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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 120/90, Urteil v. 03.12.1991, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 120/90 - Urteil vom 3. Dezember 1991 (LG Memmingen)

BGHSt 38, 144; Abbruch der Schwangerschaft, Straflosigkeit, Begriff der ärztlichen Erkenntnis (gerichtliche Überprüfbarkeit, ärztlicher Beurteilungsspielraum); Besorgnis der Befangenheit bei wechselseitiger Entscheidung über Befangenheitsanträge; Beschlagnahme von Patientenkarteikarten.

§ 218 StGB; § 218a Abs. 1 Nr. 2 StGB; § 218 Abs. 2 StGB; § 219 StGB; § 27 Abs. 1 StPO; § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO; § 53 Abs. 1 Nr. 3a StPO; § 53 Abs. 2 StPO; § 97 Abs. 1 Nr. 2 StPO; § 97 Abs. 2 S. 1 StPO; § 338 Nr. 3 StPO

Leitsätze

1. Der Begriff der "ärztlichen Erkenntnis" im Sinne von § 218a StGB kennzeichnet sowohl die Grundsätze, nach denen die Prüfung sich inhaltlich zu richten hat, als auch die Person (den abbrechenden Arzt), auf deren Erkenntnis es maßgeblich ankommt. Die Entscheidung des Arztes ist vom Gericht auf ihre Vertretbarkeit zu überprüfen; es bleibt ein ärztlicher Beurteilungsspielraum. (BGHSt)

2. Zur Beschlagnahme ärztlicher Patientenkarteikarten bei Verdacht des Abbruchs der Schwangerschaft. (BGHSt)

3. Ein Richter darf über ein Befangenheitsgesuch, mit dem geltend gemacht wird, die abgelehnten Richter hätten ein gegen ihn gerichtetes Befangenheitsgesuch fehlerhaft abgelehnt, grundsätzlich nicht sachlich entscheiden. Entscheidet er dennoch, dann begründet dies in der Regel - jedoch nicht stets und ausnahmslos - die Besorgnis der Befangenheit. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

I. 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 5. Mai 1989 in den Fällen C I 1, III 1 bis 4, IV 2, IV 7 bis 9, V 1 und 2, VI 2, VI 4 bis 8, VII 1, X 1 und 2 der Urteilsgründe aufgehoben und der Angeklagte insoweit freigesprochen.

Der Angeklagte ist somit schuldig des Abbruchs der Schwangerschaft in 36 Fällen, des versuchten Abbruchs der Schwangerschaft in vier Fällen, des Abbruchs der Schwangerschaft ohne ärztliche Feststellung in 19 Fällen, davon in 18 Fällen in Tateinheit mit Abbruch der Schwangerschaft ohne Beratung der Schwangeren.

2. Ferner wird das Urteil auf die Revision des Angeklagten im Strafausspruch sowie im Ausspruch über die Dauer des Berufsverbots aufgehoben.

II. Die weitergehende Revision des Angeklagten und die Revision der Staatsanwaltschaft werden verworfen.

III. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Augsburg zurückverwiesen. Dieses hat auch über die Kosten der Revision des Angeklagten zu befinden; jedoch trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten, soweit er freigesprochen wird.

IV. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die durch dieses Rechtsmittel dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

I. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Abbruchs der Schwangerschaft (§ 218 StGB) in 36 Fällen, wegen versuchten Abbruchs der Schwangerschaft (§§ 218, 22 StGB) in vier Fällen und wegen Abbruchs der Schwangerschaft ohne ärztliche Feststellung (§ 219 StGB) in 39 Fällen, davon in 37 Fällen in Tateinheit mit Abbruch der Schwangerschaft ohne Beratung der Schwangeren (§ 218 b StGB), unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr aus einer früheren Verurteilung wegen Steuerhinterziehung zu der Gesamtstrafe von zwei Jahren sechs Monaten verurteilt. Der Angeklagte ficht mit der Revision das gesamte Urteil an; er rügt die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrem zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf die Sachbeschwerde gestützten Rechtsmittel gegen den Schuldspruch in allen Fällen, in denen das Gericht nach § 219 StGB (allein oder in Tateinheit mit § 218 b StGB) verurteilt hat, und in drei der vier Fälle, in denen Verurteilung nur wegen versuchten Abbruchs der Schwangerschaft erfolgt ist, außerdem gegen den gesamten Strafausspruch.

Die Revision des Angeklagten führt zum Freispruch in den in der Urteilsformel genannten Fällen sowie zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs und des Ausspruchs über die Dauer des Berufsverbots. Im übrigen hat dieses Rechtsmittel keinen Erfolg. Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt insgesamt erfolglos.

II. Die Verfahrensrügen

1. Die Besetzung des Gerichts (§ 338 Nr. 3 StPO)

a) In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht kam es zu zahlreichen - auf die Besorgnis der Befangenheit gestützten - Ablehnungsgesuchen der Verteidigung gegen erkennende und andere Richter. Der Erörterung bedarf nur das folgende:

Als der Vorsitzende B. (insbesondere wegen einer bestimmten Äußerung in der Hauptverhandlung) und der Beisitzer O. (wegen Mitwirkung an einem früheren Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten) abgelehnt worden waren, entschieden hierüber der verbleibende Beisitzer He. und zwei andere Richter (Frau Gr. und M.); sie erachteten die Ablehnungsgesuche für unbegründet.

Daraufhin wurden diese drei Richter wegen der Begründung ihrer Entscheidung abgelehnt.

Über die drei Ablehnungsgesuche (um drei Gesuche handelt es sich, obgleich die Ablehnung in demselben Schriftsatz und mit einheitlicher Begründung erfolgte) wurde nicht einheitlich, sondern in drei getrennten Beschlüssen am 7. Oktober 1988 entschieden. Der erste Beschluß befaßte sich mit dem an der vorhergehenden Entscheidung an letzter Stelle mitwirkenden Richter M.; es entschieden der Vorsitzende B. und der Beisitzer O. (deren Ablehnung zuvor für unbegründet erachtet worden war) sowie die neu hinzugetretene Richterin F.. Sie verwarfen das gegen Richter M. gerichtete Ablehnungsgesuch.

Der zweite Beschluß hatte die gegen Richterin Gr. gerichtete Ablehnung zum Gegenstand. Vorsitzender B., Beisitzer O. und Richter M. wiesen das Gesuch zurück.

Im dritten Beschluß, der sich mit Beisitzer He. befaßte, wurde durch Vorsitzenden B., Beisitzer O. und Richterin Gr. auch diese Ablehnung für unbegründet erachtet.

Daraufhin lehnte die Verteidigung u.a. Vorsitzenden B., Beisitzer O. und Richterin Gr. ab mit der einheitlichen Begründung, sie hätten an den Beschlüssen vom 7. Oktober 1988 nicht mitwirken dürfen; denn die zugrundeliegenden Ablehnungsgesuche hätten Fragen betroffen, bezüglich derer sie aufgrund eigener Betroffenheit nicht mehr unbefangen hätten sein können. Ihr Ausschluß von der Entscheidung habe sich diesen Richtern aufgedrängt oder hätte sich ihnen aufdrängen müssen. Selbst eine gegenteilige Rechtsmeinung müsse vom Angeklagten nicht hingenommen werden. Als Beleg zitierte die Verteidigung die Entscheidung BGH NStZ 1984, 419, 420.

Über diese Ablehnungen wurde wiederum durch verschiedene Beschlüsse entschieden. Nachdem die gegen Frau Gr. gerichtete Ablehnung zurückgewiesen worden war, wirkte diese Richterin an dem Beschluß mit, der die gegen Vorsitzenden B. und Beisitzer O. angebrachten Gesuche verwarf.

Für ihre Rechtsmeinung (abgesonderte Entscheidung über jeden Richter und sofortiges Wiedereintreten des dergestalt entlasteten Richters) beriefen sich die jeweils entscheidenden Richter auf BGHSt 21, 334.

Anzufügen ist, daß Beisitzer O. später ausschied und durch Frau Gr. - bis dahin Ergänzungsrichterin - ersetzt wurde. Am Urteil wirkten Vorsitzender B., Richter He. und Richterin Gr. mit.

b) Die Revision ist der Auffassung, Vorsitzender B. und Richterin Gr. seien von der Entscheidung über die verschiedenen Ablehnungsgesuche, weil selbst betroffen, ausgeschlossen gewesen. Daß sie trotzdem mitgewirkt hätten, begründe die Besorgnis ihrer Befangenheit. Für beides beruft sich die Revision auf eine Entscheidung des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (Urt. vom 9. Dezember 1983 - 2 StR 452/83, veröffentlicht u.a. in NStZ 1984, 419 f.).

c) In dem vom 2. Strafsenat entschiedenen Fall hatten die drei erkennenden Richter einen - fehlerhaften - Beschlagnahmebeschluß (betreffend Unterlagen im Besitz des Verteidigers) erlassen und waren deshalb abgelehnt worden. Drei andere Richter hatten den Ablehnungsantrag verworfen mit der Begründung, falsche Rechtsansicht begründe nur bei Willkür - die hier nicht vorliege - die Besorgnis der Befangenheit. Als daraufhin diese drei Richter abgelehnt wurden, entschieden über deren Ablehnung (offenbar entsprechend der Geschäftsverteilung) die drei erkennenden Richter. Sie verwarfen die Gesuche mit der Begründung, die drei Richter hätten sich ausführlich mit der Rechtsmeinung auseinandergesetzt, auf die sich der Beschlagnahmebeschluß gestützt hatte; nichts spreche dafür, sie hätten die erkennenden Richter schützen wollen.

Die daraufhin gegen die erkennenden Richter angebrachten Ablehnungsgesuche hielt der 2. Strafsenat für begründet. Gestützt auf § 27 Abs. 1 StPO, war er der Meinung, die erkennenden Richter hätten hier "in eigener Sache" entschieden. Das sei so selbstverständlich, daß die gegenteilige Meinung der erkennenden Richter nicht hingenommen werden könne und - auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung, daß ein Rechtsirrtum in der Regel zur Ablehnung nicht ausreiche - bei ihnen zur Besorgnis der Befangenheit führe.

In einer Anfrage beim 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs nach § 136 GVG hat der erkennende Senat Zweifel angemeldet, ob § 27 Abs. 1 StPO so, wie hier geschehen, auszulegen sei, hat dies aber letztlich dahinstehen lassen, weil das Revisionsgericht, insoweit als Beschwerdegericht tätig, unabhängig von der richtigen Besetzung des die Ablehnungsentscheidung treffenden Gerichts die sachliche Berechtigung der Ablehnung prüft.

Die Anfrage hatte zum Gegenstand,

aa) ob das genannte Urteil vom 9. Dezember 1983 dahin zu verstehen ist, die richterliche Mitwirkung an einer Ablehnungsentscheidung begründe stets und ausnahmslos die Besorgnis der Befangenheit, wenn die Entscheidung Fragen betrifft, hinsichtlich derer der mitgewirkte Richter selbst schon - ohne Erfolg - abgelehnt worden ist;

bb) ob, falls aa) bejaht wird, der 2. Strafsenat an dieser Auffassung festhält.

Die Antwort des 2. Strafsenats lautete:

"Der Senat hält an seiner in dem Urteil vom 9. Dezember 1983 - 2 StR 452/83 - vertretenen Rechtsauffassung fest. Ein Richter darf über ein Befangenheitsgesuch, mit dem geltend gemacht wird, die abgelehnten Richter hätten ein gegen ihn gerichtetes Befangenheitsgesuch fehlerhaft abgelehnt, grundsätzlich nicht sachlich entscheiden. Entscheidet er dennoch, dann begründet dies in der Regel - jedoch nicht stets und ausnahmslos - die Besorgnis der Befangenheit."

Der Senat läßt offen, ob diese Auffassung des 2. Strafsenats als Entscheidung "in einer Rechtsfrage" (§ 136 GVG) zu werten ist oder eine auf tatsächlichem Gebiet liegende Beweisregel enthält; so oder so war die Verwerfung der Ablehnungsgesuche nicht fehlerhaft.

Bis zu der genannten Entscheidung des 2. Strafsenats waren die hier maßgeblichen Fragen richterlicher Mitwirkung an Entscheidungen über Befangenheitsgesuche, die sich zugleich gegen mehrere Richter wenden und mit deren Beteiligung an Kollegialentscheidungen begründet werden, in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht erörtert worden. Immerhin war in der vom Landgericht zur Grundlage genommenen Entscheidung BGHSt 21, 334 - wenn auch bei anderer Fallgestaltung - das Vorgehen des damaligen Tatgerichts, über Ablehnungsgesuche gegen mehrere Richter gleichzeitig zu entscheiden, für unrichtig erachtet, die abgesonderte Entscheidung über einen einzelnen Richter für richtig erklärt und hierzu geäußert worden:

"Wenn ein Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt worden ist, muß der abgelehnte Richter, gleichgültig ob er erkennender oder nicht erkennender Richter ist, alsbald wieder bei der Untersuchung und Entscheidung mitwirken" (aaO S. 338). Wie das Tatgericht damals weiter hätte vorgehen sollen - durch einheitlichen, mehrere Richter betreffenden Beschluß oder durch getrennte Beschlüsse -, ließ der Bundesgerichtshof ausdrücklich offen (aaO S. 337). Wenn das Landgericht diese Entscheidung so auslegte, wie es das tat - geboten seien jeweils Einzelentscheidung und Wiedereintritt des Richters, dessen Ablehnung für unbegründet erachtet worden war -, so mag das rechtsirrtümlich gewesen sein, begründete aber nicht die Besorgnis, die beteiligten Richter seien nicht unparteilich.

Dafür, jedem abgelehnten Richter einen besonderen Beschluß zu widmen, konnte sprechen, daß das Gesetz im Grundsatz nur die Ablehnung eines einzelnen Richters, nicht die Ablehnung eines Kollegiums kennt; dafür, der dergestalt wiedereingesetzte Richter müsse bei der nächsten Entscheidung als gesetzlicher Richter mitwirken, konnte der oben wiedergegebene Satz aus BGHSt 21, 334, 338 angeführt werden.

Das Urteil vom 9. Dezember 1983 - 2 StR 452/83 - kannten die abgelehnten Richter, wie durch dienstliche Äußerungen belegt ist, zur Zeit der hier interessierenden Entscheidungen nicht. Sobald sie es zur Kenntnis genommen hatten, nahmen sie dies zum Anlaß, ihre früheren Entscheidungen aufzuheben und entsprechend der genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu verfahren.

Dieses Urteil vom 9. Dezember 1983 war von der Verteidigung zwar schon zu einem erheblich früheren Zeitpunkt als Beleg für ihre Auffassung genannt worden. Das ändert jedoch an der hier zu treffenden Entscheidung nichts:

Als selbständiger Ablehnungsgrund ist die späte Kenntnisnahme nicht unverzüglich geltend gemacht worden (§ 25 Abs. 2 Satz 1 StPO). Spätestens mit Verkündung der Rücknahmebeschlüsse am 10. November 1988 stand für den Angeklagten fest, daß dem Landgericht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 9. Dezember 1983 erst jetzt bekannt geworden war. Nach einer Pause von 1 1/4 Stunden gab Rechtsanwalt Dr. F. eine Erklärung ab, in der er den Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch die Strafkammer als bedeutungslos bezeichnete. Nach einer erneuten Pause von 3 3/4 Stunden wurde nochmals in die Verhandlung eingetreten, dann auf den 11. November 1988 vertagt. Erst an diesem Tag wurden die Ablehnungen gegen Vorsitzenden B. und die Beisitzer He. und Gr. zusätzlich darauf gestützt, sie hätten die "Fundstellen der vom BGH getroffenen Entscheidungen nicht studiert". Das war nicht "unverzüglich" im Sinne von § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO. So könnte die späte Kenntnisnahme allenfalls bei der Prüfung eine Rolle spielen, welches Gewicht dem Rechtsirrtum der abgelehnten Richter zukomme.

Es ist zu bedenken, daß in jener Entscheidung die hier interessierende Frage eher am Rande behandelt wurde. Der vom 2. Strafsenat formulierte und entsprechend veröffentlichte Leitsatz enthielt keinen Hinweis auf Ablehnungsfragen, sondern nur die Aussage, es begründe kein Verfahrenshindernis, wenn die Staatsanwaltschaft Kenntnis vom Verteidigungskonzept erhalte. Zwar wurde mehrfach (auch in NStZ 1984, 419 f.), - nicht durchweg - der gesamte Text der Entscheidung veröffentlicht, doch wurde die Bedeutung der Entscheidung allgemein in der den Leitsatz tragenden Erörterung gesehen. Auch die in NStZ 1984, 420 zusammen mit der Entscheidung abgedruckte wissenschaftliche Anmerkung befaßte sich nicht mit Fragen der Befangenheit.

Insgesamt ist der Senat daher der Auffassung, daß das Vorgehen der abgelehnten Richter, was ihre Mitwirkung an den Entscheidungen über Ablehnungsgesuche anlangt, die Besorgnis der Befangenheit nicht rechtfertigte.

Die sonst geltend gemachten Umstände sind nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, ohne daß dies weiterer Ausführungen bedürfte.

2. Anklage und Eröffnungsbeschluß; Hinweis auf rechtliche Veränderung

a) Die Rüge, die Anklageschrift genüge nicht den Anforderungen des § 200 StPO, weil sie nicht in jedem Einzelfall den genauen Sachverhalt, insbesondere die als Indikationsbegründung in Frage kommenden Umstände mitteile und deshalb der ihr zukommenden Informationsfunktion nicht gerecht werde, geht fehl. Da die Staatsanwaltschaft "in keinem dieser Fälle ... die Voraussetzungen einer Indikationslage" für gegeben ansah, war der Vorwurf klar; es bestand jedenfalls kein die Wirksamkeit der Anklage berührender Mangel. Fraglich könnte allenfalls sein, ob die Bezeichnung "Schwangerschaftsabbrüche" die "Tat" (§ 200 StPO) hinreichend charakterisiert; Schwangerschaft kann auf verschiedene Weise abgebrochen werden. Jedoch ist der Gebrauch der gesetzlichen Bezeichnung hier unschädlich, da der Angeklagte in allen Fällen - auch von ihm nie bestritten - die Schwangerschaften mittels Saugkürettage unter Lokalanästhesie abbrach. Auch insofern entstand daher kein Informationsmangel.

b) Soweit den Ausführungen der Revision zur Wirksamkeit der Anklage eine selbständige Rüge der Verletzung von § 265 Abs. 1 StPO zu entnehmen ist, hat auch diese keinen Erfolg.

Der Vorsitzende wies in der Hauptverhandlung auf die Möglichkeit einer Bestrafung nach § 218 b Abs. 1 StGB in Tateinheit mit § 219 Abs. 1 StGB in den Fällen hin, in denen von einer Notlage der Patientin im Sinne von § 218 a Abs. 2 Nr. 3 StGB auszugehen sei, außerdem auf die Möglichkeit einer Bestrafung wegen versuchten Abbruchs einer Schwangerschaft dann, wenn objektiv eine Notlage der Patientin vorlag, aus der Sicht des Angeklagten aber - auf Grund seiner Feststellungen - eine solche Notlage nicht gerechtfertigt sein konnte. Der erste Hinweis begann mit den Worten "Soweit in dem einen oder anderen Punkt der Anklage ...", der zweite "Soweit in dem einen oder anderen Fall nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ...". Einige Tage später ergänzte der Vorsitzende diese Hinweise. Hinsichtlich eines etwaigen Übergangs von § 218 auf §§ 218 b, 219 StGB wies er darauf hin, die Änderung könne "in einer unbeschränkt großen Zahl von Fällen" eintreten; hinsichtlich eines etwaigen Übergangs von vollendetem auf versuchten Schwangerschaftsabbruch nannte er vier bestimmte Einzelfälle, in denen "die Patientinnen keine ausreichenden Indikationsgründe oder überhaupt keine (Fall 15) genannt haben, weshalb der Angeklagte aus seiner Sicht nicht von einer Notlage ausgehen konnte, obwohl tatsächlich unwiderleglich eine vorlag (Versuch am untauglichen Objekt)".

Die Revision rügt in diesem Zusammenhang mangelnde Konkretisierung der Hinweise und, damit zusammenhängend, eine Beschränkung der Verteidigung. Doch liegt kein durchgreifender Rechtsfehler vor. Ein Hinweis nach § 265 StPO genügt den Anforderungen, wenn er es dem Angeklagten und seinem Verteidiger ermöglicht, ihre Verteidigung auf den neuen rechtlichen Gesichtspunkt einzurichten; erkennbar muß sein, welche Tat der Hinweis betrifft (Hürxthal in KK 2. Aufl. § 265 Rdn. 17). Ob der vom Landgericht gegebene Hinweis, eine Verurteilung nach §§ 218 b, 219 StGB komme "in einer unbeschränkt großen Zahl von Fällen" in Betracht, diesen Anforderungen genügt, mag fraglich erscheinen. Jedoch kommt es hierauf nicht an, weil das Urteil auf einem etwaigen Verfahrensfehler nicht beruht. Angeklagter und Verteidigung haben nie in Abrede gestellt, daß in sämtlichen Fällen gegen §§ 218 b oder 219 StGB verstoßen wurde. Welche zusätzliche Verteidigung hier möglich gewesen wäre, ist nicht ersichtlich.

3. Beschlagnahme und Verwertung der Patientinnenkartei

a) Im September 1986 wurden Wohnung und Praxis des Angeklagten wegen Verdachts der Steuerhinterziehung von der Steuerfahndung durchsucht; die Patientinnenkartei wurde beschlagnahmt. Im Oktober 1986 wandte sich die Finanzbehörde an die Staatsanwaltschaft mit der Bitte, das Verfahren wegen des Verdachts illegaler Schwangerschaftsabbrüche zu übernehmen. Das tat die Staatsanwaltschaft und erwirkte vom Amtsgericht die Beschlagnahme dieser Karteikarten, wobei das Amtsgericht seine Entscheidung auf § 219 StGB stützte. Im Mai und September 1987 wurden beim Angeklagten weitere Karteikarten beschlagnahmt. Der Inhalt der Karten wurde im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung verwertet. Nach Meinung der Revision verstießen Beschlagnahme und Verwertung gegen § 97 StPO, außerdem gegen Verfassungsrecht.

b) Gegen die Zulässigkeit der Rüge, soweit sie sich auf subjektive Rechte der Patientinnen stützt, könnten Bedenken bestehen, weil die Revision offen läßt, ob die betroffenen Patientinnen der Verwertung ihrer Karteikarte zugestimmt haben. § 97 StPO dient dem Zweck, die Umgehung und Aushöhlung des Zeugnisverweigerungsrechts der in §§ 52, 53 StPO genannten Personen zu verhindern; sonst läge das Bestreben nahe, deren Wissen - das von ihnen als Zeugen nicht zu erlangen ist - aus ihren Unterlagen zu erforschen. Entsprechend eng hängen §§ 53 und 97 StPO zusammen. Wenn deshalb die Patientin das Zeugnisverweigerungsrecht des Arztes dadurch beseitigt, daß sie gemäß § 53 Abs. 2 StPO den Arzt von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbindet, liegt es nahe, bei Einwilligung der Patientin auch die Beschlagnahme und Verwertung der Patientinnenkarteikarte zuzulassen (vgl. Gerhard Schäfer in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 97 Rdn. 73 ff. m.w.Nachw.).

Auch bei der verfassungsrechtlichen Betrachtung von Beschlagnahme und Verwertung kann die Einwilligung der Patientin nicht außer Betracht bleiben. Zwar dient die Verschwiegenheitspflicht des Arztes - mittelbar - auch dem Funktionieren der öffentlichen Gesundheitsfürsorge; doch ändert das nichts daran, daß das Wissen des Arztes nur im Interesse der Patientin, nicht in seinem eigenen Interesse geschützt ist; die Beschränkung der Regelung des § 53 Abs. 2 StPO auf die in Abs. 1 Nr. 2 bis 3 a genannten Personen zeigt das deutlich. Bei dem in der Patientenkartei festgehaltenen Wissen des Arztes wirkt sich das dahin aus, daß die bekundeten Umstände, soweit sie eigene Geheimnisse des Arztes enthalten, sowenig geschützt sind wie die schriftlich niedergelegten Geheimnisse anderer Personen; die Grenze bildet die Unverwertbarkeit von Tagebuchaufzeichnungen (BGHSt 19, 325; 34, 397; BVerfGE 80, 367).

Da somit - bei Einwilligung der Patientin - die Beschlagnahme ihrer ärztlichen Karteikarte oder jedenfalls deren Verwertung (vgl. BGHSt 25, 168, 170) zulässig ist, hätte zum Revisionsvortrag die Behauptung gehört, die betroffenen Patientinnen hätten den Angeklagten nicht von seiner Schweigepflicht entbunden (der Verwertung nicht zugestimmt). Diese Behauptung hat die Revision nicht erhoben. Sie hat lediglich vorgetragen, "in einigen Fällen" - die nicht näher bezeichnet werden - hätten Patientinnen "zu späteren Zeitpunkten" den Angeklagten von seiner Schweigepflicht entbunden; das genügt nicht.

c) Jedenfalls ist die Rüge unbegründet. Wie erwähnt, dient § 97 StPO dem Zweck, die Umgehung des Zeugnisverweigerungsrechts zu verhindern. Mit der Beschlagnahme beim Beschuldigten befaßt sich die Vorschrift nicht, was sich aus ihrem Wortlaut sowie ihrer Bedeutung im Zusammenhang der Regelung ergibt; das entspricht fast einhelliger Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum (vgl. Gerhard Schäfer aaO § 97 Rdn. 14 m.w.Nachw.; vgl. auch - in Fällen der Steuerhinterziehung und des Kassenbetrugs durch Ärzte - LG Koblenz NJW 1983, 2100; LG Bochum NJW 1988, 1533; LG Köln MDR 1988, 252). Daß der Gesetzgeber die Möglichkeit eigenen strafbaren Verhaltens des Geheimnisträgers gesehen hat - also keine Regelungslücke besteht -, zeigt § 97 Abs. 2 Satz 3 StPO. Nur die dort geregelten Fallgestaltungen hielt der Gesetzgeber mit Recht für regelungsbedürftig; denn auch in diesen Fällen geht es stets um den Geheimnisträger in seiner Stellung als Zeuge.

Soweit die Revision - durch Wiedergabe des am ersten Tag der Hauptverhandlung von der Verteidigung gestellten Einstellungsantrags - geltend macht, der Durchsuchungsbeschluß des Amtsgerichts Memmingen vom 24. September 1986 habe hinsichtlich des Tatverdachts nicht den an eine solche Maßnahme zu stellenden Anforderungen entsprochen ("völlig vage Anhaltspunkte"), verhindert § 344 Abs. 2 StPO die weitere Beschäftigung mit dieser Rüge. Die Revision weist verschiedentlich darauf hin, Grundlage des Beschlusses sei eine anonyme Anzeige gewesen, gibt deren Inhalt aber nicht wieder. Auch eine anonyme Anzeige kann aber von beträchtlicher sachlicher Qualität sein. Dafür, daß dies hier so war, spricht ihr in dem Beschluß des Landgerichts vom 9. September 1989 in Kürze angedeuteter Inhalt.

Auch im übrigen genügen sowohl der Durchsuchungsbeschluß vom 24. September 1986 als auch der Beschlagnahmebeschluß des Amtsgerichts Memmingen vom 8. Dezember 1986 den an eine solche Entscheidung zu stellenden formellen Anforderungen (vgl. auch unten S. 20). Ein Verfahrensverstoß ist nicht darin zu sehen, daß die Finanzverwaltung die Sache wegen des "Verdachts illegaler Schwangerschaftsabbrüche" an die Staatsanwaltschaft abgab; die Finanzverwaltung konnte hierfür angesichts der Bedeutung und des Umfangs des in Frage stehenden strafbaren Verhaltens zu Recht ein zwingendes öffentliches Interesse bejahen (§ 30 Abs. 4 Nr. 5 AO).

Durchsuchung, Beschlagnahme und Verwertung verletzen nicht Verfassungsrecht. Zunächst ist auch hier von Bedeutung, daß sich das Strafverfahren damals gegen den Angeklagten richtete und auch jetzt seine Verurteilung Gegenstand der Revision ist. Soweit die Beschlagnahme von Patientinnenkarteikarten Grundrechte der Patientinnen verletzen konnte (vgl. BVerfGE 32, 373), griff das nicht oder jedenfalls nicht unmittelbar in Rechte des Angeklagten ein. Aber auch hiervon abgesehen hat die Beschlagnahme nicht gegen Grundrechte des Angeklagten oder der Patientinnen verstoßen. Daß die Wahrheitsermittlung im Strafverfahren die privaten Geheimhaltungsbelange des Patienten überwiegen kann, wenn der Arzt selbst Beschuldigter ist, hat das Bundesverfassungsgericht anerkannt.

Voraussetzung ist, daß der Einblick in die Patientenkartei zur Aufklärung erforderlich ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht widerspricht (aaO S. 381). Beides ist der Fall. Der Einblick in die Kartei der Patientinnen war im vorliegenden Fall der zuverlässigste und dadurch für die Beteiligten zugleich schonendste Weg der Ermittlung. Den Delikten der §§ 218 ff. StGB ist eigen, daß sich die Tat zwischen der Schwangeren und der die Schwangerschaft abbrechenden Person, hier dem beschuldigten Arzt, abspielt und darüber hinaus allenfalls nahe Angehörige oder sonstige eng vertraute Personen über näheres Wissen verfügen. Ermittlungen im Umfeld des Arztes oder der Schwangeren lassen wenig zuverlässige Aufklärung erhoffen oder müßten - umgekehrt - sehr breit und zugleich intensiv angelegt sein, sollten sie einigen Erfolg versprechen. Dann ist freilich eine Beschränkung auf den Kreis der unmittelbar Beteiligten (vgl. BVerfG aaO) kaum mehr möglich.

Andererseits ist der Abbruch der Schwangerschaft nach § 218 StGB ein Delikt von erheblichem Gewicht; die beschriebenen Widrigkeiten der Aufklärung dürfen nicht dazu führen, daß verbotener Schwangerschaftsabbruch faktisch nicht verfolgt wird. Eben darauf liefe aber letztlich die Auffassung des Angeklagten hinaus, auf die Karteikarten dürfe generell nicht für Zwecke des Strafverfahrens zurückgegriffen werden.

Da nach dem Beschluß vom 8. Dezember 1986 alsbald dringender Verdacht der Zuwiderhandlung gegen § 218 StGB entstand (vgl. den Beschluß des Amtsgerichts Memmingen vom 15. Mai 1987), wurden die am 8. Dezember 1986 wegen des Verdachts nach § 219 StGB beschlagnahmten Karteikarten schon deshalb verwertbar (vgl. Kleinknecht/Meyer, StPO 40. Aufl. § 97 Rdn. 48 m.w.Nachw.). Unter den gegebenen Umständen rechtfertigte aber auch der Verdacht nach § 219 StGB die Beschlagnahme der Karteikarten. Nähme man nur die angedrohte Höchststrafe (ein Jahr Freiheitsstrafe) zum Maßstab, so stände § 219 StGB allerdings in einer Reihe mit Hausfriedensbruch (§ 123 StGB), Verstrickungsbruch (§ 136 StGB), Beleidigung (§ 185 StGB) und ähnlichen Vorschriften minderen Gewichts. Indes wäre ein solches Vorgehen verfehlt. § 219 StGB gehört zu den Vorschriften des Strafgesetzbuchs, die Schwangerschaftsabbrüche verhindern sollen, und zählt neben § 218 b StGB zu den "Schutzmaßnahmen", die einen "wirksamen Lebensschutz" gewährleisten sollen (BVerfGE 39, 1, 44). Als bloße Form- oder Ordnungsvorschrift wäre § 219 StGB überflüssig; dann wäre auch nicht gerechtfertigt, den Arzt, der wider besseres Wissen eine unrichtige Feststellung trifft, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen (§ 219 a StGB). Wenn die Vorschriften der §§ 218 ff. StGB insgesamt mit vergleichsweise niedrigen Strafdrohungen bewehrt sind, so beruht das darauf, daß die Strafe neben den sonstigen lebenserhaltenden Maßnahmen überhaupt nur "ultima ratio" sein sollte (vgl. BVerfG aaO S. 47). Dies ändert aber nichts daran, daß es sich insgesamt um "Straftaten gegen das Leben" handelt (so die Überschrift des 16. Abschnitts, vgl. BVerfG aaO S. 46). Ob der Verdacht eines einzelnen Verstoßes gegen § 219 StGB Durchsuchung und Beschlagnahme gerechtfertigt hätte, mag dahinstehen. Hier jedenfalls, wo der Verdacht jahrelanger Mißachtung des Gesetzes in zahlreichen Einzelfällen bestand, war der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht verletzt.

Vom Ausschluß der Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung (BVerfG aaO) während der Erörterung der Tatsachen, die der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen, hat das Landgericht in hohem Maß Gebrauch gemacht. Es hat die Öffentlichkeit während der Vernehmung der Patientinnen und ihrer Angehörigen ausgeschlossen (Beschl. vom 21. November 1988).

4. Vernehmung des Zeugen Br. in nichtöffentlicher Verhandlung

Die Revision rügt Verletzung von § 338 Nr. 6 StPO und stützt sich hierbei auf die Vernehmung des Zeugen Br. in nichtöffentlicher Sitzung. Tatsächlich hatte das Landgericht die Öffentlichkeit allgemein "während der Vernehmung der in der Anklageschrift aufgeführten und als Zeugen geladenen Patientinnen des Angeklagten sowie ihrer Angehörigen" ausgeschlossen, weil bei der Vernehmung Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich sowohl der Patientinnen als auch ihrer Angehörigen zur Sprache kämen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen dieser Personen verletzen würde (§ 171 b GVG). Offensichtlich auf Grund dieser Entscheidung hatte das Landgericht auch den Zeugen Br. nicht öffentlich vernommen, obwohl er nicht "Angehöriger" im Sinne der Strafprozeßordnung oder des Strafgesetzbuchs war; im Urteil wird er als "Lebensgefährte" einer der Patientinnen bezeichnet, von dem diese schwanger geworden sei.

Doch läßt der Beschluß des Landgerichts keinen Zweifel entstehen, daß es hier unter einem "Angehörigen" auch den Lebensgefährten verstand, dessen Aussage in Zusammenhang mit der Schwangerschaft einer Patientin von Bedeutung war, und daß es sich nicht auf die Regelungen des § 52 StPO oder § 11 StGB beschränken wollte. Deshalb sind die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens nicht verletzt. Daß auch bei dem Zeugen Br. die Voraussetzungen von § 171 b GVG vorlagen, steht außer Frage.

5. Die im Rahmen der Erörterung der Einzelfälle erhobenen Aufklärungsrügen sind teils unzulässig - weil nicht formgerecht erhoben -, teils unbegründet, ohne daß dies besonderer Erläuterung bedürfte. Soweit diese Rügen zugleich die Sachbeschwerde näher ausführen, hat der Senat sie in deren Rahmen geprüft.

III. Die Sachbeschwerde

Staatsanwaltschaft und Angeklagter wenden sich gegen die Auslegung, welche das Landgericht dem Begriff "nach ärztlicher Erkenntnis" (§ 218 a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB) zuteil werden läßt. Das Landgericht ist der Auffassung, dieser Begriff enthalte die Summe medizinischen Fachwissens und allgemeiner menschlicher Erfahrung und unterliege richterlicher Nachprüfung; doch ergäben sich daraus, daß § 218 StGB ausdrücklich auf die ärztliche Erkenntnis als Beurteilungsquelle für die Indikation abstelle, Grenzen für ihre Nachprüfbarkeit. Es bleibe ein gewisser ärztlicher Beurteilungsspielraum, der eine richterliche Nachprüfung nur dahin zulasse, ob die Indikationsstellung in der damals gegebenen Situation vertretbar erscheine. Das Landgericht sieht sich mit seiner Auslegung in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des für Rechtsfragen aus dem Bereich der medizinischen Behandlung zuständigen VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (BGHZ 95, 199).

Demgegenüber meint die Staatsanwaltschaft, die Indikationsstellung des Arztes sei inhaltlich gerichtlich voll nachprüfbar; nur so sei der Schutz ungeborenen menschlichen Lebens hinreichend gewährleistet. Irgendwelche Ermessens- oder Beurteilungsfreiheit des Arztes - die einen "rechtsfreien Raum" schaffe - gebe es nicht. Unterlaufe dem sorgfältig prüfenden Arzt eine Fehlbeurteilung, so reichten die Irrtumsvorschriften und das Schuldprinzip des Strafrechts aus, den Interessen des Arztes Rechnung zu tragen.

Die Verteidigung hinwiederum ist der Ansicht, der Gesetzgeber habe Erkenntnismöglichkeit und Erkenntnis auf den Arzt delegiert. Eine richterliche Überprüfung der ärztlichen Entscheidung sei auf die Untersuchung beschränkt, ob der Arzt von seiner Kompetenz - "mit welchem Ergebnis auch immer" - Gebrauch gemacht habe. Die Unwiderlegbarkeit der ärztlichen Erkenntnis sei gesetzlich festgelegt, die Anerkennung einer Indikation durch den Arzt allenfalls auf Willkür überprüfbar. Der Angeklagte selbst war bei seinem Handeln, wie das Landgericht feststellt, davon ausgegangen, es müsse ihm als Arzt überlassen bleiben, nach einem Gespräch mit der Schwangeren diese "allein entscheiden zu lassen, ob sie den Schwangerschaftsabbruch vornehmen lasse oder nicht". Er war der Auffassung, "daß die ärztliche Freiheit und das Selbstverfügungsrecht der Frau ... nicht durch ein Gesetz (hier die Bestimmungen der §§ 218 ff. StGB) ausgehöhlt werden dürfen. Die Frauen als mündige Bürgerinnen müßten selbst entscheiden können, ohne daß sich der Staat dabei einmische".

Der Senat schließt sich im Ergebnis der Auffassung des Landgerichts - und des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs - an.

Bei Auslegung der §§ 218 ff. StGB sind insbesondere zwei Gesichtspunkte zu beachten. Die Bedeutung des ungeborenen Lebens verlangt eine Auslegung, die seinen Schutz soweit wie möglich gewährleistet. Auslegungen, die hinter dem grundgesetzlich verbürgten und geforderten Schutz zurückblieben, müßten hinter Normdeutungen zurückstehen, die mit dem Grundgesetz in Einklang sind (vgl. BVerfGE 32, 373, 383: Gebot verfassungskonformer Auslegung).

Andererseits sind die Grenzen der Gesetzesauslegung zu beachten. Die verfassungsrechtliche Garantiefunktion des gesetzlichen Tatbestands für den Bürger (Art. 103 Abs. 2 GG) - hier: für den die Schwangerschaft abbrechenden Arzt - hat zur Folge, daß der Richter über den der Auslegung zugänglichen Wortlaut hinaus die Strafbarkeit nicht ausweiten, insbesondere den Gesetzgeber nicht korrigieren darf (BVerfGE 64, 389, 393; 71, 108, 115; 73, 206, 236), wobei der Begriff "Gesetzgeber" dahin zu verstehen ist, daß es sich um den im Gesetz zum Ausdruck kommenden Regelungsinhalt handelt. Aufgabe des Richters ist nicht, das Gesetz so zu gestalten, wie der eine oder andere es gern gestaltet sähe, weil er es so für richtig hielte; Sache des Richters ist vielmehr, das Gesetz so anzuwenden, wie es gestaltet ist (Art. 20 Abs. 3 GG). Das verbietet es, Gedanken und Überlegungen zu verwirklichen, die - mögen sie noch so bedenkenswert sein - eben nicht Gesetz geworden sind. Läßt das Gesetz nach Ausschöpfung aller Auslegungsmöglichkeiten, möglicherweise bedingt durch die Schwierigkeit der Materie, Zweifel offen, dürfen diese nicht zu Gunsten der Strafbarkeit behoben werden.

Der Begriff "nach ärztlicher Erkenntnis" erscheint erstmals in dem nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1975 (BVerfGE 39, 1) vorgelegten Entwurf eines 15. Strafrechtsänderungsgesetzes (BT-Drucks. 7/4128), ohne daß sich Erörterungen darüber fänden, ob - gegebenenfalls worin - sich dieser Begriff von dem bis dahin verwendeten Ausdruck "nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft" (5. Gesetz zur Reform des Strafrechts BT-Drucks. VI/3434; Erster Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform BT-Drucks. 7/1981 (neu)) unterscheide. Daß die Beurteilung eines Sachverhalts nach den "Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft" (den "anerkannten Regeln der Heilkunst", der "lex artis") objektiven Charakter hat, ist anerkannt (vgl. Lackner, StGB, 19. Aufl. § 15 Rdn. 39). Ebensowenig kann zweifelhaft sein, daß die Beurteilung "nach ärztlicher Erkenntnis" jedenfalls auch objektiven Grundsätzen folgen muß und insoweit richterlich nachprüfbar ist. Der Abbruch der Schwangerschaft durfte und sollte nicht freiem ärztlichen Belieben überlassen werden. Die Erkenntnis einer Person ist nicht schon deshalb eine "ärztliche", weil diese Person Arzt ist; die Erkenntnis verdient diese Bezeichnung nur, wenn der Arzt, der sie gewinnt, hierbei die Regeln seines Berufs beachtet.

Auch die Revision des Angeklagten räumt ein, richterlich überprüfbar bleibe, ob der Arzt willkürlich gehandelt habe, ob er "von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht hat", ob er "nach den Regeln der Kunst Feststellungen getroffen und Bewertungen ... vorgenommen hat". Fraglich kann daher nicht sein, ob die Entscheidung des abbrechenden Arztes richterlich überprüfbar ist, sondern nur, wie weit diese Überprüfbarkeit reicht.

Im Gesetzgebungsverfahren wurde verschiedentlich darauf hingewiesen, daß die verantwortliche Entscheidung darüber, ob eine der im Gesetz vorgesehenen Indikationen gegeben sei, allein bei dem Arzt liege, der den Eingriff ausführt (BT-Drucks. VI/3434 S. 11, 33; Sonderausschuß für die Strafrechtsreform BT-Drucks. 7/4696 S. 7). Damit war zwar nicht, jedenfalls nicht unmittelbar, auf das Verhältnis von ärztlicher und richterlicher Prüfung Bezug genommen, sondern darauf, daß der abbrechende Arzt, nicht der beratende (§ 220 im Entwurf eines 5. StrRG) oder der feststellende (§ 219 StGB) Arzt, letztlich die Verantwortung trage. Dennoch wurde darin die besondere, eigenständige Bedeutung der ärztlichen Entscheidung deutlich. Nur eine solche eigenständige Bedeutung wird dem Sinn der Vorschrift des § 218 a StGB in bezug auf die an dem Abbruch beteiligten Personen, in erster Linie den abbrechenden Arzt, gerecht. Er hat nach dem Gesetz über das Vorliegen einer Indikation zu entscheiden und darf, wenn sie zu bejahen ist, den Abbruch durchführen. Er muß hierbei die Gewißheit haben, nicht gegen das Strafgesetz zu verstoßen, wenn er entsprechend den Regeln seines Standes und nach seiner pflichtgemäßen Erkenntnis zu der Überzeugung gelangt, eine Indikation sei gegeben. Ihm kann nicht zugemutet werden, das volle strafrechtliche Risiko einer (aus der späteren Sicht anderer Personen) objektiv "falschen" Entscheidung zu tragen; dies umso weniger, als die Fassung des Gesetzes wertende Entscheidungen verlangt, die zwangsläufig im erheblichen Umfang nicht oder jedenfalls nicht voll objektivierbar sind. Zu bedenken ist auch die tatsächliche Gestaltung der Dinge. Wäre über eine beliebig aufschiebbare Maßnahme zu befinden, so stände nichts im Wege, vor ihrem Vollzug über die Rechtmäßigkeit eine rechtskräftige Entscheidung herbeizuführen. Beim Abbruch der Schwangerschaft ist das aus leicht einzusehenden Gründen nicht möglich; besondere Institutionen, die auf beschleunigtem Weg eine solche Entscheidung ermöglichen könnten, hat der Gesetzgeber nicht geschaffen. Der Arzt sieht sich vielmehr in der Lage, in kurzer Zeit eine Entscheidung treffen zu müssen. Auch nur die Einholung eines Rechtsgutachtens wäre ihm, selbst wenn er es wollte, regelmäßig nicht möglich.

Die gesetzliche Regelung in ihrer Gesamtheit stützt die Auffassung, der Arzt habe einen eigenen Beurteilungsspielraum. Damit die Entscheidung des Arztes auf breiterer Grundlage aufbaut, muß ihm die schriftliche Feststellung eines anderen Arztes zur Indikationslage vorliegen (§ 219 StGB); auch muß die Schwangere zuvor von anderer kompetenter Seite beraten worden sein (§ 218 b StGB). Die Beratungsstellen wiederum unterliegen verwaltungsrechtlichen Bestimmungen und sind auch sonst rechtlich eingefügt (vgl. § 53 Abs. 1 Nr. 3 a StPO).

Das Gesetz sieht also ein System von Maßnahmen vor, das einerseits Schwangerschaftsabbrüche soweit wie möglich verhindern will, das andererseits aber, falls es doch zum Abbruch kommt, dessen Voraussetzungen (einigermaßen) eingehend regelt, in gewisser Weise institutionalisiert. Das alles unterstreicht das eigene sachliche Gewicht der ärztlichen Entscheidung. Dem Arzt bleibt also "ein gewisser ärztlicher Beurteilungsspielraum" (BGHZ 95, 199, 206). Die Beurteilung der Indikation "nach ärztlicher Erkenntnis" hat objektive wie subjektive Bedeutung: Gekennzeichnet werden die Grundsätze, nach denen die Prüfung sich inhaltlich zu richten hat, gekennzeichnet wird aber auch die Person, auf deren Erkenntnis es maßgeblich ankommt. Ob die Feststellung der Indikation im Einzelfall "der Sache nach staatliche Aufgabe ist" (Dreher/Tröndle, StGB 45. Aufl. § 218 a Rdn. 13 m.w.Nachw.; ähnlich BayObLG NJW 1990, 2328, 2329), erscheint fraglich, kann aber dahinstehen. Dem Gesetzgeber ist jedenfalls nicht verwehrt, im Rahmen seines Ermessens bestimmten Personen oder Institutionen gewisse Entscheidungsspielräume einzuräumen. Aus einer Textstelle der Entscheidung BVerfGE 39, 1, 50 läßt sich nichts anderes herauslesen. Wesentlich ist vielmehr die Frage, wie weit der Beurteilungsspielraum des Arztes reicht. Bejaht der Arzt eine Indikation und bricht er die Schwangerschaft ab, ohne die der Bedeutung des Eingriffs angemessenen, ihm möglichen und nach ärztlichem Standesrecht gebotenen Wege der Aufklärung genutzt zu haben, so handelt er nicht "nach ärztlicher Erkenntnis". Weil die Auslegung des besonders gestalteten Tatbestands des § 218 a StGB zu diesem Ergebnis führt, kommt es auf die frühere Rechtsprechung zum übergesetzlichen Notstand mit der als Voraussetzung hierfür geforderten sorgfältigen Prüfung (vgl. BGHSt 3, 7; BGH NJW 1977, 139) nicht an.

Der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform war der Auffassung: "Auch im übrigen muß der Arzt die für ihn erreichbaren Erkenntnisquellen in dem Umfang ausschöpfen, wie es allgemein ärztlichem Handeln entspricht" (BT-Drucks. 7/ 4696 S. 7). Er hielt den im ursprünglichen Entwurf des 5. Strafrechtsreformgesetzes vorhandenen § 219 f (Strafbarkeit bei auf Leichtfertigkeit beruhendem Irrtum) für unnötig, weil durch die übrigen Vorschriften schon "gewährleistet (sei), daß der mit dem Eingriff betraute Arzt die Frage des Vorliegens der Indikation eingehend prüfen müsse". Aus der in diesem Entwurf verwendeten Formulierung, der Schwangerschaftsabbruch müsse nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft "angezeigt" sein, war der Schluß gezogen worden, "daß eine umfassende ärztliche Würdigung des Einzelfalls stattfinden muß" (BT-Drucks. VI/3434 S. 20). Allerdings ist der Arzt nicht verpflichtet, sich gleichsam als Ermittlungsbehörde zu betätigen und an andere Personen und Einrichtungen heranzutreten als bei sonstiger ärztlicher Behandlung, zumal nicht gegen den Willen der Frau. Er ist auf die Erkenntnismittel angewiesen, die ihm auch sonst zur Verfügung stehen. Er verletzt die Pflicht zur gewissenhaften Prüfung der Indikationslage in der Regel nicht, wenn er nicht an Eltern, an öffentliche oder private Sozialeinrichtungen herantritt. Die ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel freilich, in erster Linie die Befragung der Patientin, muß er ausschöpfen, wobei er sich, dem durch § 218 a StGB vorgegebenen Umfang seiner Beurteilung gemäß, nicht auf die rein medizinischen Gesichtspunkte beschränken darf. Jeder Arzt muß sich über die seiner Fachrichtung und seiner speziellen Tätigkeit entsprechenden Erfordernisse unterrichten und ihnen nachkommen; das gilt auch für den Arzt, der Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. Wer als Arzt die Indikationslage nicht oder nur unsorgfältig prüft, sich der mangelhaften Prüfung bewußt ist, trotzdem aber die Schwangerschaft abbricht, wird - weil er nicht "nach ärztlicher Erkenntnis" gehandelt hat - regelmäßig nach § 218 Abs. 1 StGB bestraft. Läßt sich freilich auf Grund gerichtlicher Sachverhaltsaufklärung feststellen, daß, wenn er sorgfältig geprüft hätte, der sich ergebende Sachverhalt objektiv eine Indikation ergeben hätte, so ist nur Bestrafung wegen Versuchs gerechtfertigt. Das mag (vgl. die erwähnte frühere Rechtsprechung zum übergesetzlichen Notstand, die auch in solchem Fall Vollendung annahm) inkonsequent erscheinen, rechtfertigt sich aber wiederum aus der besonderen Gestaltung des § 218 a StGB, insbesondere aus der mehrfachen Bedeutung der "ärztlichen Erkenntnis", die formell den Weg, materiell aber auch den Inhalt der ärztlichen Entscheidung umfaßt. Ist die Entscheidung inhaltlich richtig, wäre es nicht gerechtfertigt, wegen vollendeten Abbruchs der Schwangerschaft zu bestrafen; denn das Ergebnis kann vor dem Gesetz bestehen. Andererseits kann die Richtigkeit des Ergebnisses nicht das alleinige Kriterium sein mit der Folge, daß auch die Strafbarkeit wegen Versuchs entfiele. Das würde der - oben näher erörterten - eigenständigen Rolle des Arztes und seiner Entscheidung nicht gerecht. Die richterliche Prüfung, ob die ärztliche Entscheidung vertretbar war, die Schwangerschaft abzubrechen, kann nicht bei der Feststellung haltmachen, die ärztliche Sachverhaltsaufklärung sei nicht zu beanstanden. Der Richter muß sich notwendigerweise mit der dann getroffenen Entscheidung befassen; denn auch die auf Grund richtiger Sachverhaltsfeststellung getroffene Entscheidung kann nach - objektiv verstandener - ärztlicher Erkenntnis eine offenbar unzureichende Grundlage haben, also unvertretbar sein. Freilich ist hier Zurückhaltung geboten. Gegen eine ins einzelne gehende Überprüfung könnte insbesondere eingewendet werden, zur Beurteilung, ob die in § 218 a StGB genannten Voraussetzungen vorlägen, stellten Gesetz, Rechtswissenschaft und ärztliche Wissenschaft nur unzulängliches Rüstzeug zur Verfügung. Schon die "schwerwiegende Beeinträchtigung" und die "zumutbare Weise" in Abs. 1 Nr. 2 seien schwer zu objektivieren. Ob die "Gefahr einer Notlage" gegeben sei und ob diese Notlage, wenn sie denn vorliegt, so schwer wiegt, daß die Fortsetzung der Schwangerschaft nicht verlangt werden könne, sei ärztlich ebenso wenig zuverlässig zu beurteilen wie die weitere Frage, ob die Notlage auf eine andere für die Schwangere zumutbare Weise abgewendet werden könne (Abs. 2 Nr. 3). Würden solche Fragen dennoch, wie im Gesetz geschehen, dem Arzt zur Entscheidung zugewiesen, so müsse dessen Entscheidung, wie sie auch ausfalle, akzeptiert werden, könne jedenfalls, auch wenn sie nicht akzeptiert werde, nicht strafrechtliche Verfolgung nach sich ziehen. Der Einwand ist umso gewichtiger, als auch die medizinische Indikation, die sich früher auf die "Abwendung einer ernsten Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Mutter" beschränkte (BGHSt 2, 111, 114; 2, 381, 383; 3, 7, 9), erweitert wurde. Sie hat jetzt eine soziale Komponente ("unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse") und umfaßt die schwerwiegende Beeinträchtigung des seelischen Gesundheitszustands, die früher nur insofern eingeschlossen war, als eine "schwere" oder "naheliegende" Selbstmordgefahr den Abbruch der Schwangerschaft rechtfertigen konnte (BGHSt 2, 111, 115; 3, 7, 9).

Insgesamt hat diese (jetzt "medizinisch-soziale") Indikation eine deutliche Erweiterung erfahren (vgl. Dreher/Tröndle aaO § 218 a Rdn. 6) und dabei an klarer Kontur verloren. Das wirkt sich auf die anderen Indikationen aus, die das Gesetz als Unterfälle behandelt (Lackner aaO § 218 a Anm. 1 b). Zu bedenken ist schließlich, daß die Begriffe der Notlage, des Nicht-Verlangen-Könnens, der Zumutbarkeit (§ 218 a Abs. 2 Nr. 3 StGB) auch außerhalb der ärztlichen Wissenschaft - so unter Juristen - nicht eindeutig zu definieren sind. Zwar ist anerkannt, daß der Gesetzgeber auch im Strafrecht nicht darauf verzichten kann, allgemeine Begriffe zu verwenden, die in besonderem Maße der Auslegung, auch der wertenden Betrachtung bedürfen. "Ohne derartige Begriffe könnte der Gesetzgeber der Vielgestaltigkeit des Lebens nicht Rechnung tragen" (BVerfGE 4, 352, 357; vgl. BGHSt 30, 285, 287 m.w.Nachw.). Doch spielt hierbei eine Rolle, ob die vom Gesetzgeber verwendeten Begriffe völlig neu sind oder an schon bisher benutzte und durch die Rechtsprechung umschriebene und präzisierte Begriffe anknüpfen können (BVerfGE 28, 175, 183). Jähnke meint (Rechtsgutvernichtung nach ärztlichem Ermessen? - in Ebert, Aktuelle Probleme der Strafrechtspflege S. 190 f.), die Rechtsordnung stelle dem Arzt "keine zuverlässigen rechtlichen Orientierungshilfen zur Verfügung", die Gesetzesfassung sei, für sich genommen, "wenig präzise, ja nichtssagend", und die Wissenschaft befasse sich mit der Frage der Auslegung dieser Vorschriften kaum.

Infolge der Besonderheit der gesetzlichen Regelung - der Bedeutung der "ärztlichen Erkenntnis" - hat diese Unbestimmtheit der Auslegung nicht zur Folge, daß der Arzt, der eine bestimmte den Abbruch erleichternde Auslegung gewählt hat, ohne weiteres objektiv rechtswidrig gehandelt hätte und nur auf dem Wege des Verbotsirrtums Straflosigkeit oder Strafrahmenmilderung (§ 17 Satz 1 oder 2 StGB) erreichen könnte. Vielmehr hat die Auslegung des Arztes, wenn sie vertretbar war, rechtfertigende Wirkung.

Der Gesetzgeber hat sich im Anschluß an die frühere Rechtsprechung zur medizinischen Indikation und zum dadurch gegebenen übergesetzlichen (rechtfertigenden) Notstand (vgl. RGSt 61, 242; BGHSt 2, 111; 3, 7) dazu entschlossen, in § 218 a StGB eine besondere Ausformung des rechtfertigenden Notstands (§ 34 StGB) zu schaffen und dabei die anderen Indikationen der medizinischen gleichrangig an die Seite zu stellen (§ 218 a Abs. 2 StGB: "... gelten auch als erfüllt ..."). Zwar wird die rechtfertigende Wirkung des § 218 a StGB im Schrifttum, teilweise auch in der Rechtsprechung (vgl. BayObLG NJW 1990, 2328, 2330), von nicht wenigen bestritten, doch kann sie im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes und die mit ihr im Einklang stehende Gesetzesfassung nicht fraglich sein, wenn auch das Gesetz den Grund dafür, daß der Schwangerschaftsabbruch "nicht nach § 218 strafbar" ist (§ 218 a Abs. 1 StGB) nicht nennt (vgl. BT-Drucks. VI/3434 S. 18, 34; BT-Drucks. 7/4696 S. 7; BT-Drucks. 8/3630 S. 19; vgl. zum ganzen Dreher/Tröndle aaO vor § 218 Rdn. 8 a ff.; Lackner aaO § 218 a Anm. 1; Jähnke in LK vor § 218 Rdn. 22; je m.w.Nachw.).

Die Konsequenz der hier abgelehnten Auffassung wäre übrigens, daß § 218 a StGB sowohl die rechtfertigende Indikation des Abs. 1 Nr. 2 als auch die entschuldigenden (oder sonst die Strafbarkeit ausschließenden) Indikationen des Abs. 2 enthielte, wobei die letzteren aber nach der Fassung des Gesetzes zugleich die Voraussetzungen der ersteren erfüllen, ihr also gleichzusetzen sind. Die medizinische Indikation anders als früher - nicht mehr rechtfertigend - zu werten, besteht kein Grund. Allerdings ist der in § 218 a StGB enthaltene rechtfertigende Notstand besonders gestaltet. Das hängt damit zusammen, daß der rechtfertigende Notstand des § 34 StGB ein Recht für jedermann und für unabsehbar viele und verschieden gestaltete Gefahrlagen ist, während § 218 a StGB nur für einen eng umgrenzten Kreis von Notlagen gilt und sich nur an den Arzt wendet.

In dem geschilderten Rahmen aber ist die inhaltliche Überprüfbarkeit der ärztlichen Entscheidung zu bejahen, weil dieser Rahmen dem Gesetz mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen ist. Das gilt zunächst für die Indikation des § 218 a Abs. 1 Nr. 2 StGB, die spezifisch ärztlicher Erkenntnis, auch unter Berücksichtigung der gegenüber früher geschehenen Erweiterung der Vorschrift, am ehesten zugänglich ist. Aber auch bei der Indikation des § 218 a Abs. 2 Nr. 3 StGB gibt es Fälle, bei denen es auf der Hand liegt, daß sie die Voraussetzungen der Vorschrift nicht erfüllen, bei denen also unvertretbar ist, die Indikation zu bejahen und die Schwangerschaft abzubrechen.

Der objektiv am ehesten zu erfassende Begriff ist der der "Notlage". Sie wiegt, vom Gesetz her gesehen, schwerer als die "besondere Bedrängnis" in § 218 Abs. 3 Satz 2 StGB und bedeutet auch nach allgemeinem Sprachgebrauch eine Extremsituation, die, wenn keine Änderung eintritt, kaum mehr zu ertragen ist. Nicht jede Notlage genügt; sie muß nach dem Gesetz "so schwer wiegen, daß von der Schwangeren die Fortsetzung der Schwangerschaft nicht verlangt werden kann". Hinzu kommt die verfassungsgerichtliche Vorgabe, daß die hier in Betracht kommenden außergewöhnlichen Belastungen der Schwangeren "ähnlich schwer" wiegen müssen wie die bei medizinischer Indikation geforderten, also wie die für die Schwangere bestehende Gefahr, das Leben zu verlieren oder eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Gesundheitszustands zu erleiden (BVerfGE 39, 1, 49).

Gemessen an diesen Grundsätzen, ergibt sich in vielen Fällen, daß ein Schwangerschaftsabbruch nicht vertretbar ist, auch unter Einrechnung der im Verlauf der Begegnung von Arzt und Patientin zutage getretenen Unwägbarkeiten. Daß etwa nichteheliche Erzeugung, ablehnende Haltung des Vaters, Verzögerung der Berufsausbildung der Mutter und andere - keinesfalls leichtzunehmende - Umstände für sich allein nicht ausreichen, den Abbruch der Schwangerschaft zu rechtfertigen, ist anerkannt (vgl. Lackner, StGB 19. Aufl. § 218 a Rdn. 21; Eser in Schönke/Schröder, StGB 24. Aufl. § 218 a Rdn. 47). Ausgeschlossen ist auch, die Zahl der von der Schwangeren schon geborenen Kinder für sich allein zum Maßstab zu nehmen. Sie kann - wie alle anderen Gesichtspunkte - nur von Bedeutung sein, wenn das Austragen dieses Kindes unter Berücksichtigung der sonstigen Gegebenheiten die Gefahr einer Notlage begründet. Zu bedenken ist noch, daß dem gesetzmäßig handelnden Arzt die schriftliche Feststellung eines anderen Arztes gemäß § 219 StGB vorliegt, er also eine zusätzliche Erkenntnisquelle hat. Wer, wie der Angeklagte, auf solche zusätzliche Erkenntnis verzichtet, muß seine eigene Wertung besonders kritisch überdenken.

Der Hinweis der Revision auf die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zum weiten Risikobereich des Arztes bei der Behandlung mit Ersatzdrogen (BGHSt 37, 383; 29, 6) geht fehl. Dort ging es um die ständig wiederkehrende Frage, inwieweit der Arzt eigene, von der allgemeinen Auffassung abweichende Behandlungsmethoden anwenden dürfe, bei gleichem Behandlungsziel, der Wiederherstellung der Gesundheit des Patienten. Hier dagegen geht es um die Entscheidung, ob der Abbruch der Schwangerschaft gerechtfertigt ist oder nicht. Nicht die Methode, sondern das Ziel des ärztlichen Tuns steht hier im Streit. Auch sonst sind die Fälle nicht zu vergleichen.

Ob die vom abbrechenden Arzt getroffene Entscheidung nach ärztlicher Erkenntnis vertretbar war, hat in erster Linie der Tatrichter zu entscheiden. Die Prüfung des Revisionsgerichts beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Solche Fehler können zum einen bei der Auslegung der in § 218 a StGB aufgeführten Indikationsvoraussetzungen, zum anderen bei der Prüfung der Vertretbarkeit geschehen; diese Prüfung beruht auf der Auslegung und Anwendung des Begriffs "nach ärztlicher Erkenntnis". Derartige unbestimmte Rechtsbegriffe sind aber der revisionsgerichtlichen Prüfung jedenfalls insoweit nicht zugänglich, als die Würdigung tatsächlicher Umstände eine Rolle spielt. Sie liegen hier in der - angestrebten - Rekonstruktion des Arzt-Patienten-Gesprächs, auch in der Klärung der sonstigen Verhältnisse. Der persönliche Eindruck, den der Tatrichter hierbei von den Beteiligten gewinnt, ist mitbestimmend für die Wertung, ob der Arzt so, wie geschehen, entscheiden durfte.

Das angefochtene Urteil enthält Rechtsfehler weder zu Lasten noch zu Gunsten des Angeklagten. Das Landgericht hat unter Zuziehung von Sachverständigen jeden einzelnen Fall sorgfältig geprüft und im Rahmen seiner Kompetenz fehlerfrei entschieden. Möglicherweise hätte ein anderes Tatgericht den einen oder anderen Fall anders beurteilt; doch hat die Kammer die Grenze ihrer Entscheidungsbefugnis in keinem Fall überschritten.

Was die Möglichkeit der Adoption anlangt, so hat das Landgericht den Angeklagten in keinem Fall nach § 218 StGB mit der Begründung verurteilt, durch eine Adoption hätte die Gefahr einer Notlage abgewendet werden können. Das Landgericht sah sich nach Anhörung der Sachverständigen und der Frauen außerstande, in dieser Frage eine Überzeugung zu gewinnen, die Grundlage einer Verurteilung nach dieser Vorschrift hätte sein können; denn "hier spielen Umstände eine Rolle, die zum Teil oder ganz im Unterbewußtsein verankert sind und die forensische Praxis vor unlösbare Aufgaben stellen" (UA S. 42). Entsprechend unlösbar hat das Landgericht insoweit die Aufgabe des Arztes gesehen. Schon in BT-Drucks. VI/3434 S. 27 wird ausgeführt, es sei "problematisch, ob bei gegebener Notlage ... ein Schwangerschaftsabbruch allein deswegen abgelehnt werden kann, weil die Möglichkeit der Adoption ... besteht. Denn Schwangerschaft und Geburt stellen für die Frau eine außergewöhnlich schwere Belastung dar, wenn sie davon ausgehen muß, daß sie sich von dem Kind unmittelbar nach der Geburt endgültig trennen muß". Jähnke (in LK 10. Aufl. § 218 a Rdn. 76) schreibt mit Recht, daß rechtslogisch die Möglichkeit der Adoption unbedingten Vorrang haben müßte, daß aber eine große Mehrzahl der Frauen es für unerträglich hält, ihr Kind auszutragen, um es dann wegzugeben, daß schließlich die nicht selten vertretene Ansicht, es sei auf den Einzelfall abzustellen, den anzulegenden Maßstab nicht nennt. In der Tat ist nicht zu erkennen, wie etwa aus einer Abwägung der "gesamten persönlichen Umstände der Schwangeren" gegen das "verfassungsrechtlich geschützte ... Lebensrecht des Kindes" (so BayObLG NJW 1990, 2328, 2330) im konkreten Fall Argumente für oder gegen eine Adoption zu entnehmen sein sollen. Den Ausschlag dürfen hier der persönliche Eindruck und die Einstellung der Schwangeren geben.

Der Senat sieht davon ab, alle Einzelfälle zu erörtern. Er beschränkt sich auf die beispielhafte Schilderung von vier Fällen. Im Fall C VI 9 des angefochtenen Urteils hatten eine teilzeitbeschäftigte, 31 Jahre alte Lehrerin und ihr zehn Jahre älterer Ehemann, Abteilungsleiter bei einer größeren Firma, zwei Kinder im Alter von sechs und fünf Jahren, als sich eine erneute Schwangerschaft einstellte. Die Frau entschloß sich zu deren Abbruch, weil ihr Ehemann beruflich viel auswärts war, sich außerdem mit "Leidenschaft" eigenen Immobiliengeschäften widmete und wenig Verständnis für die Belange seiner Frau aufbrachte. Für die Familie hatte er ein viel zu großes Eigenheim erworben. Die Immobiliengeschäfte führten immer wieder zu finanziellen Belastungen; von einer finanziellen Notlage konnte freilich keine Rede sein.

Das Landgericht verneinte eine Strafbarkeit aus § 218 StGB, weil der Angeklagte aus den Angaben der Frau den Eindruck gewinnen konnte, der Ehemann kümmere sich nicht um die Familie, sondern nahezu ausschließlich um Immobilienangelegenheiten. Das werde langfristig immer wieder zu Schulden führen, so daß die Frau auch nach der Geburt eines dritten Kindes weiter im Berufsleben bleiben müsse, ohne sich "über den sparsamsten Bedarf hinaus" etwas leisten zu können. Das sei, so das Landgericht, eine unabwendbare Notlage. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft bestand die Gefahr einer Notlage nicht, zumal genauere Angaben über den tatsächlichen Lebensstandard der Familie fehlten.

Der Staatsanwaltschaft ist zuzugeben, daß der Begriff der "Notlage" hier weit ausgelegt wird. Doch hat das Landgericht, wie sich aus dem Urteil ergibt, seine Überzeugung zum guten Teil auf den Eindruck gestützt, den beide Eheleute als Zeugen in der Hauptverhandlung machten. Er kann so gewesen sein, daß die Entscheidung zu vertreten ist.

Im Fall C III 4 hatten die in Schichtarbeit tätigen türkischen Eheleute zwei Kinder im Alter von vier und zwei Jahren. Weil der Ehemann an einer Pilzerkrankung der Hände litt, die etwa einmal jährlich einige Wochen lang auftrat, und im Haushalt nicht mitarbeitete, sah die 24 Jahre alte Frau, als sie schwanger wurde, "erhebliche Probleme auf sich zukommen". Das Landgericht hielt für möglich, dem Angeklagten sei im Betrachtungsgespräch der Eindruck vermittelt worden, die Frau gerate - weil sie ihren Ehemann als ungeeignet ansah, die Kinder zu betreuen - bei Fortsetzung der Schwangerschaft in eine "ausweglose Lage". Deshalb verurteilte das Landgericht nicht nach § 218 StGB.

Auch hier ist der Begriff der "Gefahr einer Notlage" weit ausgedehnt, doch stützte sich die von einem türkischen Sachverständigen beratene Strafkammer wesentlich auf den Eindruck, den die Frau dem Angeklagten möglicherweise vermittelte. Das entzieht sich der Nachprüfung durch das Revisionsgericht.

Im Fall C IX 1 erwartete die verheiratete 37 Jahre alte türkische Arbeiterin ihr siebentes Kind von ihrem Ehemann. Die vorhandenen sechs Kinder waren 19, 17, 15, 11, 8 und 5 Jahre alt. Zu Hause waren die drei ältesten, erwerbstätigen Kinder (Söhne) und der fünfjährige Sohn. Die zwei Töchter waren bei den Großeltern in der Türkei. Annähernd drei Jahre zuvor hatte die Frau vom Angeklagten schon einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen. Damals hatte sie ihm erklärt, es sei für sie sehr schwierig, in Deutschland ein Kind aufzuziehen, weil sie Sorge habe, dann ihre Arbeitsstelle zu verlieren. Die Eheleute waren entschlossen, kein weiteres Kind aufzuziehen. Nachdem der Hausarzt abgelehnt hatte, eine Indikationsbescheinigung auszustellen, suchte die Frau den Angeklagten auf und teilte ihm die Zahl ihrer Kinder mit. Deren Alter und die sonstigen Umstände kamen nicht zur Sprache. Der Angeklagte brach die Schwangerschaft ab.

Das Landgericht vertritt zu Recht die Auffassung, der Angeklagte sei seiner Erkundigungspflicht nicht nachgekommen. Die Zahl der Kinder kann für sich allein allenfalls ein Indiz für irgendwelche Bedrängnis sein, rechtfertigt aber ohne weitere Erkundigung keine Entscheidung. Nicht rechtsfehlerhaft ist aber auch die Meinung des Landgerichts, selbst bei richtiger Aufklärung hätte sich der Abbruch der Schwangerschaft dem Angeklagten als unvertretbar dargestellt. Die Eheleute - so das Landgericht - verfügten über ein solides Einkommen, tätigten immer wieder Grundstücksgeschäfte in der Türkei. Die Frau war sehr selbständig und mit Organisationstalent ausgestattet. Anhaltspunkte für eine starke psychische Belastung bestanden nicht und sind dem Angeklagten nicht vermittelt worden. Das Landgericht stützte sich hierbei maßgeblich auf den in der Hauptverhandlung vermittelten Eindruck und die im Zusammenhang damit stehenden Ausführungen des türkischen Sachverständigen.

Für den Senat besteht kein Anhalt, die Entscheidung des Landgerichts, in diesem Fall nach § 218 StGB zu verurteilen, aufzuheben; sie hielt sich im Rahmen der Entscheidungsbefugnis der Strafkammer.

Im Fall C VIII 1 hatte die 34 Jahre alte ledige, kinderlose Frau schon zwei Schwangerschaftsabbrüche hinter sich, davon einen beim Angeklagten; sie sind nicht Gegenstand des Verfahrens. Die Frau war fest entschlossen, kein Kind zu haben, wollte auch nicht heiraten. Deshalb beschloß sie, als sie von einem im Angestelltenverhältnis beschäftigten Elektriker schwanger wurde, den Abbruch der Schwangerschaft. Sie schilderte dem Angeklagten ihre Lebensverhältnisse (bei den beiderseits verdienenden Eltern in einem geräumigen Haus wohnend, nicht berufstätig, von der Mutter Taschengeld erhaltend) machte ihm aber unmißverständlich klar, daß es ihr vorrangig darum ging, überhaupt kein Kind zu bekommen.

Die Auffassung des Landgerichts, hier sei § 218 StGB verletzt, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Gewisse terminologische Ungenauigkeiten in den Urteilsgründen zeigen keinen Rechtsfehler auf. Wenn das Landgericht fast durchweg von der "unabwendbaren Notlage" spricht, die - je nachdem - bestand oder nicht bestand, so war das ersichtlich als Kurzfassung für § 218 a Abs. 2 Nr. 3 StGB gedacht. Die in vielen Einzelfällen verwendete Ausdrucksweise, der Angeklagte "konnte nicht" vom Vorliegen einer solchen Notlage ausgehen - die, für sich gesehen, auf Fahrlässigkeit hindeuten könnte -, sollte jeweils "durfte nicht" bedeuten und damit das Überschreiten der Vertretbarkeitsgrenze aus der Sicht des Landgerichts kennzeichnen.

Zugleich sollte es bedeuten, daß der Angeklagte in den vom Landgericht so gekennzeichneten Fällen dies erkannte oder jedenfalls bedingt vorsätzlich handelte. Das ergibt sich aus den zusammenfassenden Ausführungen des Landgerichts auf S. 10 des angefochtenen Urteils und aus anders formulierten, aber offensichtlich gleichbedeutenden Aussagen bei anderen Einzelfällen (etwa UA S. 56: "... lag eine unabwendbare Notlage aus der Sicht des Angeklagten nicht vor. Auch objektiv war eine solche nicht gegeben"). Die Feststellungen zur subjektiven Seite sind auch sonst nicht zu bemängeln. Im Hinblick auf die oben näher geschilderte Auffassung des Angeklagten zum Schwangerschaftsabbruch, die nach der Feststellung des Landgerichts nicht etwa theoretisch war (bei gleichzeitiger strikter Beachtung des Gesetzes), sondern die sein aktuelles Handeln bestimmte, waren eingehendere Erörterungen zu den Einzelfällen nicht erforderlich.

4. Soweit das Landgericht nach §§ 218 b, 219 StGB verurteilt hat, hat es übersehen, daß diese Straftaten wegen der - gegenüber § 218 StGB - geringeren Höchststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe schon in drei Jahren verjähren (§ 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB). Weil die Revision der Staatsanwaltschaft keinen Erfolg hat, es also dabei bleibt, daß nur §§ 218 b, 219 StGB verletzt sind, holt der Senat in den davon betroffenen Fällen die Entscheidung nach. Das geschieht, da der angeklagte schwerere Tatvorwurf des § 218 StGB nicht nachweisbar, der leichtere aber wegen eines Verfahrenshindernisses nicht verfolgbar ist, durch Freisprechung (vgl. BGHSt 36, 340 m.w.Nachw.).

5. Die Freisprechung in 20 Einzelfällen führt, was keiner weiteren Erwägung bedarf, zum Wegfall der Gesamtstrafe. Im Hinblick darauf, daß von den Verurteilungen nach §§ 218 b, 219 StGB etwa die Hälfte, von den Verurteilungen insgesamt etwa ein Viertel weggefallen sind und in 19 verbleibenden Fällen die Mindestfreiheitsstrafe von einem Monat verhängt wurde, hält der Senat jedoch nicht für von vornherein ausgeschlossen, daß die Bemessung der Einzelstrafen (auch unter dem Gesichtspunkt des § 47 StGB) ebenfalls von dem Rechtsfehler beeinflußt ist. Hinzu kommt, daß die Ausführungen des Landgerichts zur Generalprävention (UA S. 305) rechtlichen Bedenken begegnen. Ob generalpräventive Gesichtspunkte bei der Strafzumessung erst dann zulässig sind, wenn eine gemeinschaftsgefährliche Zunahme solcher oder ähnlicher Taten zu verzeichnen ist (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 1 Generalprävention 2), kann dahinstehen; denn jedenfalls durfte das Landgericht nicht ohne jeden Anhaltspunkt davon ausgehen, andere Ärzte würden sich durch mildere als die verhängten Strafen zu gleichem Umgang mit den Bestimmungen der §§ 218 ff. StGB verleiten lassen wie der Angeklagte in den abgeurteilten Fällen.

Das Berufsverbot ist fehlerfrei angeordnet. Über seine Dauer findet sich indes in den Urteilsgründen nichts; hierüber ist deshalb neu zu befinden.

Externe Fundstellen: BGHSt 38, 144; NJW 1992, 763; NStZ 1992, 328; StV 1992, 106

Bearbeiter: Rocco Beck