefährlichkeit, die darin liegt, daß ein Erfolg nur subjektiv für möglich gehalten wurde, obwohl das nach allgemeiner Vorstellung als abwegig anzusehen war. Davon erfaßt werden aber nicht solche untauglichen Versuche, deren Ungeeignetheit lediglich auf einem Irrtum über die Stärke des verwendeten Giftes beruhen.
Die Aufhebung der Gesamtstrafe folgt aus der fehlerhaften Festsetzung der Einzelstrafe wegen versuchten Mordes.
Externe Fundstellen: BGHSt 41, 94; NJW 1995, 2176; StV 1995, 581
Bearbeiter: Rocco Beck