Bearbeiter: Rocco Beck
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 357/91, Beschluss v. 11.07.1991, HRRS-Datenbank, Rn. X
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kempten vom 7. März 1991
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit versuchter unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie der Geiselnahme in Tateinheit mit versuchter Nötigung schuldig ist;
b) im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
4. Die Liste der zur Anwendung gebrachten Strafgesetze wird wie folgt neu gefasst: § 30 Abs. 1 Nr. 4, § 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 4, § 3 Abs. 1, § 1 Abs. 1 i.V.mit Anlage I BtMG, § 239b Abs. 1, § 240 Abs. 1, 3, § 52, § 53, § 25 Abs. 2, § 23 Abs. 1, 2, § 69, § 69a StGB.
I. Die Verurteilung wegen vollendeter unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge kann keinen Bestand haben.
1. Insoweit hat das Landgericht festgestellt:
Der Angeklagte hatte von seinem Schwager B. 10.000 DM sowie einen Hartschalenkoffer erhalten, um damit in Tanger Haschisch einzukaufen und es in die Bundesrepublik zu bringen. Diese Fahrt unternahm der Angeklagte auch, um zu prüfen, ob er in Zukunft als ständiger Einkäufer für B. in Tanger tätig sein wollte. Als Entgelt für die erste Fahrt waren ihm 4.000 DM zugesagt. In Tanger erwarb der Angeklagte, zusammen mit dem bisher als Einkäufer tätigen R., 15 kg Haschisch, wobei R. die Verhandlungen mit dem Verkäufer führte. Der Angeklagte und R. verpackten das Haschisch gemeinsam in dem vom Angeklagten mitgebrachten Koffer. Dieser wurde sodann an den Kurier T. übergeben, der das Haschisch auf der Rückfahrt mit einem Reisebus in die Bundesrepublik verbringen sollte.
Während einer Übernachtung in Spanien entwendete der ebenfalls im Bus mitreisende G. das Haschisch aus dem von T. mitgeführten Koffer; in diesen legte er statt dessen zwei Handfeuerlöscher, so daß T. die Entwendung nicht bemerkte. G. brachte das Haschisch - vermutlich in seinem eigenen Reisegepäck - am Grenzübergang Lindau in die Bundesrepublik. Der weitere Verbleib des Haschisch ist unbekannt.
2. Das Landgericht hat angenommen, der Angeklagte habe im Rahmen des gemeinsamen Tatplans - als Mittäter - den Tatbestand der Einfuhr im Sinne der §§ 29 Abs. 1 Nr. 1, 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG vollendet; daß sich das Haschisch zum Zeitpunkt des Grenzübertritts nicht in dem Reisegepäck des Kuriers T., sondern in dem des G. befunden habe, sei rechtlich unerheblich.
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Stellungnahme hierzu ausgeführt, Voraussetzung der Einfuhr im Sinne des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG sei nicht, daß dem Täter die Betäubungsmittel beim Transport oder später tatsächlich zur Verfügung ständen. Die Einfuhr des Haschisch durch G. sei dem Angeklagten objektiv zuzurechnen; sein Verhalten sei für den Erfolg kausal gewesen. Schließlich liege auch keine Vorsatz ausschließende Abweichung vom Kausalverlauf vor. Nach dem gemeinsamen Tatplan habe das Rauschgift in dem Bus der Reisegesellschaft über die Grenze in die Bundesrepublik gebracht werden sollen. Dieser Erfolg sei eingetreten; die vom Angeklagten gesetzte Gefahr habe sich verwirklicht. Der vom vorgestellten abweichende Ablauf des Geschehens habe sich im Rahmen des Vorhersehbaren bewegt.
3. Dem vermag der Senat nicht beizutreten.
a) Zwar geht die Revision fehl, soweit sie sich gegen die Annahme mittäterschaftlichen Handelns durch den Angeklagten wendet. Als Täter führt ein, wer die Einfuhr - persönlich oder durch Dritte - bewirkt und dabei die Voraussetzungen täterschaftlichen Handelns erfüllt; die Beurteilung, ob bei nicht eigenhändigem Verbringen über die Grenze täterschaftliches Handeln vorliegt, hat aufgrund einer wertenden Betrachtung zu erfolgen (BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Einfuhr 19), welche sämtliche Umstände der Tat - insbesondere gemeinsamer Tatplan, persönliches Interesse an der Tatverwirklichung, Tatherrschaft und Wille hierzu - einzubeziehen hat. Hiernach bestehen keine rechtlichen Bedenken gegen die Annahme des Landgerichts, daß der Angeklagte nicht nur die Tat Dritter unterstützen, sondern daß er sie als eigene wollte. Er erbrachte wesentliche Tatbeiträge und erhoffte sich einen erheblichen finanziellen Vorteil; überdies diente die Fahrt der Prüfung einer dauerhaften verantwortlichen Übernahme der Einkäufer-Funktion im Rahmen der von B. geleiteten Organisation.
b) Jedoch ist die vom Angeklagten mittäterschaftlich ins Werk gesetzte Einfuhrhandlung nicht in einer ihm zuzurechnenden Weise vollendet worden. Es kann hier dahinstehen, ob das vorliegende Problem der Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf allein unter dem Gesichtspunkt des Vorsatzes von Bedeutung (so die Rechtsprechung und die bislang wohl herrschende Meinung in der Literatur, vgl. BGHSt 7, 325; 14, 193; 23, 133; BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Einfuhr 13; RGSt 67, 258; OGHSt 2, 285; Dreher/Tröndle, StGB 45. Aufl. § 16 Rdn. 7, vor § 13 Rdn. 16 b; Cramer in Schönke/Schröder, StGB 23. Aufl. § 15 Rdn. 56; Baumann/Weber, Strafrecht AT 9. Aufl. S. 393, jeweils m.w.Nachw.) oder ob bereits die objektive Zurechnung in Zweifel zu ziehen ist (vgl. Schroeder in LK, 10. Aufl. § 16 Rdn. 25; Puppe GA 1981, 15; Prittwitz GA 1983, 111; Driendl GA 1986, 253; Wolter ZStW 89, 649). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Abweichungen des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf nur dann für die rechtliche Bewertung bedeutungslos, wenn sie sich innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren halten und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigen (BGH GA 1955, 123; NJW 1960, 1822; BGHSt 7, 325, 329; BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Einfuhr 13; vgl. zum Ganzen auch Struensee ZStW 102 (1990), 21ff). Davon kann hier nicht gesprochen werden.
Für die letztlich von G. vollendete Einfuhr des Haschisch waren die Tathandlungen des Angeklagten in Marokko zwar kausal im Sinne der Äquivalenztheorie; gleiches gilt für die Tathandlungen des Kuriers T., welche dem Angeklagten als eigene zuzurechnen sind. Durch den Diebstahl bereits in Spanien verlor jedoch der Kurier objektiv jede Herrschaft über das Rauschgift. Die unbemerkte Wegnahme durch G. unterbrach die vom Angeklagten und T. in Lauf gesetzte Kausalkette und begründete eine völlig neue, unabhängige. Dies wäre etwa für den Fall besonders deutlich, wenn G. nach dem Diebstahl die Reisegruppe verlassen und das Rauschgift zu anderer Zeit oder auf anderem Wege über die Grenze gebracht hätte. Das gleiche würde auch für den Fall gelten, daß das von dem Täter in einem Postpaket auf den Weg gebrachte Rauschgift unterwegs von einem Postbediensteten entdeckt, unterschlagen und nach Umadressierung weitergeleitet und eingeführt wird.
Der vorliegende Sachverhalt weicht von den genannten Fällen nicht so weit ab, daß eine andere Bewertung gerechtfertigt wäre. Die Tatsache, daß der seinerseits vorsätzlich und schuldhaft in das Geschehen eingreifende Dritte hier die Fahrt zusammen mit dem Kurier fortsetzte, ändert nichts daran, daß das Rauschgift dessen Einfluß- und Herrschaftsbereich (und damit auch dem des Angeklagten) vollständig entzogen war. Vom Standpunkt des Angeklagten aus war es unerheblich, ob das Haschisch sich in einem anderen, ihm nicht bekannten Koffer an Bord des Busses befand oder ob es in Spanien zurückgeblieben war: Er wußte nicht, wo es sich befand, und hatte auch keine Möglichkeit, dies herauszufinden. Sein Ziel, das Verbringen über die Grenze in die Bundesrepublik, konnte er nicht mehr erreichen.
Soweit der Generalbundesanwalt in seiner Stellungnahme unter Hinweis auf die Entscheidungen BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Einfuhr 1, 5, 13 und 19 anderes aus den Besonderheiten des Einfuhrtatbestandes ableitet, geht diese Ansicht fehl. Zwar kommt es für den Tatbestand der vollendeten Einfuhr nicht darauf an, ob der Täter den Transport persönlich durchführt oder sich eines Dritten - sei es eines Eingeweihten oder eines Gutgläubigen - bedient (BGHSt 34, 180, 181); auch ist nicht vorausgesetzt, daß ihm das Betäubungsmittel beim Transport über die Hoheitsgrenze oder zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich zur Verfügung stand (ebenda S. 182; vgl. auch BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Einfuhr 17, 19; Körner, BtMG 3. Aufl. § 29 Rdn. 418; 392, jeweils mit zahlr. Nachweisen). Aus der Möglichkeit, die tatbestandsmäßige Einfuhr auch von Dritten durchführen zu lassen, läßt sich jedoch keine Verschiebung der allgemeinen Grundsätze über die Täterschaft und die Zurechnung des tatbestandsmäßigen Erfolgs ableiten. Voraussetzung der Zurechnung ist auch in diesem Fall, daß im Moment des Verbringens über die Hoheitsgrenze der Angeklagte nach allgemeinen Regeln als Täter anzusehen ist.
Aus den vom Generalbundesanwalt angeführten Fällen vollendeter Einfuhr trotz Entdeckung des Rauschgifts bereits bei der Zollkontrolle ergibt sich nichts anderes; im Gegenteil machen gerade diese Fälle deutlich, daß es auf die täterschaftliche Stellung im Zeitpunkt des Überschreitens der Hoheitsgrenze ankommt.
Der vorliegende Fall, daß ein vorsätzlich handelnder Dritter das zur Einfuhr bestimmte Rauschgift entwendet und es - für den Täter zufällig - seinerseits einführt, ist aus den genannten Gründen schließlich auch nicht dem Fall gleichzusetzen, in welchem der vom Täter eingesetzte Kurier ein V-Mann der Polizei ist, der das Rauschgift von vornherein seiner Dienststelle übergeben will. Das Problem des Abbruchs der Kausalkette oder das der Abweichung des tatsächlichen Kausalverlaufs vom vorgestellten tritt im letztgenannten Fall nicht auf.
In der Entscheidung BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Einfuhr 16 hat der Senat ausgeführt, als Täter führe derjenige ein, der die Einfuhr - auch durch fremde Hand - bewirkt und hierbei die Voraussetzungen täterschaftlichen Handelns erfüllt. An dieser Verknüpfung fehlt es im vorliegenden Fall.
4. Die Verurteilung des Angeklagten wegen vollendeter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ist daher rechtsfehlerhaft. Da weitere Feststellungen dazu ausgeschlossen sind, war der Schuldspruch insoweit dahin zu ändern, daß der Angeklagte der versuchten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig ist. § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, da sich der Angeklagte gegenüber dem geänderten Schuldvorwurf ersichtlich nicht anders hätte verteidigen können.
II. Die Verurteilung des Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung hält gleichfalls nicht der rechtlichen Nachprüfung stand.
Die Verurteilung stützt sich darauf, daß B., R. und der Angeklagte es T. nicht abnahmen, daß das Haschisch gestohlen worden war, vielmehr glaubten, er habe es beiseite geschafft; sie verschleppten ihn deshalb an einen abgelegenen Platz und versuchten, indem sie ihn schlugen und mit dem Tode bedrohten, von ihm den Stoff zurückzuerhalten. Dieser Sachverhalt erfüllt nicht den Tatbestand der schweren räuberischen Erpressung, da bei den Tätern die Absicht, sich zu Unrecht zu bereichern, nicht gegeben war. Dabei kann dahinstehen, ob B. möglicherweise nach dem Recht des Erwerbsorts (Marokko) Eigentum an dem Haschisch erworben hatte; jedenfalls gingen der Angeklagte und seine Mittäter ersichtlich nicht davon aus, sie würden sich zu Unrecht bereichern, wenn sie T. das Rauschgift wieder abnähmen; sie meinten vielmehr, dieser habe den Stoff unterschlagen und müsse ihn deshalb zurückgeben (vgl. BGHSt 4, 105, 106; BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 6).
Das Verhalten des Angeklagten erfüllt jedoch nach den getroffenen Feststellungen die Tatbestände der Geiselnahme (§ 239b Abs. 1 StGB) und der versuchten Nötigung (§ 240 Abs. 1, Abs. 3 StGB; vgl. zum Verhältnis der beiden Bestimmungen Eser in Schönke/Schröder, StGB 23. Aufl. § 239b Rdn. 20); da weitergehende Feststellungen auch hier nicht zu erwarten sind, kann der Senat den Schuldspruch entsprechend ändern. § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen. Der Angeklagte hat den Sachverhalt umfassend eingeräumt; es ist nicht ersichtlich, wie er sich gegenüber dem abweichenden, insgesamt milderen Schuldvorwurf anders hätte verteidigen können.
III. Die Änderungen des Schuldspruchs führen zur Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs.
Externe Fundstellen: BGHSt 38, 32; NJW 1991, 3161; NStZ 1991, 537; StV 1992, 375
Bearbeiter: Rocco Beck