Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 487/92, Urteil v. 01.09.1992, HRRS-Datenbank, Rn. X
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 4. März 1992, soweit es den Angeklagten E. T. betrifft, aufgehoben
a) soweit im Fall II 5 keine Einzelstrafe verhängt wurde,
b) mit den Feststellungen im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft zum Nachteil des Angeklagten E. T., an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft und die Revisionen der Angeklagten werden verworfen.
Jeder Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft zum Nachteil von E.T. sowie die durch dieses Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen dieses Angeklagten trägt die Staatskasse.
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen zahlreicher Straftaten zu Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Revision zu Ungunsten des Angeklagten F.T. auf den Schuldspruch zu II 2 und 3 beschränkt und beanstandet im Hinblick auf beide Angeklagten die Verhängung zu milder Gesamtstrafen. Die unbeschränkt eingelegten Revisionen der Angeklagten erheben die Sachbeschwerde.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat nur in dem aus dem Entscheidungssatz ersichtlichen Umfang Erfolg.
1. Das Landgericht hat den Angeklagten F.T. zu II 2 und 3 jeweils u.a. wegen versuchten Totschlags verurteilt. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die eine Verurteilung wegen versuchten Mordes erstrebt, bleibt ohne Erfolg.
Im Fall II 2 richtete der Angeklagte im Rahmen eines Streites aus einer Entfernung von 1,5 Metern die Pistole auf den Körper des Ö. und schoß in Tötungsabsicht, während Ö. in diesem Augenblick einen Faustschlag gegen den Angeklagten führen wollte. Weil sich die Kontrahenten in Bewegung befanden, verfehlte das Geschoß sein Ziel und traf und verletzte einen vier Meter entfernt sitzenden Unbeteiligten. Das Lokal war mit ca. 70 Personen besetzt.
Im Fall II 3 wollte der Angeklagte seinen Gegner P. töten. Er "gab ca. einen Meter vor der Schaufensterscheibe stehend durch diese hindurch einen Schuß auf den Kopf" einer unweit hinter der Scheibe befindlichen Person ab, die er für P. hielt, bei der es sich aber um T. handelte. "Das Geschoß durchschlug die Schaufensterscheibe, flog knapp am Kopf des T. vorbei durch den Raum des voll besetzten Lokals und schlug an der rückwärtigen Wand in die Holzvertäfelung ein ... Ein Unbeteiligter wurde durch einige infolge des Schusses in den Gaststättenraum fliegende Glassplitter am Auge verletzt".
In beiden Fällen war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten infolge Alkoholgenusses erheblich vermindert. Die Verletzung Dritter nahm der Angeklagte jeweils billigend in Kauf.
Der Senat folgt bei dieser Sachlage nicht der Auffassung der Revision, die auch vom Generalbundesanwalt vertreten wird, der Angeklagte habe versucht, mit gemeingefährlichen Mitteln andere zu töten.
Das Mordmerkmal der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln ist erfüllt, wenn der Täter ein Mittel zur Tötung einsetzt, das in der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil er die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat (vgl. RGSt 5, 309; BGHSt 34, 13, 14). Dabei ist nicht allein auf die abstrakte Gefährlichkeit eines Mittels abzustellen, sondern auf seine Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters (vgl. hierzu BGH NJW 1985, 1477 f.; Eser in Schönke-Schröder, StGB 24. Aufl. § 211 Rdn. 29; Jähnke in LK 10. Aufl. § 211 Rdn. 59 m.w.N.).
Gleichwohl ist der Senat der Auffassung, daß der abstrakten Gefährlichkeit eines Mittels und seinem Einsatz besondere Bedeutung zukommt, und zwar danach, inwieweit es nach Freisetzung der in ihm ruhenden Kräfte nicht mehr beherrschbar und daher im allgemeinen in seiner Wirkung geeignet ist, eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben zu verletzen (vgl. BGH aaO). Die Frage der Beherrschbarkeit des Tötungsmittels ist unter besonderer Berücksichtigung seiner typischen Wirkungen nach den Umständen der konkreten Situation zu beantworten.
So betrachtet gibt es nach ihrer Eigenart grundsätzlich gemeingefährliche Mittel, bei denen allenfalls im Einzelfall die Beherrschbarkeit bejaht oder bei der speziellen Art ihrer Handhabung die Gefahr für eine Vielzahl von Menschen ausnahmsweise verneint werden mag. Dazu gehören insbesondere Brandsetzungsmittel, Explosionsstoffe, aber auch der Steinwurf, der zwar im dichten Verkehr ein bestimmtes Fahrzeug trifft, aber als Folge des dadurch verursachten Unfalls bei einer unbestimmten Zahl von Personen tödliche Verletzungen hervorrufen kann (BGH VRS 63, 119). Der Täter hat hier typischerweise die Folgen seines Tuns nicht in der Hand. Geht er jedoch davon aus, es könne überhaupt nur die zur Tötung ins Auge gefaßte Person getroffen werden (Gift in die Tasse anstatt in den Kessel der Gemeinschaftsküche; Bombe unter dem Hochsitz eines Jägers), dann fehlt es selbst bei an sich nicht beherrschbarem Mittel im konkreten Fall an der gemeingefährlichen Verwendung.
Schußwaffen, jedenfalls soweit es sich nicht um Maschinengewehre oder -pistolen handelt (vgl. hierzu OLG Dresden NJW 1947/1948, 274), gehören ihrer Natur nach nicht zu den grundsätzlich gemeingefährlichen Mitteln. Dabei läßt der Senat offen, ob sie überhaupt - unabhängig von der Art ihres Gebrauchs und der Zielrichtung - als gemeingefährlich gewertet werden können (ablehnend Horn in SK StGB § 211 Rdn. 50 und JR 1986, 32).
Die auf ein bestimmtes Ziel gerichtete Schußwaffe, mit der - wie im vorliegenden Fall - nur ein Schuß abgegeben werden soll, bedeutet ihrer Natur nach keine unberechenbare Gefahr für eine unbestimmte Vielzahl von Menschen. Das der Strafdrohung des Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln zugrundeliegende erhöhte Unwerturteil hat seinen Grund aber in der besonderen Rücksichtslosigkeit des Täters, der sein Ziel durch die Schaffung unberechenbarer Gefahren für andere durchzusetzen sucht, indem er ein Tötungsmittel verwendet, dessen Gefährdungsbereich für unbeteiligte Dritte er nicht begrenzen kann (BGHSt 34, 13, 14). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn zwar eine Mehrzahl von Personen als Repräsentanten der Allgemeinheit (Regnier StV 1986, 405, 407) in den Gefahrenbereich geraten, tatsächlich aber die von der Waffe ausgehende Gefährdung durch die möglichen Wirkungen nur einer Kugel begrenzt sind.
Das Tötungsmittel wird somit nicht dadurch zum gemeingefährlichen, daß der Täter - wie hier - infolge äußerer Umstände oder aber wegen persönlicher Unsicherheit die Waffe nicht ausreichend beherrscht und sein Ziel verfehlt. Bei typischerweise im Ausmaß der Wirkungen beherrschbaren Tötungsmitteln bestimmt nicht der Taterfolg (hier das Verfehlen des eigentlichen Ziels) die Einordnung als gemeingefährliches Mittel. Das gilt auch dann, wenn der Täter einen Schuß auf eine Person abgibt mit der primär nicht gewollten, aber erkannten und für diesen Fall gebilligten Gefahr, bei einem Fehlschuß einen anderen aus einer Anzahl von Menschen zu treffen.
2. a) Der Gesamtstrafenausspruch gegen E. T. hat schon deshalb keinen Bestand, weil zum Fall II 5 der Urteilsgründe die Festsetzung einer Einzelstrafe unterblieben und damit nicht auszuschließen ist, daß bei Verhängung einer weiteren Einzelstrafe eine höhere Gesamtstrafe gebildet worden wäre (vgl. BGHSt 4, 345).
Die grundsätzlich zulässige Beschränkung des Rechtsmittels auf den Ausspruch über die Gesamtstrafe ist hier insoweit nicht wirksam, als im Fall II 5 die Festsetzung der Einzelstrafe fehlt (vgl. BGH NJW 1979, 936; Ruß in KK 2. Aufl. § 318 Rdn. 8).
b) Ergänzend bemerkt der Senat, daß es erheblichen Bedenken begegnet, im Rahmen der Gesamtstrafenbildung im Hinblick auf die Verstöße gegen das Waffengesetz dem Angeklagten E. T. strafmildernd zuzurechnen, daß er "einer politischen Gruppe angehört, die Streitigkeiten auch gewaltsam und unter Anwendung von Schußwaffen austrägt". Das gilt auch dann, wenn man ihm glaubte, daß er die Schußwaffe "angeblich" aus Sicherheitsgründen trug, sie tatsächlich aber zu ganz anderen Zwecken einsetzte.
3. Zum Strafausspruch gegen den Angeklagten F.T. ist dem Urteil ein Rechtsfehler nicht zu entnehmen. Die von der Revision angesprochene "milde Gesamtstrafe" löst sich noch nicht von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein (vgl. BGHSt 34, 345, 349).
Die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet, weil das Urteil weder zum Schuldspruch noch zum Strafausspruch Rechtsfehler zu ihrem Nachteil enthält.
1. In den Fällen II 1 und 10 durfte das Landgericht ohne weitere Erörterung davon ausgehen, daß E. T. eine Schußwaffe führte. Im Fall II 1 hat er zur Bedrohung "deutlich sichtbar" und hörbar durchgeladen, im Fall 10 hat er mit der Waffe im Wald zur Übung geschossen. Zudem hat er sich selber dahin eingelassen, daß er (zu seiner Sicherheit) eine Schußwaffe führte.
2. Die Angeklagten werden nicht dadurch beschwert, daß sie im Fall II 6 nur wegen versuchter Erpressung, statt richtigerweise - sie hatten dem Erpressungsopfer eine Schußwaffe zur Drohung an den Kopf gesetzt - wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung verurteilt wurden. Die Staatsanwaltschaft hat den Schuldspruch insoweit nicht angefochten. Der Schuldspruchberichtigung durch den Senat steht jedenfalls § 265 StPO entgegen.
3. Die Annahme von jeweils Tateinheit zwischen versuchtem Totschlag und gefährlicher Körperverletzung (II 2 und 3 der Urteilsgründe) begegnet hier keinen rechtlichen Bedenken. In beiden Fällen versuchte der Angeklagte F.T., einen Gegner mit einem Pistolenschuß zu töten. Beide Male verfehlte er sein Ziel und verletzte jeweils einen unbeteiligten Dritten, was er billigend in Kauf genommen hatte. Bei dieser Sachlage greift die Rechtsprechung zu der Frage, ob der Tötungsvorsatz auch den Körperverletzungsvorsatz mit umfaßt, ob also Tateinheit zwischen Tötungsversuch und Körperverletzung gegenüber dem gleichen Opfer möglich ist, nicht ein (vgl. hierzu Dreher/Tröndle, StGB 45. Aufl. § 211 Rdn. 16). Vielmehr sind hier die Grundsätze vom Fehlgehen eines Angriffs (sog. aberratio ictus) anzuwenden. Danach hat das Landgericht zutreffend den Angeklagten wegen des versuchten Tötungsdelikts gegenüber den auserwählten Opfern und zugleich wegen der vom (bedingten) Vorsatz umfaßten gefährlichen Körperverletzung der tatsächlich Getroffenen verurteilt (so schon RGSt 58, 27, 28; siehe auch Dreher/Tröndle aaO § 16 Rdn. 6 m.w.N.; Cramer in Schönke/Schröder, StGB 24. Aufl. § 15 Rdn. 57 m.w.N.). Eine solche Beurteilung begegnet jedenfalls bei der hier vorliegenden Ungleichwertigkeit zwischen beabsichtigtem und eingetretenem Taterfolg keinen rechtlichen Bedenken. Gegenüber der versuchten Tötung kommt hier der gefährlichen Körperverletzung ein zusätzlicher Unwertgehalt zu.
4. Der Tatbestand der Bedrohung ist nicht erst erfüllt, wenn auch das Opfer die Bedrohung ernst nimmt (BGH bei Dallinger MDR 1975, 22; Dreher/Tröndle aaO § 241 Rdn. 3). Der Tatrichter darf deshalb ohne Verstoß gegen das Verbot der Verwertung von Tatbestandsmerkmalen (§ 46 Abs. 3 StGB) die besondere Art der Tatausführung strafschärfend bewerten, die dazu führte, das Opfer "in Angst und Schrecken" zu versetzen (vgl. Senatsentscheidung vom 25. August 1992 - 1 StR 355/92).
5. In den Fällen II 2 und 3 durfte das Landgericht bei Beurteilung des versuchten Totschlags strafschärfend werten, daß der Angeklagte F. T. "jeweils aus kurzer Entfernung auf sein Opfer einen gezielten Schuß" abgegeben habe. Damit wird im Rahmen der vorwiegend zu beurteilenden versuchsbezogenen Tatumstände (BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 4) die besondere Gefährlichkeit der Versuchshandlung gekennzeichnet.
Externe Fundstellen: BGHSt 38, 353; NJW 1993, 210; NStZ 1993, 136; StV 1992, 573
Bearbeiter: Rocco Beck