Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 534/92, Urteil v. 17.11.1992, HRRS-Datenbank, Rn. X
I. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 23. März 1992 wird verworfen.
II. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten durch die Revision entstandenen notwendigen Auslagen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Vergewaltigung und wegen schweren Raubs in Tateinheit mit sexueller Nötigung zur Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet, daß der Angeklagte nicht auch wegen erpresserischen Menschenraubs (§ 239a StGB) und wegen Geiselnahme (§ 239b StGB) verurteilt wurde. Die Revision ist unbegründet.
Der Verurteilung hat das Landgericht folgende Feststellungen zugrundegelegt:
1. Zwischen dem 28. und 30. Juli 1991 lockte der drogenabhängige und HIV-infizierte Angeklagte eine 22jährige Prostituierte auf ein einsam gelegenes Gelände. Dort bedrohte er sie mit einem Messer und brachte sie so dazu, ihm 160 DM auszuhändigen. Nun beschloß er, das Opfer unter Ausnutzung der Situation zur Duldung des Geschlechtsverkehrs zu zwingen. Er zog und trug die Geschädigte in eine Ecke eines dunklen Schulhofs, wo er gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr mit ihr ausführte.
2. Am frühen Morgen des 8. August 1991 entschloß sich der Angeklagte erneut, sich in der geschilderten Weise Geld für Drogen zu beschaffen. Er lockte deshalb eine 27jährige Prostituierte in das zweite Untergeschoß einer Tiefgarage. Dort bedrohte er sie in einer Stellplatznische mit einer Pistole und forderte sie auf, ihm Geld und Drogen auszuhändigen. Die Geschädigte, die in Todesangst geriet, übergab ihm 18 DM sowie eine leere Spritze. Spätestens jetzt entschloß sich der Angeklagte, die Abgelegenheit des Ortes und die Todesangst der Zeugin dazu zu benutzen, diese auch sexuell zu mißbrauchen. Er zwang daraufhin die Zeugin, vor ihm knieend Mundverkehr bis zum Samenerguß auszuführen, wobei er sie an den Haaren festhielt, während er in der anderen Hand die Pistole hielt.
In beiden Fällen hat die Strafkammer erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit aufgrund akuter Alkohol- und Drogenintoxikation in Verbindung mit gravierenden dissozialen Persönlichkeitsveränderungen angenommen. Den rechtlichen Gesichtspunkt des § 237 StGB hat das Landgericht jeweils nach § 154 a Abs. 2 StPO von der Verfolgung ausgenommen.
Das Landgericht hat von einer Verurteilung nach §§ 239a, 239b StGB hier im Ergebnis zu Recht abgesehen.
1. Die Strafkammer hat angenommen, eine teleologische Auslegung beider Strafvorschriften unter Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte und systematischen Stellung führe dazu, in Fällen der vorliegenden Art Gesetzeseinheit im Sinne der Spezialität anzunehmen. Für Fälle der "Zweierbeziehung", in denen mit den Nötigungsmitteln der §§ 239a oder 239b eine Straftat des schweren Raubs, der schweren räuberischen Erpressung, der Vergewaltigung oder der sexuellen Nötigung begangen werde, seien diese Tatbestände Spezialvorschriften, welche die allgemeineren, wenngleich schärferen Bestimmungen der §§ 239a, 239b verdrängten.
Hiergegen wendet die Revision ein, die Tatbestände des erpresserischen Menschenraubs und der Geiselnahme, jeweils in Tateinheit, seien schon nach dem Wortlaut des Gesetzes erfüllt. Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschriften ergebe sich überdies, daß den Tatbeständen auch "Lappalien" unterfallen sollten; eine "Abschleifung der Strafbarkeitsgrenzen" (vgl. Kunert/Bernsmann NStZ 1989, 449, 451) sei vom Gesetzgeber gerade beabsichtigt gewesen.
2. a) Zutreffend weist die Revision darauf hin, daß die Tatbestände der §§ 239a, 239b StGB nach ihrem eindeutigen Wortlaut auf Sachverhalte der vorliegenden Art Anwendung finden könnten. Der Wortlaut einer Vorschrift stellt zwar die äußerste Grenze einer ausdehnenden Auslegung dar, er ist jedoch einer mit Hilfe der üblichen Methoden vorgenommenen einschränkenden Auslegung zugänglich (vgl. Gribbohm in LK 11. Aufl. § 1 Rdn. 84 f.). Sowohl eine historische als auch eine teleologische und systematische Auslegung führen bei der hier zu beurteilenden Fallgestaltung zu einer Einschränkung des vom Wortlaut zu weit gezogenen Anwendungsbereichs der §§ 239a, 239b StGB.
b) Aus der Entstehungsgeschichte der §§ 239a, 239b StGB in der Fassung des Gesetzes vom 9. Juni 1989 (BGBl. I S. 1059) ergeben sich keine überzeugenden Argumente für die von der Revision vertretene Ansicht. Das sogenannte "Artikelgesetz" vom 9. Juni 1989 sollte der "wirksameren Bekämpfung gewalttätiger Ausschreitungen bei Demonstrationen und anderen friedensstörender Gewalttaten" dienen (Entwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 11/2834, S. 1). Der Vorschlag, in §§ 239a und 239b auch Fälle einzubeziehen, in denen auf den Entführten selbst weiterer Zwang ausgeübt wird, und somit die früher ausschließliche "Dreiecks"-Struktur dieser Tatbestände durch die Möglichkeit eines Zwei-PersonenVerhältnisses zu ersetzen, wurde damit begründet, bei beiden Delikten handele es sich um "typische Erscheinungsformen terroristischer Gewaltkriminalität" (Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 11/4359, S. 13; vgl. schon BT-Drucks. 11/2834, S. 9). Die Einbeziehung des Entführten selbst solle die Strafvorschrift des § 239b StGB auf Fälle erstrecken, die ebenso strafwürdig erschienen wie die bislang erfaßten Fälle; durch die Vorschriften des geltenden Rechts (etwa §§ 105, 106, 239 StGB) werde der Unrechtsgehalt eines derartigen kriminellen Verhaltens nicht voll erfaßt. Als Beispiel für die Ausübung weiteren Zwangs auf den Entführten selbst nennt die Begründung "Geiselnahme eines Politikers, um ihm selbst ein bestimmtes Verhalten abzupressen" (BT-Drucks. 11/2834, S. 9). Bereits im Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung terroristischer krimineller Vereinigungen vom 21. Mai 1975 (Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU, BT-Drucks. 7/3661), welcher gleichfalls eine Einbeziehung des Zwei-Personen-Verhältnisses in § 239b StGB anstrebte, wird zur Begründung darauf hingewiesen, das geltende Recht enthalte eine Strafbarkeitslücke für die Fälle, in denen "etwa ein Politiker zum Rücktritt oder ein Fabrikant zur Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern" genötigt oder "ein Diplomat lediglich mit der Drohung entführt wird, ihn - etwa in einem sogenannten "Volksgefängnis" - festzuhalten, bis bestimmte - auch politische - Bedingungen erfüllt sind oder etwa bestimmte Gefangene entlassen sind" (ebenda S. 6; ebenso Bundesratsentwurf vom 1. September 1975, BT-Drucks. 7/4004, S. 8).
Daß eine Ausweitung der Tatbestände der §§ 239a, 239b StGB auf die Nötigung des Entführungsopfers selbst zu systematischen Kollisionen mit bereits vorhandenen Tatbeständen wie den §§ 177, 178, 253, 255 StGB führt, ist im Gesetzgebungsverfahren nicht erörtert worden; auch bei den Anhörungen und Beratungen des Rechtsausschusses spielte diese Frage keine Rolle.
c) Dem entspricht, daß die strafrechtliche Literatur die auftretenden besonderen Konkurrenzfragen bislang nicht vertieft erörtert hat (vgl. Dreher/Tröndle StGB 45. Aufl. § 239 a Rdn. 6, 13; § 239 b Rdn. 4; Schönke/Schröder/Eser StGB 24. Aufl. § 239 a Rdn. 13 f, 45; § 239 b Rdn. 3 und 20 a.E.; Horn in SK § 239 a Rdn. 7 ff., 14, 19; § 239 b Rdn. 6 und 9; Maurach/Schroeder/Maiwald BT 1, 7. Aufl., S. 146 f). Soweit Anwendungsbereiche des Zwei-Personen-Verhältnisses dargelegt werden, beschränken sich die in der Literatur angeführten Beispiele überwiegend auf Fälle politisch motivierter Nötigungshandlungen, mit denen etwa der Rücktritt eines Ministers, die Freilassung von Gefangenen, die Verteilung von Lebensmitteln an die unbemittelte Bevölkerung oder die Verlesung eines politischen Manifests im Rundfunk erzwungen werden sollen (vgl. Dreher/Tröndle § 239 b Rdn. 4). Auch Anwendungsbeispiele im Bereich "normaler" Kriminalität (etwa Gewährung freien Geleits an Bankräuber) beschränken sich durchweg auf Fälle, in denen die Nötigungshandlung auf eine Wirkung außerhalb des unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Gewaltverhältnisses zwischen Täter und Opfer abzielt.
d) Gewichtige Gründe sprechen, entgegen der Auffassung der Revision, für eine einschränkende Auslegung der Vorschrift jedenfalls in den Fällen, in welchen ein bloßes Sich-Bemächtigen vorliegt, dieses Sich-Bemächtigen selbst die Nötigungshandlung im Rahmen einer räuberischen Erpressung, einer Vergewaltigung oder einer sexuellen Nötigung darstellt und eine über das unmittelbare Gewaltverhältnis hinausgehende Außenwirkung der Nötigung fehlt.
aa) Solche Argumente ergeben sich zunächst aus der Entstehungsgeschichte selbst. Wie die Revision nicht verkennt, ist die durch das StÄG 1989 eingeführte Neufassung der §§ 239a, 239b StGB vom Gesetzgeber allein unter dem Gesichtspunkt der Bekämpfung politisch motivierter, terroristischer Gewaltkriminalität gesehen worden. Eine Gesamtschau der von der Revision selbst angeführten Quellen legt die Annahme nahe, die fast ausschließliche Konzentrierung auf politisch motivierte Gewaltkriminalität habe im Gesetzgebungsverfahren den Blick auf naheliegende, vom Wortlaut der Vorschriften gleichfalls umfaßte Anwendungsbereiche verstellt. Die Kritik, die Umstrukturierung der Tatbestände führe zu einer "Abschleifung der Strafbarkeitsgrenzen" (Amelung/Hassemer/Rudolphi/Scheerer StV 1989, 72, 78; Bernsmann/Kunert NStZ 1989, 449, 451; vgl. schon Anhörung des Rechtsausschusses, Protokolle Nr. 38, BT-Drucks. 11/2834, S. 473), ist vereinzelt geblieben.
bb) Wendete man §§ 239a, 239b StGB auf Fälle an, in denen der Nötigungserfolg im unmittelbaren Gewaltzusammenhang des Sich-Bemächtigens eintritt, so führte dies dazu, daß jedenfalls der weit überwiegende Teil aller Vergewaltigungen gleichzeitig als Geiselnahme, ein großer Teil "typischer" räuberischer Erpressungen zugleich als erpresserischer Menschenraub zu beurteilen wäre; denn in der Regel "bemächtigt" sich der Täter des Opfers, indem er es durch körperliche Kraft oder durch Bedrohung mit einer Waffe in seine physische Gewalt bringt (vgl. BGHSt 26, 70, 72). Damit würden strafrechtliche Sachverhalte, welche seit jeher zum Kernbestand des materiellen Strafrechts zählen, gleichsam in die "zweite Reihe" gerückt. Die tateinheitliche Verurteilung wegen Vergewaltigung oder räuberischer Erpressung würde nur noch der Klarstellung des Umstands dienen, daß das Ziel des "Vorbereitungsdelikts" Geiselnahme oder erpresserischer Menschenraub vom Täter tatsächlich erreicht wurde (vgl. BGHSt 16, 316; 26, 24; BGH NStZ 1986, 166; Schönke/Schröder/Eser § 239 a Rdn. 45; § 239 b Rdn. 20); der im Strafrahmen Ausdruck findende Unrechtskern würde somit in den kriminologisch gerade typischen Fällen der Vergewaltigung und der schweren räuberischen Erpressung auf "vorbereitende" Handlungen verschoben, welche jene Delikte nach der Zielsetzung des Täters erst ermöglichen sollen. Im Ergebnis würde sich also das tatbestandliche Unrecht mit seinem Schwerpunkt von einer speziellen auf eine andersartige, allgemeinere Strafnorm verlagern, die mit ihrer außergewöhnlich hohen Mindeststrafe für eine völlig andere Gruppe von Straftaten - solche aus dem Bereich der terroristischen Gewaltkriminalität - geschaffen worden ist.
Eine derartige, allein am Wortlaut orientierte Auslegung würde somit einen erheblichen Eingriff in die systematische Struktur der Vorschriften des 13. und 20. Abschnitts des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches darstellen, den der Gesetzgeber nach Auffassung des Senats so nicht beabsichtigt hat. Sie würde in der Konsequenz zu einer tiefgreifenden, vom Gesetzgeber ersichtlich nicht gewollten Änderung insbesondere des Sexualstrafrechts, zu einer Verschiebung der Versuchs- und Rücktrittsgrenzen und möglicherweise zur Verwischung der im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches gezogenen Tatbestandsgrenzen führen. Dies hätte weitreichende Auswirkungen auf den Anwendungsbereich zahlreicher Tatbestände und würde zu schwierigen praktischen Abgrenzungsproblemen führen. So sind etwa sexuelle Nötigungshandlungen zu Lasten der Ehepartnerin nach bislang geltendem Recht nicht als Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung, sondern allein unter dem Gesichtspunkt der (einfachen) Nötigung mit Strafe bedroht. Wendete man § 239b, seinem Wortlaut entsprechend, auf diese Sachverhalte an, so würden in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle diese Nötigungen zu Verbrechen der Geiselnahme mit einer Mindeststrafe von regelmäßig fünf Jahren heraufgestuft. Angesichts der Tatsache, daß schon ihre Einbeziehung in §§ 177, 178 rechtspolitisch äußerst umstritten ist, kann ein auf dieses Ergebnis zielender Wille des Gesetzgebers nach Auffassung des Senats ausgeschlossen werden. Andererseits widerspräche es allgemeinen Auslegungsgrundsätzen, wollte man etwa jeden Fall der Vergewaltigung oder der sexuellen Nötigung stets als minder schweren Fall der Geiselnahme, jede räuberische Erpressung als minder schweren Fall des erpresserischen Menschenraubs ansehen.
e) Soweit die Revision sich schließlich auf die Rechtsprechung zur Einbeziehung sogenannter "Bagatellfälle" aus dem familiären Bereich in den Tatbestand des § 23 b StGB bezieht, trägt dies die Auffassung der Revision nicht. Es handelte sich hierbei regelmäßig (vgl. etwa LG Mainz MDR 1984, 687) um Entscheidungen zur alten Fassung des Tatbestands, mithin zu Geiselnahmen im "Dreiecksverhältnis", um die es hier nicht geht.
f) Nach Ansicht des Senats ist daher eine einschränkende Auslegung des Tatbestands der §§ 239a, 239b StGB geboten. Diese kann nicht an den objektiven Tatbestandsmerkmalen des Entführens oder des Sich-Bemächtigens ansetzen, deren Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur zu §§ 234, 237 StGB gesichert ist. Auch die Rechtsprechung zur Konkurrenz der §§ 237, 239 zu §§ 177, 178 StGB (vgl. BGHSt 29, 239; BGH NStZ 1984, 135; 1984, 262; 1984, 408; BGH NJW 1989, 917 zu § 237; BGHSt 28, 19; BGHR StGB § 177 Abs. 1 Konkurrenzen 2 und 5 zu § 239) kann hier nicht herangezogen werden, da Schutzrichtung und Tatbestandsbilder der §§ 237, 239 StGB einerseits und der §§ 239a, 239b StGB andererseits sich in Gewicht und Zielsetzung unterscheiden.
Abzustellen ist vielmehr auf die im Gesetzgebungsverfahren deutlich gewordene Zielrichtung der Tatbestände in ihrer heutigen Form. Die Einbeziehung von Nötigungshandlungen im Zwei-Personen-Verhältnis sollte nach Ansicht des Gesetzgebers Fälle erfassen, "in denen das Vorgehen des Täters ebenso strafwürdig erscheint wie in den bereits (früher) von § 239b StGB erfaßten Fällen" (BT-Drucks. 11/2834, S. 9). Dabei waren insbesondere Fälle politisch motivierter Entführungen ins Auge gefaßt, in denen auf den Entführten selbst weiterer Zwang ausgeübt werden soll, um ihn selbst zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen. Keinen Zweifel hatte der Gesetzgeber ersichtlich daran, daß dieses dem Entführten abgepreßte Verhalten eine Wirkung außerhalb des unmittelbar tatbezogenen Gewaltverhältnisses - der Bemächtigung oder Entführung - haben sollte. Dies gilt nicht nur in den im Gesetzgebungsverfahren angeführten und in der Literatur zitierten Fällen, in denen der tatbestandliche Erfolg der Nötigung außerhalb des Gewaltverhältnisses eintritt (Freilassung von Gefangenen, Verteilung von Mitteln an die Armen), sondern auch in solchen Fällen, in denen etwa das Opfer zur Abfassung von Erklärungen oder zur Verlesung bestimmter Texte gezwungen wird: Auch hier zielt die Nötigung stets auf eine Außenwirkung ab. Hierdurch unterscheiden sich sämtliche im Gesetzgebungsverfahren angeführten Anwendungsfälle von Sachverhalten der hier zu beurteilenden Art, in welchen der Täter jede Außenwirkung gerade vermeiden will. Die Struktur der Tatbestände sollte nur insoweit geändert werden, als auch die in der Gewalt des Täters befindliche Person als Opfer der Nötigungshandlung einbezogen, das übrige Tatbestandsbild hingegen beibehalten werden sollte. Dieses Ergebnis wird durch die oben dargelegten systematischen Erwägungen bestätigt.
Schließlich ist offenkundig, daß im Bereich solcher Gewalt- und Nötigungshandlungen, welche sich allein innerhalb des unmittelbaren Gewaltzusammenhanges abspielen und durch die Tatbestände der §§ 177, 178, 253, 255 StGB erfaßt sind, eine vom Gesetzgeber des Jahres 1989 angenommene Strafbarkeitslücke zu keinem Zeitpunkt bestanden hat.
§§ 239a, 239b StGB sind daher in einschränkender Auslegung jedenfalls auf solche Fälle nicht anwendbar, in denen das bloße Sich-Bemächtigen unmittelbares Nötigungsmittel einer Vergewaltigung, sexuellen Nötigung oder räuberischen Erpressung ist und in denen eine über das hierdurch begründete unmittelbare Gewaltverhältnis zwischen Täter und Opfer hinausreichende Außenwirkung des abgenötigten Verhaltens nach der Vorstellung des Täters nicht eintreten soll. Bemächtigt sich der Täter des Opfers allein zu dem Zweck, es zu vergewaltigen, sexuell zu nötigen oder zu erpressen, und verwirklicht er diese Absicht innerhalb des genannten Gewaltverhältnisses, so ist er daher lediglich nach §§ 177, 178 oder §§ 253, 255 StGB zu bestrafen.
3. Das Senatsurteil vom 14. Juli 1992 - 1 StR 243/92 - hat Tateinheit zwischen erpresserischem Menschenraub, Geiselnahme, schwerer räuberischer Erpressung und Vergewaltigung angenommen. Der dort entschiedene Fall unterschied sich vom vorliegenden insbesondere dadurch, daß der Täter von vornherein eine Entführung beabsichtigte und die Begründung des Gewaltverhältnisses über das Opfer bereits den Beginn dieser Entführung darstellte. Soweit Erwägungen der Entscheidung vom 14. Juli 1992 über das Verhältnis von § 239a zu §§ 253, 255 StGB der hier getroffenen Entscheidung entgegenstehen, hält der Senat hieran nach nochmaliger Prüfung nicht fest.
Auch im übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge Rechtsfehler zugunsten oder - was nach § 301 StPO zu prüfen war - zu Lasten des Angeklagten weder im Schuldspruch noch im Strafausspruch ergeben.
Externe Fundstellen: BGHSt 39, 36; NJW 1993, 1145; NStZ 1993, 238; NStZ 1993, 439; StV 1993, 193
Bearbeiter: Rocco Beck