HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 251
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 279/24, Urteil v. 27.11.2024, HRRS 2025 Nr. 251
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 23. Februar 2024 im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte des bandenmäßigen Herstellens von Cannabis in Tateinheit mit Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Cannabis in drei Fällen schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen Herstellens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und Einziehungsentscheidungen getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat hinsichtlich des Schuldspruchs den aus dem Urteilstenor ersichtlichen Erfolg; im Übrigen erweist sie sich als unbegründet.
1. Der Schuldspruch bedarf der Korrektur (§ 354 Abs. 1 StPO analog), weil das Landgericht den Angeklagten für seinen Umgang mit Marihuana - entsprechend der zum Urteilszeitpunkt geltenden Rechtslage - nach dem Betäubungsmittelgesetz verurteilt hat. Am 1. April 2024 ist jedoch das Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27. März 2024 (Konsumcannabisgesetz - KCanG) in Kraft getreten (BGBl. I 2024, Nr. 109). Diese Rechtsänderung hat der Senat gemäß § 2 Abs. 3 StGB, § 354a StPO zu berücksichtigen.
a) Das mildere von zwei Gesetzen im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB ist dasjenige, welches anhand des konkreten Falls nach einem Gesamtvergleich des früher und des derzeit geltenden Strafrechts das dem Angeklagten günstigere Ergebnis zulässt. Hängt die Beurteilung des im Einzelfall milderen Rechts davon ab, ob die Möglichkeit einer Strafrahmenverschiebung genutzt wird, etwa durch Annahme eines gesetzlich geregelten besonders oder minder schweren Falls, obliegt die Bewertung grundsätzlich dem Tatgericht, sofern eine abweichende Würdigung nicht sicher auszuschließen ist (BGH, Beschluss vom 10. September 2024 - 5 StR 303/24 Rn. 4 mwN).
b) Das Landgericht hat der Strafzumessung der Einzelstrafen jeweils einen Strafrahmen von einem Jahr bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe zugrunde gelegt. Denn es hat einen minder schweren Fall des bandenmäßigen Herstellens von Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 1, Abs. 3 BtMG (Strafrahmen: sechs Monate bis zehn Jahre Freiheitsstrafe) angenommen, ist aber fälschlicherweise und erheblich zu Gunsten des Angeklagten lediglich von einer Strafrahmenobergrenze von fünf Jahren ausgegangen. Zugleich hat es für § 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG „im Hinblick auf die bandenmäßige Begehung“ ebenfalls einen minder schweren Fall (Strafrahmen drei Monate bis zu fünf Jahren) bejaht. § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG (Herstellen in nicht geringer Menge) entfaltet hinsichtlich der Strafuntergrenze von einem Jahr eine Sperrwirkung; denn einen minder schweren Fall des § 29a Abs. 2 BtMG hat das Landgericht nicht angenommen.
Die Annahme jeweils minder schwerer Fälle trotz der erheblichen Betäubungsmittelmengen und des hochprofessionellen und konspirativen Vorgehens der Tätergruppierung hat es u.a. darauf gestützt, dass der Angeklagte als Bandenmitglied nur „untergeordnet im geringen Umfang kurzzeitig tätig war“, sein als täterschaftliches Handeln gewerteter Tatbeitrag zur Herstellung von Betäubungsmitteln „eher in der Nähe einer untergeordneten Gehilfenhandlung zu sehen ist“ und nach dem sich im Gesetzgebungsverfahren befindenden KCanG der private Besitz von Marihuana legalisiert werden soll.
c) Das festgestellte Tatgeschehen (Ernte von 43,98 Kilogramm Marihuana mit 5.717 g THC, 33,09 Kilogramm mit 4.301 g THC und 28,564 Kilogramm Marihuana mit 3.713 g THC) ist bei Anwendung des KCanG ein bandenmäßiges Herstellen von Cannabis (§ 34 Abs. 4 Nr. 3, § 34 Abs. 1 Nr. 3 KCanG) in Tateinheit mit Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Cannabis (§ 34 Abs. 4 Nr. 3, § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG, § 27 StGB) in drei Fällen.
§ 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG sieht für das bandenmäßige Herstellen von Cannabis einen Strafrahmen von zwei Jahren bis zu 15 Jahren vor, der bei einem minder schweren Fall auf einen solchen von drei Monaten bis zu fünf Jahren abgesenkt ist. Die als Regelbeispiele ausgestalteten Vergehen des § 34 Abs. 3 Nr. 1 KCanG (gewerbsmäßig) und § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG (nicht geringe Menge) haben einen Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren und damit denselben wie der minder schwere Fall des § 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG, so dass sich die Frage einer Sperrwirkung nicht stellt.
d) Es ist sicher auszuschließen, dass das Landgericht keine Strafrahmenverschiebung über den minder schweren Fall des bandenmäßigen Herstellens von Cannabis vorgenommen hätte. Denn der durch den Angeklagten als Bandenmitglied täterschaftlich erbrachte Tatbeitrag bleibt auch bei Anwendung des § 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG unverändert eine untergeordnete und kurzzeitige Tätigkeit, die in der Nähe einer „untergeordneten Gehilfenhandlung“ liegt. Der minder schwere Fall des § 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG ist damit gegenüber dem sich aus § 30a Abs. 1 und Abs. 3, § 30 Abs. 1 Nr. 1, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ergebenden Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe für den Angeklagten im konkreten Fall das mildere Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB.
e) Die Regelung des § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung (§ 354 Abs. 1 StPO analog) nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
2. Die Schuldspruchänderung führt jedoch nicht zur Aufhebung des Strafausspruchs.
Der Senat kann mit Blick auf die jeweils sehr hohen Erntemengen ausschließen, dass das Landgericht bei Anwendung des Strafrahmens des minder schweren Falls des § 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG noch niedrigere Einzelstrafen als die verhängten zwei Jahre sechs Monate in zwei Fällen und zwei Jahre neun Monate in einem Fall sowie eine geringere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte. Denn das Landgericht hat bei der Strafzumessung im engeren Sinn und bei der Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten „in hohem Maße strafmildernd“ bereits die Entscheidung des Gesetzgebers eingestellt, durch das KCanG den privaten Besitz von Marihuana im zweistelligen Grammbereich zu legalisieren, aber dennoch den Anbau mit nachfolgendem Vertrieb in der hier vorliegenden Weise unverändert wegen des erheblichen Gesundheitsrisikos unterbinden und Tathandlungen wie hier auch künftig weiterhin als Verbrechen ahnden zu wollen; das Landgericht hat damit selbst kundgetan, dass es auch bei Anwendung des KCanG keine geringere Strafe verhängen würde.
HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 251
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede